Ein Erinnerungs- und Lernort entsteht
Campus (Verlag)
978-3-593-50972-3 (ISBN)
2017 wurde die Stadt Wolfsburg einmal mehr mit ihrer NSVergangenheit konfrontiert, als bei Vorarbeiten zu einem Bauprojekt unerwartet die Fundamente der ehemaligen Gefangenenbaracke 4 des KZ-Außenlagers Laagberg sichtbar wurden. Das Außenlager war Ende Mai 1944 von 756 aus dem KZ Neuengamme abkommandierten Häftlingen außerhalb des werdenden Zentrums der "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben " errichtet worden. Die Häftlingsbaracken dienten nach Kriegsende als Unterkunft für "Displaced Persons", später für "Heimatvertriebene". Anfang der 1960er-Jahre erfolgte der Abriss der Steinbaracken. Wie in jener Zeit üblich, wurde deren Bedeutung für eine mögliche Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Geschichte weder reflektiert noch weiter verfolgt. Über den Umgang mit den Relikten der NS-Gewaltherrschaft entbrannte 2017 eine lokale wie überregionale politische Debatte. Dieser Band dokumentiert den Findungs- und Entscheidungsprozess ebenso wie die Konzeptionierung des anvisierten Gedenk- und Lernorts KZ-Außenlager Laagberg.
Alexander Kraus, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) der Stadt Wolfsburg. Aleksandar Nedelkovski leitet dort die Geschichtswerkstatt. Anita Placenti-Grau ist die Leiterin des IZS.
Inhalt
Von den Fundamentresten zu ihrer Geschichte 7
Alexander Kraus
Umgang mit baulichen Relikten in der Gedenkstättenarbeit:
Die Entwicklung in Niedersachsen 23
Jens-Christian Wagner
Historische Authentizität als problematische Kategorie von
NS-Gedenkstätten 39
Achim Saupe
Keine unmittelbare Begegnung, kein authentischer Ort:
Zum Potenzial von Gedenkstättenpädagogik 55
Verena Haug
"Wir sollten auch die Lücken in der Überlieferung aufzeigen."
Steffi de Jong im Interview mit Alexander Kraus zum Umgang mit Zeitzeugnissen in Holocaustausstellungen 69
"Brutalität war an der Tagesordnung." Das KZ-Außenlager Laagberg
in der "Stadt des KdF-Wagens" 1944/45 95
Marcel Glaser
Die archäologischen Untersuchungen am KZ-Außenlager Laagberg
in Wolfsburg 117
Daniel Pollok/Michaela Pollok
Ein Barackenrest als Zeuge der Geschichte: Eine Intervention 141
Andrea Hauser
Authentizität, Aura und Antaios:
Das ehemalige KZ-Außenlager Laagberg als Erfahrungsort 157
Christian Mehr
Barackenfundamentreste, die keiner braucht:
Ein Projekt der Geschichtswerkstatt zur Konzeption des
Gedenk- und Lernorts KZ-Außenlager Laagberg 173
Aleksandar Nedelkovski
Lokale Potenziale des zu schaffenden außerschulischen Lernorts
am Wolfsburger Laagberg 189
Philipp Schwerdtfeger
Gedenkort und Dokumentationszentrum
denk.mal Hannoverscher Bahnhof in Hamburg:
Entstehungsgeschichte und Vermittlungskonzept 195
Oliver von Wrochem
Entstehung und Aufbau der Gedenkstätte Lager Sandbostel:
Ansätze und Konzepte 215
Andreas Ehresmann
Autorinnen und Autoren 229
Von den Fundamentresten zu ihrer Geschichte Alexander Kraus "Wer eine Erfahrung machen will, muss akzeptieren, dass er nicht weiß, was geschehen wird." Lukas Bärfuss Nur einen Tag, nachdem der Rat der Stadt Wolfsburg in der Sondersitzung vom 21. August 2017 beschlossen hatte, am Laagberg "innerhalb der ehemaligen Lagergrenzen […] eine Gedenkstätte und einen Bildungsort" zu verwirklichen und in "Beteiligung der Opferverbände und der politischen Gremien" eine Konzeption zu erarbeiten, titelte die taz über die Entscheidung: "Für das Vergessen in Wolfsburg". Ausgangspunkt der journalistischen Kritik war der Ratsbeschluss, auf dem bereits mehrfach überformten ehemaligen KZ-Gelände ein Einkaufszentrum und Wohnhäuser zu errichten und dafür "[g]ut erhaltene Reste von Fundamenten ehemaliger KZ-Baracken" zu translozieren und sie auf dem historischen Areal als zentrales Exponat eines neu zu konzipierenden Gedenk- und Bildungsortes zu