Unfiltered. Social Media und unser Körperbild (eBook)
240 Seiten
Kailash (Verlag)
978-3-641-31568-9 (ISBN)
Mehr als zwei Drittel der Frauen in der westlichen Welt sind unzufrieden mit ihrem Körper. Body Shaming, unrealistische Schönheitsideale und die permanente Bewertung der eigenen Figur haben für viele Betroffene fatale Auswirkungen auf Essverhalten, Stimmung und mentale Gesundheit.
Wie kann es sein, dass wir oft immer noch auf das Aussehen reduziert werden, während Körper so divers sind?
Wie entstehen Essstörungen und welche Rolle spielen dabei die Gesellschaft und jeder Einzelne?
Welchen Einfluss haben die sozialen Medien und das soziale Umfeld?
Wie wird das Körperbild von einer Generation auf die nächste übertragen und wie können wir unseren Kindern ein gesundes Vorbild sein?
Dr. Julia Tanck kombiniert als Expertin wissenschaftliche Erkenntnisse mit ihren Praxiserfahrungen als Psychotherapeutin. Anhand von wissenschaftlichen Hintergründen, gezielten Fragestellungen und Übungen zur Selbstreflexion werden wir dazu angeleitet, uns von ungesunden Einflüssen abzugrenzen sowie ein tiefgreifendes Verständnis für das eigene Körperbild zu entwickeln.
Dr. Julia Tanck ist promovierte Psychologin, psychologische Psychotherapeutin und Wissenschaftlerin. Sie untersucht in ihrer Forschung das Körperbild von Frauen mit und ohne Essstörungen sowie Zusammenhänge zwischen Social Media und dem Körperbild. Die so gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse präsentiert sie auf Fachkongressen, im Rahmen von Weiterbildungen sowie in der Hochschullehre. Neben der Tätigkeit als Wissenschaftlerin behandelt sie in ihrer psychotherapeutischen Praxis Patient*innen mit verschiedenen psychischen Störungsbildern. Sozial engagiert sie sich im Bereich der Bildungsarbeit und informiert auf ihrem Instagram-Kanal zu Inhalten der aktuellen Körperbildforschung, Gewichtsstigmatisierung, Diätkultur und Essstörungen. Dabei gibt sie Einblicke in die psychotherapeutische Arbeit und ermöglicht es ihren mittlerweile zehntausenden Follower*innen, sich an aktiv an Beiträgen zu den genannten Themen zu beteiligen.
Teil 2:
Körpergefühl in Schieflage: Wie konnte es dazu kommen?
Was hat dazu geführt, dass so viele von uns unzufrieden mit ihrem Körper sind? Dass Essstörungen und essgestörtes Verhalten sehr viel weiter verbreitet sind, als wir alle dachten? Wie kann es sein, dass Bodyshaming und Gewichtsdiskriminierung für so viele Menschen an der Tagesordnung sind, obwohl wir als Gesellschaft doch eigentlich immer bewusster und sensibler im Umgang miteinander werden?
Dieser Teil dieses Buches wirft Licht auf die Strukturen, die diese Zustände bedingen und aufrechterhalten. Wir analysieren Mechanismen und Hintergründe der Diätkultur, in der wir leben, und beleuchten ihre häufig verschwiegenen Nebenwirkungen. Wir untersuchen, wie unsere Vorstellungen von einem »idealen« Körper entstehen und wie sie beeinflusst werden. Doch nicht nur individuelle Faktoren spielen eine Rolle – auch das Familien- und Gesellschaftssystem, in dem wir aufwachsen und leben, prägt unser Körperbild immens. Wir analysieren die historische Entwicklung von Körperidealen und versuchen zu verstehen, wie sich Schönheitsideale im Laufe der Zeit gewandelt haben und unsere heutige Wahrnehmung von Attraktivität beeinflussen. Nicht zuletzt werfen wir einen Blick auf die mediale Darstellung von Körpern – sei es in Werbung, Filmen oder sozialen Medien – sowie auf die permanente Vergleichskultur, die in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist. Bereit für mehr Input? Bereit für einen ungefilterten Blick hinter die Kulissen? Dann lass uns starten.
2.1 Unfiltered: Diätkultur
Die Diätindustrie boomt wie nie zuvor, in den letzten Jahrzehnten sind kontinuierliche Steigerungsraten zu verzeichnen. Während in einer Erhebung in den Vereinigten Staaten zwischen 1950 und 1966 nur etwa 14 % der Frauen und 7 % der Männer angaben, dass sie versuchten, Gewicht zu verlieren,129 stiegen die Zahlen zwischen 2003 und 2008 auf rund 57 % der Frauen und 40 % der Männer an.130 Insgesamt wird geschätzt, dass basierend auf der jüngsten Erhebung aus Europa und den USA derzeit 25 – 65 % der Frauen und 10 – 40 % der Männer versuchen, durch eine Diät Gewicht zu verlieren.131,132 Das Marketing scheint zu funktionieren.
