Chatter - Die Stimme in deinem Kopf (eBook)
304 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-23100-2 (ISBN)
Der renommierte Psychologe Ethan Kross verschränkt für sein international vielbeachtetes Buch seine eigenen bahnbrechenden Forschungsergebnisse aus Verhaltens- und Hirnforschung mit zahlreichen Fallstudien aus der Praxis. Er erklärt uns, wie diese stummen Gespräche unser Leben, unsere Arbeit und unsere Beziehungen prägen. Er warnt davor, dass negative und desorientierende Selbstgespräche unsere Gesundheit belasten, unsere Stimmung negativ beeinflussen, unsere sozialen Verbindungen ins Wanken bringen und sogar dazu führen können, dass wir psychisch zusammenbrechen. Aber die gute Nachricht ist: Wir sind bereits mit allen Werkzeugen ausgestattet, die wir brauchen, um unsere innere Stimme zu unseren Gunsten nutzen zu können.
Brillant argumentierend, von einem ausgewiesenen Experten recherchiert und gefüllt mit fesselnden Geschichten aus der Praxis, gibt uns das Buch von Ethan Kross die Möglichkeit, das wichtigste Gespräch, das wir führen, endlich zu ändern: das Gespräch mit uns selbst.
Dr. Ethan Kross ist einer der weltweit führenden Experten zum Thema Bewusstsein und Verhaltenssteuerung. Er ist vielfach ausgezeichneter Professor an der University of Michigan und der Ross School of Business, sowie Direktor des von ihm gegründeten Labors zur Erforschung von Emotionen. Er war bereits mehrfach Teilnehmer an politischen Diskussionen im Weißen Haus und wurde vielfach von führenden Medien zu seinem Fachgebiet interviewt, darunter CBS Evening News, Good Morning America, und NPR's Morning Edition. Über seine bahnbrechenden Forschungen wurde unter anderem in der New York Times, dem New Yorker, dem Wall Street Journal, in USA Today, dem New England Journal of Medicine, und in Science berichtet. »Die Stimme in deinem Kopf« ist sein erstes populäres Sachbuch.
KAPITEL 1
Warum wir mit uns selbst reden
Die Gehsteige von New York City sind Traumstraßen der Anonymität. Tag für Tag hasten Millionen von Passanten zielstrebig über das Pflaster; ihre Gesichter sind wie Masken, die nichts über ihre Träger verraten. Die gleiche Ausdruckslosigkeit beherrscht auch die Parallelwelt unterhalb der Straße – die Subway. Die Menschen lesen entweder oder haben nur ihre Smartphones im Blick – oder sie starren völlig losgelöst von dem, was in ihren Köpfen vorgeht, hinaus in das große, unsichtbare Nirgendwo.
Natürlich verraten die undurchdringlichen Gesichter von acht Millionen New Yorkern nichts über die wimmelnde und wuselnde Welt auf der anderen Seite der ausdruckslosen Mauer, die sie um sich herum zu errichten gelernt haben: eine verborgene »Gedankenwelt« von gehaltvollen und lebhaften inneren Gesprächen, die allerdings oft genug von mäanderndem Geplapper durchdrungen sind; schließlich sind die Einwohner von New York beinahe so berühmt für ihre Neurosen wie für ihre Schroffheit. (Als gebürtiger New Yorker schäme ich mich keineswegs, das zuzugeben.) Man muss sich einmal vorstellen, was wir alles über diese Menschen in Erfahrung bringen könnten, wenn es uns gelänge, hinter die Fassade ihrer Masken zu dringen und ihre inneren Stimmen zu belauschen.
Zufällig ist dies genau das, was der britische Anthropologe Andrew Irving in den Jahren 2010 und 2011 über einen Zeitraum von vierzehn Monaten vollbracht hat: Er hat in die Gehirne von etwas mehr als einhundert New Yorkern hineingehört.
Während Irving sich von seiner Studie einen unverfälschten Einblick in das verbale Leben des menschlichen Hirns – oder, genauer gesagt, eine Hörprobe davon – versprach, hatte er ursprünglich eine ganz andere Intention gehabt: Sein Interesse galt vielmehr der Frage, wie wir mit dem Bewusstsein eines nahenden Todes umgehen. Als Professor an der Universität von Manchester hatte er schon früher einen Feldversuch in Afrika unternommen, bei dem er die in Worte gefassten inneren Monologe von Menschen analysiert hatte, die mit HIV/AIDS diagnostiziert worden waren, und so war es denn auch kaum verwunderlich, dass die Gedanken der Probanden – ausgelöst durch die Diagnose – stark von Angst, Verunsicherung und Seelennot geprägt sein würden.
