Achtsamkeit und Humor (Wissen & Leben) (eBook)
194 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-16992-8 (ISBN)
Dr. Michael Stefan Metzner, Promovierter Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, seit 2003 tätig in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, zunächst auf verschiedenen Stationen für Depression, Angst, Zwang und Schmerz, Tinnitus, Traumafolgeerkrankungen, Borderline und Essstörungen, seit 2010 in der Abteilung Biofeedback. Interessensschwerpunkt: Achtsamkeitsbasierte Therapie.
Dr. Michael Stefan Metzner, Promovierter Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut, seit 2003 tätig in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, zunächst auf verschiedenen Stationen für Depression, Angst, Zwang und Schmerz, Tinnitus, Traumafolgeerkrankungen, Borderline und Essstörungen, seit 2010 in der Abteilung Biofeedback. Interessensschwerpunkt: Achtsamkeitsbasierte Therapie. Prof. Dr. med. Barbara Wild ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2020 ist sie Professorin für Psychotherapeutische und Psychologische Grundlagen der künstlerischen Therapien an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Zudem hat sie eine Privatpraxis für Psychiatrie, Psychotherapie, Neurologie, Supervision und Coaching in Herrenberg.
3 Humor
Brian: „Und ihr seid alle völlig verschieden!“
Volk: „Ja, wir sind alle völlig verschieden!“
Einer: „Ich nicht!“
(Monty Python)
Ehrlich gesagt, hab ich ein etwas mulmiges Gefühl, über Humor zu schreiben. Das fühlt sich so ähnlich an wie Witze-Erklären, und bekanntlich gibt es nichts Unlustigeres. Doch finde ich Humor so enorm wichtig und untrennbar von Achtsamkeit, dass ich ein paar Gedanken dazu mit Ihnen teilen möchte.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie gehen auf der Straße und plötzlich – „Wusch!“ – schlägt es in Ihrem Gesicht ein. Nase und Stirn schmerzen und Sie sinken zu Boden. Und als Ihre Augen nach dem ersten Schock wieder beginnen, Teile der Umgebung wahrzunehmen, sehen Sie … eine Straßenlaterne! Genau das ist mir passiert. Ich dachte im ersten Moment – wie Sie vielleicht auch –, jemand hätte mir eines auf die Nase gegeben. Entsprechend fühlte ich mich angegriffen, verängstigt, sauer und sonst noch was. Als ich erkannte, dass mein vermeintlicher Angreifer ein harmloser Laternenmast war, sah ich die Situation urplötzlich wie in einem Comic – mit Distanz – und war extrem belustigt. Was sich in schallendem Gelächter äußerte. So kann Humor, ein Sinn für die Ironie einer Situation, unser Gefühl verwandeln. Ohne Humor sind wir immer etwas verbissen, stecken in einer Sichtweise fest.
Lassen Sie uns hierzu ein kleines Experiment durchführen: Halten Sie eine Hand horizontal mit der Handfläche nach unten direkt vor Ihren Mund. Nun beißen Sie zu! (Bitte nicht zu fest!) Und jetzt mit dem Kopf nach rechts und links blicken – ohne die Hand zu bewegen. Na, geht nicht? Genau. Wenn wir uns in etwas verbeißen, können wir nicht mehr das ganze Umfeld sehen, sind also eingeschränkt in unserem Blickfeld. Wenn wir den Mund zum Lachen öffnen, steht uns das ganze Panorama zur Verfügung!
Im Buddhismus wird der Humor als eine ganz wesentliche Eigenschaft betrachtet, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Auch wenn Tiere Freude empfinden und vielleicht sogar scherzen können, so haben sie doch keinen wirklichen Sinn für Humor (vgl. Trungpa 1994, S. 40 f., 2007, S. 162 f.). Nicht umsonst spricht man auch von „tierischem“ Ernst. Doch diesen gibt es bisweilen auch beim Homo sapiens.
3.1 Alles lustig oder was?
Humor ist so ziemlich das genaue Gegenteil von trocken. In der Tat bedeutet das lateinische Wort humor „Feuchtigkeit“. Nach der antiken Humoralpathologie (oder „Viersäftelehre“), die auf den griechischen Arzt Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v. Chr.) zurückgeht, ist die seelische Gestimmtheit eines Menschen nämlich abhängig von der Mischung der vier Körperflüssigkeiten: Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Im Mittelalter war man der Auffassung, dass sich je nach Überwiegen eines dieser Säfte mit der Zeit das damit verbundene Temperament besonders herausbilde (vgl. Drosdowski 1989; Ruch 2012).
