Ein Leben im Transit (eBook)
442 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45881-6 (ISBN)
Aglaja Weindl ist Historikerin. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München und absolviert gegenwärtig ein wissenschaftliches Referendariat an der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe und der Bibliotheksakademie Bayern in München.
Aglaja Weindl ist Historikerin. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München und absolviert gegenwärtig ein wissenschaftliches Referendariat an der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe und der Bibliotheksakademie Bayern in München.
2.Ein Thronfolger auf Reisen
Um die Weltreise Franz Ferdinands analysieren zu können, muss zunächst die Einordnung der intensivierten Reisetätigkeit der europäischen Dynastien im späten 19. Jahrhundert in einem globalen Kontext erfolgen, wie auch die Betrachtung der Lebenswelt des Hauptakteurs der Studie als Thronfolger der Habsburgermonarchie. Vor diesem Hintergrund erfolgt die Verortung von zwei Reisen des Erzherzogs vor der Weltumsegelung, welche beispielhaft den Einsatz und die Bedeutung von Reise- und Empfangszeremoniell zeigen: Franz Ferdinands Inkognitoreise nach Palästina 1885 und seinen offiziellen Besuch am russischen Hof als Vertreter Kaiser Franz Josephs Anfang 1891. Die Erwartungen und die Vorbereitungen der Weltumsegelung im Folgejahr sowie eine Gesamtübersicht der Fahrt schließen das Kapitel ab.
2.1.Grand Tour, Empire Tour und Weltreise: (Globale) monarchische Reisetätigkeiten
Fürstliches Reisen ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts. In der Frühen Neuzeit war die Grand Tour ein wichtiger Teil des Lebens eines europäischen (Erb-)Prinzen; 1609 notierte der Stuttgarter Reisehofmeister Johann Henner, dass jährlich nicht weniger als 20 deutsche Prinzen auf Kavaliersfahrt seien.91 Die Grand Tour war eine weitgehend formalisierte Reise und deckte sowohl pädagogische wie höfische Elemente ab: Zum Abschluss der Erziehung sollte mittels einer Bildungsreise das Gelernte eine praktische Anwendung durch den Besuch antiker Stätten erfahren. Das Hauptziel der Grand Touristen und ihrer zumeist kleinen, aber unter der Leitung eines Hofmeisters stehenden Gefolges war dabei Italien. Auch die höfische Erziehung fand bei der Grand Tour ihr Ende. Nicht zuletzt stellte die Bildungsreise eine Bewährungsprobe dar, war doch der Besuch fremder Residenzen ebenfalls ein essenzielles Element der Grand Tour.92
Bei der Schwerpunktsetzung der Reise stand meistens eher die Repräsentation und weniger die Bildung im Mittelpunkt, und auch die Konfession spielte eine entscheidende Rolle: So hatten katholische Prinzen einen beachtlichen kirchlichen Pflichtparcours hinter sich zu bringen, der – beim Rombesuch – Papstaudienz, Treffen mit weiteren kirchlichen Würdenträgern sowie Besuch von Gottesdiensten und Besichtigung von Kirchen beinhalten konnte.93 Protestantische Eltern hingegen verbrachten schlaflose Nächte mit dem Gedanken, dass ihre reisenden Sprösslinge in Italien erstmalig in einem stark katholisch geprägten Umfeld waren. Als Ausweg bot sich hier die Anwendung eines Inkognitos an, so dass der junge Lutheraner nicht gleich als solcher zu erkennen war. Das Inkognito fand jedoch nicht nur hier Anwendung, sondern war als Reisezeremoniell ein fester Bestandteil vieler Kavaliertouren, um die Durchführung der Reise zu erleichtern.94
Bis zu den Umwälzungen im Zuge der Französischen Revolution blieb die Grand Tour ein fester Bestandteil der Prinzenausbildung.95 1789 war kein endgültiger und dauerhafter Bruch mit dieser Tradition, vielmehr wurden unter neuen Vorzeichen die Kavaliersfahrt im 19. Jahrhundert wiederbelebt.96 Insgesamt waren die Fürsten in dieser Zeit wesentlich häufiger auf Reisen als in den Jahrhunderten zuvor, jedoch war dies vor allem politischen Notwendigkeiten geschuldet. Eine intensive Reisetätigkeit innerhalb des eigenen Territoriums in dem für die europäischen Monarchien unruhigen 19. Jahrhundert diente der Sichtbarmachung des Monarchen und seiner Familie und sollte zur Legimitation und Stabilisierung der ins Wanken geratenen Herrschaftsform beitragen.97 Neuerungen wie Eisenbahn, Dampfschiff und Chausseebau machten diese Ausweitung des Reisens möglich, und auch fürstliche Reisen in das europäische Ausland etablierten und häuften sich.98 Im Rahmen dieser intensivierten Reisetätigkeiten erfuhr die Grand Tour eine Renaissance: Statt an die antiken Stätten und die Klein- und Kleinsthöfen Italiens führte sie nun die jungen Prinzen an Orte außerhalb Europas, nach Asien, Afrika und Nordamerika. Bei dieser Umwandlung der Grand Tour der Frühen Neuzeit in die Empire Tour99 des 19. und 20. Jahrhunderts nahm die britische Königsfamilie und das von ihnen bereiste Empire eine Pionierrolle ein.100
