Nichts ist okay! (eBook)
320 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43040-1 (ISBN)
Jason Reynolds studierte Literaturwissenschaften an der University of Maryland. Seine Bücher sind in den USA nicht nur Bestseller, sondern auch vielfach ausgezeichnet. Sein Buch >Long Way Down< wurde nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis. Für den Kinderroman >Ghost< erhielt er den LUCHS des Jahres. Jason Reynolds ist in den USA ein Literaturstar. Er lebt in Washington, D.C.
Jason Reynolds studierte Literaturwissenschaften an der University of Maryland. Seine Bücher sind in den USA nicht nur Bestseller, sondern auch vielfach ausgezeichnet. Sein Buch ›Long Way Down‹ wurde nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis. Für den Kinderroman ›Ghost‹ erhielt er den LUCHS des Jahres. Jason Reynolds ist in den USA ein Literaturstar. Er lebt in Washington, D.C. Brendan Kiely studierte am City College in New York und erhielt für seine Bücher zahlreiche Auszeichnungen. Er lebt mit seiner Familie in Greenwich Village.
FREITAG
RASHAD
Und links! Und links! Und links, rechts, links! Und links! Und links! Und links, rechts, links!
Ist gut, ist ja schon gut.
Hab ’nen Abgang gemacht und sie links liegen lassen. Links, links, links, diese beknackte Schule und diesen noch beknackteren Jungoffiziers-Drill. Es war Freitag, und das bedeutete für mich und praktisch jeden anderen Menschen auf der Welt, dass Party angesagt war. Okay, vielleicht nicht für jeden. Sicher gab es irgendwo einen Mönch auf seinem Berg, der vielleicht an was anderes dachte. Aber ’n Mönch war ich nicht. Gott sei Dank. Für mich und meine Freunde jedenfalls war »Freitag« nur ein anderes Wort für »Party«. Montag, Dienstag, Bald-geschafft-Tag, Donnerstag und Party. Oder, wie mein Bruder Spoony immer sagt: »Paah-ty«. Und nichts anderes hatte ich im Kopf, als ich mich nach der Schule in eine Klokabine zwängte – Party machen und möglichst schnell raus aus dieser spießigen Uniform.
Gut, dass wir sie nicht jeden Tag tragen mussten. Nur an Freitagen, den »Uniformtagen«. Ausgerechnet freitags! Wer war eigentlich auf diese bescheuerte Idee gekommen? Jedenfalls lief ich schon den ganzen Tag in dieser Uniform rum, ab dem ersten Klingeln um zehn vor neun, weil wir ja exerzieren mussten, was letztlich Brüllen und Umhermarschieren bedeutete. Und das ist immer ein tolles Erlebnis, kurz bevor du dich mit dreißig Mitschülern ins Klassenzimmer setzt, wo die Lehrerin entweder am Rand eines Nervenzusammenbruchs steht oder einen Schüler anschreit, er soll sich sofort beim Direktor melden. Ein echter Spaß.
Eines möchte ich klarstellen: Ich hatte dieses Offizierszeugs, diese Kadettenausbildung, wirklich nicht nötig. Ich wollte nicht zu einem Militärverein gehören. Nicht, dass es schlimm gewesen wäre. Eigentlich war es genau wie jeder andere Unterricht auch, nur dass uns Chief Killabrew – der hat ja wohl den komischsten Nachnamen überhaupt – alles über die wichtigen Dinge im Leben beibrachte und wie man ein guter Mensch wird und so Sachen eben. Besser als Mathe war das allemal, und wenn dieser Drillscheiß und die Uniform nicht gewesen wären, dann hätte ich da ganz locker eine Eins gemacht, mit der ich ein paar Dreien hätte ausgleichen können. Ich wusste, dass mein Vater mich schon auf dem besten Weg zum Militär sah. Ohne mich. Dieses Nachwuchsoffiziers-Training war nicht mein Ding. Aber ich zog es durch, und zwar richtig, weil er mich letztlich dazu drängte. Dad gehört zu den Menschen, die glauben, dass ein schwarzer Junge in diesem Land keinen besseren Start kriegen kann, als zur Armee zu gehen. Das war genau das, was er immer behauptete, und zwar wortwörtlich.
