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Verfluchte Götter (eBook)

Die Geschichte der Blasphemie
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
528 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491097-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verfluchte Götter -  Gerd Schwerhoff
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In seiner großen Geschichte der Gotteslästerung von der Antike bis heute zeigt der Historiker Gerd Schwerhoff, wie sehr Blasphemie die Menschen seit jeher bewegt. Die weltweite Empörung über die Mohammed-Karikaturen und der Terroranschlag auf »Charlie Hebdo« 2015 haben deutlich gemacht: Gotteslästerung ist kein Relikt der Inquisition, sie ist heute aktueller als vor hundert Jahren. Wer herabsetzt, was für andere heilig ist, muss mit heftigen Reaktionen rechnen. Und wer sich gegen blasphemische »Hassreden« wehrt, kann viele Anhänger mobilisieren. Gerd Schwerhoff erklärt, warum Menschen seit mehr als 2000 Jahren Gott, Propheten oder Heilige beleidigen. Und warum diese Worte und Taten die Gemüter so sehr erregen. Wir begegnen fluchenden, lästernden Bauern oder Reformatoren, die Marienfiguren und andere Heilige beleidigen und dafür mit dem Tod bestraft werden. Und wir lesen, wie der Aufklärer Voltaire gegen die Bestrafung der Gotteslästerung argumentiert, aber auch, warum eine junge Frau der Gruppe Femen vom Kölner Domkapitel wegen Verletzung religiöser Gefühle angezeigt wurde. Fast immer werden die »da oben« werden von denen »unten« geschmäht. Es geht um Ohnmacht und Wut, gegen die Herrschenden, gegen einen scheinbar gleichgültigen Gott oder gegen andere Religionen. Und so sieht man auch die jüngsten Blasphemie-Fälle mit anderen Augen: Die Grenze zwischen Spott und Beleidigung ist fließend, die Schmähung ist immer Teil eines größeren Konflikts - und sie kann in extreme Gewalt münden. Ein großer, souverän erzählter Bogen von der Antike (mit Judentum und frühem Christentum), über Mittelalter und frühe Neuzeit (mit Inquisition, Ketzerei und Reformation) bis zur Aufklärung und den aktuellen Konfrontationen im Spannungsfeld zwischen Christentum, Laizismus und Islam.

Gerd Schwerhoff, geboren 1957, ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden. Seine Bücher handeln von den Randfiguren der frühneuzeitlichen Gesellschaft - Kriminellen, Hexen oder Ketzern. Mit der Blasphemie beschäftigt er sich u. a. im Rahmen des Sonderforschungsbereichs »Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung«, dessen Sprecher er ist.

Gerd Schwerhoff, geboren 1957, ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden. Seine Bücher handeln von den Randfiguren der frühneuzeitlichen Gesellschaft - Kriminellen, Hexen oder Ketzern. Mit der Blasphemie beschäftigt er sich u. a. im Rahmen des Sonderforschungsbereichs »Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung«, dessen Sprecher er ist

Nicht zuletzt dank zahlreicher illustrer Beispiele ist es überaus erhellend, bei der Lektüre [...] die Grenzverläufe zwischen Heiligem und Profanem durch die Jahrhunderte hindurch abzuschreiten.

ein kaum zu unterschätzender Beitrag für die gegenwärtige Diskussion

Schwerhoffs Buch ist materialreich, wohltuend differenziert im Urteil.

Gerd Schwerhoff erzählt detailreich die Geschichte der Gottesschmähungen und des Umgangs mit ihnen.

Viel Material hat Schwerhoff zusammengetragen, [...] weiß genau zu differenzieren und lange Entwicklungslinien zu zeichnen. Selbst da, wo es heftig wird, bleibt sein Ton angenehm sachlich.

ein ungemein anregendes Buch, wie es nicht alle Tage geschrieben wird.

Gerd Schwerhoff ist ein großes, unbedingt lesenswertes Buch gelungen.

eine farbig erzählte Kulturgeschichte

Einleitung


Rückblickend betrachtet markiert der 14. Februar 1989 eine wichtige Zäsur der jüngeren Geschichte. An diesem Tag veröffentlichte Ayatollah Khomeini, das geistliche Oberhaupt des Iran, sein Todesurteil über Salman Rushdie und alle seine Unterstützer. Niemand solle künftig mehr die heiligen Güter der Muslime so verächtlich machen, wie es der Verfasser des Romans »Die satanischen Verse« getan habe.[1] Die Nachricht fand weltweit Aufmerksamkeit, sie begeisterte die Anhänger des Ajatollah und empörte seine Gegner. Trotzdem hätte damals kaum jemand das Verdikt des Greises mit dem langen Bart als epochemachend betrachtet, eher als eine skurrile Arabeske der Weltgeschichte. Schon bald richteten sich alle Augen auf den atemberaubenden politischen Wandel in Osteuropa. In Polen und Ungarn war er am Jahresanfang bereits deutlich erkennbar, und am 9. November sollte er mit der Öffnung der Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland seinen dramatischen Höhepunkt erreichen. Bereits im Sommer dieses Epochenjahres rief der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama »Das Ende der Geschichte« aus und verkündete den dauerhaften Sieg der liberalen Demokratie und Wirtschaftsordnung.[2] Kurzfristig konnte er sich mit seiner Prophetie angesichts des dramatischen Endes der Ost-West-Konfrontation bestätigt fühlen. Schon bald allerdings sollte sie sich als kapitale Fehldiagnose entpuppen.

