Und die Frau schweige (nicht) (eBook)
240 Seiten
Gerth Medien (Verlag)
978-3-96122-629-0 (ISBN)
Einleitung
Ein Lagerfeuer am Ufer
So, jetzt geht’s los: Lass uns unsere Ansichten, unsere fein säuberlich geordneten Bibelverse, unsere sorgfältig ausgearbeiteten Argumente niederlegen. Lass uns eine Pause einlegen und uns nicht länger in diesem stickigen Raum gegenübersitzen.
Lass uns nach draußen gehen. Ich wünsche mir, dass wir um eine mit Steinen umrandete Feuerstelle sitzen und den Mond betrachten, der über dem Wald aufgeht. Lass uns guten Rotwein trinken und uns in kuschelige Pullover einmummeln. Bald werden wir spüren können, wie sich die Kälte des Abends heranstiehlt, und die Berge ruhen mit gefalteten Händen.
Und ich wünsche mir, dass wir darüber reden – dass wir wirklich offen reden über Frausein, Gemeinde, Schubladen und darüber, wie es weitergeht. Denn die bösartigen Streitigkeiten, die Abgrenzungen, das „Du bist drin, aber die sind draußen“, die Debatten und das Totschweigen (oder Mundtotmachen) bringen uns nicht weiter, oder? Wir haben unsere Gemeinden oft wie Minenfelder behandelt und so getan, als sei die Theologie ein Schlachtfeld, als seien wir die Verwundeten und als seien wir die Verwundenden.
Ich will ehrlich sein: Einige der Dinge, die ich sagen werde, könnten dir missfallen. Vielleicht bist du mit einzelnen Aussagen nicht einverstanden, aber das ist okay – leiste mir trotzdem Gesellschaft. Lass uns hier sitzen, im harten Licht der Wahrheit und der schlichten Schönheit, in der Spannung des Jetzt-Schon und des Noch-Nicht von Gottes Reich, und lass uns entdecken, wie wir auf wunderschöne Weise unterschiedlicher Meinung sein können.
Egal, mit welcher „Seite“ oder Lehrmeinung du zu tun hattest, welche Erfahrungen du gemacht hast oder welcher kirchlichen Tradition du angehörst: Ich bin sicher, dass du Verletzungen davongetragen hast. Tun wir das nicht alle? Vielleicht hat jemand deine Gaben und deine Berufung, deine Fähigkeiten und deine Erfahrung heruntergespielt und weggeredet – vielleicht sogar deine Ehe, deine Geschichte, dein Zeugnis. Jemand hat dich vielleicht mit Bibelstellen und Begriffen und Beweistexten erschlagen und dir das Gefühl gegeben, dass du irgendwie falschliegst – entweder in dem, wie du deinen Glauben lebst, in deinen Überzeugungen oder sogar in deiner tiefsten Persönlichkeit. Vielleicht hat man dich verletzt, unterdrückt, gebrochen, gefesselt, gebremst und in die Enge getrieben, missbraucht, bedrängt, dir Grenzen gesetzt und dich zum Schweigen gebracht – dich oder jemanden, den du liebst. Ich kenne das, ja, ich kenne das nur allzu gut. Und vielleicht hast du selbst diese Sünden auch an jemand anderem begangen.
Nimm dir einen Moment Zeit, um dein Glas wiederaufzufüllen. Lass uns mit einem bittersüßen Lächeln auf die Wahrheit anstoßen. Es ist okay, ich verstehe das. Wohlweislich habe ich für später auch eine Thermoskanne mit starkem Tee mitgebracht. So sind wir Kanadier eben – wir lieben unseren Tee (beim Teetrinken kann man einfach keine allzu düsteren Gedanken hegen).
