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Der schwarze Vorhang (eBook)

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2010 | 1. Auflage
352 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-10-401210-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der schwarze Vorhang -  Elisabeth Zöller
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Der große historische Roman von Elisabeth Zöller Um 1630: Als Maras Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, bleibt dem sechzehnjährigen Mädchen nur die Flucht. Ihr einziger Besitz ist ein geheimnisvolles Bild, das jedem Betrachter etwas anderes zu zeigen scheint. Doch was zeigt es? Die Vergangenheit? Oder deuten die schemenhaften Gestalten hinter dem schwarzen Vorhang gar auf die Zukunft hin? Maras abenteuerliche Reise führt sie in die blühende Handelsstadt Amsterdam, wo sie auf der Suche nach einem Hinweis die Werkstätten des Künstlerviertels abklappert. Doch irgendjemand will mit allen Mitteln verhindern, dass sie mehr über das Bild und dessen Maler erfährt ... Ein opulenter Roman mit farbenprächtigen Szenen, ein spannendes Kunstabenteuer und die Geschichte einer großen Liebe.

Elisabeth Zöller ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen Deutschlands. Ihr Roman ?Schwarzer, Wolf, Skin? erregte großes Aufsehen. Für ihr Buch ?Anna rennt? erhielt sie den Katholischen Jugendbuchpreis, für ?Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens? den Gustav-Heinemann-Friedenspreis. Für ihr Engagement gegen Gewalt wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie in Münster. Literaturpreise: Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher 2005 Bundesverdienstkreuz 2007

Elisabeth Zöller ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautorinnen Deutschlands. Ihr Roman ›Schwarzer, Wolf, Skin‹ erregte großes Aufsehen. Für ihr Buch ›Anna rennt‹ erhielt sie den Katholischen Jugendbuchpreis, für ›Anton oder Die Zeit des unwerten Lebens‹ den Gustav-Heinemann-Friedenspreis. Für ihr Engagement gegen Gewalt wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie in Münster. Literaturpreise: Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher 2005 Bundesverdienstkreuz 2007

Erstes Kapitel


Im Jahre 1636

»Mara, nimm das Bild, pass auf, dass es nicht in falsche Hände gerät! Hab keine Angst, flieh nach Amsterdam. Dort wirst du Leute finden, die dir helfen. Frag in der Prinsengracht nach …«

»Maul zu!« Sie schlugen meiner Mutter ins Gesicht, hielten ihr den Mund zu, stießen sie zu Boden.

Ich lief zu ihr, stellte mich schützend vor sie.

»Weg da, Bastard!« Sie zerrten mich von ihr fort.

Amsterdam? Das Bild? Was sollte ich? Welche Leute? Wie hießen sie? Wobei sollten sie mir helfen? Die Fragen sprangen in meinem Kopf herum. Eine Antwort fanden sie nicht.

 

Am Morgen waren sie gekommen … Lautes Schlagen an die Tür, mit Stiefeltritten und Fäusten. Immer lauter und bedrohlicher wurden die Schläge. Sofort saß ich aufrecht, noch schlaftrunken und verwirrt. Wer war da? Ich wollte rufen, aber meine Stimme versagte. Nur wenig Licht kroch durch die mit Tierhäuten bespannten Luken.

»Tür auf! Los, macht die Tür auf! Wird’s bald?« Immer lauter wurde das Gebrüll, und mit großem Lärm zerbarst die kaum Schutz bietende Tür aus dünnem Holz. Vier bewaffnete Männer stürzten in den Raum, allen voran der Büttel, und mit ihnen krochen Kälte und Nebel herein. Der Büttel? Was wollte der? Bei meiner Mutter und mir?

Ich schlang sitzend die wollene Decke um mich.

Mutter zog ihr Hemd herunter, ein verzweifelter Versuch, sich vor den Blicken und der Kälte zu schützen.

»Was wollt ihr?« Die wilden Locken fielen ihr immer wieder ins Gesicht, umrahmten es wie ein leuchtender Schein. Wut und Angst ließen sie nur noch schöner aussehen. Engelgleich.

»Fertigmachen, mitkommen!« Als Antwort gab es nur harsche Befehle.

»Was wollt ihr?« Die Stimme meiner Mutter wiederholte die Frage, klar und deutlich. Woher nahm sie die Kraft?

»So sieht also eine Hexe aus!«, rief einer der vier Eindringlinge hämisch. »Los, mitnehmen!«

»Das könnt ihr nicht machen!« Entsetzen kroch in mir hoch, ließ mich schreien und aufspringen. Die Decke entglitt mir, und sofort spürte ich den lüsternen Blick des Wortführers auf meinem schmalen Körper, wie er an den vor Schreck wippenden Brustspitzen unter meinem Hemd hängenblieb.

