Sorgenlos und grübelfrei (eBook)
203 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-621-29111-8 (ISBN)
Dr. phil. Oliver Korn, Psychologischer Psychotherapeut, Psychotherapeutische Praxis in Groß Grönau.
1 Die Metakognitive Therapie in Kürze
1.1 Automatische Gedanken
Wenn es um die Bewältigung unseres Lebens geht, schaltet sich unser Gehirn ein. Und dies macht es völlig automatisch und auf seine ganz eigene Art, egal, ob uns das gefällt oder nicht. Wir alle kennen diese »automatische Mitarbeit« aus unserem Alltag. Sie zeigt sich immer dann, wenn uns plötzlich (und manchmal unerwartet) Gedanken oder Erinnerungen in den Kopf schießen und dazugehörige Gefühle entstehen. Dieses Phänomen der automatischen Gedanken und inneren Bilder teilen alle Menschen. Es lässt sich leicht mit der folgenden kleinen Übung illustrieren:
Vervollständigen Sie bitte das folgende Sprichwort: »Aller Anfang ist !« Welches Wort fehlt hier?
Mussten Sie tatsächlich lange darüber nachdenken, dass es das Wort »schwer« ist, oder war es plötzlich und automatisch in Ihrem Kopf, als Sie »Aller Anfang ist …« gelesen haben? Dieses Sprichwort »Aller Anfang ist schwer!« ist vielen Menschen einfach sehr gut bekannt, weil sie es oft in ihrem Leben gehört oder gelesen haben. Für unser Gehirn reichen in diesem Fall die ersten Worte, es verknüpft sie blitzschnell mit seinem Erfahrungsschatz und schon ist das Wort »schwer« in unserem Bewusstsein.
Jeden Tag haben wir mehrere tausend solcher automatischen Gedanken oder Vorstellungen, die manchmal auch mit den entsprechenden Gefühlen einhergehen. Sie sind normal und wir können sie kaum beeinflussen. Oft lässt sich tatsächlich leicht erkennen, warum plötzlich bestimmte Gedanken auftauchen. Ein bekanntes Beispiel ist das Hören eines bestimmten Liedes – und schon hat man die damit verbundenen Erinnerungen vor Augen, zum Beispiel an einen geliebten Menschen oder einen Urlaub. Genauso wenig ist es verwunderlich, dass manchmal Gedanken auftauchen, wie »Beim nächsten Mal bringe ich den Kerl um!«, wenn man sich gerade extrem über jemanden geärgert hat, »Hoffentlich falle ich nicht durch!« vor einer wichtigen Prüfung oder »Was bin ich nur für ein Idiot!« nach einem Missgeschick. Wir könnten hier unzählige Beispielsituationen anführen und Sie werden eine Vielzahl von Verknüpfungen entdecken, die Ihr Gehirn praktisch automatisch zwischen Sinneswahrnehmungen und Lebenserfahrungen herstellt, wenn Sie genauer darauf achten.
Gut zu wissen
Ob es uns gefällt oder nicht – wir haben jeden Tag mehrere tausend automatische Gedanken und Vorstellungen, die manchmal auch mit den entsprechenden Gefühlen einhergehen.
Extreme Gedanken. Gedanken können auch sehr extrem sein. So berichten Menschen, dass sich in schwierigen Lebensphasen auch Gedanken melden, die sich mit Lebensüberdruss beschäftigen und ihnen »raten«, das Leben besser zu beenden. Und manchmal sind Gedanken auch extrem und ihr Auftauchen einfach nur unverständlich, wie zum Beispiel die Erfahrung mancher Menschen, dass sie auf einem hohen Turm an einem Geländer stehen und denken: »Jetzt könnte ich da hinunterspringen!«. (Weitere Beispiele sind Gedanken, einem geliebten Menschen Gewalt zuzufügen oder vor dem Chef etwas Obszönes zu sagen.) Wissenschaftliche Untersuchungen belegen aber, dass auch diese sehr extremen Gedanken und Vorstellungen normal sind, denn 90 % von untersuchten gesunden Menschen berichten, dass sie hin und wieder solche Gedanken haben. Wichtig ist dabei: Das Auftreten von derartigen Gedanken und Vorstellungen ist normal und gehört zum Leben dazu. Und es ist etwas grundlegend anderes als derartige Dinge zu tun!