platzieren. Mit dem Ratsbeschluss, insbesondere aber mit dem diesem vorausgehenden monatelangen intensiven Findungs- und Abwägungsprozess, der in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten vollzogen wurde, haben sich die Stadt Wolfsburg und alle beteiligten Akteure in eine aktuelle Diskussion zum Umgang mit aus erinnerungsgeschichtlicher Perspektive als problematisch erachteten Orten eingeschrieben. Diese Diskussion wird deutschlandweit geführt - und dies gerade mit Blick auf die lange in Vergessenheit geratenen KZ-Außenlager, deren Entstehen der Auschwitz-Überlebende Primo Levi wie folgt umschrieben hat: "Jedes der ursprünglichen Lager bekommt Ableger: Es werden neue Außenlager geschaffen, große und kleine, von denen viele ihrerseits wieder Satelliten bekommen, bis ein monströses Netz Deutschland wie die nach und nach besetzten und unterworfenen Länder überzieht." So sind es eben just diese Orte, die trotz langjähriger Aufarbeitung zunehmend ins Blickfeld des öffentlichen Gedenkens rücken. Die Stadt Schwerte etwa machte im Jahr 2015 mit ihrem Plan Schlagzeilen, aus pragmatischen Gründen Asylsuchende in einer Baracke auf dem Gelände eines ehemaligen Außenlagers des Konzentrationslagers Buchenwald in Schwerte-Ost unterzubringen. Trotz der öffentlichen Kritik und des Vorwurfs des Zynismus und der Geschichtsvergessenheit wurde der Plan in die Tat umgesetzt. Doch greift der Vorwurf der Geschichtsvergessenheit, wenn man sich vor Augen führt, dass die Stadt Schwerte bereits 1990 die Gedenkstätte "KZ Buchenwald - Außenlager Schwerte Ost" realisiert hatte? Anfang Juni 2018 wurde wiederum in München das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie für den Erinnerungsort Ehemaliges KZ-Außenlager Allach präsentiert, die durch die KZ-Gedenkstätte Dachau und die Landeshauptstadt München in Auftrag gegeben wurde. Dieses Gutachten ging auf ein langjähriges bürgerschaftliches Engagement zurück, wollte sich die Initiative doch nicht mit den bestehenden zwei Gedenktafeln zufrieden geben. Explizit formuliertes Ziel der "geplanten Maßnahmen" ist "ein würdiges Gedenken und die Erinnerung an das ehemalige Außenlager im öffentlichen Bewusstsein nachfolgender Generationen [zu] verankern". Auch in Frankfurt am Main ist hinsichtlich des ehemaligen KZ-Außenlagers Adlerwerke in den letzten Jahren Bewegung in eine über einen langen Zeitraum hinweg auf der Stelle tretende Diskussion um ein angemessenes Erinnern inmitten des Stadtzentrums gekommen. Am historischen Ort ist zwar seit 1994 eine Bronzeplatte angebracht, die an das Arbeitslager erinnert, doch setzen sich inzwischen auch hier verschiedene Akteursgruppen, darunter die Initiative gegen das Vergessen, für eine Gedenkstätte ein. Seit 2014 läuft nun das durch das Kulturamt der Stadt Frankfurt geförderte Projekt "Mitten unter uns", indem "vier Frankfurter Künstlerinnen und Künstler, die sich bereits mit Themen der Erinnerungskultur beschäftigt haben, beauftragt [wurden], entsprechende Konzepte [für einen Gedenkort] zu entwickeln". In Düsseldorf dagegen erarbeiteten Schüler und Schülerinnen von insgesamt acht Schulen im Projekt "Erinnerungszeichen für KZ-Außenlager in Düsseldorf" zu fünf ehemaligen Außenlagern im Stadtgebiet einheitlich gestaltete Erinnerungszeichen. Sie waren damit maßgeblich daran beteiligt, die Ergebnisse einer 2016 publizierten wissenschaftlichen Studie im Stadtbild sichtbar zu machen. Wie in den hier kursorisch vorgestellten Beispielen sah sich auch die Stadt Wolfsburg bezüglich ihres Umgangs mit dem ehemaligen KZ-Außenlager Laagberg dem Vorwurf der Geschichtsvergessenheit ausgesetzt: Selbst die Beiträge der drei für die Ratssondersitzung geladenen Sachverständigen - der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Detlef Garbe, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner