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Vernünftige Freiheit und öffentliche Vernunft (eBook)

Beiträge zum Spätwerk von Jürgen Habermas
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
428 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77718-3 (ISBN)

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Vernünftige Freiheit und öffentliche Vernunft -
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Die Texte dieses Bandes setzen sich mit dem monumentalen Versuch von Jürgen Habermas in Auch eine Geschichte der Philosophie auseinander, in unkonventioneller Weise zweieinhalbtausend Jahre abendländischer Philosophie als Lernprozess zu rekonstruieren. Zentraler Diskussionspunkt ist dabei die Idee vernünftiger Freiheit, die als Leitfaden des Spätwerks entschlüsselt wird. Aus philosophischer, soziologischer, theologischer und rechtstheoretischer Perspektive wird diese Idee einer kritischen Prüfung unterzogen und das Anregungspotenzial von Habermas' Überlegungen für die weitere Forschung ausgelotet. Dieser bezieht in einer ausführlichen Replik Stellung zu den Beiträgen.



<p>Smail Rapic ist Professor f&uuml;r Philosophie an der Bergischen Universit&auml;t Wuppertal.</p> Tilo Wesche ist Professor für Praktische Philosophie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Im Suhrkamp Verlag erschienen zuletzt: <em>Was ist Kritik?</em> (stw 1885, hg. zus. mit Rahel Jaeggi), <em>Die Rechte der Natur. Vom nachhaltigen Eigentum</em> (stw 2414) und <em>Vernünftige Freiheit. Beiträge zum Spätwerk von Jürgen Habermas</em> (stw 2420, hg. zus. mit Stefan Müller-Doohm und Smail Rapic).

36Micha Brumlik

Habermas’ christliches Abendmahl – Glaube, Funktion und symbolische Wahrheit


I. Vorbemerkung


Eines der entscheidenden Motive nachmetaphysischen Denkens besteht für Jürgen Habermas im systematischen Auseinandertreten von »Glauben« und »Wissen« – eine Entkoppelung, die seiner geschichtsphilosophischen Rekonstruktion gemäß ihren Ausdruck vor allem in der Reformation, namentlich dem Wirken und den Schriften Martin Luthers, die seiner Überzeugung nach sogar Kant den Boden bereiteten –, gefunden hat: »Der Witz der Transzendentalphilosophie«, so Habermas, »besteht darin, dass sich Kant der von Luther als intelligibel gedachten, von der Welt abgetrennten Sphäre als die des transzendentalen Bewusstseins bemächtigt.«[1] 

Indes: Nicht umsonst erörtert Habermas in einem doch eigentlich philosophischen Werk ausführlich und bestens informiert einen innertheologischen, mehr noch: einen innerreformatorischen Streit, nämlich die zwischen Calvin und Zwingli einerseits und Martin Luther andererseits geführte Debatte, den Streit um Inhalt und Funktion des zweiten, nach der Taufe von den Reformatoren übriggelassenen Sakraments, des Abendmahls. In aller Kürze und unzulässig simplifiziert, geht es dabei um die Frage, ob Leib und Blut Christi im Sakrament des Abendmahls nur symbolisch oder – wie immer das dann definiert sei – real zugegen sind. Doch zuvor ist noch zu vermerken, dass nach Habermas’ Rekonstruktion die bis zu Kant reichende Trennung von Glauben und Wissen eine Konsequenz der Rechtfertigungslehre ist – insofern das »Wie des Glaubensaktes« Vorrang vor dem »Glaubensinhalt« habe.[2]  Das aber heißt nichts anderes, als dass die Triftigkeit des Glaubens sich nicht auf der propositionalen Ebene einer behaupteten Aussage, sondern 37»auf der performativen Ebene der Anerkennung der Glaubwürdigkeit einer anderen Person«[3]  erweist.

II. Luther und Zwingli


Dann aber geht es im reformatorischen Verständnis des christlichen Glaubens um die Frage, wie die Einsetzungsworte Jesu zu deuten sind: Im redaktionsgeschichtlich ältesten Evangelium, dem des Markus, heißt es in 14,22-26 folgendermaßen:

Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: nehmt, das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.

Nun lehnten sowohl Luther als auch Zwingli die katholische Lehre von der Transsubstantiation ab, gemäß derer sich während der Eucharistie Brot und Wein tatsächlich in Jesu Leib und Brot verwandelten. Worin bestand aber dann die tiefgreifende Differenz zwischen Luther und Zwingli?