Dann wollte Irving seine Forschungsergebnisse mit einer weiteren Gruppe von Probanden vergleichen, die zwar gewiss auch ihre Bürde zu tragen hatten, deren Leben jedoch zumindest nicht unmittelbar bedroht war. Zu diesem Zweck sprach er in New York ganz unbedarft Leute auf der Straße, in Parks und in Cafés an (man kann ihn nur für seinen Mut bewundern), erzählte ihnen von seinem Projekt und fragte sie, ob sie bereit wären, ihre Gedanken auf Band zu sprechen, während er sie aus einiger Entfernung dabei filmte.
An manchen Tagen erklärte sich gleich eine Handvoll Passanten dazu bereit, an anderen Tagen wiederum nur ein einziger. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, gaben sich die meisten New Yorker zu beschäftigt oder waren zu misstrauisch, um sich auf die Sache einzulassen, doch schließlich hatte Irving seine einhundert »Ströme innerlich vorgetragener Sprache«, wie er sie nannte, beisammen – in Form von Sprachmitschnitten, deren Länge von fünfzehn Minuten bis zu eineinhalb Stunden reichte. Diese Protokolle sollte man natürlich nicht als Dauereintrittskarten zur verborgenen Seelenwelt der Testpersonen betrachten, denn für manche Teilnehmer dürfte das Bestreben, einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen, bei ihren Äußerungen durchaus eine Rolle gespielt haben. Und doch offenbaren diese Aufzeichnungen einen ungewöhnlich freimütigen Zugang zu den Selbstgesprächen, die diese Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags führen.
Natürlich nahmen in Irvings Studie eher alltägliche Sorgen und Ängste besonders breiten Raum ein. Viele Probanden gaben Kommentare zu dem ab, was sie auf der Straße wahrnahmen – andere Fußgänger, Autofahrer und den Straßenverkehr überhaupt –, oder zählten Dinge auf, die sie noch zu erledigen hatten. Doch neben diesen wenig bemerkenswerten Betrachtungen fanden sich auch Monologe, in denen es um alle nur denkbaren persönlichen Kränkungen, um Kummer und Not und um Existenzängste ging. In mehreren der gesprochenen Texte fiel auch ein abrupter Bruch auf, bei dem die Erzählung ganz und gar unvermittelt ins Negative schwenkte – als hätte sich mitten in dem sich wie das Band einer Straße abspulenden Gedankenfluss unversehens ein tiefes Schlagloch aufgetan. Als Beispiel soll uns hier eine Frau namens Meredith dienen, deren von Irving aufgezeichneter innerer Monolog schlagartig von der Schilderung ihrer Alltagssorgen zu einer Angelegenheit von Leben und Tod wechselte.
»Ich wüsste zu gerne, ob es hier in der Nähe irgendwo eine Staples-Filiale gibt«, hatte Meredith gerade eben noch gesagt, als sie es sich auf einmal wie bei einem jähen Spurwechsel anders überlegte und von einer Freundin zu erzählen begann, bei der jüngst eine Krebserkrankung festgestellt worden war: »Wissen Sie, zuerst dachte ich, sie wollte mir sagen, dass ihre Katze gestorben ist«; Meredith überquerte die Straße und fuhr dann fort: »Ich wollte mit ihr um ihre Katze weinen, aber dann musste ich mich rasch zusammennehmen, um stattdessen nicht ihretwegen in Tränen auszubrechen. Ich meine, New York ohne Joan wäre doch … Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen.« Ihr traten Tränen in die Augen. »Aber sie wird’s wohl gut überstehen … es gibt doch diesen schönen Satz von der zwanzigprozentigen Heilungschance, die man hat … aber wie eine Freundin von ihr sie dann gefragt hat, ob sie sich denn in ein Flugzeug setzen würde, bei dem nur eine zwanzigprozentige Chance besteht, dass es heil ankommt. Nein, würde man natürlich nicht. Aber es war doch schwer, zu ihr durchzudringen. Sie verbirgt sich hinter einer Mauer aus Worten.«
Meredith schien die schlechte Nachricht eher als Herausforderung anzunehmen als sich davon unterkriegen lassen zu wollen. Das Nachdenken über belastende Gefühle muss nicht unbedingt in eine Spirale von Grübeleien führen, und ihr Fall ist ein treffendes Beispiel dafür. Ihre Gedanken fingen nicht an, sich im Kreis zu drehen, denn nachdem sie ein paar Minuten später eine weitere Straße überquert hatte, fand der Strom ihrer Worte zurück zu dem Punkt, der sie gerade eben noch beschäftigt hatte: »Gibt’s da weiter runter nicht einen Staples? Ich glaube, ja.«