»Eines sag ich dir, mein Junge«, sagte er immer und lehnte am Türrahmen meines Zimmers. Ich lag auf dem Bett, kritzelte in meinem Skizzenbuch und musste mich echt am Riemen reißen, um mir nicht einfach die Stifte in die Ohren zu stopfen. Dann fuhr er fort: »Zwei Wochen nachdem ich die Highschool geschafft hatte, kam mein Vater zu mir und sagte: ›Die Einzigen, die von nun an in diesem Haus leben werden, sind die Menschen, mit denen ich Liebe mache.‹«
»Ich weiß, Dad«, stöhnte ich dann immer und wusste genau, was als Nächstes kommen würde, denn das Ganze hörte ich mindestens einmal im Monat. Mein Vater ist berechenbar wie ein Uhrwerk, wahrscheinlich hat er das bei der Armee gelernt. Oder bei der Polizei. Jep, mein alter Herr hat nach nur vier Jahren die grüne Uniform eines Soldaten gegen die blaue Uniform eines Polizisten eingetauscht – obwohl er vom Militär redet, als ob er zwanzig Jahre dabei gewesen wäre. Und die blaue Uniform hat er auch nach vier Jahren an den Nagel gehängt und in einem Büro angefangen, wo er das macht, was man in einem Büro nun mal macht: gelangweilt rumhängen und sich dafür bezahlen lassen.
»Und ich wusste, was er mir sagen wollte: ›Raus hier!‹«, tönte Dad weiter. »Aber ich wusste nicht, was ich machen sollte. In der Schule war ich nicht sonderlich gut, und nun ja, fürs College war ich einfach nicht der richtige Typ.«
»Und deshalb bist du zur Armee gegangen, und das hat dir das Leben gerettet«, beendete ich die Geschichte für ihn und bemühte mich, die Schärfe aus meiner Stimme zu nehmen.
»Lass deine Klugscheißerei«, sagte er dann und deutete zornig auf mich. Immer klang meine Stimme zu bitter, dabei hütete ich mich echt davor, es zu weit zu treiben. Ich hatte es nur so satt, immer wieder dieselbe Geschichte zu hören.
»Ich bin kein Klugscheißer«, antwortete ich dann immer beschwichtigend. »Ich will’s dir nur sagen.«
»Was willst du mir sagen? Dass du keine Disziplin nötig hast? Dass du es nicht nötig hast, die Welt kennenzulernen?«
»Dad –«, begann ich, aber er würgte mich ab und spulte weiter seinen üblichen Text runter.
»Du hast also keine kostenlose Ausbildung nötig? Du musst also nicht für dein Land kämpfen?«
»Dad, ich –« Wieder schnitt er mir das Wort ab.
»Was ist los mit dir, Rashad? Willst du nicht wie dein Vater werden? Sieh dich mal um.« Seine Stimme wurde unnötig schrill, und mit fuchtelnden Armen deutete er voller Wut auf die Wände und die Fenster und so ziemlich alles im Zimmer. »Ich glaube, das habe ich ganz gut hinbekommen. Du und dein Bruder, ihr habt euch nie Sorgen machen müssen!« Dann kam sein Lieblingsspruch. Es hätte mich nicht überrascht, wenn er ihn sich auf die Brust hätte tätowieren lassen. »Hör zu. Ein schwarzer Junge kann in diesem Land keinen besseren Start kriegen, als zur Armee zu gehen.«
»David.« Ungefähr jetzt hörte ich immer meine Mutter im Flur. An ihrer Stimme merkte mein Vater, dass er es wieder mal zu weit getrieben hatte. »Lass ihn in Ruhe. Er handelt sich keinen Ärger ein und ist ein ordentlicher Schüler.« Ein ordentlicher Schüler. Ich hätte lauter Einsen haben können, wenn ich nicht die ganze Zeit vor mich hin gemalt und gekritzelt hätte. Aber ordentlich war immerhin … nun ja, eben ordentlich.
Dann entspannte sich die Miene meines Vaters jedes Mal, besänftigt von der Stimme meiner Mutter. »Hör mal, kannst du es nicht wenigstens versuchen, Rashad? Nur in der Highschool. Mehr will ich ja gar nicht. Ich hab deinen Bruder darum gebeten, und der hatte es noch nötiger als du. Aber er hat nicht zugehört, und jetzt steckt er bei diesem Paketdienst fest.« Bei ihm klang es so, als müsste man ohne dieses Offizierstraining geradewegs bei UPS landen. Als ob nur grüne und blaue Uniformen in Ordnung wären und braune Uniformen nur Versager trugen.
»Das ist ein guter Job«, ging meine Mutter dazwischen. »Der Junge kann für sich selbst aufkommen, er und seine Freundin haben eine eigene Wohnung. Außerdem kümmert er sich ehrenamtlich um diese Kids im Jugendhaus. Spoony ist jedenfalls in Ordnung.« Sie schob meinen Vater zur Seite, bis sie auch im Türrahmen stand und ich sie sehen konnte. »Und Rashad wird es auch schaffen.« Dad schüttelte nur den Kopf und ging hinaus.