und der Referatsleiter des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege in Braunschweig, Michael Geschwinde - hätten "nicht alle Bedenken zu diesem Kompromiss ausräumen [können]", hieß es in der taz. "Allem voran, wie es zu diesem geschichtsvergessenen Umgang mit dem Ort kommen konnte." Und so deutet dieser letzte Satz auch auf den tieferen Stachel der Kritik hin, nämlich, dass diesem Vergessen eine langjährige Praxis der Verdrängung der NS-Vergangenheit in Wolfsburg vorausgegangen war, rückte das einstige KZ-Außenlager doch erst mehr als vierzig Jahre nach Kriegsende wieder ins Bewusstsein der Stadt: Mit der am 8. Mai 1987 eingeweihten Stele Mahnmal für das Außenlager des KZ Neuengamme am Laagberg an der Breslauer Straße in Wolfsburg war erstmals ein Erinnerungsort entstanden, initiiert unter großem Engagement der Amicale Internationale KZ Neuengamme (AIN) und des ehemaligen französischen KZ-Häftlings Maurice Gleize, politisch unterstützt durch die Fraktion der Grünen und schließlich enthüllt worden im Rahmen einer Feierstunde unter Anwesenheit weiterer ehemaliger KZ-Häftlinge. Seit dreißig Jahren dient die Stele als Erinnerungs- und Gedenkort an die Verbrechen und Opfer des Nationalsozialismus. Der Vorwurf des Vergessens könnte - gerade was die Leiden der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anbelangt - größer und schärfer nicht sein, insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, was die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann über das "Vergessen" geschrieben hat: Es geschehe "lautlos, unspektakulär und allüberall". Auf den Umgang mit der NS-Geschichte ließe sich diese Aussage noch dahingehend zuspitzen, dass das Vergessen, wie Assmann ebenfalls schreibt, zwar durchaus der "Normalfall" sei, in Fragen der Schuld und Moral jedoch häufig nicht nur zufällig, sondern eben auch zielgerichtet erfolge. Gerade für die frühe Bundesrepublik ist auffällig, "wie wenig die ehemaligen Konzentrationslager […] als Schauplätze der NS-Verbrechen und damit als Erinnerungsorte wahrgenommen wurden", wie die Germanistin Andrea Höft schreibt. Dieses gilt insbesondere für die zahlreichen KZ-Außenlager, für die der Historiker Marc Buggeln am Beispiel des KZ Neuengamme herausgearbeitet hat, dass bis in die 1970er Jahre hinein "an keinem einzigen Standort eines Außenlagers" in Hamburg, Bremen und Hannover "eine Hinweistafel zu finden" war, mittels derer inmitten der Städte an das begangene Unrecht erinnert worden wäre. Gleiches gilt auch für Wolfsburg, in dem bis weit in die 1980er Jahre hinein das städtische Gedenken an das NS-Unrecht vor Ort gelinde gesagt nur wenig ausgeprägt war. So habe in den 1950er wie 1960er Jahren dem Historiker Günter Riederer zufolge eine Art "stillschweigende Übereinkunft" vorgeherrscht, "sich über die nationalsozialistischen Wurzeln von Stadt und Werk nicht weiter auszutauschen". Ein sprechendes Beispiel dafür ist damit auch die Anfang der 1960er Jahre im Zuge des Teilbebauungsplans Laagberg Nord erfolgte großflächige Überformung des einstigen Außenlagerareals, während der alle baulichen Zeugnisse des ursprünglichen Lagergeländes, das in der Nachkriegszeit zahlreiche Nachnutzungen erfahren hatte, abgetragen wurden. Wie in jener Zeit üblich, wurde die frühere Existenz des KZ-Außenlagers und dessen Bedeutung für eine mögliche Auseinandersetzung mit der eigenen, städtischen NS-Geschichte weder reflektiert noch weiterverfolgt. Dass die Barackenfundamentreste somit auch Zeichen der Nachnutzungen als Lager für Displaced Persons, Unterkünfte für "Vertriebene" aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und ›normaler‹ Wohnraum in sich tragen, geht durch die Dokumentation der archäologischen Untersuchungen am Laagberg und die Analyse der Befunde durch Daniel Pollok und Michaela