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West-Berlin (eBook)

Biografie einer Halbstadt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
272 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-427-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

West-Berlin - Elke Kimmel
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Spione und Musiker, Hausbesetzer und Bürgerliche, Politiker und Gastarbeiter - die Mischung machte West-Berlin aus. Was war das Besondere an der Stadt? Warum ist sie für viele immer noch ein Sehnsuchtsort? Elke Kimmel beschreibt, wie verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten West-Berlin erlebten, wie sie sich zurechtfanden oder scheiterten und einander begegneten. So entsteht eine faszinierende Alltags- und Kulturgeschichte der verschwundenen Halbstadt: von der Luftbrücke über den Mauerbau und die Flächensanierung bis hin zur Grenzöffnung im November 1989.

Jahrgang 1966, studierte Neuere Geschichte und Filmwissenschaften in Berlin und beendete 1999 ihre Promotion. Seit Juni 2018 ist sie Leiterin des Barnim Panoramas Wandlitz. Zuvor arbeitete sie ab 2001 als freie Kuratorin und Autorin u.a. für die Stiftung Berliner Mauer, das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, für die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, das Deutsche Historische Museum, das Stadtmuseum Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: Stasi in Niedersachsen. Band 3. Findbuch der Enquetekommission, Göttingen 2017, Charlottenburg im Wandel der Geschichte. Vom Dorf zum eleganten Westen (mit Ronald Oesterreich), Berlin 2005.

Jahrgang 1966, studierte Neuere Geschichte und Filmwissenschaften in Berlin und beendete 1999 ihre Promotion. Seit Juni 2018 ist sie Leiterin des Barnim Panoramas Wandlitz. Zuvor arbeitete sie ab 2001 als freie Kuratorin und Autorin u.a. für die Stiftung Berliner Mauer, das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, für die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, das Deutsche Historische Museum, das Stadtmuseum Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: Stasi in Niedersachsen. Band 3. Findbuch der Enquetekommission, Göttingen 2017; Charlottenburg im Wandel der Geschichte. Vom Dorf zum eleganten Westen (mit Ronald Oesterreich), Berlin 2005.

»Von Lenin soll der Ausspruch stammen: Wer Berlin hat, hat Deutschland, und Deutschland ist der Schlüssel für Europa. Die im Juni 1948 beginnende Blockade Berlins durch die Sowjetunion ist die erste Schlacht des Kalten Krieges – und endete mit einer Niederlage Stalins (…).«1

Egon Bahr, SPD-Politiker, 2015

»Die Blockade, das war eigentlich nur, daß der Russe die Grenzen abgesperrt hat, daß man nicht mit Sachen in die Westsektoren reinkommt. (…) Die Kontrollen waren stichprobenartig.«2

Harry Lange, West-Berliner, um 1987

Fehlstart ins Wirtschaftswunder


1946 bis 1961


Die »erste Schlacht des Kalten Krieges« war zugleich die erste Warnung, dass aus dem vorübergehenden Sonderstatus Berlins eine Dauereinrichtung werden könnte. Anders als die österreichische Hauptstadt Wien, die nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls in verschiedene Sektoren aufgeteilt wurde, blieb Berlin bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 eine geteilte Stadt.

Berlin wurde Ende der 1940er-Jahre zu der Stadt, in der Ost und West am heftigsten aufeinanderprallten, zu der Stadt, in der sich der beginnende Kalte Krieg mitunter sehr heiß anfühlte. Die Konflikte, die zwischen den vier Siegermächten bei der gemeinsamen Verwaltung der Stadt aufbrachen, waren schon vor der Blockade spürbar, aber im Alltag waren die meisten Menschen mit anderen Problemen beschäftigt, die sich nicht immer unmittelbar auf Uneinigkeiten zwischen den Alliierten zurückführen ließen. Viele von ihnen wohnten unter teils erbärmlichen Bedingungen in Kellern, Bunkern und halb zerbombten Häusern, und es fehlte ihnen nicht nur an Essbarem: Auch gute (warme) Kleidung war Mangelware, von Heizmaterial ganz zu schweigen.

Hinzu kam die Ungewissheit darüber, ob geliebte Menschen noch lebten. Zudem trafen in Berlin viele heimatlos gewordene Vertriebene und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten ein, Menschen, die mangels anderer Perspektive vorübergehend oder dauerhaft hier blieben. Auch zwei Jahre nach dem Krieg war hier alles knapp. Im extrem kalten und langen Winter 1946/47 erfroren zahlreiche Menschen in ihren »Wohnungen« – und viele Hunderte verloren die Hoffnung, dass sich ihre Lebensumstände irgendwann zum Besseren wenden würden. Die politische Lage machte sich für sie vor allem durch zusätzliche Hürden im Alltag bemerkbar, und sie belastete die Menschen durch die heraufziehende Kriegsgefahr.