Ich habe eine verrückte Idee: Lass uns aufhören, um einen Platz am sagenumwobenen Tisch zu kämpfen. Du weißt schon: der Tisch, an dem alle Entscheidungen getroffen werden. An ihm sitzen die Hüter, die Bewahrer, die alle die gleichen Bücher lesen, die gleichen Argumente vorbringen, die sich gegenseitig zitieren und die üblichen Verdächtigen verunglimpfen oder verspotten. Es ist der Tisch, an dem Bündnisse und Gremien bildlich gesprochen in bequemen Sesseln sitzen, um darüber zu diskutieren, wer drinnen ist und wer draußen, wer recht hat (in der Regel sie selbst) und wer unrecht hat (alle anderen), und über das Dauerthema: ob es Frauen erlaubt sein sollte, zu lehren oder zu predigen oder gar aus der Bibel vorzulesen. Wir haben viel darüber gehört, wie Männer und Frauen denken oder handeln oder aussehen sollten, wie Ehen gestaltet und Kinder erzogen werden sollten; und es gibt jede Menge gesellschaftlicher Streitereien, spaltender Bezeichnungen, Beschimpfungen und sogar ein paar Höllendrohungen.
Allzu oft liefern wir unsere Seelen den Vorgaben dieser Bewahrer aus. Wir neigen ein bisschen zu schnell dazu, uns einem neuen Hirten anzuschließen statt dem Rabbi aus Nazareth, und wir sind alle wie die Israeliten, die sich damals nach einem „richtigen“ König sehnten, den man sehen und dem man folgen kann.
Schau dir den Himmel über uns an. Blicke hinauf in die Kathedrale, die Gott zuerst erschuf. Ich wünsche dir, dass du eine Weile an deinem Platz in der Geschichte Gottes mit uns Menschen zur Ruhe kommst, dass dein gehetzter Atem zur Ruhe kommt. Die Geschichte Gottes mit den Menschen hat nicht mit uns begonnen, sie wird nicht mit uns enden, und wer will schon in einem Elfenbeinturm leben, wenn es überall da draußen so viel frische Luft gibt?
Ich möchte bei den Außenseitern sitzen, bei den Rebellen, den Träumern, denjenigen, die zweite Chancen geben, den radikalen Gnadenspendern, denen mit den weit geöffneten Armen, denen, die mutig sind und sich verletzlich machen und sogar – oder vielleicht besonders – bei denen, die als nicht würdig oder nicht rechtgläubig genug abgelehnt und vom Tisch ferngehalten werden.
Am Tisch mag es laut und dominant zugehen, aber Liebe und Freiheit verbreiten sich wie Hefe. Ich sehe, wie sich Hoffnung einschleicht und alte Machtstrukturen ins Wanken bringt. Ich spüre sie im Boden unter meinen Füßen. Ich höre sie in den Geschichten der Menschen, die mit Gott leben. Wir flüstern uns gegenseitig mit leuchtenden Augen zu: „Aslan ist unterwegs.“[1] Spürst du das nicht auch? Das Reich Gottes ist schon mitten unter uns.
Ich möchte hier draußen in der kanadischen Wildnis am Wasser stehen und im Wind und in der Kälte auf meine alten Töpfe und Pfannen schlagen und rufen: „Da ist mehr Platz! Es gibt mehr Platz! Es gibt Platz genug für uns alle!“
Wir sind wie die Jünger, die einfach losziehen, in die Freiheit, gemeinsam, in der Absicht, Jesus zu folgen; weil wir ihn so sehr lieben. Wir finden uns hier draußen zusammen, und das ist schön und verrückt und christlich und heilig. Wir fahren einfach mit dem Werk der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit fort, mit der wunderbaren Aufgabe der Versöhnung und der Erlösung, dem Chaos der Freundschaft und der Gemeinschaft, dem Mut, auf dem Wasser zu gehen, und dem großen Traum vom Reich Gottes.