Fukuyamas ehemaliger Lehrer Samuel P. Huntington stellte ihr deshalb wenige Jahre später seine ebenso plakative These über den »Kampf der Kulturen« entgegen: Für ihn waren widerstreitende kulturelle und religiöse Identitäten der Motor dieses clash of civilizations, nicht der alte ideologische Gegensatz zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Vor allem der Gegensatz zwischen ›der‹ westlichen Welt und ›dem‹ Islam rückte ins Zentrum der Debatte. Zum schrecklichen Sinnbild des globalen Kulturkonflikts wurden am 11. September 2001 die einstürzenden Türme des New Yorker World Trade Centers. An seinem Beginn aber hatte die Blasphemie-Anklage gegen Rushdie gestanden, als Menetekel eines neuen, ganz und gar nicht glorreichen Zeitalters. Das Motiv der Gotteslästerung blieb auch in den nächsten Jahrzehnten ein zentraler Kristallisationspunkt des vermeintlichen Kulturkonflikts zwischen Okzident und Orient. Die Konfrontation wurde sogar zunehmend dramatischer, von den Mohammed-Karikaturen im Jahr 2005 bis zum grausamen Fanal des Attentats, das zwei Islamisten am 7. Januar 2015 auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo verübten.

Blasphemie – ein Thema von ›vorgestern‹ ist uns schnell wieder sehr gegenwärtig geworden, ja es lässt sich sogar als eine typische Signatur der Gegenwart lesen. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurde es vornehmlich in gelehrten Studierstuben verhandelt. In öffentlichen Debatten schien es allenfalls im Zuge von Rückzugsgefechten einiger unverbesserlicher Traditionalisten aufzutauchen. Gesetzliche Regelungen zum Schutz der Religion, wie in Deutschland in Gestalt des Paragraphen 166 StGB, führten ein wenig beachtetes Schattendasein. Im Zuge der Rushdie-Affäre belebte sich die Diskussion innerhalb des westlichen, christlich geprägten Kulturkreises wieder. Vielen Beobachtern erschien dabei die Gotteslästerung als eine Art Wiedergänger aus vormodernen Epochen, ein Zombie, dem mit einigen kräftigen Hieben des aufklärerischen Flammenschwertes endgültig der Garaus gemacht werden müsse. In den aufkeimenden Debatten wurde die Möglichkeit blasphemischen Sprechens und Handelns meist als eine genuin moderne Erscheinung betrachtet, als eine Frucht von Säkularisierung und Liberalismus. »Als das Christentum noch groß und stark war«, so formulierte es der Religionsphilosoph Christoph Türcke, »bedeutete Verhöhnung der Religion so viel wie Widersetzlichkeit gegen die höchste Wahrheit – und schien deshalb so ungeheuer verwerflich, weil vollkommen unvernünftig und selbstzerstörerisch.« Das habe sich mit der Aufklärung geändert: Zwar seien Aufklärung und Blasphemie nicht identisch, aber »Aufklärung sieht Blasphemie manchmal zum Verwechseln ähnlich. Spott dringt, wenn er ins Schwarze trifft, tiefer als jede andere Form von Kritik.« Oder anders: »Aufklärung, die etwas taugt, tut weh; sie kommt bisweilen nicht umhin, religiöse Gefühle zu beleidigen.«[3] Aber, so räumte der Philosoph ein, für Muslime sei der blasphemische Spott womöglich ein westlicher Zwangsimport, der in ihrem Erfahrungshorizont nur schwer von Imperialismus und Kolonialismus zu unterscheiden sei.[4]

Türckes Text zur ›Blasphemie‹ erschien wenige Jahre nach der Rushdie-Affäre. Er war Auftakt einer Serie von Essays zur ›Religionswende‹, die ihrerseits wiederum als Indikator verstanden werden kann für eine neue Bedeutung des Religiösen im öffentlichen Diskurs. Seither wurde die Diagnose, dass rund um den Globus eine Renaissance der Religionen stattgefunden habe, wissenschaftliches und publizistisches Allgemeingut. Sie verdichtete sich in der schon sprichwörtlichen »Wiederkehr der Götter« (F.W. Graf). Dass die Gotteslästerung als Thema in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zurückkehrte, ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Beide Diskussionsstränge, eine erhöhte Sensibilität für Religiöses und eine Debatte um kulturelle Identitäten, verstärkten sich gegenseitig. Christliche Stimmen, die Schutz vor Blasphemie anmahnten, artikulierten sich wieder vernehmlicher.