Body Reflections
Wie diätorientiert bist du?
Als Einstieg in dieses Thema möchte ich dir ein paar Fragen zur Selbstreflexion stellen. Sie helfen dir, deine Diätmentalität näher zu ergründen:
- Welche Diäten oder Ernährungstrends hast du in der Vergangenheit ausprobiert?
- Wie haben Diäten in deiner Vergangenheit dein Essverhalten beeinflusst? Wie haben sie sich auf dein Körperbild ausgewirkt?
- Hast du dich jemals schuldig oder schlecht gefühlt, wenn du bestimmte Lebensmittel gegessen hast?
- Hast du gelernt, auf deine körperlichen Hunger- und Sättigungssignale zu achten? Gab es unterschiedliche Phasen in deinem Leben, in denen dies besser oder schlechter geklappt hat? Wenn ja, woran lag es?
- Gibt es für dich »gutes« und »schlechtes« Essen? Wenn ja, wonach kategorisierst du die Lebensmittel? Woher könnten diese Vorstellungen stammen?
- Hast du jemals versucht, dein Körpergewicht zu kontrollieren, um bestimmten Körperidealen zu entsprechen?
- Bist du in der Lage, intuitiv zu essen und auf deine inneren Bedürfnisse zu hören? Wo sind Blockaden vorhanden, die dich daran hindern, intuitiv zu essen?
Diäten sind auf dem Vormarsch, sie schießen zuhauf aus dem Boden. Jedes Jahr taucht eine neue Trendmethode auf, die eine schnelle Gewichtsreduktion verspricht. Parallel dazu heißt es häufig in den Medien, dass unsere Gesellschaft immer dicker wird. Nach Untersuchungen des Robert Koch Instituts sind rund 67 % der Männer und 53 % der Frauen mehrgewichtig oder adipös, wobei Mehrgewicht in den letzten zwei Dekaden weiterhin zugenommen hat, besonders bei Männern und Jugendlichen.133
Wichtig zu ergänzen ist in diesem Zusammenhang, dass Diäten mitnichten ausschließlich von Menschen durchgeführt werden, die mehrgewichtig sind. Vielmehr sind sie in bestimmten Branchen gang und gäbe: im Leistungssport (Ballett, Skispringen, Radsport, Ausdauersport, Rudern, Gymnastik, u. a.), aber auch in der Medienlandschaft wie zum Beispiel im Modebusiness oder in der Schauspielerei ist häufig ein niedriges Gewicht gefordert. Einige Schauspieler*innen müssen gezielt abnehmen, um eine Rolle in einem bestimmten Film übernehmen zu können. Aber auch in der Allgemeinbevölkerung sind Diäten immer häufiger bei normalgewichtigen Menschen ein Thema. So berichtet eine groß angelegte Studie, dass Mitte der 1990er-Jahre etwa 37 % der Frauen und 11 % der Männer angaben, Gewicht verlieren zu wollen, obwohl sie normalgewichtig waren. Mitte der 2000er-Jahre stiegen diese Zahlen nochmal an, auf 46 % bei den Frauen und 19 % bei den Männern. Sogar 13,5 % der Frauen, die laut BMI im Untergewicht waren, berichteten, abnehmen zu wollen.134 Ganze 66,7 % der Menschen mit Mehrgewicht geben an, aktiv an einer Gewichtsreduktion zu arbeiten.135
Wir können also festhalten: Immer mehr Menschen – mehrgewichtig, normalgewichtig, untergewichtig – greifen zu Diäten. Ergo: Immer mehr Menschen scheinen sich zu dick zu fühlen, obwohl sie dies teilweise gar nicht sind. Sie machen eine Diät, um Gewicht zu verlieren, schaffen es aber nur selten, das verlorene Gewicht auf Dauer zu halten.136 Stattdessen nehmen sie im Laufe der Zeit das Gewicht wieder zu, wiegen unter Umständen sogar mehr und versuchen es erneut. Könnte es also sein, dass Diäten nicht die Lösung, sondern vielmehr ein Teil des Problems sind?
Diet culture is the glorification of losing weight at all costs.137
(Die Diätkultur ist die Verherrlichung des Abnehmens um jeden Preis.)
