Kinder im Verlustschmerz begleiten (Leben Lernen, Bd. 326) (eBook)
182 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11667-0 (ISBN)
Roland Kachler, Diplom-Psychologe, ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut und evangelischer Theologe; der erfolgreiche Buchautor arbeitet in eigener Praxis in Remseck bei Stuttgart; seine Schwerpunkte: Traumatherapie, Paartherapie, Trauerbegleitung. >> Psychotherapeutische Praxis Roland Kachler
Roland Kachler, Diplom-Psychologe, ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut und evangelischer Theologe; der erfolgreiche Buchautor arbeitet in eigener Praxis in Remseck bei Stuttgart; seine Schwerpunkte: Traumatherapie, Paartherapie, Trauerbegleitung. >> Psychotherapeutische Praxis Roland Kachler
Kapitel 1
»Plötzlich bist du weg und nicht mehr da!«
Schwere und traumatisierende Verluste bei Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche erleben viel mehr Verlustsituationen als gemeinhin angenommen (Röseberg & Müller, 2014). Besonders der Verlust von nahestehenden Menschen – das Thema dieses Buches – hat weitreichende, prägende Auswirkungen auf ihre Entwicklung, auch wenn diese von der Umwelt oft nicht wahrgenommen, selten wirklich gewürdigt und verstanden werden (Franz, 2008).
1. Dynamik verschiedener Verluste – differenzieren und verstehen
Die zwölfjährige Lea und die achtjährige Lili besuchen ihre Mutter wieder im Krankenhaus. Sie ist schon länger an Krebs erkrankt und nun seit einigen Tagen im Krankenhaus, weil es ihr plötzlich schlechter ging. Noch hoffen und glauben sie und ihr Mann, dass es eine Chance auf Heilung gibt. Doch Lea und Lili sehen, dass ihre Mutter Tränen in den Augen hat. Die beiden spüren, dass bei diesem Besuch etwas ganz anders ist als sonst. Als sie am anderen Morgen in die Küche kommen, sitzen dort ihr Onkel und ihre Tante am Küchentisch. Ihr Vater eröffnet ihnen, dass ihre Mutter in der Nacht verstorben ist. Lea schreit und wirft sich schluchzend auf ihr Bett, Lili rennt in den Garten zu ihren beiden Kaninchen.
Je nahestehender und wichtiger im Bindungserleben eines Kindes und Jugendlichen, desto massiver wirkt sich ein Verlust eines nahestehenden Menschen aus:
Verlust eines Elternteils
Dieser Verlust wiegt neben dem Tod eines Geschwisters wohl am stärksten und wirkt meist auch traumatisierend, fällt doch mit dem Tod eines Elternteils eine der wichtigsten und nahesten Bezugspersonen weg (Senf, 2014; Luecken, 2008).
▶ Beachte1
Der Tod eines oder beider Elternteile hinterlässt bei Kindern und Jugendlichen ein Verlusttrauma mit entsprechenden Traumareaktionen. Der Tod eines Elternteils hinterlässt im Leben und gefühlt auch in der Psyche und im Körper eine große Leerstelle. Gefühle des Verlustschmerzes, des Fehlens und Vermissens gehen dann in intensive Trauer, oft auch in Verzweiflung über. Gleichzeitig ist der Tod eines Elternteils eine existentielle Bedrohung für Kinder und Jugendliche, die nur durch die Präsenz des anderen Elternteils teilweise kompensiert werden kann. Sollten beide Eltern zum Beispiel bei einem Unfall sterben, wird das Beschriebene verschärft.
▶ Beachte
Zur Mutter besteht über die Schwangerschaft und den Oxytocin-Ausstoß beim Stillen, den Geruch der Mutter und viele körpernahe Beziehungserfahrungen eine einzigartige Bindung. Deshalb kann die Mutter durch keine andere Beziehungsperson ersetzt werden. So wirkt dieser Verlust in aller Regel besonders traumatisierend! Je jünger die Kinder beim Tod der Mutter sind, umso näher ist die Bindung und umso mehr fehlt ihnen die Mutter, auch wenn es noch keine inneren Objektbilder von der Mutter gibt. Ähnliches gilt – freilich in abgeschwächter Form – für den Verlust des Vaters.
War der verstorbene Elternteil vor seinem Tod zum Beispiel an einem Krebs lange erkrankt, hat auch dies schwere belastende Auswirkungen. Hier hat das Kind oder der Jugendliche oft intensiv mit dem erkrankten Elternteil empathisch mitgelitten und eine emotionale Verantwortung für ihn übernommen. Die damals schon erlebte Verlustangst hat sich durch den Tod des Elternteils bewahrheitet und diese bestätigt. Bei einem plötzlichen, unerwarteten Tod sind der Schock, die Dissoziation, die Verstörung und das nicht Begreifen-Können bei dem trauernden Kind oder Jugendlichen besonders ausgeprägt und bewirken ebenfalls ein Verlusttrauma.
Verlust eines Geschwisterteils
Die Geschwisterbeziehung ist eine der frühesten, massiv prägenden Beziehungen eines Kindes, die auf lange Zeit und Zukunft bis ins hohe Alter angelegt ist.