»Halt die Klappe, kleine Göre!«, brüllte er mich an, streckte seinen Arm begierig aus, flüsterte: »Vögelchen …«, stieß mich dann aber unter den Blicken der anderen Männer grob zurück.

»Ruhig, Mara«, flüsterte Mutter und strich mir über den Kopf.

»Finger weg! Ihr bleibt, wo ihr seid. Fesseln!« Und schon schlangen die Knechte einen Strick um Mutters Handgelenke und zurrten ihn fest.

»Nein!« Ich schrie laut auf. »Lasst sie doch wenigstens etwas anziehen!«

»Hältst du nicht die Klappe, ergeht es dir genauso, Göre. Im Kerker braucht sie keine Kleider – und für uns auch nicht.« Boshaftes Gelächter.

»Hexe!«, feixte einer der Knechte und klappte die Truhe auf, warf Tücher und Gewänder auf den Boden, riss getrocknete Kräuter von den dunklen Balken der Hütte, sammelte alles in einem schmutzigen Kartoffelsack. Als Letztes warf er unsere Bibel hinein, eines unserer wenigen Bücher. Mit dieser Bibel hatte ich lesen gelernt, Buchstaben, die eine ganze Welt füllen konnten.

»Mitnehmen, abführen!« Gebellte Befehle.

»Bitte, tut das nicht!« Mein verzweifelter Schrei prallte an ihnen ab.

»Mara, nimm das Bild, pass auf, dass es nicht in falsche Hände gerät. Hab keine Angst, flieh nach Amsterdam! Dort wirst du Leute finden, die dir helfen. Frag in der Prinsengracht nach …« Leise und klar hatte Mutter es mir zuflüstern wollen, dann schlug man ihr auf den Mund, brachte sie zum Schweigen.

Das war das Letzte, was ich von meiner Mutter hörte. Alles, was mir blieb, waren die Worte: Bild – Amsterdam – Prinsengracht. Die Worte tanzten in meinem Kopf. Und tausend Fragen, die ich meiner Mutter stellen wollte. Hatte sie mir noch einen Namen nennen wollen? Aber die vier Männer hatten sich bedrohlich groß zwischen uns gedrängt. Der Anführer, der Büttel, war ein Hüne. Ich kannte ihn aus dem Dorf. Der zweite Kerl hatte keine Finger an der rechten Hand und eine schwarze Klappe vor dem rechten Auge. Mit dem anderen glotzte er von Mutter zu mir und schien zu überlegen, ob er mich nicht auch gleich abführen sollte. Der Anführer zerrte meine Mutter am Strick zur Tür.

»Mama, Mama!«, schrie ich und versuchte, mich an ihr Hemd zu hängen. »Ihr könnt sie doch nicht einfach mitnehmen!«

»Sei froh, dass wir dich verschonen«, schnauzte er und stieß mich zurück in die Hütte. Ich sah noch, wie ihre Lippen einen Namen formten, bevor ihr der Anführer wieder ins Gesicht schlug, so grob, dass sie stürzte. Ich hörte nichts mehr. Sie traten nach ihr, dann schleppten sie sie fort, in Richtung Isterberg.

»Kein Wort mehr, Weib! Uns wirst du nicht verhexen.«

Ich stürzte hinterher, schrie verzweifelt und ohne Hoffnung: »Wohin soll ich? Wen soll ich fragen?«

Doch meine Worte verhallten im Nebel des frühen Aprilmorgens, sie wurden von der Feuchtigkeit verschluckt. Man ließ mich völlig allein zurück.

Angst kroch in das Dunkel der Hütte, in der ich mich auf den Boden hockte – mit hängendem Kopf. Eine große schwarze Angst.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß. Wahrscheinlich holte die Kälte des frühen Morgens mich endlich wieder zurück. Ich musste etwas tun. Ich konnte doch Mutter nicht einfach so in den Händen dieser Männer lassen. Sie hatten meine Mutter geholt auf richterlichen Befehl. Hexe!, so hatten sie gerufen. Das Wort und dessen Bedeutung drangen erst jetzt langsam in mein Bewusstsein. Hexe!

Und plötzlich, als wäre jemand hinter mir her und hetzte und jagte mich, öffnete ich die Truhe, durchwühlte alles, ließ die Bodenluke aufspringen, kletterte hinauf und kroch zwischen Mäusekot und Spinnenbeinen mit den Händen tastend über die Dachbodenbretter.

Nimm das Bild … flieh nach Amsterdam!