Notunterkunft in einem ehemaligen Varieté: Besonders Alte und Kranke waren im Winter 1946/47 gefährdet und wurden vorsorglich in provisorischen »Heimen« untergebracht.

Schon Anfang 1948 hatten die Sowjets immer mal wieder die Muskeln spielen lassen, sie hatten die Zufahrtswege für die Alliierten versperrt oder den Strom abgestellt: untrügliche Zeichen dafür, dass sie den anderen Mächten den Aufenthalt in Berlin verleiden wollten. Letztlich war es die amerikanische Regierung, die klar signalisierte, dass sie die Westsektoren keineswegs räumen würde. Berlin schien im Kontext der Eindämmungspolitik des amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman zu bedeutend, um aufgegeben zu werden. Die Westsektoren Berlin waren überdies eng verwoben mit dem Umland. Eine Abriegelung der Westsektoren Berlins vom Umland erschien den meisten Menschen schon deshalb katastrophal, weil die Versorgung über Lebensmittelmarken und Bezugsscheine allein niemanden satt machte – wer irgend konnte, versuchte seine letzte Habe bei brandenburgischen Bauern gegen Kartoffeln, Milch und Eier zu tauschen. Mittelbar lebten auch die, die nicht hinauskonnten, von diesen »Reisen«, denn viele Waren wechselten auf dem Schwarzmarkt den Besitzer. Auch Razzien und Kontrollen an den Bahnhöfen und den Umschlagplätzen unterdrückten den illegalen Handel nicht – weder in den Westsektoren noch im Ostsektor. Auf den Fotos von Schwarzmärkten und von mit »Hamsterern« überfüllten Zügen sind West- und Ost-Berliner nicht zu unterscheiden. Und auch in der Zeit der Blockade, also in den Tagen, in denen sich langsam ein spezifisches West-Berliner Bewusstsein herausbildete, das aus der Insellage resultierte, konnten (und mussten) die Menschen zum Hamstern ins Umland.

Nach dem erneut harten Winter 1947/48 gab es indes nicht nur bedrohliche Zeichen für die Zukunft: Die amerikanische Regierung kündigte einen europäischen Hilfsplan an, der Besserung versprach, und eine Währungsreform sollte die Wirtschaft ankurbeln. Was für die Westzonen vergleichsweise unproblematisch war – dort wurden ab dem 20. Juni 1948 an jeden Haushaltsvorstand 40 D-Mark ausgegeben –, sorgte in Berlin für neue Unsicherheit, weil unklar war, wo genau die neue Währung gelten sollte. Tatsächlich kam als Erstes am 23. Juni nicht die »Deutsche Mark« nach Berlin, sondern die von den Sowjets eingeführte »Klebe-« oder »Tapetenmark«. Nur einen Tag später wurde in den Westsektoren die West-Währungsreform durchgeführt, sodass dort nun zwei Währungen parallel galten. Auch in den Westsektoren gab es vorübergehend eine wundersame Vermehrung von Waren. Eine Wilmersdorferin erinnert sich: »Kaum durften wir in den Schaufenstern herrliche Würste und Käse bewundern, da waren sie auch schon wieder weg.«3 Ursache war die am selben Tag einsetzende Blockade durch die sowjetischen Streitkräfte. Niemand glaubte, dass es technische Probleme waren, die eine Reparatur sämtlicher Brücken auf den Transitstrecken durch die Sowjetzone erforderten, als die Zufahrtswege am 24. Juni 1948 gesperrt wurden. Es handelte sich um eine Machtdemonstration und die Durchführung der westlichen Währungsreform auch in den Westsektoren ein geeigneter Anlass für diese. Die sowjetische Besatzungsmacht wollte zeigen, dass sie die Kontrolle darüber besaß, wer und was nach Berlin gelangte.