Pollok hervor, die in diesem Sammelband präsentiert werden. Über den Umgang mit den Relikten aus der NS-Vergangenheit durch die Stadt Wolfsburg Der Ratsbeschluss stand am Ende eines intensiven demokratischen Findungsprozesses in Wolfsburg, in den über die politischen Gremien und die Stadtverwaltung hinaus zahlreiche engagierte Bürgerinnen und Bürger wie Vereine und Opfer- und Interessensverbände involviert waren. Er sieht vor, einen Teil der Barackenfundamente vor Ort zu erhalten und "im Rahmen der Baumaßnahme sichtbar" zu machen und zu kennzeichnen, den anderen Teil jedoch fachgerecht abzubauen, zwischenzulagern und schließlich als Exponat des neu zu schaffenden Gedenk- und Lernorts zu präsentieren. Der Ratssondersitzung ging in dieser Auseinandersetzung eine Vielzahl an Beratungen voraus, beginnend im Ortsrat Mitte-West über den Kulturausschuss, bis hinein in den Verwaltungsausschuss und den Rat der Stadt Wolfsburg. Während dieses Prozesses erreichte den Oberbürgermeister Klaus Mohrs wie auch die Ratsmitglieder eine beachtliche Anzahl an Stellungnahmen relevanter Initiativen, die sich überwiegend entschieden gegen die seitens der Stadt Wolfsburg angestrebte Translozierung der Barackenfundamentreste und deren Umwandlung in ein Ausstellungsexponat aussprachen. Diese Eingaben flossen in den Entscheidungsprozess mit ein. So griff beispielsweise Oberbürgermeister Mohrs in seiner einführenden Rede den unter anderem von der Fédération Internationale des Résistants (FIR) - Association Antifasciste formulierten Wunsch auf, den Konzeptionsprozess nicht allein durch Verwaltungsmitarbeiter und externe Historikerinnen verantworten zu lassen, sondern auch "[d]ie politischen Nachfolger der Verfolgten des Naziregimes und andere Vertreter der Zivilgesellschaft […] gleichberechtigt in diesen Prozess der Aufarbeitung" einzubinden. Es sei für die Stadt Wolfsburg "selbstverständlich", dass bei der anstehenden Planung des Gedenk- und Lernortes "auch diese kritischen Stimmen und insbesondere die Opferverbände" beteiligt würden. Mit Ausnahme der AfD-Fraktion, die sich dafür aussprach, vor Ort in Wolfsburg "zu klären, wie […] erinnert werden soll", fand diese Position bei der SPD, CDU, PUG, FDP und der Wählergemeinschaft WIND wie auch der Fraktion Linke und Piraten, die sich später enthalten sollten, einhellige Zustimmung. Dass der Kompromissvorschlag der Stadt nicht nur von den Verantwortlichen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, sondern schließlich auch durch die Amicale Internationale KZ Neuengamme mitgetragen wurde, hatte für den Entscheidungsprozess im Kulturausschuss wie auch im Rat der Stadt Wolfsburg eine zentrale Bedeutung. Begegnete die Häftlingsvereinigung den Überlegungen bezüglich der vorgeschlagenen Translozierung anfänglich auch mit Skepsis, so anerkannte sie in einem Schreiben vom 16. Juni 2017 dann doch das zukunftweisende Potenzial des städtischen Kompromissvorschlags. Zugleich sprach sich die Vereinigung ehemaliger Häftlinge entschieden für die Einrichtung eines "Erinnerungs- und Bildungsort[es]" aus, "der mit einer Dauerausstellung, Seminarräumen und Bildungsangeboten einen dauerhaften Platz in der Öffentlichkeit einnimmt und insbesondere Schülergruppen die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt ermöglicht". Damit verschob die AIN die Diskussion, weg von der Debatte um den ›richtigen‹ Umgang mit den Barackenfundamentresten hin zur Frage nach deren Potenzial als Exponat eines außerschulischen Lernortes. Denn es steht außer Frage, dass die Fundamentreste - unabhängig davon, ob als Bodendenkmal oder Exponat - keineswegs für sich allein sprechen, sondern einer Kontextualisierung bedürfen. Letztlich spiele es "auch nur eine geringe Rolle", argumentierte denn auch Ratsherr Olaf Niehues von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in