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Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? (eBook)

Wandel und Variationen einer Frage
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
389 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-3031-7 (ISBN)

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Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? -
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Die Frage ?Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?? gehört zu den ebenso traditionsreichen wie umstrittenen Problemen der Philosophie. Bereits mehrmals in die Mottenkiste der Philosophiegeschichte verbannt, erlebt sie doch zuverlässig ihre Renaissancen. Der vorliegende Band nimmt sich der ?Grundfrage? in einer ideengeschichtlichen Perspektive an. Dabei stellt sich heraus, dass die systematisch keineswegs erst mit Leibniz auftauchende Frage in ihrer Geschichte von der Antike bis zur gegenwärtigen analytischen Philosophie nicht nur jeweils unterschiedliche Antworten provoziert hat, sondern vor allem auch ganz verschieden gestellt worden ist: Formuliert Leibniz »Pourquoi il y a plus tôt quelque chose que rien?«, heißt es bei Schelling »Warum ist nicht nichts, warum ist überhaupt etwas?«, während Schopenhauer ihr eine existentielle Wendung gibt (»Lieber nichts als etwas«). Heideggers Auseinandersetzung mit dem Nihilismus führt zu der Frage: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?«, während Arendt sie ins Politische wendet (»Warum ist überhaupt jemand und nicht niemand?«). Der Band wird durch einen Überblick über die vielschichtige Diskussion der ?letzten Warum-Frage? in der Tradition der Analytischen Philosophie sowie einen Antwortversuch aus Sicht der aktuellen Physik und Kosmologie abgerundet.

– JENS LEMANSKI

›Cur Potius Aliquid Quam Nihil‹
von der Frühgeschichte bis zur Hochscholastik*


1. Cur Potius Aliquid Quam Nihil – Einleitung


In der heutigen Forschung zur antiken und mittelalterlichen Philosophie werden zwei Fragen der sog. ›big questions‹ immer intensiver behandelt: 1. die Frage ›Warum (fand) nicht eher (eine Schöpfung statt)?‹, die im Folgenden mit CNC (cur non citius) abgekürzt wird,1 und 2. die Frage ›Warum ist eher/überhaupt etwas als/ und nicht vielmehr nichts?‹, kurz CPAQN (cur potius aliquid quam nihil).2 Die CPAQN–Frage lässt sich darüber hinaus in die zwei Fragen a) warum ist etwas und b) warum ist nicht nichts, das heißt a) CA (cur aliquid) und b) CNN (cur non nihil) differenzieren, aus denen sie genau genommen zusammengesetzt ist. Der noch immer herrschenden Lehrmeinung zufolge finden sich die beiden Hauptfragen, CPAQN und CNC, erstmals in der Philosophie von Gottfried W. Leibniz,3 obwohl es mittlerweile mehrere Forschungsresultate gibt, die darauf hinweisen, dass sich diese beiden Fragen bis zur Hochscholastik vollständig, d. h. wortwörtlich bzw. explizit entwickelt haben.

Allerdings zeigt bereits ein grober Forschungsüberblick, dass sich kein einheitliches Bild bezüglich der Entwicklungsgeschichte der CPAQN–Frage aufstellen lässt: Forscher wie Bruno Snell oder Charles Kahn behaupten, dass chronologisch gesehen bis zu Parmenides das sprachliche Vermögen fehlt, um die für eine erste Variante der CPAQN-Frage so wichtigen Abstraktionsbegriffe wie ›Sein‹, ›Etwas‹ und ›Nichts‹ zu bilden. Aus einer Studie von Walter Patt lässt sich herauslesen, dass die ersten CPAQN-Varianten auf dem principium rationis beruhen, welches auf Aristoteles zurückgeht. Werner Beier-waltes meint dagegen, dass die erste CPAQN-Variante sogar schon im Neuplatonismus formuliert worden sei, allerdings semantisch nicht an die Radikalität von Leibniz und Heidegger heranreiche. Dagegen sieht Lloyd P. Gerson Plotin derart stark von Platons Parmenides beeinflusst, dass der Platonismus fons et origo der ersten CPAQN-Variante sein könne. In der arabischen Philosophie, so Jon McGinnis, sei die Lage dagegen klarer. Seiner Meinung nach finden sich dort keine CPAQN-Varianten, aber man könne derartige Fragen und besonders Antworten aus dem sog. ›kosmologischen Argument‹ ableiten. Bereits in den 1960er Jahren hatte Albert Zimmermann behauptet, dass man zumindest in der Hochscholastik eine erste ›wortwörtliche‹ CPAQN-Frage finde.

Da sich aufgrund dieser größtenteils unabhängig voneinander argumentierenden Forschungsergebnisse kein kohärentes entwicklungsgeschichtliches Bild der CPAQN-Frage einstellen kann, sollen im Folgenden die einschlägigen Quellen der CPAQN-Frage bis zur Hochscholastik noch einmal chronologisch durchgegangen werden, um so vor allem die Belege der einzelnen Fragen und deren Varianten zusammenzustellen. Der vorliegende Überblicksartikel greift somit zwar die herrschenden Forschungsthesen kritisch auf, orientiert sich aber vorwiegend an den einzelnen Epochen und den darin aufgefundenen Texten, in denen CA-, CNN- und CPAQN-Fragen und deren Varianten expliziert werden, um daraus Kontinuitäten und Brüche in der Entwicklungs- und Einflussgeschichte der Frage aufzuzeigen.

Da man allerdings in der antiken Philosophie selbst der Meinung war, dass Varianten der CPAQN-Frage bereits in der frühgeschichtlichen bzw. archaischen Zeit gestellt wurden,4 soll zuerst die Frage geklärt werden, ab wann die sprachlichen Bedingungen und Voraussetzungen erfüllt waren, um die CPAQN-Frage überhaupt stellen zu können.