Überleben


Was die Blockade bedeutete, beschrieb der Spiegel im Juli 1948: die Rückkehr zum Leben »wie in alten Zeiten, etwa wie 45«. Kerzenlicht (wenn überhaupt) statt Strom aus der Steckdose, tagsüber überfüllte U- und Straßenbahnen (von 18 bis 6 Uhr fuhren die öffentlichen Verkehrsmittel nicht) und viel zu wenig zu essen. Den Berlinern fehlte allerdings meist der Vergleich mit »normalen« Zuständen. Egon Bahr, den der Tagesspiegel 1948 nach Hamburg schickte, fiel erst angesichts der »hell erleuchteten Stadt« auf, wie dunkel West-Berlin war.4 Am besten ging es denen, die noch etwas zum Tauschen hatten: Sie konnten versuchen, im besser versorgten Ostteil oder im Umland »schwarz« Essbares zu ergattern. Mit etwas Glück wurden sie auf dem Rückweg nicht von den Volkspolizeistreifen erwischt, die diese Art des Einkaufs zu unterbinden suchten. Die westlichen Stellen akzeptierten das Hamstern ebenso wie sie nichts gegen Ost-Berliner unternahmen, die Lebensmittel über die Sektorengrenzen schmuggelten.5

Erst ab Dezember 1948 waren die Ost-West-Kontrollen annähernd so dicht, wie östliche und westliche Propaganda unisono behaupteten, dass kaum noch Waren durchkamen.6 Zwar gelangten mit der von den Alliierten, insbesondere den Amerikanern, organisierten Luftbrücke tonnenweise Lebensmittel, Kleidung und Maschinen, vor allem aber Öl und Kohle in die »belagerte« Stadt, aber auch die »Rosinenbomber« konnten den Grundbedarf nur teilweise decken.

Ganz anders verhielt es sich mit dem an sich legalen Bezug von Lebensmitteln im sowjetischen Sektor, der ab Ende Juli 1948 möglich war: Der sowjetische Stadtkommandant ermunterte die West-Berliner ausdrücklich dazu. Aber es machten nur relativ wenige Menschen von dem Angebot Gebrauch – nicht mehr als fünf Prozent der West-Berliner Bevölkerung –, obwohl dies doch ein leichter Weg gewesen zu sein scheint, zu auskömmlicheren Lebensmittelrationen zu gelangen.7 Die ostdeutschen Behörden hatten die Berliner Rationen sogar eigens zulasten derer in der sowjetischen Zone aufgestockt. Wo die individuelle Moral der »Insulaner« (so nannten sich manche in Anspielung auf das RIAS-Rundfunkkabarett) nicht reichte, wurde sie durch Aufrufe gestärkt oder in ungezählten Versammlungen unterstützt, die die Versorgung im sowjetischen Sektor als Verrat am freien Westen brandmarkten. Zusätzlich wurde derart illoyales Verhalten dadurch erschwert, dass die Ost- wie Westbehörden die jeweiligen Kartenempfänger registrierten und später gar eidesstaatliche Erklärungen verlangten, dass die Betreffenden nicht auch im Osten Rationen empfingen. Schlimmer noch: Der Druck, die »Rückkehrer« in das West-Berliner Kartensystem grundsätzlich abzuweisen, wuchs – wer sich wie »Herr Schimpf« und »Frau Schande« einmal für die »Kommunisten« entschieden hatte, sollte bestraft und ausgegrenzt werden. Auch bei der »Währungsergänzungsverordnung« vom 21. März 1949 wurden die angeblichen »Verräter« benachteiligt. Nicht einmal vor den Opfern der NS-Diktatur machten die Antikommunisten in den Ämtern Halt – ihre Bezüge wurden gekürzt beziehungsweise ihre Möglichkeiten zum Währungstausch Ost in West beschnitten.8 Dass vielen Menschen gar nichts anderes übrigblieb, als einen Weg zu suchen, der, wenn auch nicht legal oder moralisch einwandfrei, einigermaßen satt machte und warm hielt, steht auf einem anderen Blatt. »Das waren keine Helden, die wollten überleben, nichts weiter, haben mit allen Mitteln gearbeitet, geschoben, jeder auf seine...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2018
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Zusatzinfo 56 s/w-Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Geisteswissenschaften Geschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Schlagworte Berlin • Berlin (West) • Eberhard Diepgen • Erich Honecker • Europa-Center • Hauptstadt • Hausbesetzer • John F. Kennedy • Luftbrücke • Mauerbau • Ostberlin • Schaufenster des Westens • Teilung • Vier-Sektoren-Stadt • Walter Momper • Walter Ulbricht • Westberlin • Willy Brandt
ISBN-10 3-86284-427-7 / 3862844277
ISBN-13 978-3-86284-427-2 / 9783862844272
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