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Schönes Leben? (eBook)

Einführung in die Lebenskunst
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
197 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74382-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schönes Leben? -  Wilhelm Schmid
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Das Leben leben zu können bleibt immer dem einzelnen überlassen. Dem modernen Menschen, der auf Wissenschaft, Technik und politische Systeme vertraut, fehlt es jedoch an dieser Kunstfertigkeit. Anstatt darüber zu klagen, geht es dem Autor um die konkreten Fragen zu einer neuen Lebenskunst. Dazu kann die Philosophie einen entscheidenden Beitrag leisten. Die grundlegende Frage »Was soll ich tun?« hat in diesem Moment keinen moralischen, sondern einen existentiellen Sinn und zielt auf die Kunst der Existenz, aus dem abstrakten Leben ein eigenes werden zu lassen. Dazu dient das Nachdenken über den Umgang mit Gewohnheiten, Lüsten und Schmerzen, mit Zeit und Tod, über die Künste der Ironie, des »Negativdenkens«, der Gelassenheit - einen Lebensstil, der auf die entscheidende Herausforderung der Zeit zu antworten vermag.



Wilhelm Schmid, geboren 1953 in Bayerisch-Schwaben, lebt als freier Philosoph in Berlin. Bis zur Altersgrenze lehrte er Philosophie als au&szlig;erplanm&auml;&szlig;iger Professor an der Universit&auml;t Erfurt. Zeitweilig war er t&auml;tig als Gastdozent in Riga/Lettland und Tiflis/Georgien sowie als philosophischer Seelsorger an einem Krankenhaus in der N&auml;he von Z&uuml;rich/Schweiz. 2012 wurde ihm der deutsche Meckatzer-Philosophiepreis f&uuml;r besondere Verdienste bei der Vermittlung von Philosophie verliehen, 2013 der schweizerische Egn&eacute;r-Preis f&uuml;r sein Werk zur Lebenskunst. Umfangreiche Vortragst&auml;tigkeit im In- und Ausland zu den Themen seiner B&uuml;cher, die auch in zahlreichen &Uuml;bersetzungen vorliegen. Gro&szlig;en Erfolg hatten seine B&uuml;cher &uuml;ber das <em>Schaukeln</em> (2023), die <em>Gelassenheit</em> (2014) und das <em>Gl&uuml;ck</em> (2007), alle im Insel Verlag, Berlin.

Wilhelm Schmid, geb. 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Viele Jahre lang war er als Gastdozent in Riga/Lettland und Tiflis/Georgien, sowie als »philosophischer Seelsorger« an einem Krankenhaus bei Zürich/Schweiz tätig. Umfangreiche Vortragstätigkeit, seit 2010 auch in China und Südkorea. 2012 wurde er mit dem Meckatzer-Philosophie-Preis und 2013 mit dem Egnér-Preis ausgezeichnet.

»Exkursion in die Philosophie«:
Edward Hoppers Bild


Ein Ausschnitt aus dem Alltag zweier Menschen: Ein grübelnder Mann, die Stirn in Falten gelegt und mit strengen Bügelfalten in den Hosenbeinen, sinnt angestrengt über etwas nach. Er ist nicht allein, nicht zu übersehen ist die halb entblößte Frau hinter ihm, hingestreckt auf eine Liege, an deren Rand er sitzt, und abgewandt von ihm, ihr Gesicht ist nicht sichtbar. Die quer übers Kopfkissen hingegossenen Haare könnten verraten, dass sie sich abrupt von ihm weggedreht hat, und sie macht nicht die geringsten Anstalten, sich ihm wieder zuzuwenden. Auch er schenkt ihr keinen Blick, er bleibt am Rand der Liege sitzen, in sich zusammengesunken und etwas verkrampft, eine Gestalt der Ratlosigkeit. Unklar bleibt das Verhältnis zwischen beiden, unklar, ob es um dieses Verhältnis geht, unklar, ob es noch ein Verhältnis gibt, unklar erst recht, welchen Sinn in diesem Bild von 1959 die »Exkursion in die Philosophie« haben soll.

Offenkundig kommt es nicht auf die Verteilung der Geschlechterrollen an; dass sie austauschbar sind, zeigte Edward Hopper schon zehn Jahre früher, als er 1949 eine ähnliche Szene malte und mit einem weniger rätselhaften Titel versah: »Summer in the City«. Hinter der vordergründigen Alltäglichkeit verbirgt sich eine viel sagende, in keiner Weise eindeutige Situation. »Sie wissen ja«, sagte er, »welche Fülle von Gedanken und Impulsen in ein Werk eingehen«. Nicht die Verteilung der Rollen, nicht die Besonderheit des Verhältnisses, sondern die Beispielhaftigkeit der Situation ist von Interesse: Beispielhaft für die Ratlosigkeit in bestimmten Situationen des Lebens, für den Stillstand des Lebens in dem Moment, in dem etwas, vielleicht alles, in Frage steht; beispielhaft auch dafür, dass diese Ratlosigkeit, dieses Infragestehen vorzugsweise dort zu erfahren ist, wo es um die Dinge der Liebe zu gehen scheint.

