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Studien über Hysterie -  Sigmund Freud,  Josef Breuer

Studien über Hysterie (eBook)

Ein bahnbrechendes Werk der Psychoanalyse und psychologischen Literatur
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
222 Seiten
Good Press (Verlag)
978-65--4779887-7 (ISBN)
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Die Anthologie Studien über Hysterie von Sigmund Freud und Josef Breuer markiert einen Wendepunkt in der Betrachtung psychischer Störungen und gilt als Fundament der psychoanalytischen Theorie. Dieses Werk überbrückt die Lücke zwischen der neurologischen und psychologischen Analyse von Hysterie und verknüpft klinische Fallstudien mit theoretischen Überlegungen. Durch die Vielfalt seiner literarischen Stile von detaillierten Fallberichten bis hin zu eingehenden theoretischen Diskussionen liefert es einen umfassenden Einblick in die Entstehung und Behandlung der Hysterie. Die sorgfältige Auswahl und Zusammenstellung der Fälle und die damit verbundenen Analysen beleuchten die Komplexität der menschlichen Psyche und den innovativen Zugang Freuds und Breuers zu ihrer Erforschung. Die beitragenden Autoren, Sigmund Freud und Josef Breuer, stehen im Zentrum der Entstehung psychoanalytischer Methoden. Gemeinsam legen sie ein Fundament, das nicht nur für die Psychologie, sondern auch für die Literatur, die Kunst und die Kultur des 20. Jahrhunderts von grundlegender Bedeutung ist. Ihre interdisziplinäre Arbeit, die an der Schnittstelle von Medizin, Psychologie und Philosophie operiert, hat nicht nur die Behandlung psychischer Störungen revolutioniert, sondern auch tiefgreifende Fragen zum Verständnis des menschlichen Bewusstseins und Unbewussten aufgeworfen. Die Lektüre von Studien über Hysterie bietet Lesern eine unvergleichliche Chance, die Anfänge der Psychoanalyse aus erster Hand zu erfahren und sich mit den bahnbrechenden Ideen von Freud und Breuer auseinanderzusetzen. Dieses Werk ist nicht nur für Studierende und Praktizierende in den Bereichen Psychologie und Psychiatrie unerlässlich, sondern auch für jeden, der an der komplexen Natur der menschlichen Psyche interessiert ist. Als Brücke zwischen vergangenen und gegenwärtigen Ansichten über psychische Erkrankungen fördert es den Dialog und das tiefere Verständnis für die Psychoanalyse und ihre Rolle in der modernen Wissenschaft und Gesellschaft.

II. Krankengeschichten.


Beobachtung I. Frl. Anna O … (Breuer).


Frl. Anna O …, zur Zeit der Erkrankung (1880) 21 Jahre alt, erscheint als neuropathisch mässig stark belastet durch einige in der grossen Familie vorgekommenen Psychosen; die Eltern sind nervös gesund. Sie selbst früher stets gesund, ohne irgend ein Nervosum während der Entwicklungsperiode; von bedeutender Intelligenz, erstaunlich scharfsinniger Combination und scharfsichtiger Intuition; ein kräftiger Intellect, der auch solide geistige Nahrung verdaut hätte und sie brauchte, nach Verlassen der Schule aber nicht erhielt. Reiche poetische und phantastische Begabung, controlirt durch sehr scharfen und kritischen Verstand. Dieser letztere machte sie auch völlig unsuggestibel; nur Argumente, nie Behauptungen hatten Einfluss auf sie. Ihr Wille war energisch, zäh und ausdauernd; manchmal zum Eigensinn gesteigert, der sein Ziel nur aus Güte, um Anderer willen, aufgab.

Zu den wesentlichsten Zügen des Charakters gehörte mitleidige Güte; die Pflege und Besorgung einiger Armen und Kranken leistete ihr selbst in ihrer Krankheit ausgezeichnete Dienste, da sie dadurch einen starken Trieb befriedigen konnte. – Ihre Stimmungen hatten immer eine leichte Tendenz zum Uebermaass, der Lustigkeit und der Trauer; daher auch einige Launenhaftigkeit. Das sexuale Element war erstaunlich unentwickelt; die Kranke, deren Leben mir durchsichtig wurde, wie selten das eines Menschen einem andern, hatte nie eine Liebe gehabt und in all den massenhaften Hallucinationen ihrer Krankheit tauchte niemals dieses Element des Seelenlebens empor.