Königin Victoria reiste selbst nie weiter als nach Südfrankreich oder in die Toskana, jedoch sandte sie ab den 1860er Jahren regelmäßig ihre Söhne und Enkelsöhne auf Reisen in die Kolonien des British Empire. Vor dieser Zeit waren Besuche in den Kolonien für die europäischen Dynastien kaum möglich gewesen, da die Fahrt zu lang und gefährlich gewesen war.101 Infolge technischer Innovationen wie des Baus des Suezkanals (eröffnet 1869) und des Aufbaus eines weltweiten Telegrafennetzes rückte Asien wesentlich näher an Europa heran und war per Schiff innerhalb weniger Wochen statt mehrerer Monate zu erreichen. Zudem machte die Entdeckung der Wirksamkeit von Chinin gegen Malaria die Reise wesentlich sicherer.102 Für die Monarchin selbst blieb es nichtdestotrotz ein zu zeitaufwändiges Unterfangen, folglich reisten als deren Repräsentanten Familienmitglieder in die außereuropäischen Regionen. Diese Reisetätigkeit hatte dabei verschiedene Inhalte und Ziele. Zum einen stellte der Besuch der Kolonien durch ein Mitglied der Herrscherdynastie eine wirkungsmächtige Kommunikationsform dar. Der Gast symbolisierte die Monarchie und sein Auftreten sollte die Autorität der Krone wie die Legitimität und den Status der Dynastie betonen. Zentral war auch die Betonung der Verbindung zwischen Mutterland und den einzelnen Gliedern des Kolonialreichs, in den Dominions sollten die Siedler an ihre »Britishness« erinnert werden.103 In den Gebieten des Empires, in denen die einheimischen Fürsten nicht gänzlich entmachtet waren, sondern wie etwa den Fürstenstaaten in Indien unter indirekter britischer Herrschaft standen, waren Treffen zwischen diesen und dem königlichen Besucher fester Bestandteil der Reisen, auch um erstere an die Autorität der englischen Krone zu erinnern.104
Die Dauer des Besuches selbst erstreckte sich zumeist über mehrere Wochen und war durch ein intensives Reiseprogramm innerhalb der Kolonie gekennzeichnet, die Mobilität des Besuchers charakterisierte diese Aufenthalte und so nahmen Transportmittel eine zentrale Stellung ein: »The ships (and trains) on which royals travelled served as mobile palaces, and the government houses and hotels in which they lodged became temporary courts.«105 Der Transit – ob per Schiff oder Zug – stellte folglich ein wesentliches Kennzeichen dieser Reisen dar.
Zudem dienten die Empire Tours – wie die Grand Tour in den vorangegangenen Jahrhunderten – als maskuliner Übergangsritus für die jungen Prinzen. Oftmals bildete die Reise die erste Gelegenheit, sich fernab der Kontrolle von Eltern oder Erziehern zu bewegen, beispielsweise beim kameradschaftliche Umgang mit der Besatzung an Bord der Schiffe oder Ausnutzen der Möglichkeiten, welche die Langaufenthalte selbst boten, von Großwildjagd bis zum Besuch von Bordellen.106 Form und Programm der Besuche ähnelten den Staatsbesuchen in Europa und waren geprägt von offiziellen Empfängen und einem touristisch-pädagogischen Begleitprogramm; ähnlich wie in Europa war der offizielle Teil der Reise stark formalisiert und die Einhaltung des (europäischen) Protokolls als wirkungsvolles Instrument der Darstellung von Hierarchieverhältnissen spielte eine entscheidende Rolle, wie in Kapitel 4 zu sehen sein wird (vgl. Kapitel 4). Wie bei den Grand Tours war die Repräsentation wichtiger als eine etwaige – hier nunmehr eher staatswissenschaftliche als humanistische – Bildung.107 Die Reisen bedeutenden einen großen organisatorischen und finanziellen Aufwand für die besuchte Region.108 Die Sichtbarmachung der Reisen übernahmen die Presse sowie die Publikation von Reisememoiren und Fotobänden.109
Trotz der Erleichterungen, die die technischen und medizinischen Neuerungen des 19. Jahrhunderts gebracht hatten, waren die Touren nicht ohne Risiko für die Gesundheit ...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Neuzeit (bis 1918) |
Schlagworte | 1892/93 • 19. Jahrhundert • Adelsgeschichte • Australien • China • designierter Thronfolger des Habsburgerreichs • Donaumonarchie • Eisenbahn • Erster Weltkrieg • Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este • Geschichte • Globalgeschichte • Grand Tour • Habsburger • Indien • Japan • Kaiserin Elisabeth • K.K. • k.u.k. • Marine • Monarchiegeschichte • Nordamerika • Österreich • Österreich-Ungarn • Prinzenreise • Reisen • Sarajevo • Tagebuch • Tourismus |
ISBN-10 | 3-593-45881-0 / 3593458810 |
ISBN-13 | 978-3-593-45881-6 / 9783593458816 |
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