Die Philosophie des Buddha (eBook)
169 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-6201-3 (ISBN)
Prof. Dr. Sebastian Gäb ist Professor für Religionsphilosophie an der LMU München.
Vorwort
1 Buddhismus als Philosophie
1.1 Gautama, der Philosoph
1.2 Der historische Buddha
1.3 Quellen
1.4 Die Philosophie des Dhamma
1.5 Was ist Philosophie?
1.6 Der Charakter der Philosophie des Buddha
1.7 Religion oder Philosophie?
Literaturhinweise
Diskussionsfragen
2 Dukkha: Der Ursprung des Leidens
2.1 Was ist Leiden?
2.2 Durst
2.3 Unbeständigkeit
2.4 Zwei Rückfragen
Literaturhinweise
Diskussionsfragen
3 Anatta: Das Selbst als Illusion
3.1 Khandhas
3.2 Das Selbst als Prozess
3.3 Prozess und Leid
3.4 Ein Argument für die Nicht-Selbst-These
3.5 Anatt und Neurowissenschaft
Literaturhinweise:
Diskussionsfragen
4 Kamma: Karma, Kausalität und Wiedergeburt
4.1 Das Entstehen in Abhängigkeit
4.2 Das karmische Gesetz
4.3 Determinismus und Willensfreiheit
4.4 Wiedergeburt
4.5 Warum an Karma und Wiedergeburt glauben?
Literaturhinweise
Diskussionsfragen
5 Sila: Ethik und richtiges Leben
5.1 Der achtfache Pfad
5.2 Eine systematische Perspektive
5.3 Was für ein Mensch soll ich sein?
5.4 Wer soll das schaffen?
Literaturhinweise
Diskussionsfragen
6 Samadhi: Meditation, Erkenntnis, Praxis
6.1 Was ist Meditation?
6.2 Der natürliche Zustand des Geistes
6.3 Samatha und Vipassan
6.4 Meditation und Erkenntnis
6.5 Meditation und Ethik
Literaturhinweise:
Diskussionsfragen
7 Nibbana: Nirvana und Erlösung
7.1 Das Nirvana im Leben
7.2 Das endgültige Nirvana
7.3 Nirvana: Nichts für Niemand?
Literaturhinweise
Diskussionsfragen
8 Glossar
9 Abkürzungsverzeichnis
Quellen
Übersetzer:innen
10 Literatur
10.1 Quellen
10.2 Sekundärliteratur
Abbildungsverzeichnis
1.5 Was ist Philosophie?
Was es bedeutet, den Buddha als Philosophen und die vier edlen Wahrheiten als eine Philosophie zu sehen, hängt davon ab, was man unter Philosophie versteht, und das ist selbst eine schwierige philosophische Frage, auf die man von unterschiedlichen Philosophinnen und Philosophen sehr unterschiedliche Antworten zu hören bekommt. Zum Glück brauchen wir keine endgültige und definitive Antwort auf diese komplexe Frage. Es genügt, wenn wir eine provisorische Definition von Philosophie finden, die uns hilft, zu verstehen, wovon die Rede ist, wenn die Lehre des Buddha als Philosophie bezeichnet wird, und die erklärt, worin der Unterschied liegt, wenn man sie als Philosophie betrachtet und nicht als etwas anderes (etwa als Religion). Ein erster Definitionsversuch könnte so aussehen: Philosophie ist eine systematische Lehre, die die fundamentalen Eigenschaften der objektiven Realität und des subjektiven Zugangs zu ihr rational beschreibt und erklärt, und die daraus eine reflektierte Lebenspraxis ableitet. Wenn man Philosophie auf diese Weise definiert, werden damit drei wesentliche Aspekte betont: (a) Rationales Denken als zentrale Methode der Philosophie; (b) grundlegende Eigenschaften der Realität und des Daseins als ihre hauptsächlichen Gegenstände; (c) eine direkte Verbindung von Theorie und Lebenspraxis. Schauen wir uns jeden dieser Punkte etwas genauer an.