Eine erste Annäherung unter diesem Aspekt könnte das Bild als eine Einführung in die Philosophie erweisen, denn für die Philosophie, wie sie einst in Platons »Symposion« vorgestellt worden war, stellt diese Lebenssituation, die Suche nach einer Kunst des Umgangs mit den Dingen der Liebe, eine wichtige Fragestellung dar.2 Das Bild brächte dann den Augenblick der Philosophie zum Ausdruck, den Augenblick danach, das Einsetzen der Reflexion, das Leben mit der schmerzlichen Distanz zum Anderen, das Denken in der Leere der entschwundenen Lust, das unerbittliche Fragen nach dem Grund. Eine Entzauberung der Welt hat stattgefunden, und die banale Wirklichkeit macht sich breit. Der Faden ist gerissen, der dem Leben Sinn verliehen hatte, und es erscheint höchst ungewiss, ob es ein Leben danach wird noch geben können. Neben der unmittelbaren Erfahrung der Sinnlichkeit und dem Traum von der Vereinigung ist dies eben die komplementäre Erfahrung der Liebe, ihr immer wiederkehrendesVerhängnis: Sofern die unendliche Seligkeit erfahren worden ist, wird der Sturz zurück in die Sterblichkeit nur umso fühlbarer, denn es ist der Sturz aus der Ewigkeit zurück in die Zeit. Und selbst wenn die Seligkeit nur vor Augen gestanden hat, sind die Folgen nicht minder schmerzlich: Aus der Ewigkeit verbannt zu bleiben, dem Gesetz der Zeit auch nicht für einen Augenblick entfliehen zu können. Das Individuum findet sich zurückgeworfen auf sich selbst, zwischen den Ruinen der Repräsentation, in den Trümmern der Welt seiner Vorstellungen, in denen das Einssein mit dem Anderen so große Bedeutung hatte. Wer aber einen schönen Traum geträumt hat, mag in der Realität nicht mehr leben.

Edward Hopper, Exkursion in die Philosophie
(Excursion into Philosophy), 1959.
Öl auf Leinwand, 76,2 x 101,6 cm.
Sammlung Richard M. Cohen.

Platon zufolge sollte das Individuum sich von der unmittelbar sinnlichen Erfahrung abwenden, um der Idee der »wahren Schönheit« sich zuzuwenden, die nie enttäuschend sein würde. So versucht es wohl auch der Protagonist, der die »Exkursion in die Philosophie« unternimmt. Seine Haltung ist beinahe die des Denkers von Rodin, der über dem Höllentor brütet. Die Sorge zerfurcht seine Stirn. Die sinnliche Schönheit, die hinter ihm liegt, hat er verraten oder sie hat ihn verlassen. Welches Buch hat der Mann da aufgeschlagen? Es scheint unwichtig zu sein, denn er hat es bereits wieder aus der Hand gelegt. Sollte es ein Buch der Philosophie gewesen sein, so hilft ihm deren große Weisheit in dieser Situation wohl auch nicht weiter. Oder er hat dem Buch eine wichtige Anregung entnommen und sinnt weiter darüber nach. Jedenfalls liest er nicht mehr in dem Buch, und wenn Hopper selbst es nicht verraten hätte, würden wir nie erfahren, ob es sich eher um Platons »Symposion« oder um ein anderes Werk handelt, das vom Garten der Lüste und vom Projekt der Philosophie erzählt, wie etwa Marquis de Sades »Justine«, worin die Fackel der Philosophie entflammt und das Denken immer wieder neu entzündet wird am lodernden Feuer der Lüste: Diese Bücher repräsentieren die Spannweite des erotischen Diskurses in der abendländischen Philosophie, einig nur darin, dass die Frage des Umgangs mit den Lüsten grundlegend ist für die Philosophie. Von den beiden Optionen – Abwendung von der Unmittelbarkeit der Lüste, Träumen von phantastischen Lüsten – wählt der Mann, der am Rand der Liege sitzt, die erstere; er habe, verrät der Maler, Platon »ziemlich spät in seinem Leben gelesen«. Um einen Triumph der Philosophie handelt es sich in jedem Fall.