seiner Rede in der Ratssondersitzung, "ob man [die] Fundamente sieht oder über Opferzahlen spricht". Es gehe darum, den "Opfern ihren Namen und ihr Gesicht zurück[zu]-geben - denn genau dieses Menschsein wollten ihnen die Täter von [e]inst nehmen". Ähnlich entschlossen argumentierte auch die Ratsfrau Sandra Straube von der Parteipolitisch Unabhängigen Gemeinschaft Wolfsburg e.V. [PUG], die darauf hinwies, dass die eigentliche Arbeit letzten Endes jetzt erst anfange, "[n]ämlich mit der konkreten Festlegung der Erinnerungs- und Gedenkstellen und deren inhaltliche[r] Auseinandersetzung mit dem Geschehen". Ein erstes Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist der vorliegende Sammelband, an dessen Realisierung im Bürgerbeteiligungsprozess Schülerinnen und Schüler, Auszubildende der Stadt Wolfsburg wie der Volkswagen AG, engagierte Bürgerinnen und Bürger, Vertreterinnen und Vertreter der Opfer- und Interessensverbände sowie der politischen Gremien und der Verwaltung beteiligt waren. Die Beiträge machen deutlich, dass nicht nur die Auseinandersetzung mit dem "authentischen" Ort sowie den historischen Ereignissen und die mit der NS-Vergangenheit verbundenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse von Bedeutung sind, sondern auch die Erfahrung, an der erinnerungskulturellen Arbeit selbst beteiligt zu sein - wie es die Schülerinnen und Schüler wie auch die Auszubildenden in der Projektarbeit erlebten. Dokumentation und Transparenz Der vorliegende Band dokumentiert den durch das Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) der Stadt Wolfsburg organisierten Bürger- und Bürgerinnenbeteiligungsprozess, der anhand von fünf Etappen - einer Ideenwerkstatt und vier Themenworkshops - dabei helfen sollte, die Grundlage für die Konzeption des anvisierten Gedenk- und Lernorts auszuarbeiten. Noch im Sommer 2018 wird das Konzept von der Projektgruppe, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen, der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, des Internationalen Auschwitz Komitees, der Amicale Internationale KZ Neuengamme, des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege, der Gedenkstätte Lager Sandbostel, der Global Heritage Communications der Volkswagen Aktiengesellschaft sowie des Instituts für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation, der Unteren Denkmalschutzbehörde und des Geschäftsbereichs Kultur der Stadt Wolfsburg, erarbeitet, ehe dann auch in den politischen Gremien darüber beraten wird; anschließend ist vorgesehen, "auf der Basis der Konzeption […] die Auslobung eines Wettbewerbs für Landschaftsarchitekten, Architekten und Ausstellunggestalter vorzubereiten", wie es in der Beschlussvorlage der Ratssondersitzung heißt. Mit der Publikation der Beiträge verfolgt das IZS zunächst das Ziel, den städtischen Findungsprozess transparent zu machen. Er soll den hochsensiblen Diskurs, in dem zahlreiche unterschiedliche lokale wie überregionale Akteure involviert waren und sind, nachvollziehbar machen. In einem nächsten Schritt soll der Band als eine Art Baukasten für die Konzeption des Gedenk- und Lernorts dienen, sowohl was die in den Beiträgen aufgezeigten Problemfelder und Herausforderungen anbelangt, als auch die aufgezeigten Lösungsansätze und Handlungsoptionen. Wie von der Amicale Internationale KZ Neuengamme erhofft, wurden die Planungen für den zu schaffenden außerschulischen Lernort programmatisch anhand von fünf Arbeitsetappen "in Absprache mit Partnern aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zügig vorangetrieben". Der 1. Themenworkshop am 20. Oktober 2017 diente vor allem dem Anliegen, den "Blick zu öffnen" und sich einen Überblick über jüngste Entwicklungen in der niedersächsischen Gedenkstättenlandschaft zu verschaffen. Daneben