Ich suchte das Bild. Doch welches Bild? Ich fand nichts. Weinend setzte ich mich auf den Boden. Ich wusste ja nicht einmal, was ich suchte. Suchte ich eine Leinwand? Suchte ich einen Rahmen? Suchte ich Papier? Verwirrt und verzweifelt kroch ich weiter. Ich drehte alles um, wendete Leinenbeutel und Kräuterbündel, sogar die Alraunen. Ich suchte – aber auch der Spitzboden gab nichts her, sosehr ich auch mit den Fingern bis in die entferntesten und dunkelsten Winkel grub.

Wieder flossen meine Tränen. Mutter war weg, verschleppt wie eine Verbrecherin. Ich saß allein in unserer Hütte am Rand des Dorfes. Flieh, hatte Mama gesagt, flieh nach Amsterdam … Aber sie hatte mir keinen Namen genannt. Die Faust des Büttels hatte sie daran gehindert.

Vielleicht meinte sie ihre Verwandten oder Verwandte meines Vaters? So oft hatte ich Mutter nach Vaters Namen gefragt. Immer und immer wieder. Und jedes Mal wurde ihr Blick dunkel und traurig und sie sagte: »Später, Mara, später werde ich dir von ihm erzählen. Wenn du groß bist.«

Und – war ich jetzt groß? War man groß, wenn man fünfzehn, bald sechzehn war?

War man groß, wenn sich plötzlich die Wut eines Dorfes gegen einen wandte, wenn die Mutter, als Hexe abgeholt, nur Schreie des Entsetzens zurückließ? War man groß, wenn man plötzlich mutterseelenallein auf dem Boden einer Hütte hockte und nichts blieb als Warten, Angst und elende Flucht?

»Mama«, schluchzte ich. »Mama«, schrie ich. Aber keiner antwortete. Die Holzwände der Hütte, wabernder Morgennebel über dem Garten, dicke efeuumrankte Eichen- und Buchenstämme schluckten die Schreie und Worte, warfen sie höchstens für Bruchteile von Sekunden wie beißenden Spott zurück.

Ich war allein.

Ich starrte in die fast stumpfe Spiegelscherbe an der Wand. Große grüne Augen sahen mich an. »Sternenaugen«, hatte Mama immer gesagt und sie mir am Abend mit einem liebevollen Schlaflied geschlossen, mit einem Lied, das unsere Hütte so oft mit wohliger Wärme erfüllt hatte. Mutters Augen dagegen waren dunkel und goldbraun. Waren die Sternenaugen die Augen meines Vaters?

Ich, Mara. Da hockte ich. Mara bedeutete die Strahlende, die Leuchtende, die Perle. Mara war der Glanz, der Sonnenstrahl, aber auch die Bitterkeit! Mein Vater soll diesen Namen gewählt haben. Das war das Einzige, was Mutter mir von ihm erzählt hatte. Meinte er die Perlen? Oder meinte er den Glanz? Oder gar die Bitterkeit?

Oder dachte er an das Leuchten der Farben? Ich lachte rau auf. Ja, meine Mutter hatte mir das Farbenmischen beigebracht. Ich kannte mich aus mit Farben! Wir hatten sie auf dem Markt oder an fahrende Händler verkauft. Doch für meine Mutter mussten die Farben noch eine tiefere Bedeutung haben. Sie erzählte mir nie, von wem sie all ihr Wissen hatte, und wenn ich sie fragte, antwortete sie nur geheimnisvoll: »Später, mein Schatz. Jetzt hör einfach nur zu: Vor dem Jaspisgrün flieht der Teufel. Das Malachitgrün schützt gegen böse Geister …« Der Stein wurde fein gerieben. Der Mörser stand auf dem Bord. Und wenn ich ihn zerstampft hatte, so gab ich das Pulver in einen Topf mit klarem Wasser und Eigelb und ließ es dann in Bröckchen wieder trocknen. Der Stein war schwer zu finden und glänzte schwarz und dunkel. Schreckstein nannten die Dörfler ihn. Doch mit dem Grün konnte man wunderbar das Wogen der Blätter malen, und gemischt mit Verdaccio wurden Gesichter lebendig. Verdaccio war ein wunderbarer Malgrund, um darauf die anderen Farben aufzubauen und zum Leuchten zu bringen. Das Lackrot kauften wir auf dem Markt im Nachbarort. Auch den Safran zur Herstellung von Ocker, aus dem ich mit...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2010
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Zweisprachige Ausgaben
Kinder- / Jugendbuch
Schlagworte 17. Jahrhundert • Amsterdam • Familie • Geheimnis • Hexenverbrennung • Historische Romane • Historischer Roman • Holländische Malerei • Jugendbuch • Jugendbücher ab 12 • Kunst • Liebe • Malerei • Mara • Rembrandt
ISBN-10 3-10-401210-5 / 3104012105
ISBN-13 978-3-10-401210-0 / 9783104012100
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