Diet culture is the belief that if we want to be more desirable, worthy, and good, then we should make our bodies smaller by dieting.138
(Die Diätkultur ist der Glaube, dass wir durch Diäten abnehmen sollten, wenn wir begehrenswerter, wertvoller und besser sein wollen.)
Was diese Zitate deutlich machen: Abzunehmen erhält eine ausschließlich positive Wertung und wird in der westlichen Welt als erstrebenswertes Ziel angesehen, während eine Gewichtszunahme unter allen Umständen zu vermeiden ist. Eine Folge: Wir erleben überproportional viel Werbung für Diäten, Ernährungs- und Sportprogramme.
Wahrscheinlich hat jeder und jede von uns eine Vorstellung davon, was mit dem Begriff Diät gemeint ist. Dennoch möchte ich an dieser Stelle eine Definition aus der Wissenschaft platzieren, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sehr viele Verhaltensweisen, die in unserer Gesellschaft als normal angesehen werden, von uns vielleicht gar nicht unbedingt den klassischen Diätverhaltensweisen zugeordnet werden (obwohl sie es de facto sind). Eine Diät erfüllt dabei typischerweise die folgenden Merkmale:
- Anpassung der Ernährungsweise, mit dem Ziel des Gewichtsverlusts
- Kalorienrestriktion, sprich Reduktion der zu sich genommenen Kalorien, um typischerweise ein Kaloriendefizit herzustellen (weniger Kalorien einnehmen als der Körper am Tag verbrennt)
- Einschränkung der Nahrungsmittelauswahl, zum Beispiel durch Verbote bestimmter Nahrungsmittelgruppen wie Kohlenhydrate, Fette, Zucker oder die Betonung der gesteigerten Zufuhr bestimmter Nahrungsmittelgruppen wie Proteine; Kategorisierung von Nahrung nach »erlaubt« und »unerlaubt«
- Strukturierte Pläne für Mahlzeiten, Portionsgrößen und Essenszeiten
- Zeitliche Begrenzung, in der die Diät durchgeführt und die Ernährung angepasst werden soll, um bestimmte Ziele der Gewichtsabnahme zu erreichen, zum Beispiel nach 18 Uhr nichts mehr essen
Gewicht und Aussehen spielen in der Diätkultur eine zentrale Rolle, sie entscheiden maßgeblich darüber, als wie wertvoll und wichtig ein Individuum wahrgenommen wird. Komplimente beziehen sich häufig auf Äußerlichkeiten und selten auf nicht-aussehensbezogene Merkmale wie Persönlichkeitseigenschaften. Uns wird häufig suggeriert, dass eine Gewichtsabnahme der Lösung vielfältiger und komplexer Probleme dienen kann. So liest man häufig Slogans wie »Schön, schlank und selbstbewusst« oder »Warum du Sport machen solltest, um im Job erfolgreich zu sein«.
Claim Nummer eins lässt vermuten, dass Selbstbewusstsein entstünde, wenn man schlank ist. Selbstbewusstsein jedoch ist ein Zustand, der von vielfältigen Faktoren komplex beeinflusst wird, wie Kindheit, Jugend, Gesellschaft, eigener Persönlichkeit und vielen mehr. So spielt beispielsweise der Erziehungsstil der Eltern139 oder das Vorhandensein gesunder sozialer Beziehungen140 eine entscheidende Rolle in diesem Kontext.
Claim Nummer zwei lässt vermuten, dass beruflicher Erfolg in direktem Kausalzusammenhang mit dem Sportverhalten einer Person stünde. Auch das eine stark vereinfachte Darstellung, da eine positive Jobperformance auf verschiedenen Säulen beruht, wie Zufriedenheit mit der Arbeit, Durchhaltevermögen, Erlernen von für den jeweiligen Beruf nützlichen Kompetenzen sowie individueller Zielerreichung.141 Die willkürliche...
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 2024 • Anorexie • Body Image • Body Positivity • body shaming • Booktok • Bulimie • Diät • Diätkultur • eBooks • Facebook • Filter • Frauenpower • Gelassenheit • Gestörtes Essverhalten • Individualität • Instagram • Körperbewusstsein • Körperbild Störung • Körperpsychotherapie • Körperunzufriedenheit • Magersucht • negative Selbstbewertung • Neuerscheinung • Perfektionismus • Retusche • Schlankheitswahn • Schönheitsideal • Selbstbewusstsein • selbstbewusstsein stärken • Selbstliebe • Selbstoptimierungswahn • Selbstreflexion • Selbstvergleich • Selbstvertrauen • Sheila de Liz • TikTok • Weiblichkeit |
ISBN-10 | 3-641-31568-9 / 3641315689 |
ISBN-13 | 978-3-641-31568-9 / 9783641315689 |
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