wurde grundsätzlich diskutiert, welchen didaktischen Nutzen die Barackenfundamentreste als anvisiertes zentrales Exponat des Gedenk- und Lernorts haben könnten und was sie über die NS-Gewaltherrschaft aussagen. Und wie könnte der zu beschreitende Weg von einem konzeptuellen Gedankenspiel zum betretbaren Gedenk- und Lernort konkret aussehen? Fragen wie diese finden in den neu verfassten oder aber umgearbeiteten Beiträgen des Bandes wie folgt Niederschlag: Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, stellt zunächst jene Felder vor, die das "Unbehagen an der Erinnerungskultur" thematisieren, ehe er nach den konkreten Zielen der Gedenkstättenarbeit fragt und Methoden aufführt, anhand derer diese Ziele verwirklicht werden können. Die Kulturwissenschaftlerin und Sachkulturforscherin Andrea Hauser nimmt sich in ihrem Beitrag dezidiert dem Exponat der Barackenfundamentreste an. Wie wertvoll der Blick von außen sein kann, geht beispielsweise aus ihrer Analyse der filmischen Dokumentation der archäologischen Ausgrabung am Laagberg hervor, die mithilfe einer Drohne durch die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt Wolfsburg entstanden ist; Hauser vermag hier aufzuzeigen, wie sehr diese allein auf die Zeitschicht der Funde aus der NS-Zeit fokussiert und die nachfolgenden Zeitschichten ausblendet. Andreas Ehresmann, der Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel, rekonstruiert die Entstehungsgeschichte dieser Gedenkstätte und gewährt damit aufschlussreiche Einblicke in die unterschiedlichen Sanierungsansätze und konzepte und die daran gekoppelte Sichtbarmachung verschiedener Zeit- und Nutzungsschichten der Baracken. Das im Falle von Sandbostel verfolgte Konzept nimmt bewusst in Kauf, der Erwartungshaltung der Gedenkstättenbesucherinnen und besucher nicht unmittelbar zu entsprechen. Da der Begriff des "Authentischen" bereits im April 2017 und damit zu Beginn der Diskussionen über den weiteren Umgang mit den Barackenüberresten auf dem Laagberg zu einer Art ›Kampfbegriff‹ avancierte, richteten sich die Diskussionen während des 2. Themenworkshops "Gedenkstättenpädagogik, Vermittlungskonzepte und die Frage der Authentizität ehemaliger KZ-Standorte" (10. November 2017) sodann auf diesen umstrittenen Terminus aus. Wie schon während des Workshops führt Achim Saupe, Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds "Historische Authentizität" am Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam), in seinem Beitrag zunächst in die Materie ein und fragt nach Erwartungen der Besucherinnen und Besucher in NS-Erinnerungsstätten, nach möglichen Effekten wie auch hervorgerufenen Enttäuschungen. Aus der Analyse des Diskurses rund um Zuschreibungen, Erwartungen und Wahrnehmungen von Authentizität zeigt Saupe Wege auf, wie der Authentizitätsbegriff zu einem analytischen Werkzeug werden kann, mittels dessen unser öffentlicher Umgang mit der Geschichte kritisch in Frage gestellt werden kann. Verena Haug wiederum, Projektleiterin in der Geschäftsstelle Evangelische Akademien in Deutschland e. V. (Berlin) und langjährige Pädagogische Mitarbeiterin an der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße, richtet den Fokus ihres Beitrags auf die Potenziale der Gedenkstättenpädagogik im Spannungsfeld der auf den ersten Blick oftmals ›enttäuschenden‹ "authentische[n] Orte". So könnte eine im Angesicht der realen Gedenkstätte, die häufig nicht mit der Erwartung des Besuchers oder der Besucherin korrespondiere, hervorgerufene "Irritation oder Enttäuschung über den gegenwärtigen Zustand […] ebenso gut zum Anlass genommen werden, über die veränderliche Bedeutung der Orte zu sprechen". Mit der Kölner Historikerin Steffi de Jong rückt sodann mit dem Zeitzeugen eine zentrale Vermittlungsinstanz in Holocaustausstellungen und