Ich wünsche mir, dass unsere Herzen mit Gnade und Freundlichkeit, Sanftmut und Liebe erfüllt sind, besonders für diejenigen, von denen wir glauben, dass sie sich zutiefst irren. Die Frohe Botschaft wird verkündet, wenn wir einander lieben. Ich bete um Einheit jenseits von Konformität, denn liebevolle Freundlichkeit verkündet die Gute Nachricht schöner und wahrhaftiger als jeder satirische Blogbeitrag oder die Demontage des Rufs und der Lehre eines anderen Jesus-Nachfolgers. Ich mache mir keine großen Sorgen mehr über den „Tisch“ und meinen Platz daran. Beten wir für sie, vergeben wir ihnen, wo sie uns verletzt haben, und beten wir für diejenigen, die in unserem Kreuzfeuer verwundet wurden. Gehen wir sanft mit ihnen um. Aber dann lasst uns weitermachen.
Während ich unsere Schwestern und Brüder auf der ganzen Welt sehe und mit ihnen lebe, arbeite und liebe, hat sich in meinem Herzen eine stille Veränderung vollzogen. Alles hat sich zu Hoffnung und Gnade, zu Freiheit statt Angst, zu Leben statt Tod verschoben.
Vor Jahren habe ich mich in Wut und Zynismus geübt, wie ein Pianist, der immer und immer wieder Tonleitern übt. Ich trainierte regelrecht die Kunst der Verteidigung – im Hinblick auf meine Entscheidungen und meine Mutterschaft, meine Theologie und meine politischen Überzeugungen. Und dann ging ich in die Offensive. Ich wiederholte das Ganze mit Empörung und voller Wut. Reflexhaft sprang ich sofort auf, um jede irrige Überzeugung zu korrigieren und jede Wahrheit zu verteidigen, jeden aufrührerischen Blogbeitrag zu widerlegen und über jede Frage zu dozieren. Auch der kleinste Anflug von Uneinigkeit rief meine Wut hervor: „Blast zum Kampf! Auf sie mit Gebrüll!“ Wie so viele von uns bezeichnete ich das als „kritisches Denken“, verbarg damit aber in Wirklichkeit nur meine Verbitterung und fragte mich gleichzeitig, warum mir diese ständige Suche nach der Wahrheit keine Freude bereitete.
Dann hatte ich genug von dieser bühnenreifen Darstellung meiner eigenen Größe und meines gerechten Zorns und beschloss, das Rampenlicht und den glänzenden Flügel hinter mir zu lassen. Ich hatte genug von der professionellen Rechthaberei; ich wollte stattdessen eine von Gott Geliebte sein. Hier draußen, am selben Ufer, an dem wir auch jetzt gerade sitzen, stellte ich mir vor einigen Jahren vor, dass ich in einem Ramschladen ein altes, ramponiertes Klavier fand, auf dem ich nun das Spielen übte. Zuerst war ich ungeschickt und unbeholfen und musste Güte und Wahrheit einüben, als seien es Tonleitern. Sanftmut und Schönheit übe ich noch immer, immer und immer wieder. Vielleicht werden meine Finger eines Tages, ohne groß nachzudenken, die richtigen Tasten finden.
Ich möchte Treue und Freundlichkeit flüssig spielen können; ich lerne, meine Sinne mit immer neuen Wiederholungen von wachen Augen und offenen Händen und unschuldigem Spaß und heiligem Lachen zu füllen. Ich möchte mit Freude und Hingabe üben. Ich möchte die Wahrheit sagen, aber zuerst möchte ich die Wahrheit leben.
Ich will Schönes nicht länger mit meinem Zynismus entweihen. Ich will kritisches Denken nicht länger mit einer kritischen Grundhaltung verwechseln, und ich will mich unaufhörlich in Geduld und Friedfertigkeit üben, bis es wehtut und meine...
Erscheint lt. Verlag | 12.2.2024 |
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Übersetzer | Karoline Kuhn |
Verlagsort | Asslar |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
Schlagworte | Gleichberechtigung • Leitungskultur • Reich Gottes • Rolle der Frau |
ISBN-10 | 3-96122-629-6 / 3961226296 |
ISBN-13 | 978-3-96122-629-0 / 9783961226290 |
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