So ist der Sanguiniker, bei dem das Blut (lat. sanguis) dominiert, heiter, beflügelt und aktiv wie Meister Eders Pumuckl. Bei wem der Anteil an Schleim (griech.-lat. phlégma) hoch ist, der zeichnet sich als Phlegmatiker aus und erinnert an den schwerfälligen und passiven Kater Garfield. Dem reizbaren Choleriker kocht wiederum schnell die (gelbe) Galle (griech. cholé) hoch. Und der Melancholiker verdankt sein nachdenkliches bis trauriges Gemüt einem hohen Anteil an schwarzer (griech. mélas) Gallenflüssigkeit (griech. cholé). Eine ganz ähnliche Sichtweise findet sich übrigens auch in der tibetischen Medizin (vgl. dazu Clifford 1989). Erstrebenswert scheint jedenfalls das rechte Verhältnis der Flüssigkeiten, das zu einer ausgeglichenen Stimmung und guter Laune verhelfen soll. Die Temperamenten- oder Charaktereinteilung des Mittelalters ist heute sicherlich überholt. Doch weiß man aus eigener Erfahrung, dass die Mischung der von außen zugeführten Säfte durchaus die Stimmung beeinflussen kann! Prost!
Humor kann sich nun in ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen äußern, wie die Humorforscherin Barbara Wild (2012b, S. 28) ausführt:
„Das Verstehen von Witzen gehört dazu, aber auch, zu wissen, wann man wem welchen Witz erzählen kann, genauso wie die Fähigkeit, spielerisch zu sein, Blödsinn und Komik zu mögen, über sich selbst lachen zu können, andere zum Lachen zu bringen, mit witzigen oder komischen Bemerkungen soziale Situationen zu regulieren und auch widrigen Umständen mit einer heiteren Gelassenheit zu begegnen.“
Auch wenn Humor jede dieser Ausdrucksformen haben kann, ist nicht alles, was komisch ist und worüber man lacht, von der gleichen Motivation und inneren Haltung geprägt. Witze können auf Kosten von anderen gehen. Sie können die eigene Überlegenheit zum Ausdruck bringen und abschätzig sein. Oder als Waffe dienen, wenn man angegriffen und verletzt wurde.
Ob Humor ausschließlich gutmütig ist, hängt dabei von dem sprachlichen Bezugssystem ab, in dem man sich bewegt. In der angloamerikanischen Sprachtradition ist Humor ein Sammelbegriff für alles Komische. Man unterscheidet deshalb „good humor“ und „bad humor“. Dagegen wird der Begriff in der Ästhetik – einem Teilgebiet der Philosophie – ausschließlich „verstanden als Gabe des Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen“ (Ruch 2012, S. 10; vgl. auch Drosdowski 1989, S. 294). Ich persönlich bevorzuge die zweite Variante, also den aus der Philosophie stammenden Begriff, und bin hierbei sicherlich nicht der Einzige (vgl. Wild 2012c).
Im Wortfeld des Komischen gibt es neben Humor noch Begriffe wie Ironie, Sarkasmus und Zynismus. Ironie meint im Wesentlichen, dass man das Gegenteil von dem sagt, was man meint (rhetorische Ironie). Es geht dabei also lediglich um die Form, wie etwas gesagt wird, nicht die Absicht, die dahintersteckt. Diese kann freundlich oder weniger freundlich sein. Mit Sarkasmus ist ein beißender Spott gemeint, der verletzen soll. Oft dient er dem Opfer von Unterdrückung und Gewalt als Waffe zur Verteidigung, um etwa den Macht Ausübenden herabzusetzen und lächerlich zu machen (vgl. hierzu Sachsse 2012). Und Zynismus ist eher eine Haltung, eine Weltanschauung, die auf die philosophische Schule der Kyniker (von griech. kýon = Hund) zurückgeht und Normen ins Lächerliche zieht und verwirft (vgl. Drosdowski 1989). Oft geschieht dies aus Frust und Resignation und findet Ausdruck in giftigen, schamlosen und spöttischen Bemerkungen. Damit haben Zynismus und Sarkasmus mit Humor, wie er hier verstanden werden will, herzlich wenig gemeinsam.