Das Bild ist im doppelten Sinne herausgeschnitten aus dem Alltag des Mannes und der Frau. Links das Bild im Bild, abgeschnitten, rechts das Fenster, weit offen, abgeschnitten. Kein Zweifel, Hopper, den man gerne einen »Realisten« nennt, kannte den Impressionisten Degas, der mit derlei Techniken arbeitete, sehr gut. Was er herausgeschnitten hat, ist eine Episode des Paares am hellichten Tag, eine Szene der ebenso gemeinsamen wie einsamen Existenz. In der Zimmerecke spielt sich das ab, es gibt kein Außen dazu. Das grelle Sonnenlicht, das durchs geöffnete Fenster hereinbricht, um sich wie ein Teppich vor die Füße des Mannes zu legen, wirkt wie ein Hohn angesichts der düsteren Atmosphäre im Inneren. Hoppers bittere Ironie: Der Mann stiert auf diesen Lichtteppich, dieses Abbild der »wahren Schönheit«, als säße er nach dem mühsamen Aufstieg zu ihr am obersten Ende der Stufenleiter, wie dies Diotima in Platons »Symposion« schildert. Aber dieser Flecken aus Licht ist nicht das Licht selbst. So bleibt er der Wahrheit fremd genau in dem Moment, in dem er sie am nötigsten hätte, dem Moment nämlich, in dem das Gelage zu Ende ist. Es herrscht Ruhe, tödliche Ruhe, wie in den meisten Bildern von Hopper. Es spielt sich nichts ab – Hoppers spezifische Form des menschlichen Stilllebens, High Noon, stillgestelltes Leben, das etwas Suggestives an sich hat. Ein Schweigen, das ein Schrei ist, eine machtvolle Ohnmacht. Da gibt es keine Dialektik mehr, nur Tragik, stumme Tragik, die geradezu strukturell zu nennen ist, wenn sie auch im banalen, zeitgenössischen Gewand daherkommt.

Exemplarisch festgehalten ist der Moment des Innehaltens, das Innehalten als Moment der Philosophie, der Reflexion, verkörpert von der sitzenden und sinnenden Gestalt, eine Darstellung des Denkens im seitlich einfallenden Licht, die in der Geschichte der Kunst zur Metapher der Philosophie geworden ist. Man kann bemängeln, dass die Darstellung den männlichen Protagonisten privilegiert. Aber auch die Frau hält inne, sie verbirgt ihr Gesicht. Die antike Philosophie legt bereits Zeugnis ab von dieser merkwürdigen Haltung des Innehaltens: Sokrates, der zum Symposion geht, bleibt plötzlich stehen, irgendetwas beschäftigt ihn, er will es durchdenken und kommt erst später nach. Ähnlich der Protagonist in Hoppers Bild, der sein Symposion vielleicht schon hinter sich hat und über die Erfahrungen nachdenkt, die er gemacht hat. Das Buch der großen Weisheit legt er zur Seite und beginnt selbst Fragen zu stellen, denn darin besteht die Exkursion in die Philosophie: Was habe ich gemacht und vielleicht falsch gemacht? Warum ist es so gekommen, wie es nun ist? Wie kann ich mit der Situation zurechtkommen? Wie kann das Leben gelebt, wie geändert werden? Die Exkursion in die Philosophie ist das anfängliche Nachdenken über das, was ist und was geschehen ist, aber auch das sorgsame Vorbereiten der Reise in den weit vorausliegenden Raum, um ihn zu erforschen und zu erschließen. Das ist der Sinn der Exkursion: Das Danach ist zugleich ein Davor – zwar nach einer Erfahrung, aber immer schon vor einer anderen.

Natürlich kann man fragen, ob das mit Hoppers eigenen Erfahrungen zu tun hat. Warum gerade dieses Motiv? Er wisse nicht genau, warum er dieses oder jenes Sujet wähle, sagte er, aber es gehe ihm bei seinen Motiven darum, dass sie am besten für die Wiedergabe seiner inneren Erfahrungen geeignet seien. Das Motiv des Paares sowie die fragwürdige Lebenssituation, in die man durch die Erfahrung der Liebe gerät und die doch nur exemplarisch für die Erfahrung des Lebens steht, scheinen ihn fasziniert zu haben. Aufschlussreich ist es, wenn man seinem »Hang zum Romantischen« nachgeht: Der Traum vom Einssein erweist sich dann für ihn als grundlegend, als ebenso grundlegend jedoch auch die Enttäuschung. So wird das Bild zur Metapher des Eros und des Lebens und rückt deren widersprüchlichen Charakter ins Licht; es gerät jedoch auch zur Manifestation der Frage, wie sich damit leben lässt. Die Widersprüchlichkeit und die Lebensfrage treffen gerade diesen Maler ins Herz, der so sentimental von der Liebe denkt. Ausgerechnet er muss ein Bild malen, das die Lüge der Liebe entlarvt, denn...

Erscheint lt. Verlag 6.9.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Alltagsphilosophie • Lebenskunst • Meckatzer-Philosophie-Preis 2012 • Philosophie • Preis der Dr. Margrit Egnér-Stiftung 2013 • ST 3664 • ST3664 • suhrkamp taschenbuch 3664
ISBN-10 3-518-74382-1 / 3518743821
ISBN-13 978-3-518-74382-9 / 9783518743829
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