▶ Beachte
Auch der Tod eines Geschwisterteils wirkt traumatisierend und stellt ein Verlusttrauma dar!
Die Geschwister haben einen gemeinsamen Ursprung und eine ähnliche Gen-Ausstattung. Sie teilen eine gemeinsame Umwelt, die gemeinsame Familie und deren Rituale und Geheimnisse. Mit dem Verlust eines Geschwisters fehlen nun auf Dauer ein an der Seite mitgehender Begleiter und ein freundschaftliches Gegenüber (Beerwerth, 2014). Schwester und Bruder sind als individuelle Personen, aber auch in ihrer familiären Position und lebensbegleitenden Funktion unersetzlich. Bei dem Tod eines älteren Geschwisters fehlt beispielsweise der Beschützer oder die Beschützerin.
▶ Beachte
Ein Geschwister kann von niemandem kompensiert oder gar ersetzt werden. Die bisherige Beziehung zum verstorbenen Geschwister ist so einmalig und besonders, dass dieses immer fehlen und vom zurückbleibenden Geschwister vermisst wird. Dies müssen wir anerkennen und damit das verstorbene Geschwister und seine Bedeutung selbst würdigen.
Auch hier ist eine dem Tod vorangehende lange Krankheitszeit des verstorbenen Kindes unbedingt zu berücksichtigen. War die Geschwisterbeziehung sehr konfliktträchtig, gibt es beim überlebenden Geschwister immer auch Schuldgefühle, insbesondere die Überlebensschuld, aber manchmal auch das hoch tabuisierte Gefühl der Erleichterung über seinen Tod. Beide Gefühlsbereiche müssen neben dem Schmerz und der Trauer angesprochen und bearbeitet werden.
Verlust eines Großelternteils
Mit dem Tod eines Großelternteils verliert zunächst ein Elternteil einen eigenen Elternteil. Diese Trauer und die mit dem Tod verbundenen Pflichten und Belastungen etwa seitens der Mutter führen häufig dazu, dass diese für die Trauer der Enkel emotional nicht präsent ist. Für die Enkel ist der Tod, je nach Bedeutung und Wichtigkeit des Großelternteils, zum Beispiel einer liebevollen gelassenen Großmutter, mehr oder weniger massiv (Schroeter-Rupieper, 2014). Ist diese Großmutter eine über alles geliebte Bezugsperson, die andere familiäre oder elterliche Defizite ausgleicht, ist deren Verlust für eine Enkelin oder einen Enkel oft sehr schwerwiegend und massiv. Stirbt ein Großelternteil sehr früh, fehlen den Enkeln eine lange Strecke der besonderen großelterlichen Zuwendung. Häufig wird der Verlust eines Großelternteils vom Umfeld unterschätzt.
Verlust von Freunden und Schulkameraden
Freunde und Schulkameraden nehmen etwa ab dem vierten Lebensjahr häufig die Rolle von Zweit-Geschwistern ein und besitzen so über eine bestimmte Phase eine hohe, emotional prägende Bedeutung für Kinder und Jugendliche. Der Verlust kann deshalb durchaus sehr intensiv sein, auch wenn dieser meist durch die Unterstützung der Eltern ohne professionelle Trauerbegleitung bewältigt werden kann.
Tod anderer Bezugspersonen wie Erzieherin oder Lehrerin
Erzieherinnen, Lehrerinnen, Trainer oder andere Bezugspersonen stellen für Kinder und Jugendliche häufig idealisierte Elternfiguren dar, sodass deren Verlust für sie durchaus schmerzlich sein kann. Sie verlieren mit ihnen nicht nur wichtige Bezugspersonen, sondern auch Projektionsgestalten für ihre Wünsche und Ideale. Hier ist eine erste Krisenintervention, dann eine gute Begleitung und Aufarbeitung innerhalb der Institution entscheidend (Witt-Loers, 2015, 2016).
Verlust weiterer wichtiger Verwandter und von Freunden oder Bekannten der Familie
Diese Verluste können in aller Regel von den Eltern und im Familiensystem begleitet und von Kindern und Jugendlichen gut bewältigt werden. Manchmal aktualisiert ein solcher Verlust beim Kind den Verlust eines Eltern-, Geschwister- oder Großelternteils.
Verlust von Tieren
Tiere werden von Kindern und Jugendlichen als personales Gegenüber verstanden und sind deshalb häufig als Verlust einer »Person« zu verstehen. Je wichtiger ein...
Erscheint lt. Verlag | 21.8.2021 |
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Reihe/Serie | Hilfe aus eigener Kraft |
Leben lernen | |
Leben Lernen | Leben Lernen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Beziehung • Bezugspersonen • Bindungstheorie • Hypnosystemischer Ansatz • Jugendliche • Kinder • Praxisbuch • Tod • Trauerbegleitung • Traumatherapie • Traumatische Erfahrung • Verlust der Eltern • Verlust der Großeltern • Verlust eines Geschwister |
ISBN-10 | 3-608-11667-2 / 3608116672 |
ISBN-13 | 978-3-608-11667-0 / 9783608116670 |
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