Dieses Mädchen von überfliessender geistiger Vitalität führte in der puritanisch gesinnten Familie ein höchst monotones Leben, dass sie sich in einer für ihre Krankheit wahrscheinlich maassgebenden Weise verschönerte. Sie pflegte systematisch das Wachträumen, das sie ihr „Privattheater“ nannte. Während alle sie anwesend glaubten, lebte sie im Geiste Märchen durch, war aber angerufen immer präsent, so dass niemand davon wusste. Neben den Beschäftigungen der Häuslichkeit, die sie tadellos versorgte, gieng diese geistige Thätigkeit fast fortlaufend einher. Ich werde dann zu berichten haben, wie unmittelbar diese gewohnheitsmässige Träumerei der Gesunden in Krankheit übergieng.

Der Krankheitsverlauf zerfällt in mehrere gut getrennte Phasen; es sind:

  1. A. die latente Incubation. Mitte Juli 1880 bis etwa 10. December. In diese Phase, die sich in den meisten Fällen unserer Kenntnis entzieht, gewährte die Eigenart dieses Falles so vollständigen Einblick, dass ich schon deshalb sein pathologisches Interesse nicht gering anschlage. Ich werde diesen Theil der Geschichte später darlegen.
  2. B. die manifeste Erkrankung; eine eigenthümliche Psychose, Paraphasie,[1] Strabismus convergens,[2] schwere Sehstörungen, Contracturlähmungen,[3] vollständig in der rechten obern, beiden untern Extremitäten, unvollständig in der linken obern Extremität, Parese[4] der Nackenmusculatur. Allmähliche Reduction der Contractur auf die rechtseitigen Extremitäten. Einige Besserung, unterbrochen durch ein schweres psychisches Trauma (Tod des Vaters) im April, auf welche
  3. C. eine Periode andauernden Somnambulismus folgt, der dann mit normaleren Zuständen alternirt; Fortbestand einer Reihe von Dauersymptomen bis December 1880.
  4. D. Allmähliche Abwicklung der Zustände und Phänomene bis Juni 1882.

Im Juli 1880 erkrankte der Vater der Patientin, den sie leidenschaftlich liebte, an einem peripleuritischen Abscess,[5] der nicht ausheilte und dem er im April 1881 erlag. Während der ersten Monate dieser Erkrankung widmete sich Anna der Krankenpflege mit der ganzen Energie ihres Wesens, und es nahm niemand sehr Wunder, dass sie dabei allmählich stark herabkam. Niemand, vielleicht auch die Kranke selbst nicht, wusste, was in ihr vorgieng; allmählich aber wurde ihr Zustand von Schwäche, Anämie, Ekel vor Nahrung so schlimm, dass sie zu ihrem grössten Schmerze von der Pflege des Kranken entfernt wurde. Den unmittelbaren Anlass bot ein höchst intensiver Husten, wegen dessen ich sie zum erstenmale untersuchte. Es war eine typische Tussis nervosa.[6] Bald wurde ein auffallendes Ruhebedürfniss in den Nachmittagsstunden deutlich, an welches sich abends ein schlafähnlicher Zustand und dann starke Aufregung anschloss.

Anfangs December entstand Strabismus convergens. Ein Augenarzt erklärte diesen (irrigerweise) durch Parese des einen Abducens.[7] Am 11. December wurde Patientin bettlägerig und blieb es bis 1. April.

In rascher Folge entwickelte sich, anscheinend ganz frisch, eine Reihe schwerer Störungen.

Linksseitiger Hinterkopf-Schmerz; Strabismus convergens (Diplopie[8]) durch Aufregung bedeutend gesteigert; Klage über Herüberstürzen der Wand (Obliquus-Affection[9]). Schwer analysirbare Sehstörungen; Parese der vordern Halsmuskeln, so dass der Kopf schliesslich nur dadurch bewegt wurde, dass Patientin ihn nach rückwärts zwischen die gehobenen Schultern presste und sich mit dem ganzen Rücken bewegte. Contractur und Anästhesie[10] der rechten obern, nach einiger Zeit der rechten untern Extremität; auch diese völlig gestreckt, adducirt und nach innen rotirt; später tritt dieselbe Affection an der linken untern Extremität und zuletzt am linken Arm auf, an welchem aber die Finger einigermaassen beweglich blieben. Auch die Schultergelenke beiderseits waren nicht völlig rigide. Das Maximum der Contractur betrifft die Muskeln des Oberarms, wie auch später, als die Anästhesie genauer geprüft werden konnte, die Gegend des Ellbogens sich als am stärksten unempfindlich erwies. Im Beginne der Krankheit blieb die Anästhesieprüfung ungenügend, wegen des aus Angstgefühlen entspringenden Widerstandes der Patientin.