Während Meredith ihre Angst vor dem Verlust ihrer geliebten Freundin verarbeitete, fixierte sich ein Mann namens Tony auf eine gänzlich andere Art von Trauer: Ihn bekümmerte der Vertrauensverlust in einer freundschaftlichen Beziehung zu zwei ihm nahestehenden Menschen, unter Umständen sogar das endgültige Zerbrechen dieser Freundschaft. Während er mit seiner Umhängetasche über der Schulter einen von Menschen nur so wimmelnden Gehsteig entlangschritt, erging Tony sich in einer ziemlich ichbezogenen Tirade: »Einfach weggehen … Schluck’s einfach herunter. Zeit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Weg, einfach weg. Ich versteh’s ja, dass man nicht bei jedem Erstbesten damit hausieren geht. Aber ich bin nicht jeder Erstbeste. Also kriegt ihr beide jetzt ein gottverdammtes Kind. Ein einziger Anruf hätte genügt.« Das Gefühl des Ausgeschlossenseins, das er empfand, setzte ihm offenbar sehr zu. Er schien sich an einer Art Scheidepunkt zu sehen – zwischen einem Problem, das einer Lösung bedurfte, und der Alternative, sich seinem Schmerz zu überlassen, was nur zu nutzlosem Suhlen im eigenen Elend führen konnte.
»Klar, absolut klar. Das Leben geht weiter«, stellte Tony dann fest. Er nutzte dieses Selbstgespräch nicht nur, um seinen Gefühlen eine Stimme zu verleihen, sondern auch, um Möglichkeiten zu erkunden, wie am besten mit der Situation umzugehen wäre. »Die Sache ist die«, fuhr er fort, »es könnte heißen, dass ich überflüssig bin. Als sie mir sagten, dass sie zusammen ein Kind kriegen, fühlte ich mich ein bisschen außen vor. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Aber jetzt sehe ich vielleicht, wozu es gut ist. Ich war zuerst reichlich angepisst, aber, das muss ich zugeben, jetzt nicht mehr ganz so angepisst wie zuvor. Jetzt könnte es sein, dass das Ganze mir in die Karten spielt.« Er gab ein leises, verbittertes Lachen von sich, dann seufzte er. »Ja, das war auf jeden Fall ein Tritt in den Arsch … aber ich sehe das jetzt nicht mehr so negativ … obwohl ich anfangs echt angepisst gewesen bin. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir drei irgendwie zusammengehören … na gut, jetzt gehört ihr zwei eben zusammen. Und ich bin außen vor … Aber ich lasse den Kopf nicht hängen!«
Und dann war da noch Laura.
Laura saß in ruheloser Stimmung in einem Coffee Shop und wartete darauf, endlich etwas von ihrem Freund zu hören, der nach Boston gefahren war. Normalerweise hätte er nämlich längst schon wieder zurück sein sollen, um ihr beim Umzug in eine neue Wohnung zu helfen. So wartete sie nun schon seit fast zwei Tagen auf seinen Anruf. Zwischendurch hatte sie begonnen sich einzureden, dass ihr Freund in einen tödlichen Unfall verwickelt gewesen sein musste, also hatte sie am Abend zuvor vier Stunden lang vor ihrem Computer gesessen und fast im Minutentakt den Suchbegriff »Busunglück« eingegeben. Und doch musste sie vor sich selbst zugeben, dass bei ihren zwanghaft negativen Gedanken, ihren Freund betreffend, gar nicht unbedingt die Sorge, es könne ihm bei einem Busunglück etwas zugestoßen sein, im Vordergrund gestanden hatte: Sie und ihr Freund waren nämlich nicht fest liiert, sondern befanden sich in einer sogenannten...
Erscheint lt. Verlag | 8.2.2022 |
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Übersetzer | Leon Mengden |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Chatter - The Voice in Our Head. Why it matters and how to harness it |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 2022 • Auszeit • Besser leben • eBooks • Entspannung • Erfolg • Führung & Motivation • innerer Kritiker • Inneres Kind • Motivation • Motivationspsychologie • Neuerscheinung • Positives Denken • Selbstgespräch • Selbstoptimierung • Selbstwert • Stille |
ISBN-10 | 3-641-23100-0 / 3641231000 |
ISBN-13 | 978-3-641-23100-2 / 9783641231002 |
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