2. Frühgeschichtliche Mythen


Dass sich eine CPAQN-Variante in den Mythen der altorientalischen Sprachen nachweisen lässt, scheint aufgrund rezeptionsgeschichtlicher Probleme5 und aufgrund der Schwierigkeit, dass die Mythen Antworten auf Fragen geben, bevor sie diese überhaupt stellen, nahezu ausgeschlossen zu sein. Untersucht man aber bspw. A) aus dem afroasiatischen Sprachraum ägyptische, B) aus dem mesopotamischen Sprachraum sumerische und C) aus dem indogermanischen Sprachraum hethitische Kosmogonien als repräsentative Vertreter der jeweiligen Sprach- und damit auch Mythengemeinschaft, so lassen sich in einigen dieser Texte bereits Motive und Zwecke als mögliche Antworten auf eine CA-Frage aufzeigen: Für A) die Ägypter ist der Grund dafür, dass überhaupt etwas, also Himmel und Erde geschaffen wurden, der, dass der Sonnengott und Weltschöpfer Re wollte, dass die Seelen der Götter in der Welt wohnen.6 B) Obwohl die mesopotamischen Mythen keine Antwort auf die Frage geben, warum überhaupt die Götter Himmel und Erde geschaffen haben, stellen jene dort doch erstmals ihre eigenen kreativen Absichten in Frage7 und erklären, dass sie Menschen schaffen wollen, damit diese für sie die schwere Tagesarbeit verrichten.8 C) Im hethitischen Mythos sind entweder niemals die Beweggründe für die Beantwortung einer Cpaähnlichen Frage festgehalten oder uns nicht mehr überliefert worden, so dass sich hier nur die Faktizität einer Schöpfung ablesen lässt.

Die frühgeschichtlichen Mythen aus den drei hier näher untersuchten Sprachkreisen weisen darüber hinaus nicht den Abstraktionsgrad auf, um sprachlich Begriffe wie ›Sein‹ oder ›Etwas‹ aus einem ›Nichts‹ hervorgehen zu lassen: A) In den altägyptischen Kosmogonien wird das Nichts (genauso wie das Alles) durch den Sonnengott Atum9 vertreten, wohingegen in der jüngeren Kosmogonie der terminus a quo der Schöpfungsgeschichte der Urgott Nun – eine Art personal verstandenes materiales Urwasser10 – als ›Nährboden‹ einer beständigen Schöpfung fungiert,11 aus dem auch die übrigen ägyptischen Götter entstanden sein sollen.12 B) Auch die sumerischen Kosmogonien setzen kein Nichts an den Anfang der Schöpfung oder in eine irgendwie geartete Zeit davor. Sie berichten vielmehr von dem Gott An, der für die Zustandsänderung der bereits bestehenden Weltteile Himmel und Erde verantwortlich ist:

»An, der Herr, erhellte den Himmel, die Erde war dunkel, in die Unterwelt wurde nicht ges[chaut], aus der Tiefe wurde (noch) kein Wasser geschöpft, nichts wurde geschaffen, auf der weiten Erde wurden (noch) keine (…) gemacht.«13

Diese Passage aus dem mesopotamischen Nibru-Mythos deutet trotz des nicht überlieferten Textstückes den fehlenden sprachlichen Abstraktionsgrad dadurch an, dass nur mittels bestimmter Negationen diejenigen Einzeldinge in der Vorzeit negiert werden, die aus dem gegenwärtigen Schöpfungszustand bereits bekannt sind.14 C) Die spärlichen Hinweise auf kosmogonische Vorstellungen in den hurritisch-hethitischen Mythen sind ebenfalls weit entfernt von der für uns so klassischen Unterscheidung zwischen den Begriffen ›Nichts‹, ›Sein‹ und ›Etwas‹, doch lassen sich dort erste quantitative Differenzen zwischen der vorweltlichen Einheit und der geschaffenen Zwei- bzw. Vielheit bildlich interpretieren, die für die Entstehung der CPAQN-Frage in der griechischen Henologie bedeutend sein könnten.15 B) Auch im weiteren Anschluss an das oben angeführte Zitat des Nibru-Mythos wird die Urzeit als eine Einheit beschrieben, in der »[Himmel (und) Erd]e noch aneinander gebunden« waren.16 A) Ebenso belegen die ägyptischen Sarkophagtexte diese quantitative Vorstellung einer Entwicklung, der zufolge erst durch die Schöpfung »zwei Dinge in diesem Lande entstanden«17. Somit sind, wie wir noch sehen werden, trotz des fehlenden Abstraktionsgrades in den frühgeschichtlichen Mythen dennoch bereits die Bedingungen geschaffen worden, dass Varianten der CPAQN-Frage überhaupt in der abendländischen Tradition gestellt werden konnten.

3. Geometrische Zeit, Beginn der Archaik


In der gegenwärtigen Forschung wird besonders der Einfluss der hethitisch-hurritischen Mythen auf die frühgriechischen Epiker Homer und Hesiod betont.18 Aufgrund dieser Einflüsse scheinen die bereits in Kapitel 2 angeführten Gründe, die gegen die Möglichkeit einer CPAQN-Frage in der...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2013
Reihe/Serie Blaue Reihe
Blaue Reihe
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Erkenntnistheorie • Existenzphilosophie • Metaphysik • Ontologie
ISBN-10 3-7873-3031-3 / 3787330313
ISBN-13 978-3-7873-3031-7 / 9783787330317
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