In diesem Zustande übernahm ich die Kranke in meine Behandlung und konnte mich alsbald von der schweren psychischen Alteration überzeugen, die da vorlag. Es bestanden zwei ganz getrennte Bewusstseinszustände, die sehr oft und unvermittelt abwechselten und sich im Laufe der Krankheit immer schärfer schieden. In dem einen kannte sie ihre Umgebung, war traurig und ängstlich, aber relativ normal; im andern hallucinirte sie, war „ungezogen“, d. h. schimpfte, warf die Kissen nach den Leuten, soweit und wenn die Contractur dergleichen erlaubte, riss mit den beweglichen Fingern die Knöpfe von Decken und Wäsche und dgl. mehr. War während dieser Phase etwas im Zimmer verändert worden, jemand gekommen oder hinausgegangen, so klagte sie dann, ihr fehle Zeit, und bemerkte die Lücke im Ablauf ihrer bewussten Vorstellungen. Da man ihr das, wenn möglich, ableugnete, auf ihre Klage, sie werde verrückt, sie zu beruhigen suchte, folgten auf jedes Polsterschleudern und dgl. dann noch die Klagen, was man ihr anthue, in welcher Unordnung man sie lasse u. s. f.

Diese Absencen waren schon beobachtet worden, als sie noch ausser Bett war; sie blieb dann mitten im Sprechen stecken, wiederholte die letzten Worte, um nach kurzer Zeit weiter fortzufahren. Nach und nach nahm dies die geschilderten Dimensionen an und während der Acme[11] der Krankheit, als die Contractur auch die linke Seite ergriffen hatte, war sie am Tag nur für ganz kurze Zeiten halbwegs normal. Aber auch in die Momente relativ klaren Bewusstseins griffen die Störungen über; rapidester Stimmungswechsel in Extremen, ganz vorübergehende Heiterkeit, sonst schwere Angstgefühle, hartnäckige Opposition gegen alle therapeutischen Maassnahmen, ängstliche Hallucinationen von schwarzen Schlangen, als welche ihre Haare, Schnüre und dgl. erscheinen. Dabei sprach sie sich immer zu, nicht so dumm zu sein, es seien ja ihre Haare u. s. w. In ganz klaren Momenten beklagte sie die tiefe Finsterniss ihres Kopfes, wie sie nicht denken könne, blind und taub werde, zwei Ichs habe, ihr wirkliches und ein schlechtes, dass sie zu schlimmem zwinge u. s. w.

Nachmittags lag sie in einer Somnolenz,[12] die bis etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang dauerte, und dann erwacht, klagte sie, es quäle sie etwas, oder vielmehr sie wiederholte immer den Infinitiv: Quälen, quälen.

Denn zugleich mit der Ausbildung der Contracturen war eine tiefe, functionelle Desorganisation der Sprache eingetreten. Zuerst beobachtete man, dass ihr Worte fehlten, allmählich nahm das zu. Dann verlor ihr Sprechen alle Grammatik, jede Syntax, die ganze Conjugation des Verbums, sie gebrauchte schliesslich nur falsch, meist aus einem schwachen Particip-praeteriti gebildete Infinitive, keinen Artikel. In weiterer Entwicklung fehlten ihr auch die Worte fast ganz, sie suchte dieselben mühsam aus 4 oder 5 Sprachen zusammen und war dabei kaum mehr verständlich. Bei Versuchen zu schreiben schrieb sie (anfangs, bis die Contractur das völlig verhinderte) denselben Jargon. Zwei Wochen lang bestand völliger Mutismus,[13] bei fortwährenden angestrengten Versuchen zu sprechen wurde kein Laut vorgebracht. Hier wurde nun zuerst der psychische Mechanismus der Störung klar. Sie hatte sich, wie ich wusste, über etwas sehr gekränkt und beschlossen, nichts davon zu sagen. Als ich das errieth und sie zwang, davon zu reden, fiel die Hemmung weg, die vorher auch jede andere Aeusserung unmöglich gemacht hatte.

Dies fiel zeitlich zusammen mit der wiederkehrenden Beweglichkeit der linksseitigen Extremitäten, März 1881; die Paraphasie wich, aber sie sprach jetzt nur englisch, doch...

Erscheint lt. Verlag 3.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Psychoanalyse / Tiefenpsychologie
ISBN-10 65--4779887-9 / 6547798879
ISBN-13 978-65--4779887-7 / 9786547798877
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