Wirtschaftsgeschichte (eBook)
264 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44234-1 (ISBN)
Jan-Otmar Hesse ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth.
Jan-Otmar Hesse ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth. Sebastian Teupe ist Juniorprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth.
Wirtschaftliches Wachstum und die Entstehung des Kapitalismus
1798 veröffentlichte der englische Theologe Thomas Malthus ein denkwürdiges Buch, in dem er behauptete, dass ein zu rasches Bevölkerungswachstum notwendigerweise zu Hungerkrisen führen würde, weil sich die Bevölkerung schneller vermehre, als man die Nahrungsmittelproduktion ausdehnen könne. Wenn man künftig Hungerkrisen verhindern wolle - so Malthus -, wäre die Begrenzung des Bevölkerungswachstums die einzige Möglichkeit hierzu (Malthus 1798/1977: 21-27). Später hat man diesen Zusammenhang als »Malthusianische Falle« bezeichnet, der einige Länder mit Geburtenbeschränkungen zu entkommen versuchten (Wrigley 2004: 229-248; Ehmer 2004; vgl. hierzu auch Quelle Nr. 1 unter www.historische-einfuehrungen.de).
Zu Unrecht: Denn als Malthus die nach ihm benannte vermeintliche »Falle« beschrieb, war England im Begriff, diesen Zustand zu überwinden. Womit Malthus nämlich nicht gerechnet hatte, war die Fähigkeit der Menschheit, mit immer weniger Einsatz an Arbeitskraft und landwirtschaftlicher Nutzfläche eine immer größere Menge an Lebensmitteln zu erzeugen. Ökonomen sprechen von der »Steigerung der Produktivität«. Obwohl sich die Bevölkerung in England zwischen 1700 und 1850 nahezu verdreifachte, starben immer weniger Menschen an Hunger, weil die Lebensmittelproduktion sogar noch schneller gesteigert werden konnte als das Bevölkerungswachstum. England konnte es sich anfangs sogar leisten, einen Teil des erzeugten Getreides ins Ausland zu verkaufen - was nicht heißt, dass alle Menschen in England auch genug zu essen hatten (Allen 2004). Verbesserte Düngung, neue Anbautechniken, Züchtung von ertragreicheren und widerstandsfähigeren Pflanzen- und Tierarten und schließlich der Einsatz von Maschinen erhöhten die Produktivität der Nahrungsmittelproduktion. Weniger Menschen starben daher an den Folgen von Unterernährung. Als Malthus sein Buch schrieb, lebten auf der Erde kaum eine Milliarde Menschen (Maddison 2006: 30) - heute sind es sieben Milliarden. Viele von ihnen leben in bitterer Armut, und täglich sterben Menschen an den Folgen der Unterernährung. Aber ohne eine erhebliche Ausdehnung der Lebensmittelproduktion wäre dieses Bevölkerungswachstum gar nicht erst möglich gewesen. Dabei ist nicht nur die Produktion von Lebensmitteln in den letzten 200 Jahren erheblich gesteigert worden, sondern auch beispielsweise die von Maschinen, mit denen Lebensmittel geerntet werden, ebenso wie die allerlei anderer nützlicher und weniger nützlicher Güter. Schätzungen gehen davon aus, dass im Vergleich zu den vor 200 Jahren lebenden Menschen jeder Einzelne heute die zwölffache Menge an Gütern zur Verfügung hat (Clark 2007: 2). Um diese steigende Gütermenge zu produzieren, war nicht nur die Vergrößerung der Zahl der Arbeitskräfte notwendig. Es waren mehr und größere Maschinen und Produktionsanlagen vonnöten, und der Einsatz von Maschinen und Arbeitskräften musste besser organisiert werden. Die »langfristige Vermehrung der realen produktiven Leistungen und Leistungskapazitäten einer Volkswirtschaft« wird üblicherweise als »Wirtschaftswachstum« bezeichnet (Holtfrerich 1988: 413). Für viele Wirtschaftshistoriker war die Erklärung wirtschaftlichen Wachstums in der Vergangenheit der zentrale Gegenstand des Faches. Heute wird die fachliche Konzentration auf wirtschaftliche Wachstumsprozesse überwiegend kritisch gesehen. Für das Verständnis der modernen Wirtschaft ist »Wirtschaftswachstum « aber schon allein deswegen wichtig, weil es bis heute das Handeln eines Großteils der ökonomischen und politischen Akteure (und sicher auch vieler Konsumenten) bestimmt. Wenn diese Einführung in ihrem ersten inhaltlichen Kapitel daher mit dem Thema »Wirtschaftswachstum« beginnt, so trägt das genau diesen Umständen Rechnung und ist nicht etwa als ein wirtschaftspolitisches Plädoyer misszuverstehen. Ganz unabhängig davon, ob man wirtschaftliches Wachstum für wünschenswert oder erstrebenswert hält, ergeben sich aus seiner Beobachtung zentrale wirtschaftshistorische Forschungsfragen: Wie lässt sich beispielsweise erklären, dass die Wirtschaft nicht gleichmäßig wächst, sondern Phasen unterschiedlicher Wachstumsgeschwindigkeiten aufweist? Wie können wir Wachstum überhaupt messen? Das bloße Zusammenzählen der produzierten Hühner, Autoreifen, Haarschnitte und Furzkissen ist jedenfalls als Messmethode zu umständlich. Wir benötigen offenbar einen einheitlichen Maßstab, um das Wachstum zu illustrieren, welcher im ersten Abschnitt eingeführt wird. Im zweiten Abschnitt wird erläutert, dass Wirtschaftswachstum nie gleichmäßig und stetig verlief. Im dritten Abschnitt wird die Kritik am häufig verwendeten Wachstumsmaß aus wirtschaftshistorischer Sicht dargelegt, bevor im vierten Abschnitt schließlich unterschiedliche Erklärungsansätze referiert werden, wodurch die erstaunliche Beschleunigung des Wirtschaftswachstums in den letzten 200 Jahren ausgelöst worden sein könnte.
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2019 |
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Reihe/Serie | Historische Einführungen | Historische Einführungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Allgemeines / Lexika |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Wirtschaftsgeschichte | |
Schlagworte | 19.Jahrhundert • 20.Jahrhundert • Deutschland • Einführung • Europa • Geld • Geschichte • Großbritannien • Handel • Kapitalismus • Konsum • Studium • Unternehmen • USA • Volkswirtschaft • VWL • Weltwirtschaft • Wirtschaft • Wirtschaftsgeschichte • Wirtschaftstheorie |
ISBN-10 | 3-593-44234-5 / 3593442345 |
ISBN-13 | 978-3-593-44234-1 / 9783593442341 |
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Größe: 3,4 MB
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