(a) Methode. Jede Wissenschaft hat ihre eigenen Methoden, um zu Erkenntnissen zu gelangen, aber für die Philosophie spielt die Frage nach der richtigen Methode eine besondere Rolle, denn Philosophie definiert sich mehr über die Art und Weise, über bestimmte Fragen nachzudenken, als über die Summe der Antworten auf diese Fragen. In gewisser Weise ist Philosophie nicht mehr als eine Methode des Denkens. Diese Methode besteht, vereinfacht gesagt, in rationalem Denken. Dass Philosophie eine Methode des Denkens ist, bedeutet erstmal nur, dass sie nicht empirisch oder experimentell vorgeht. Philosophieren kann man ohne Labor und Geräte auf dem heimischen Sofa – das Einzige, was man dazu braucht, ist der eigene Verstand. Aber nicht jede Art von Denken ist automatisch philosophisch – ich kann auf dem heimischen Sofa liegen und darüber nachdenken, wie ich mein Wohnzimmer einrichten will, aber das ist keine Philosophie. Philosophieren heißt rational denken. Rationales Denken hat das Ziel, zur Erkenntnis von Wahrheit zu gelangen, und sucht nach guten Gründen, um dieses Ziel zu erreichen: Wahrheit ist das Ziel von Rationalität, argumentatives Begründen ist der Weg dorthin. Wer rational sein will, darf also nicht einfach Behauptungen aufstellen, sondern muss das, was er behauptet, auch durch Argumente begründen können. Philosophie verkündet nicht einfach irgendwelche mutmaßlichen Wahrheiten oder Offenbarungen, sondern muss diese Wahrheiten als Ergebnis eines kritischen, objektiven und rational nachvollziehbaren Gedankengangs ausweisen. Seit ihren Anfängen bei Sokrates nimmt die Philosophie nichts einfach als gegeben hin, sondern hinterfragt unsere Überzeugungen, egal wie selbstverständlich sie sind, um zu prüfen, ob sie einer rationalen Kritik standhalten oder nicht. Sie verwirft alles, was sich nicht durch Vernunft begründen lässt und nur auf Hörensagen, Wunschdenken oder Meinungsmache beruht. Wenn man den Buddhismus also als Philosophie betrachtet, dann sieht man den Buddha als Philosophen, der eine bestimmte Theorie vertritt und den Anspruch hat, dass diese Theorie auch in einem objektiven Sinne wahr ist. Das bedeutet: Diese Theorie soll nicht einfach geglaubt, sondern diskutiert und mit vernünftigen Argumenten begründet werden. Wenn wir seine Theorie als wahr anerkennen, dann nicht deshalb, weil der Buddha sie verkündet hat oder weil sie uns so gut gefällt, sondern deshalb, weil wir sie am Ende eines rationalen Reflexionsprozesses als wahr erkannt haben. Ein wesentliches Ziel dieses Buches besteht genau darin, diesen Reflexionsprozess nachzuvollziehen und die Argumente, die der Buddha für seine Theorie vorlegt, zu rekonstruieren und kritisch zu diskutieren. Wir sollten uns also seinem Denken mit einer Haltung skeptischer Offenheit nähern: Was der Buddha behauptet, könnte prinzipiell wahr oder falsch sein, und ob es wirklich wahr ist, finden wir mit den Methoden rationalen Denkens heraus. Der Buddha ist also kein Prophet, der die Offenbarung eines höheren Wesens verkündet, sondern ein Philosoph, der eine Erkenntnis mitteilt. Das bedeutet übrigens auch, dass er ein Mensch ist wie du und ich. Er ist zwar ein besonderer Mensch, denn er hat eine außergewöhnliche Erkenntnis gemacht, aber er ist kein transzendentes, quasi-göttliches Wesen. Eine andere Konsequenz rationalen Denkens ist, dass das, was rational begründet ist, beanspruchen kann, objektive Gültigkeit zu besitzen. Das bedeutet, dass diese Gültigkeit nicht von der konkreten Person abhängt, die die Behauptung aufstellt, oder dass diese Wahrheit nur für bestimmte Personen Gültigkeit besitzt. Objektiv wahr sein heißt unabhängig von einem subjektiven, individuellen Standpunkt wahr sein. Damit ist die Philosophie des Buddha auch nicht kulturrelativ, sondern hat einen universalen Anspruch. Das heißt: Um die Philosophie des Buddha zu verstehen und zu diskutieren, brauchen wir weder eine besondere Inspiration noch müssen wir selbst Buddhistinnen und Buddhisten sein – das Einzige, was wir brauchen, ist unsere Vernunft.