Die Blasphemie, so wird direkt deutlich, ist mehr als eine Randerscheinung. Wer über Gotteslästerung debattiert, verhandelt zugleich zentrale Probleme der Gegenwart: Fragen der religiösen und kulturellen Identität ebenso wie der Meinungsfreiheit und Toleranz. Die Geschichte ist bei all diesen Debatten – mal offen, mal hintergründig – präsent, oft als dunkles Gegenbild, vor dem sich die helle Gegenwart umso besser in Szene setzen lässt. Schon das ist Grund genug, diese Geschichte genauer zu betrachten. Der Blick zurück hält Einsichten bereit, die mit gängigen Bildern nur schwer in Einklang zu bringen sind. Mit ihrer Hilfe wird auch die Gegenwart besser verständlich.

Blasphemie-Geschichte(n)

Nun gibt es bereits etliche historische Darstellungen über Gotteslästerung, und ihre Zahl hat angesichts der Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit noch einmal deutlich zugenommen.[5] Ohne diese Vorarbeiten wäre das vorliegende Buch nicht möglich gewesen. Aber wirklich zu befriedigen vermag kaum eine von ihnen. Viele behandeln trotz eines allgemeinen Titels nur einen kleineren Ausschnitt. Hinzu kommen Probleme, das Thema terminologisch und sachlich in den Griff zu bekommen. Vielfach geht es eher um eine Geschichte der Ketzerei oder der politischen Repression, der Meinungsfreiheit und der Toleranz. In diesen Fällen verbinden Autorinnen und Autoren mit ihren Büchern ein aufklärerisches Anliegen, etwa die Verteidigung der liberalen Gesellschaft gegen Unterdrückung und Intoleranz. Daran ist solange nichts auszusetzen, wie nicht moderne Kategorien und Werte in Epochen zurücktransportiert werden, die diese noch gar nicht kannten. Wenn das geschieht, wird das Verständnis für die Vergangenheit eher behindert. Was in früheren Epochen als Gotteslästerung bezeichnet wurde, ist für uns Heutige oft ein fremdes Phänomen. Erst wenn wir uns bemühen, es in seiner Andersartigkeit zu verstehen, werden wir den historischen Wandel hin zur Gegenwart begreifen; das schließt im Übrigen weder Parallelen zwischen damals und heute aus noch Lehren, die man für den interkulturellen Dialog aus der Geschichte ziehen kann. Aus diesen Gründen folge ich hier eher dem Leitbild einer kühlen, jedenfalls distanzierenden Analyse des ›heißen‹ Themas Blasphemie. Werturteile lassen sich aus geschichtlichen Darstellungen ohnehin kaum direkt ›ableiten‹, sie bleiben der persönlichen Beurteilung überlassen. Persönlich würde ich im Zweifelsfall, so viel Bekenntnis zu Beginn darf sein, der Äußerungsfreiheit stets den Vorrang gegenüber dem Schutz individueller oder kollektiver Empfindlichkeiten einräumen. Strafgesetze sind ein untaugliches Mittel, um religiöse Gefühle zu behüten.[6] Gerade deswegen habe ich mich bemüht, den Motiven derjenigen Menschen nachzuspüren, die dazu eine andere Haltung hatten und haben.

Eine distanzierende Annäherung an das Thema Blasphemie verspricht für neugierige Leser Erkenntnisgewinn jenseits eingefahrener Wahrnehmungen, daneben durchaus auch Unterhaltung. Denn es gibt nicht nur tragische Schicksale zu studieren, wie den Fall des jung hingerichteten Chevalier de la Barre 1766 oder des durch seinen Prozess gebrochenen Schriftstellers Oskar Panizza Ende des 19. Jahrhunderts. Gestaunt werden darf über die rüden Lästerungen eines James Taylor 1675 oder über die französische Dichtung jenes Jahrhunderts, in der Religion und Sexualität bisweilen eine blasphemisch anmutende Mischung eingehen. Mindestens ebenso aufschlussreich erscheinen die Reaktionen des sozialen Umfelds und der Obrigkeit auf lästerliche Sprechakte. Schließlich geben auch die kontroversen Debatten über den Charakter und die Strafbarkeit von Blasphemie tiefe Einblicke in das Denken der jeweiligen Epoche.

Rückt man lästerliche Praktiken und ihre zeitgenössische Beurteilung ins Zentrum der Betrachtung und nicht, wie gewohnt,...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2021
Zusatzinfo 13 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Antike • Aufklärung • Beleidigung • Charlie Hebdo • Christentum • Deutschland • Fatwa • Frankreich • Frühe Neuzeit • Fundamentalismus • George Grosz • Großbritannien • Hassrede • hate speach • Inquisition • Islam • Judentum • Ketzerei • Lästern • Mittelalter • Mohammed-Karikaturen • Reformation • Salman Rushdie • Schmähung • Schweiz • Strafrecht • Toleranz
ISBN-10 3-10-491097-9 / 3104910979
ISBN-13 978-3-10-491097-0 / 9783104910970
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