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Das Rätsel der Schamanin (eBook)

Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen | SPIEGEL-Bestseller
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
368 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01359-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Rätsel der Schamanin -  Harald Meller,  Kai Michel
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Ein 9000 Jahre altes Grab: eine Frau, ein Kind, die Todesumstände unbekannt. Von den Nazis entdeckt und für ihre Zwecke missbraucht, versank es in Vergessenheit. Ein Jahrhundert später macht sich ein Forscherteam daran, einen einzigartigen archäologischen Cold Case neu aufzurollen: den Fall der Schamanin von Bad Dürrenberg. Geleitet werden die Ermittlungen von einem der profiliertesten Archäologen Europas: Harald Meller, der die Himmelsscheibe von Nebra für die Öffentlichkeit rettete. Der Bestsellerautor Kai Michel ist hautnah dabei ? und die Ergebnisse sind sensationell. Die Schamanin erweist sich als Schlüssel zu einer Zeit, in der sich das Schicksal der Menschheit entschied. Die Ermittlungen dringen vor zu den Wurzeln von Religion und Spiritualität und konfrontieren uns mit Fragen nach uns selbst und unserem Verhältnis zur Welt. Noch nie war Archäologie so aktuell und spannend wie im Fall dieser mächtigen und außergewöhnlichen Frau.

Harald Meller, geboren 1960 in Olching, ist Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Museumsdirektor und Professor für Archäologie in Halle an der Saale. Unter erheblichem persönlichen Risiko war er an der Sicherstellung der Himmelsscheibe von Nebra beteiligt. Er gehört international zu den prominentesten Archäologen und Ausstellungsmachern und hat zahllose Radio und TV-Auftritte absolviert. Harald Meller leitete die Ausgrabungen und Forschungen rund um die Schamanin von Bad Dürrenberg.

Harald Meller, geboren 1960 in Olching, ist Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Museumsdirektor und Professor für Archäologie in Halle an der Saale. Unter erheblichem persönlichen Risiko war er an der Sicherstellung der Himmelsscheibe von Nebra beteiligt. Er gehört international zu den prominentesten Archäologen und Ausstellungsmachern und hat zahllose Radio und TV-Auftritte absolviert. Harald Meller leitete die Ausgrabungen und Forschungen rund um die Schamanin von Bad Dürrenberg. Kai Michel, geboren 1967 in Hamburg, ist Historiker und Literaturwissenschaftler. Mit Carel van Schaik las er die Bibel als «Tagebuch der Menschheit»; zusammen legten sie mit «Die Wahrheit über Eva» eine preisgekrönte Analyse über die Erfindung der Ungleichheit der Geschlechter vor. Mit dem Archäologen Harald Meller schrieb Michel die Bestseller «Die Himmelsscheibe von Nebra» und «Das Rätsel der Schamanin». Er lebt als Buchautor in Zürich und im Schwarzwald.  

1 Erster Verdacht


Es gehört zur Eigenart von Déjà-vus, dass sie einen unvorbereitet treffen. Etwa freitagabends, wenn sich langsam Wochenendstimmung breitmacht. So sah sich Martin Porr, Professor für Archäologie an der University of Western Australia in Perth, den Hollywood-Blockbuster Alpha an. Ein optisch grandios in Szene gesetztes Epos aus der letzten Eiszeit über die Anfänge der Freundschaft zwischen Mensch und Wolf.

Am Lagerfeuer beschwor eine geheimnisvolle Frau die Geister; am nächsten Tag teilten höhere Mächte ihr den Moment zum Aufbruch der Jäger mit. Da überkam es Porr: «Die Frau kenn ich doch!» Nun wäre das bei der nicht unbekannten Schauspielerin Leonor Varela durchaus möglich. Doch es war nicht ihr Gesicht. Es war das, was sie trug, was Martin Porr sein Steinzeit-Déjà-vu bescherte.

«Letzten Freitag habe ich mir @AlphaTheMovie angesehen», schrieb der Archäologe am 21. Januar 2019 auf Twitter, «und mir ist nicht entgangen, dass die Kleidung der Schamanin im Grunde eine Kopie eines Designs ist, an dessen Entwicklung ich für das @MuseumHalle beteiligt war.» Zum Beweis twitterte er zwei Bilder: einen Alpha-Screenshot und das suggestive Schamanin-Porträt, das der Künstler Karol Schauer für das Landesmuseum angefertigt hatte. Kein Zweifel: Halle hatte Hollywood inspiriert.

Inspiration für Hollywood: Karol Schauers Illustration diente als Vorlage für die von Leonor Varela gespielte Schamanin im Steinzeit-Epos «Alpha».

***

Martin Porr gehörte ebenso wie Karol Schauer zu jenem Team, das an der Konzeption der neuen Dauerausstellung in Halle beteiligt war. 2001 war einer von uns Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte geworden. Eine der großen Herausforderungen: die grandiosen Sammlungsbestände neu in Szene zu setzen. Vieles war in DDR-Zeiten im Dornröschenschlaf versunken. So auch unsere Heldin.