(b) Gegenstände. Philosophie ist aber nicht nur rationales Denken – man kann rational darüber reflektieren und mit guten Gründen dafür argumentieren, dass Schokoladenkuchen besser ist als Käsekuchen, aber das ist kein philosophisches Problem. Zur Philosophie gehört auch, dass die rationale Methode auf bestimmte Gegenstände, eben philosophische Fragen, angewandt wird. Philosophie ist daher nicht bloß eine Sammlung von Aphorismen und tiefsinnig klingenden Kalendersprüchen (auch wenn es manchmal so aussieht), sondern ein System von Erkenntnissen hinsichtlich bestimmter Fragen. Die einzelnen Teile dieses Systems greifen ineinander und sollten ein kohärentes Ganzes bilden, das die Realität und unser Dasein in ihr beschreibt und erklärt, und das die Grundlage für eine reflektierte Lebenspraxis werden kann. Philosophie hat also eine theoretische und eine praktische Seite. Die theoretische Seite versucht, Antworten auf typisch philosophische Fragen zu geben. Hierhin gehören unter anderem eine Metaphysik (wie ist die Welt beschaffen?), eine Erkenntnistheorie (wie erkennen wir die Realität und was können wir von ihr wissen?) und eine Anthropologie und Ethik (was für Wesen sind wir Menschen und wie sollen wir miteinander umgehen?). Diese Fragen sind anders als die Frage „Schoko- oder Käsekuchen?“, denn sie sind ihrer Natur nach fundamental und existenziell, d. h. sie betreffen die grundlegenden Fakten unseres Denkens und Daseins. Solche Fragen müssen in irgendeiner Weise immer schon beantwortet sein, wenn wir unser Leben führen: Man kann zwar unterschiedlicher Meinung darüber sein, was ein gutes Leben ausmacht, aber man kann nicht leben, ohne wenigstens eine rudimentäre Idee davon zu haben, wie ein gutes Leben aussieht – wie sollte man sich sonst entscheiden zwischen den verschiedenen Möglichkeiten, sein Leben zu führen, z. B. wenn man sich fragt: Will ich Kinder oder nicht? Ebenso müssen wir irgendeine Antwort auf fundamentale Fragen voraussetzen, wenn wir andere Arten von Wissenschaft betreiben wollen. So kann z. B. die Physik herausfinden, welchen Gesetzen die Natur gehorcht – aber die Frage, ob die Natur überhaupt Gesetzen gehorcht, ist keine physikalische, sondern eine philosophische (und daher fundamentale) Frage. Wenn man Zweifel an der Realität der Naturgesetze hat, wird kein physikalisches Experiment diese Zweifel beseitigen können, denn ein solches Experiment setzt ja bereits voraus, dass es Naturgesetze gibt, die bestimmen, was im Experiment passieren wird. Die Aufgabe der Philosophie liegt unter anderem auch darin, solche impliziten, oft nicht klar durchdachten Hintergrundannahmen, die ein Weltbild ausmachen, offenzulegen und kritisch zu diskutieren. Wenn wir also den Buddha als Philosophen verstehen, sollten wir erwarten, dass er solche fundamentalen Fragen angeht, systematisch verknüpfte Theorien über die Natur der Realität und des Menschen entwickelt, um sie zu beantworten, und dass diese Theorien mit vernünftigen Gründen verteidigt werden.
(c) Lebenspraxis. Philosophie ist aber nicht nur Theorie, sondern hat auch eine praktische Seite, die in engem Zusammenhang mit der theoretischen Seite steht. Ihr geht es nicht allein um theoretische Erkenntnis, sondern sie strebt eine Einheit von Theorie und Praxis an. Die praktische Seite der Philosophie besteht darin, eine Antwort auf die Frage „Wie soll ich leben?“ zu geben, die sich aus den Erkenntnissen ihrer theoretischen Seite ergibt (oder wenigstens mit ihnen vereinbar ist). Philosophie, die ihre praktische Seite ernst nimmt, will nicht nur die Wirklichkeit richtig verstehen, sondern uns auch dabei helfen, unser Leben an diesem richtigen Verständnis auszurichten – denn wie soll ich ein gutes Leben führen, wenn ich in irgendwelchen Irrtümern und Illusionen über die Wirklichkeit gefangen bin? Philosophie ist damit mehr als nur eine Wissenschaft, nämlich eine Lebensform. Zugegeben, für die akademische Philosophie des 21. Jahrhunderts wirkt diese Idee etwas antiquiert, und längst nicht alle zeitgenössischen Philosophinnen und Philosophen würden so weit gehen, auch zu unterschreiben, dass sie Philosophie als Lebensform verstehen. Aber für die griechisch-römische Antike, die klassische chinesische, die indische...
Erscheint lt. Verlag | 8.4.2024 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Östliche Philosophie |
Schlagworte | Achtsamkeit • Anatta • Buddhismus • Dhamma • Dukkha • einführendes Lehrbuch • Erkenntnis • Ethik • Ethikunterricht • historische Buddha • Kamma • Karma • Khandhas • Lehrbuch • Meditation • Nirwana • Philosophiestudium • Religionsunterricht • Religionswissenschaft • Religionswissenschaft studieren • Samadhi • Sila • Studienbuch • Studium Philosophie • Studium Religionswissenschaft • Weltreligion • Wiedergeburt • Yoga |
ISBN-10 | 3-8463-6201-8 / 3846362018 |
ISBN-13 | 978-3-8463-6201-3 / 9783846362013 |
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