Frustkiller und Schweinehundbesieger (eBook)
231 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-621-28870-5 (ISBN)
Dr. Harlich H. Stavemann, Dipl.-Psych., Lehrtherapeut/Supervisor für Kognitive Verhaltenstherapie, Leiter des Instituts für Integrative Verhaltenstherapie (IVT) in Hamburg.
1 Geringe Frustrationstoleranz (GFT)
1.1 Was ist GFT und wodurch entsteht sie?
Definition
Unter geringer Frustrationstoleranz (GFT) versteht man die geringe Bereitschaft von Menschen, etwas zu ertragen, was sie für falsch oder unangenehm und lästig halten – unabhängig davon, ob es für die eigenen Ziele sinnvoll ist oder nicht.
1.1.1 Varianten der GFT-Konzepte
Wir haben eingangs zwei Arten von GFT-Betroffenen unterschieden: Forderer und Vermeider.
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Forderer wollen, dass die Welt, die Menschen, die Situationen und das Schicksal gefälligst so sind, wie sie es sich wünschen und sie finden es falsch, ungerecht und eine riesige Sauerei, wenn das einmal nicht so ist. Bei Forderern lassen sich drei unterschiedliche Konzepte finden:
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»Alles soll genau so sein, wie ich es möchte!«, d. h. im weitesten Sinne »Mein Wille geschehe!«. Diese Anspruchshaltung verdeutlicht die egozentrische Weltsicht der betreffenden Person.
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»Es muss richtig sein!«, d. h. jemand geht davon aus, dass es eine für Menschen erkennbare objektive Wahrheit und Richtigkeit gibt.
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»Es muss gerecht zugehen!« Hierbei wird unterstellt, dass es Gerechtigkeit gibt und dass sie umzusetzen ist.
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Vermeider gehen möglichst allem Unangenehmen und Lästigen gekonnt aus dem Weg. Das geht so weit, dass sie auch die Dinge immer weiter vor sich herschieben, die für die eigenen Ziele wichtig sind und zu erheblichen negativen Konsequenzen führen, wenn sie nicht erledigt werden. Dabei verfolgen sie typischerweise Anspruchshaltungen wie:
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»Das Leben muss einfach und leicht sein, sonst bin ich mal weg.« Dies ist wohl mit Abstand häufigste GFT-Konzept bei Vermeidern.
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»Eine gute Lösung muss Spaß machen. Sie muss die Vorteile aller Alternativen enthalten und darf keine Nachteile mit sich bringen.« und »Ich will keinen Verlust erleiden oder auf etwas verzichten müssen!« Für die Anhänger dieser Konzepte heißt das i. d. R.: Bevor so eine Lösung nicht gefunden ist, sollte man besser gar nichts tun und weiter abwarten, bis so eine Möglichkeit im Angebot ist.
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»Erst einmal ausruhen, dann geht alles von allein.« Diese Version von »Morgen ist auch noch ein Tag!« ist eine klassische Version von Wunschdenken, die geübte Vermeider auch dann noch anwenden, wenn sie selbst das Ergebnis für unwahrscheinlich halten.
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Alle Vermeiderkonzepte eint der Anspruch, dass die Betroffenen sich stets wohlfühlen möchten, ohne dass dieses Ziel etwas kosten darf: Keine Kompromisse, keinen lästigen Aufwand, keinen Verzicht auf irgendetwas.
Beispiele für die unterschiedlichen Erscheinungsformen der GFT und deren Konsequenzen betrachten wir in all ihren Facetten in Kapitel 2.