Die Nazis hatten sie 1934 ausgegraben und zu einer Art Urarier erklärt, was ihr in der DDR keinen leichten Start bescherte. Wenigstens hatte man ihr Skelett untersucht und erkannt, dass es einer Frau gehört hatte. Ansonsten dämmerte sie Jahrzehnte im Museum dahin – als ein Fund unter vielen. Ihr Coming-out als Schamanin war nicht abzusehen.

Doch dann fiel die Mauer, eine neue Zeit brach an – und unsere Heldin erwachte zu neuem Leben. In den 1990er-Jahren machte sich der Anthropologe und Archäologe Jörg Orschiedt daran, steinzeitliche Menschenknochen zu untersuchen, ob sie Hinweise auf Gewalt, Opfer oder Kannibalismus lieferten. Im Rahmen seiner Forschungen begutachtete er auch das Skelett der Frau aus Bad Dürrenberg. Seit den 1950ern kursierte die Vermutung, sie sei enthauptet worden oder einer kultischen Leichenzerstückelung zum Opfer gefallen, Entnahme des Gehirns inklusive.

Orschiedt konnte belegen, dass beides nicht der Fall war. Die verdächtigen Beschädigungen des Schädels gingen auf Fraßspuren von Nagetieren zurück. Vor allem zeigte der Anthropologe, dass es sich beim merkwürdigen Befund am Foramen magnum, dem Hinterhauptsloch, das Gehirn und Rückenmark verbindet, um eine Wachstumsanomalie handelte. Die dem Hirn Blut zuführende Arteria vertebralis war hier in den Schädelknochen eingedrückt. Auch beobachtete Orschiedt, dass die oberen Schneidezähne der Frau auf der Innenseite abgeschliffen waren. Und zwar so stark, dass die Pulpa, die Zahninnenhöhle mit Nerven und Blutgefäßen, offen lag. Das bereitete heftige Schmerzen und hatte auch zur Entzündung der Zahnwurzeln geführt. Eine überraschende Beobachtung: Jäger und Sammler hatten zwar häufig abgenutzte Zähne, weil sie diese als dritte Hand benutzten; ansonsten litten sie wegen der stärkearmen Ernährung nur selten unter Karies. Die Knochen des Kindes, das an der Seite der Frau gelegen hatte, identifizierte er als die eines Säuglings, der kein Jahr alt geworden war.

Im Jahr 2000 legte die am Museum beschäftigte Archäologin Judith M. Grünberg ihre Doktorarbeit vor: eine Bestandsaufnahme aller bekannten Bestattungen des europäischen Mesolithikums. Auch sie begutachtete das Doppelgrab von Bad Dürrenberg, in dem die Frau und der Säugling einst mit einer Schicht Rötel bedeckt gelegen hatten, einer durch Eisenoxyd rot gefärbten Erde. Überwältigend sei die Vielfalt ungewöhnlicher Grabbeigaben, notierte Grünberg: «Das Grab enthielt etwa 52 Geräte und 69 Schmuckelemente sowie zahlreiche unbearbeitete tierische Reste und ein Rötelstück.» Bemerkenswert seien neben durchbohrten Tierzähnen «die Panzerbruchstücke von mindestens drei Sumpfschildkröten und die zusammenpassenden Schädelfragmente eines Rehgeweihs sowie eines Rehunterkiefers».

Grünberg vermutete, dass die Schildkröten, wenn es keine Nahrungsbeigaben waren, als Trommeln oder Rasseln und ein hohler Kranichknochen als Flöte oder Trommelschlägel gedient haben könnten. «Wahrscheinlich war das Rehgeweih, vielleicht auch ein ganzer Rehkopf, auf dem Kopf der Frau befestigt. Die Schmuckanhänger könnten auf dem dazugehörigen Rehfell aufgenäht gewesen sein.» Grünbergs Resümee: «Alle Besonderheiten bei dieser Bestattung deuten zwanglos darauf hin, dass es sich um das Grab einer Schamanin handelte.» Damit war der Verdacht erstmals schriftlich fixiert.

***

Und dann kam Martin Porr ins Spiel. Gemeinsam mit dem Anthropologen Kurt W. Alt begutachtete er im Rahmen der Neukonzeption der Dauerausstellung das Fundmaterial. Die beiden bestätigten Orschiedts und Grünbergs Thesen und konnten nachweisen, dass sogar der Atlaswirbel missgebildet war. Das ist der oberste Halswirbel, der den Kopf trägt, wie in der griechischen Sage der Titan Atlas das Himmelsgewölbe. Der hatte Orschiedt bei seinen Untersuchungen nicht vorgelegen. Dieser Atlasknochen war gar nicht komplett ausgeprägt und deshalb in seiner stabilisierenden Funktion eingeschränkt.

«Solch eine Fehlbildung kann als Geburtsfehler auftreten», befand Kurt W. Alt. «Zwar zeigen nicht alle Betroffenen Symptome, aber manche entwickeln markante Auffälligkeiten.» Es sei möglich, dass diese das Gefühl hatten, als krabbelten Ameisen über ihre Haut. Lähmungserscheinungen können auftauchen, ebenso Wahrnehmungsstörungen und Halluzinationen. Mitunter geht ein Nystagmus damit einher: unbeabsichtigte, ruckartige Augenbewegungen. Auch zu Diplopie könne es kommen: Man sieht Dinge doppelt.