Und was ist nun das Wesentliche am Humor? Meines Erachtens steckt es schon im Wort.
Humor ist eine innere Haltung, die folgende Qualitäten umfasst:
- Herzensgüte
- Ungereimtes bzw. Absurdes erkennen
- Mut
- Offenheit
- Relativieren eigener Ansichten und Bewertungen (emotionale Distanzierung)
Wie oben bereits erwähnt, ist Humor durch und durch gutherzig und kann nicht böswillig sein. Diese Herzensgüte oder liebende Güte wird in der auf Pali überlieferten Lehre des Buddhismus metta genannt bzw. auf Sanskrit maitri. Gemeint ist ein freundliches, interessiertes Zugewandtsein oder eine nicht festhaltende, umfassende Liebe. Neben Mitgefühl (karuna), (Mit)Freude (mudita) und Gleichmut upekkha (bzw. Sanskrit upeksha) wird sie zu den „Vier Grenzenlosen Geisteszuständen“ (brahmavihara) gezählt (vgl. Nyanatiloka 1989; Thich Nhat Hanh 1995, S. 170–176). Lachen, das auf Schadenfreude basiert, hat also mit Humor ebenso viel zu tun wie hörbar abgehende Darmwinde mit Mozarts Zauberflöte.
Eine humorvolle Haltung verhilft uns ferner dazu, Ungereimtes bzw. Absurdes zu erkennen (vgl. Höfner u. Schachtner 2004, S. 53 f.). Und hierfür ist unser menschliches Dasein eine geradezu unerschöpfliche Quelle (vgl. hierzu Ariely 2008)! Denken Sie nur etwa an Light-Zigaretten: Ob wir wohl an einer gesünderen Form von Lungenkrebs sterben, wenn wir die qualmen? Oder wir fahren mit dem Auto viele Kilometer von A nach B, nehmen dabei auch noch den Stau während der Rushhour in der Innenstadt in Kauf, nur um unser Lieblingsprodukt als „Schnäppchen“ ganze zwei Euro billiger zu ergattern. Diese Widersprüche werden durch Humor nicht unbedingt aufgelöst, sondern mit einem freundlichen Schmunzeln oder Lachen angenommen. Oder wie der bekannte Komiker Eckart von Hirschhausen (2012, S. 291) es ausdrückt:
„Im Lachen können Widersprüche bestehen bleiben, ohne dass sie aufgelöst zu werden brauchen. Unser Verstand will die Welt sortieren, die ist aber viel zu komplex, um sich in gut/böse, rechts/links, richtig/falsch einteilen zu lassen.“
Interessanterweise nennt von Hirschhausen diese Qualität von Humor in einem Atemzug mit Achtsamkeit, die ja auch auf solche Kategorisierungen und Wertungen verzichtet. Um Ungereimtes zu erkennen, benötigen wir ein solides Wissen um das Vernünftige oder durchschnittlich zu Erwartende. Um die Karikatur eines Gesichtes zeichnen zu können, die seine charakteristischen Züge hervorhebt, müssen wir die 08/15-Proportionen des...
Erscheint lt. Verlag | 1.1.2018 |
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Reihe/Serie | Wissen & Leben | Wissen & Leben |
Vorwort | Barbara Wild |
Zusatzinfo | mit 25 Abbildungen inklusive Yogaübungen zum Ausdrucken |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Achtsamkeit • Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie • Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion • Achtsamkeitsübungen • Buddhismus • Depressive • Feinwahrnehmung • Gehirn • Geistesblitz • Hirnforschung • Humor • Humorforschung • Lachen • Lachen ist gesund • Meditation • Mindfulness • mindfulness-based cognitive therapy • Mindfulness-Based Stress Reduction • Muffensausen • Neurowissenschaft • Provokative Therapie • Psychohygiene • Psychologie • Psychotherapie • Resilienz • ressourcehorientiert • Seelenkunde • Selbstwert • Selfcare • Stressabbau • therapeutisch • Umgang mit Gefühlen • Wahrnehmungsfähigkeit • Yoga |
ISBN-10 | 3-608-16992-X / 360816992X |
ISBN-13 | 978-3-608-16992-8 / 9783608169928 |
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