Dieses Gespräch hatten wir schon mindestens zwanzig Mal geführt, Wort für Wort. Als ich dann auf die Highschool kam, ging ich zum ROTC. Eigentlich heißt es JROTC, aber das J kommt nie vor. Die Abkürzung steht für Junior Reserve Officer Training Corps – Nachwuchsausbildung für künftige Reserveoffiziere. Ich ging da hin, damit mein Dad nicht mehr nervte. Um ihn glücklich zu machen. Wie auch immer.
Jedenfalls war heute Freitag, »Uniformtag«, und gleich nach dem letzten Klingeln rannte ich mit meiner Sporttasche zu den Toiletten, um die grünen Klamotten loszuwerden.
Die Toiletten der Springfield Central Highschool waren nie leer. Es stand immer jemand vorm Spiegel und studierte, ob ihm endlich Barthaare wuchsen, es hockte immer jemand auf einem Waschbecken, der sein Handy checkte und den Unterricht schwänzte. Und nach der Schule, besonders an Freitagen, schauten alle rein, um sicherzugehen, dass nichts verabredet wurde, ohne dass sie davon erfuhren. Die Toiletten waren praktisch eine Erweiterung der Umkleideräume, und selbst Schüler wie ich, ohne irgendwelche sportlichen Talente, kamen und redeten über Dinge, über die auch die Sportskanonen redeten, ohne diese ganze Arschklatscherei – weshalb ich mich dort umso wohler fühlte.
»Was geht, Shad?«, sagte English Jones, während er sich selbstverliebt im Spiegel betrachtete. Model-Gesicht von links, Model-Gesicht von rechts. Mit der Hand am Haaransatz langfahren, dann runter ins Gesicht und über die Fläche streichen, wo hoffentlich eines Tages ein richtiger Bart wachsen wird. So macht man das. In-den-Spiegel-Gucken für Anfänger, und English war ein Meister darin. English war in so ziemlich allem ein Meister. Er war ein typischer grünäugiger Schönling, mit Eltern, die ihn verwöhnten, deshalb trug er schicke Klamotten und hatte Tattoos. Außerdem hieß er English – er hieß tatsächlich English, und deshalb konnte er sich die Mädchen praktisch aussuchen. Ein Junge wie maßgeschneidert, als hätten seine Eltern ihn genau so geplant. Aber seltsamerweise war ihm das nicht zu Kopf gestiegen, wie man vielleicht denken könnte, und deswegen waren die Mädels und die Lehrer und der Rektor und die Eltern und sogar der Basketballtrainer noch verrückter nach ihm. Genau, English war auch im Basketballteam. Er war Mannschaftskapitän, er war der beste Spieler. War ja eigentlich klar.
»Was geht, E?«, sagte ich und hob das Kinn kurz in seine Richtung, ehe ich mich in die Kabine zwängte. English und ich waren schon als Kinder eng befreundet, obwohl er ein Jahr älter ist als ich. Wir waren zwei Gänge eines Dreigangmenüs. Der dritte Gang bestand aus Shannon Pushcart, und die...
Erscheint lt. Verlag | 26.8.2016 |
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Übersetzer | Klaus Fritz, Anja Hansen-Schmidt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
Schlagworte | Basketball • #blacklivesmatter • BlackLivesMatter • BlackLivesMatter-Bewegung • Deutschunterricht • Diskriminierung • Diskriminierung und Gewalt • Gewalt • Gewissenskonflikt • Gruppenzwang • Identitätssuche • Jugendroman • Jugendsprache in den neuen Medien • Klassenlektüre • Lebenswelt Jugendlicher in den USA • Leseförderung • Literaturunterricht • Loyalität • Mut • politische Dimension des Sports • Polizeigewalt • Polizeiwillkür • problematische Vaterbeziehung • Rassismus • Rassismus im Sport • Rassismus in den USA • Roman für Schüler • Schuld und Verantwortung • Schule • Schullektüre • Schullektüre 9. Klasse • Schullektüre Deutsch Klasse 9 bis 10 • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Schullketüre Deutsch Klasse 9 • Toleranz • Unterrichtslektüre • Unterrichtsmaterial • Unterrichtsmodelle • USA • Vater-Sohn-Beziehung • Verrat • Vorurteile • Wahrheit • Young Adult • Zeuge • Zivilcourage |
ISBN-10 | 3-423-43040-0 / 3423430400 |
ISBN-13 | 978-3-423-43040-1 / 9783423430401 |
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