Es könnte sogar sein, dass die mangelhafte Stützfunktion des Atlas bei unserer Heldin dazu führte, dass, wenn sie den Kopf zur Seite drehte, sich die Blutversorgung des Gehirns verringerte, da der Schädelknochen die Arteria vertebralis zudrückte. Könnte sie damit – beabsichtigt oder nicht – eine Ohnmacht herbeigeführt haben?

Das erstaunte alle zutiefst. Die anthropologische Untersuchung schien die Schamanin-These zu stützen, die auf der archäologischen Bewertung und Interpretation der Grabbeigaben basierte. Schließlich ist die ethnografische Literatur über die Schamanen Sibiriens voller Beispiele, dass diese, wenn sie in Trance geraten und ihre Seele auf Reisen schicken, wie tot zusammenbrechen – und erst mit deren Rückkehr wieder zum Leben erwachen. Auch wird von auffälligem Verhalten berichtet, wie unartikuliertem Geschrei, Augenrollen, wild zuckendem Körper. In vergangenen Zeiten glaubten westliche Beobachter, es handle sich bei Schamanen um «Epileptiker», «Hysteriker» oder «Neurotiker». Hat die Tote aus Bad Dürrenberg in ihrem Leben Dinge gesehen, die andere nicht sahen?

Alt bestätigte auch Orschiedts Urteil hinsichtlich der Löcher in den beiden oberen Schneidezähnen. Für den Anthropologen, der auch Zahnarzt ist, deutete vieles darauf hin, dass die Frontzähne über ihre Kaufunktion hinaus für spezifische Tätigkeiten exzessiv benutzt worden waren. Allerdings fehlten entsprechende Abnutzungsspuren im Unterkiefer. In jedem Fall stellte die offene Pulpa an beiden Zähnen einen Entzündungsherd dar, der immer wieder aufflammen konnte. Im Bereich der Wurzelspitzen im Oberkiefer gab es Hinweise auf Abszesse. War das die Erklärung für den Tod der Frau aus Bad Dürrenberg? Waren ihre Zähne vielleicht sogar absichtlich aufgefeilt worden?

***

Eine Schamanin? Fürs Erste folgen wir dem Religionswissenschaftler Mircea Eliade, der die Woodstock-Generation mit seinem Buch Schamanismus und archaische Ekstasetechnik begeisterte. Seine Gleichung «Schamanismus = Technik der Ekstase» hat sich zwar als deutlich zu einfach erwiesen, wie auch sein ganzes Buch Kritik einstecken musste. Doch Eliade bezeichnet Schamaninnen und Schamanen auch als die «großen Spezialisten für die menschliche Seele». Deshalb dürfe Schamanismus keinesfalls mit Religion verwechselt werden, denn «wo das Los der Seele selber nicht berührt ist», haben Schamanen nichts verloren. Man müsse in ihnen vor allem eins sehen: «Seelengeleiter». Eliade nennt sie beim griechischen Namen: «Psychopompoi».

Der Religionswissenschaftler schreibt: «Heilender und Psychopomp, das ist der Schamane, weil er die Techniken der Ekstase kennt, das heißt, weil seine Seele ungestraft den Körper verlassen und in sehr großen Entfernungen umherschweifen, weil sie in die Unterwelt hinabdringen und zum Himmel steigen kann.» Lauschen wir Eliade weiter, um zu verstehen, warum er vor allem die Sixties und Seventies für Schamanismus begeisterte: «Durch sein eigenes Ekstase-Erlebnis kennt er die Reisewege in den außerirdischen Regionen. Die Gefahr, sich in diesen verbotenen Regionen zu...

Erscheint lt. Verlag 18.10.2022
Zusatzinfo Mit 19 4-farb. Abb. und zahlr. s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Schlagworte Anthropologie • Archäologen • Archäologie • archäologie deutschland • Archäologie-Krimi • Epipaläolithikum • Esoterik • Forensik • Frühgeschichte • Genetik • Geschichte • Halle • Himmelsscheibe von Nebra • Jäger und Sammler • Kulturgeschichte • Landesgartenschau 2024 • landesmuseum halle • Menschheitsgeschichte • Mesolithikum • Mittelsteinzeit • Naturgeschichte • Naturphilosophie • Naturwissenschaft • Nebra • Ötzi • Paläontologie • Pilgerstätte • Rötelgrab • Sachbuch Geschichte • Sachsen-Anhalt • Schamanin von Bad Dürrenberg • Schamanismus • spiegel bestseller • Steinzeit • Steinzeitalter • Steinzeitmenschen • Svante Pääbo • Terra X • True Crime • Urgeschichte • Urwelten Halliday • Urzeit • Vergangenheit • Wissenschaftsgeschichte
ISBN-10 3-644-01359-4 / 3644013594
ISBN-13 978-3-644-01359-9 / 9783644013599
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