GFT als Ursache für psychische Erkrankungen
Psychische Erkrankungen sind z. B. Angst- und Zwangserkrankungen, Depressionen, Ärgerstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und -störungen und psychosomatische Reaktionen. Die Ursachen dafür lassen sich recht gut auf lediglich drei Problembereiche zurückführen:
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GFT
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Selbstwertprobleme
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Existenzielle Probleme
Dass GFT eine Ursache für psychische Belastungen und Erkrankungen darstellt, ist keine neue Erkenntnis, sondern wurde bereits von stoischen Philosophen vor 2000 Jahren beschrieben. Und wenn es um das Behandeln psychischer Probleme ging, die durch GFT verursacht wurden, hatte man auch schon damals dieselben Therapievorschläge parat wie moderne Psychotherapeuten heute: Akzeptanz von Realitäten und Einsatzbereitschaft beim Verfolgen der eigenen Ziele. Diese Punkte werden im Abschnitt 5.2 ausführlich beleuchtet. Dass sich in letzter Zeit wieder vermehrt psychotherapeutische Ansätze diesem Problem widmen, ist vermutlich dem zunehmenden Gewicht dieses Bereichs beim Erklären psychischer Erkrankungen zuzuschreiben. Denn in den letzten Jahrzehnten haben die berichteten psychischen Belastungen und Erkrankungen aufgrund von GFT (auf die wir näher in Kapitel 2 eingehen) stark zugenommen. Heute sind über 70 Prozent aller »erlernten« psychischen Erkrankungen darauf zurückzuführen.
Fazit
Über 70 Prozent der Klientinnen und Klienten in ambulanter Psychotherapie leiden ausschließlich oder auch an einem GFT-Problem.
Was GFT ist, wissen wir nun. Werfen wir der Vollständigkeit halber auch noch einen kurzen Blick auf die anderen beiden Problemfelder.
Selbstwertprobleme. Hier liegen die krankmachenden Ursachen in Regeln oder Eigenschaften, mit denen die Betroffenen über den Zugewinn oder Verlust eigener Wertigkeit entscheiden. Die psychischen Probleme entstehen dabei, wenn Selbstwertverlust droht oder bereits eingetreten ist, weil der dafür gewählte Maßstab (z. B. Leistung, Anerkennung, Beliebtheit, Besitz) nur unzureichend erfüllt werden könnte oder erfüllt wird. Der Anteil der Selbstwertprobleme liegt in der ambulanten psychotherapeutischen Praxis bei über 80 Prozent.
Existenzielle Probleme beinhalten Befürchtungen, die sich auf die eigene körperliche Existenz beziehen (nicht auf den materiellen oder sozialen Status), also die Angst vor dem Tod, z. B. die Befürchtung, gleich wegen eines Herzinfarkts sterben zu müssen oder an etwas Lebensgefährlichem erkrankt zu sein. Sie zeichnen sich meist durch Verallgemeinern oder Überzeichnen einer prinzipiell möglichen Lebensgefahr aus. Existenzielle Probleme sind für etwa 15 Prozent der erlernten psychischen Erkrankungen verantwortlich.
Die Summe der Prozentsätze ergibt über 100 %, da man auch an mehreren Problemen leiden kann.
1.1.2 Wodurch entsteht GFT?
Um etwas verändern zu können, ist es hilfreich zu verstehen, wie oder wodurch es entsteht. Blicken wir deswegen zunächst auf mögliche Ursachen für GFT-Probleme.
Grundsätzlich besitzen alle Menschen von Geburt an ein gewisses Maß an GFT. Die Trennlinie zwischen dem, was noch »normal« und dem, was bereits »schädlich« ist, lässt sich nicht für alle gleichermaßen festlegen. Wie bei anderen psychischen Problemen auch entscheidet hier die Höhe des persönlich empfundenen Leids, ob man es noch tolerieren will oder ob man etwas dagegen unternehmen möchte. Aber woher kriegt man GFT überhaupt? Nun, dafür gibt es vier Hauptursachen.
(1) Stammesgeschichtliche Vererbung
Einerseits haben wir es hierbei mit einem phylogenetischen, seit Jahrmillionen genetisch vererbten Programm zu tun, das uns veranlasst, mit unserer Energie sorgsam umzugehen. Wie die meisten Lebewesen besitzen auch Menschen die Tendenz zur »Faulheit« in dem Sinne, dass sie nur das tun, was unbedingt nötig ist. Sie scheint angeboren zu sein. Nur dass wir manchmal diese Tendenz derart...
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-621-28870-8 / 3621288708 |
ISBN-13 | 978-3-621-28870-5 / 9783621288705 |
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