NS-Gedenkstätten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie hinterfragt in unserem Interview etablierte, aber eben auch nicht unproblematische Präsentationsformen dieses inzwischen zentralen Quellenmaterials. Mit dem denk.mal Hannoverscher Bahnhof in Hamburg gibt Oliver von Wrochem, Leiter des Studienzentrums der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ein eindrückliches Beispiel der langwierigen Genese eines Gedenkorts und exemplifiziert hierbei die vielfältigen Kontroversen und unterschiedlichen Akteure, die den Entstehungsprozess begleitet und vorangetrieben haben. Von Wrochem vermittelt zudem Einblicke in die gestalterische Konzeption und die kommenden Ausstellungsinhalte des geplanten Dokumentationszentrums. Es war ein wichtiges Anliegen unserer Initiative, auch die in zwei Schulprojekten mit dem Albert-Schweitzer-Gymnasium und der Eichendorffschule Gymnasium Wolfsburg erarbeiteten Konzeptionen sowie die von zwei Projektgruppen der Auszubildenden der Stadt Wolfsburg und der Volkswagen AG erarbeiteten Ergebnisse, die in Kooperation mit der Geschichtswerkstatt des IZS entstanden sind, in diese Publikation miteinfließen zu lassen. Schließlich gilt es einen Ort zu konzipieren, der - mit den Worten des Oberbürgermeisters Klaus Mohrs - "zur Schärfung eines kritischen Geschichtsbewusstsein[s] beitragen und auf dem aktuellen Stand der Forschung sein" sollte, "damit die Geschichte auch von jungen Menschen mit Interesse aufgenommen wird". Letztlich zeigt sich in dem durch Aleksandar Nedelkovski dokumentierten und analysierten Reflexionsprozess der beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihre Konzeptionen im Rahmen der am 8. Dezember 2017 veranstalteten Ideenwerkstatt "Raum der Möglichkeiten für Wolfsburg" präsentierten, wie nah sie beispielsweise den Überlegungen Verena Haugs waren. Stand für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Nacherlebbarkeit und Authentizität zunächst fast leitmotivisch für ihre Konzeptionen der zukünftigen Gedenkstätte, so verschob sich dies in der Rückbetrachtung hin zur eigenständigen Auseinandersetzung mit dem historischen Ort, die im Fokus stehen sollte. Die Barackenfundamente wurden während dieses Erkenntnisprozesses mehr und mehr zu einem Exponat, das lediglich zum Ausgangspunkt der eigenen Arbeit werden sollte, im Grunde aber fast überflüssig erschien. Diese Erkenntnisse knüpfen fast nahtlos an die Überlegungen Christian Mehrs an, KZ-Gedenkstätten als einen Erfahrungsraum zu sehen, wie dieser am 15. Februar 2018 in einem speziell für Lehrerinnen und Lehrer veranstalteten Workshop ausführte. Eng damit verbunden war die Frage, wie auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers auf dem Laagberg pädagogisch gearbeitet werden soll. Ausgehend von seinen Studien zur unbegleiteten Erschließung der Gedenkstätte Buchenwald durch Schülerinnen und Schüler, stellt er in seinem Beitrag für diesen Band nicht nur den Terminus des außerschulischen Lernorts in Frage, da sich diese letztlich in der Regel als von "schulischen Substrukturen durchzogen" darstellen und demnach auch die schulische Anspruchshaltung auf die Orte übertragen, sondern plädiert auch entschieden dafür, die zukünftige Gedenkstätte als einen Erfahrungsraum zu realisieren. Dabei gelte es zu bedenken, dass auf dem Laagberg nur wenig "Authentisches" aus der Zeit des Nationalsozialismus zu sehen sein werde. Was sich jedoch authentisch werde erfahren lassen können, sei der Fakt der mehrfachen Überformung bis hinein in die jüngsten kommunalen Beschlüsse. Demnach können Schülerinnen und Schüler "auf dem Laagberg erfahren, dass dieser Ort das Ergebnis einer umstrittenen Entscheidung ist, wie mit der Geschichte des Außenlagers umgegangen werden soll". Just diese mögliche Erfahrung gelte es im Konzept zentral zu stellen. Aus