Häufiges Wiederauftreten von Gedanken. Wie man an den verschiedenen Beispielen schon sehen kann, sind Gedanken und Erinnerungen nicht immer schön. Häufig sind sie auch traurig, beängstigend, beschämend oder einfach nur belastend, weil sie ständig wieder auftreten. Und daher ist es auch verständlich, dass viele Menschen versuchen, bestimmte Gedanken und Erinnerungen zu unterdrücken. Wenn wir beispielsweise an eine Person denken, die etwas Schreckliches in ihrem Leben erlebt hat, zum Beispiel einen Überfall, dann ist es leicht nachvollziehbar, dass diese Person wahrscheinlich nicht mehr an diesen Überfall erinnert werden möchte. Dies sieht unser Gehirn jedoch – zumindest in der ersten Zeit nach dem Überfall – ganz anders. Sämtliche Dinge, die nur minimal an dieses Ereignis erinnern, lösen sofort die Erinnerung an den Überfall aus. Für die betroffene Person ist das sehr unangenehm, aus der Sicht unseres Gehirns jedoch zwingend notwendig. Durch den Überfall hat es nämlich gelernt, dass bestimmte Dinge, wie ein bestimmtes Geräusch, ein bestimmter Typ Mensch usw. ein Anzeichen dafür sein könnten, dass man erneut überfallen wird. Und somit kann das Auslösen der alten Erinnerung als eine Warnung des Gehirns an seinen »Besitzer« verstanden werden: »Pass auf, dass dir das jetzt nicht noch einmal passiert, und bring dich in Sicherheit!« Da Überfälle in der Regel zum Glück nicht täglich passieren, stellen aber gerade diese »Warnungen des Gehirns« in den Wochen nach einem solchen Ereignis für den Betroffenen nun die Hauptbelastung in seinem Leben dar, ohne dass das eigentliche Ereignis wieder auftritt. Und da liegt es nahe, zu versuchen, sich dieser unliebsamen Gedanken und Erinnerungen und der damit einhergehenden Emotionen zu entledigen.
Übung
Lassen sich Gedanken und innere Bilder unterdrücken?
Setzen Sie sich entspannt hin, schließen Sie die Augen und versuchen Sie sich eine leuchtend blaue Giraffe vorzustellen. Wenn Ihnen dies gelungen ist und Sie eine blaue Giraffe vor Ihrem inneren Auge sehen können, dann tun Sie bitte Folgendes: Versuchen Sie für einen Zeitraum von zwei Minuten alles dafür zu tun, dass verbale Gedanken an und Vorstellungen einer blauen Giraffe aus Ihrem Bewusstsein verschwinden! Strengen Sie sich richtig an und versuchen Sie, Ihr Bewusstsein von blauen Giraffen zu befreien. Los geht’s!
Wie ist es Ihnen in dem Experiment ergangen? Die meisten Menschen, die dieses Experiment durchführen, berichten, dass sie sich sehr angestrengt haben, blaue Giraffen zu eliminieren. Viele versuchen, sich etwas Bestimmtes vorzustellen, zum Beispiel den letzten Urlaub, oder denken intensiv über etwas nach (die Einkaufsliste für heute Abend, ein aktuelles Problem und seine mögliche Lösung, eine Rechenaufgabe usw.). Viele versuchen also, mit intensiver geistiger Arbeit Vorstellungen und Gedanken an eine blaue Giraffe verschwinden zu lassen. Doch selbst wenn man sich sehr anstrengt, die Erfolge sind in der Regel bescheiden. In den allermeisten Fällen taucht sie trotzdem immer wieder auf: vielleicht in meiner Urlaubserinnerung auf der Skipiste oder als Schlagwort auf meiner Einkaufsliste. Und selbst wenn es manchmal Menschen gibt, die es schaffen, die blaue Giraffe für zwei Minuten zu verbannen, so wird schnell klar, dass es nahezu unmöglich wird, sie nicht nur für zwei Minuten, sondern für den Rest des Lebens aus dem Kopf zu verbannen. Viele Menschen berichten sogar, dass umso mehr blaue Giraffen vor dem inneren Auge auftauchen, je intensiver sie versuchen, sie wegzubekommen. Es scheint so zu sein, als wenn das Gehirn gerade dadurch, dass man so intensiv gegen eine Vorstellung oder einen verbalen Gedanken ankämpft, lernen würde, dass es sich bei dem bekämpften Inhalt um eine ungeheuer wichtige Sache handeln muss. Nur ist unser Gehirn der Meinung, dass wichtige Gedanken unbedingt in unser Bewusstsein gehören, damit wir sie berücksichtigen können, wenn wir unser Leben gestalten.
Gut zu wissen
Unliebsame Gedanken, Erinnerungen und Vorstellungen sowie die damit einhergehenden Gefühle lassen sich nicht bzw. nur kurzfristig unterdrücken. Zudem führt der Versuch häufig dazu, dass die unterdrückten Inhalte in der Folge sogar häufiger auftreten können. Unser Gehirn ist ein...
Erscheint lt. Verlag | 7.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-621-29111-3 / 3621291113 |
ISBN-13 | 978-3-621-29111-8 / 9783621291118 |
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