Für Luther galt, dass »wahrhaftig der Leib und Blut im Brot und Wein [...] mündlich gegessen und getrunken«[4]  werde, während für Zwingli das Abendmahl wesentlich eine Symbolhandlung darstellt, die die Erinnerung an die für den christlichen Glauben unverzichtbare Auferstehung Jesu bekräftigt. Jürgen Habermas deutet das Abendmahl – nicht ohne zu versichern, dass die protestantische Form dieses Ritus »einen weiteren Schub in der Überwindung magischen Denkens«[5]  darstellt – so:

Luther möchte nun den dialektischen Gehalt dieses Geschehens dadurch vor dem Rückfall in eine magische Praxis schützen, dass er die Einsetzungsworte Jesu als Worte ernst nimmt und den rituellen Akt der Verwandlung von Brot und Wein als die sprachliche Kommunikation versteht, als die sie beschrieben wird. Er sublimiert die Opferhandlung ins Medium der 38Sprache und begreift die Einsetzungsworte der Eucharistie als eine Aufforderung an die Gemeinde, zeichenhafte Handlungen zu reproduzieren, die den Beteiligten bewusst machen, dass Gott selbst in ihren liturgisch wiederholten Worten anwesend ist.[6] 

Die Deutung, die Habermas diesem Verständnis des Abendmahls gibt, läuft darauf hinaus, dass Luther das sakramentale Geschehen von Jesu letztem Mahl im Wortgeschehen – wohl im Hegel’schen Sinne – aufhebt. In Habermas’ Worten:

Denn für ihn [Luther, M.B.] zieht diese Deutung ihre Evidenz aus dem Umstand, dass sich in dieser Praxis, wie in den übrigen Sakramenten, nichts anderes ereignet als jene Dialektik von Sündenbekenntnis, Umkehr und Vertrauen auf die unverbrüchliche Zusage Gottes, die die Rechtfertigungslehre als den Kern jedes authentischen Glaubensaktes herausgearbeitet hat. Wenn aber das gemeindeöffentlich praktizierte Abendmahl wie jede fromme Kommunikation des Gläubigen mit Gott die allgemeine Struktur eines Austauschs von Sprechakten des Bekennens und die Zusage aufweist, ist die Gegenwart des Gegenübers eine triviale Unterstellung. Diese nimmt der Gläubige auch in jedem Gebet vor (nicht anders als jemand, der mit einer Person spricht, die – wie wir heute veranschaulichen können, wie im telefonischen oder digitalen Austausch – außer Sichtweite ist).[7] 

Mit anderen Worten, es besteht für Habermas keine grundlegende Differenz zwischen der bloßen Meinung, der Annahme, dass eine – in diesem Fall: göttliche – Person zugegen ist, hier sowie der intersubjektiv überprüfbaren Tatsache dort, dass eine Person wirklich existiert. An dieser Stelle mag gefragt sein, wie Habermas den Glauben an den vielfältigen polytheistischen Makrokosmos der Religion der Hindu beziehungsweise den auch hierzulande nicht ausrottbaren Glauben an Geister und Gespenster beurteilen würde. Existieren für Habermas Vishnu, Shiva und Brahma im selben Sinne wie der Gott Martin Luthers? Einfach deshalb, weil gläubige Hindus meinen, dass diese göttlichen Gegenüber auch wirklich existieren?

Tatsächlich ist Habermas der Überzeugung, dass in der sakramentalen Handlung des Abendmahls »auch noch der letzte Rest von Magie in Sprache und Kommunikation getilgt wird«, weshalb sich Luther der Frage stellen muss, »wodurch sich dann die Sakramente der Taufe und des Abendmahls überhaupt noch vor dem 39privaten Zwiegespräch des Betenden oder dem liturgischen Gottesdienst der Gemeinde auszeichnen«.[8]  Im Weiteren zitiert Habermas Luthers Überzeugung, dass die Taufe kein Spiel von Bedeutungen sei, sowie Luthers Unterscheidung von Testament und Sakrament mit Betonung darauf, dass nach Luther dem Wort größere Kraft innewohne als dem Zeichen und entsprechend dem Testament größere Kraft als dem Sakrament zukomme – wobei sich hier zum ersten Mal die Frage stellt, was Luther eigentlich gegen Zwinglis Deutung des Abendmahls als symbolische Erinnerungshandlung einzuwenden hat und – vor allem! – mit welchen Gründen Habermas in dieser Kontroverse Partei für Luther ergreift – biete doch Luther »eine symbolische Deutung an, die einerseits ein buchstäbliches Verständnis energisch abwehrt, andererseits an die sozialintegrative Funktion anknüpft, die rituelle Praktiken ursprünglich gehabt haben«.[9] 

Gleichwohl stellt sich Habermas auf die Seite Luthers gegen Zwingli, gehe doch das rituelle Element des Sakraments nicht ohne Rückstand in dem Sinn der symbolischen Handlung auf und habe doch in diesem Fall die Unterscheidung von »Zeichen« hier sowie »Bedeutung« dort keine konstitutive Relevanz für das Sakrament mehr. Habermas schwankt zwischen der Überzeugung, dass der inkarnierte Gott ›durch sein Wort‹ in der sakralen Handlung zugegen sei,[10]  sowie der Restüberzeugung, dass sich diese Anwesenheit eben nicht nur im Wort vollziehe. Auf jeden Fall scheint es Habermas um mehr zu gehen als lediglich – im Sinne Zwinglis – um eine...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte aktuelles Buch • Auch eine Geschichte der Philosophie • Bücher Neuererscheinung • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Philosophie • Philosophiegeschichte • STW 2420 • STW2420 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2420
ISBN-10 3-518-77718-1 / 3518777181
ISBN-13 978-3-518-77718-3 / 9783518777183
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