einer ganz anderen Perspektive argumentierten hingegen die beiden Ausstellungsgestalter Philipp Schwerdtfeger und Johannes Vogt anlässlich unseres vorerst letzten Workshops "Gestalterische Möglichkeiten zur Präsentation der Fundamentreste der Gefangenenbaracke 4 auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Laagberg", der am 25. April 2018 stattfand. Sie traten noch einmal einen Schritt zurück und fragten nach den Kennzeichen der bereits bestehenden Wolfsburger Erinnerungsorte, was diese in ihrer Gestaltung auszeichne, wie zugänglich sie seien und in welcher Form sie tatsächlich zum Gedenken genutzt werden. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass der Schwerpunkt der lokalen Erinnerungskultur auf dem Gedenken liege, die Orte aber nur bedingt dazu genutzt werden können, eine gegenwartsbezogene Gedenkstättenarbeit zu leisten. Der Gedenk- und Lernort KZ-Außenlager Laagberg könne daher eine bestehende Lücke schließen, wenn er im Stile eines Lernlabors geplant würde. Davon abhängig, und auch darauf geht Philipp Schwerdtfeger in seinem Text ein, gestaltet sich dann auch die Art und Weise der Präsentation der Barackenfundamentreste. Anhand ihrer sollte sichtbar gemacht werden, was zuvor nicht sichtbar war. "Jedes Lager, war es auch noch so klein", so hat es die Soziologin Maja Suderland zuletzt noch einmal betont, "eröffnete der Lagerleitung wie auch insgesamt den in ihm Tätigen durch seine Abschottung nach außen Gestaltungsspielräume, die beinahe unbegrenzte Möglichkeiten des Machtgebrauchs darstellten und denen die Inhaftierten völlig ausgeliefert waren." Dass dies auch für das KZ-Außenlager am Laagberg galt, arbeitet der Kassler Historiker Marcel Glaser in seinem Beitrag heraus und nimmt dafür neben zentralen Akteuren wie dem Lagerkommandanten Johannes Pump und dessen Stellvertreter Anton Peter Callesen auch das Agieren der Funktionshäftlinge in den Blick. Ausführlich schildert er darüber hinaus die Entstehungsumstände des Außenlagers, die Lebensbedingungen der Häftlinge sowie deren Lageralltag. Er liefert zudem einen Überblick über die Forschungsgeschichte zum KZ-Außenlager Laagberg und die vorliegenden Quellenbestände. Es ist abschließend anzumerken, dass es sehr wohl auch solche Stimmen innerhalb der Debatte um den richtigen Umgang mit den Fundamentresten der ehemaligen Gefangenenbaracke 4 des KZ-Außenlagers Laagberg gibt, die eine dezidiert andere Position vertreten. Ebenso aufschlussreich wie drastisch sind diese beispielsweise in den sozialen Medien der hiesigen Presse dokumentiert. Diese Stimmen, die sich nicht in den städtischen Diskurs einbringen wollten, finden in diesem Band allerdings keine Berücksichtigung. Das in den Aussagen zum Ausdruck kommende Unverständnis gegenüber der Diskussion jedoch gilt es bei der Konzeption des Gedenk- und Lernorts zu berücksichtigen.
Erscheinungsdatum | 01.10.2018 |
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Co-Autor | Andreas Ehresmann, Marcel Glaser, Verena Haug, Andrea Hauser, Steffi de Jong, Alexander Kraus, Aleksandar Nedelkovski, Daniel Pollok, Achim Saupe, Jens-Christian Wagner, Oliver von Wrochem |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 140 x 215 mm |
Gewicht | 308 g |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Zeitgeschichte | |
Schlagworte | Aufarbeitung • Displaced Persons • Erinnerung • Erinnerungsgeschichte • Erinnerungsorte • Erinnerungspolitik • Fallersleben • Gedenkstätte • Gedenkstättenarbeit • Gedenkstättenpädagogik • Gewaltherrschaft • Heimatvertriebene • Holocaust • Konzentrationslager • Nationalsozialismus • NS-Geschichte • Shoa • Verdrängung • Wolfsburg • Zeitzeugnisse |
ISBN-10 | 3-593-50972-5 / 3593509725 |
ISBN-13 | 978-3-593-50972-3 / 9783593509723 |
Zustand | Neuware |
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