Der Weg zur Mauer (eBook)
472 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-116-5 (ISBN)
Der lange Weg zur Berliner Mauer begann 1945. Stalin beauftragte die KPD in der Sowjetischen Besatzungszone, die Macht zu übernehmen; die drei Westmächte sicherten ihren Einflussbereich. 1949 entstanden zwei deutsche Staaten, wobei Berlin in vier Sektoren geteilt blieb und West-Berlin fortan wie ein erratischer Block und ein Schaufenster des Westens mitten in der DDR lag. Nach dem gescheiterten sowjetischen Versuch, die Alliierten durch eine Blockade 1948/49 aus West-Berlin zu vertreiben, folgte 1958 bis 1960
die zweite Berlin-Krise, bei der Moskau ultimativ den Abzug der Westmächte und die Schaffung einer »Freien Stadt Berlin« verlangte. Die Entscheidung zur Grenzschließung fiel durch Nikita Chruschtschow. Ursache waren die steigenden Flüchtlingszahlen aus der DDR.
Für die Rekonstruktion der internationalen Vorgeschichte des Mauerbaus und der genauen Abstimmung zwischen Chruschtschow und SED-Chef Walter Ulbricht konnte der Autor erstmals die Gesprächsprotokolle zwischen den beiden Partei- und Staatschefs nutzen, die bislang der Forschung nicht zugänglich waren.
Manfred Wilke: Jahrgang 1941; aufgewachsen bei Kassel; Dr. rer. pol.; 1981 Habilitation an der Freien Universität Berlin im Fach Soziologie; Privatdozent; 1985 – 2006 Professor für Soziologie an der Fachhochschule für Wirtschaft, Berlin; 1992 – 98 Mitglied der beiden Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Geschichte der SEDDiktatur; 1992 – 2006 einer der wissenschaftlichen Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Zeitgeschichte.
Einleitung
Die Berliner Mauer war eine in Beton gegossene, vielgestaltige Grenze: Sie teilte die Stadt, sie war Teil der innerdeutschen Grenze und der zwischen dem sowjetischen Imperium und den westlichen Demokratien Europas. Nach ihrem Bau 1961 wurde sie weltweit zum Sinnbild der deutschen Teilung und des Systemgegensatzes zwischen Diktatur und Freiheit. International war die Mauer das einprägsamste Symbol des Kalten Krieges. Als die Berliner sie am 9. November 1989 öffneten, wurde sie mit ihrem Fall zum Sinnbild der deutschen Wiedervereinigung und – im europäischen Kontext – des Endes der kommunistischen Diktaturen in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie der Sowjetunion. Die Berliner Mauer wurde so zum Symbol eines europäischen Epochenwechsels.
Dieses Buch zeichnet den Weg nach, der zu diesem Bauwerk führte. Er beginnt 1945. Die entscheidende Voraussetzung und die Notwendigkeit dafür, dass die Deutschen ihn gehen mussten, hatte der Zweite Weltkrieg geschaffen. Das von Adolf Hitler geführte Deutsche Reich hatte diesen 1939 mit dem Angriff auf Polen vom Zaun gebrochen; er endete in Europa am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. Im Verlauf des Krieges belastete sich das von den Nationalsozialisten beherrschte deutsche Volk aufgrund der von diesen betriebenen systematischen Vernichtung der europäischen Juden und des rassistischen Vernichtungs- und Unterwerfungskrieges gegen die Slawen mit einer schweren moralischen Hypothek, die bis heute fortwirkt. Es waren die alliierten Armeen Großbritanniens, Frankreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und vor allem die der Sowjetunion, die Hitler besiegt und die Deutschen von der nationalsozialistischen Diktatur befreit hatten. Der Preis, den auch die Deutschen für diesen Krieg und diese Form der Befreiung bezahlen mussten, war hoch: Millionen Menschen hatten ihr Leben gelassen, Deutschland verlor seine Ostprovinzen und Millionen ihre Heimat. Das Land war den Besatzungsmächten bedingungslos ausgeliefert und verlor seine Souveränität.
Folgenden Fragestellungen wird in diesem Buch nachgegangen, und es werden folgende Entwicklungen nachgezeichnet:
- die Bedeutung von Grenzen im Nachkriegsdeutschland, die zugleich die Grenzen der Einflusssphären in der europäischen Nachkriegsordnung waren und die geprägt waren vom Kalten Krieg zwischen den von den Vereinigten Staaten geführten Demokratien des Westens und dem sowjetischen Imperium;
- die politischen Entscheidungen, die den gegensätzlichen Wiederaufbau politischer Ordnungen in der sowjetischen und den westlichen Besatzungszonen bestimmten und zur Gründung zweier deutscher Staaten führten;
- die Rolle und Bedeutung von Berlin, besonders von West-Berlin in der Deutschlandpolitik der Sowjetunion und der SED;
- die Frage nach den Verantwortlichen für den Bau der Mauer;
- die Rolle des atomaren Patts zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion für die gefundene Konfliktlösung in der zweiten Berlin-Krise, die immerhin vier Jahre dauerte;
- die Bedeutung des Mauerbaus für die westdeutsche Politik im Blick auf das Ziel der Rückgewinnung der deutschen Einheit.
Der Ausgangspunkt der Analyse sind die neuen Nachkriegsgrenzen in Deutschland, die von den Besatzungsmächten gezogen wurden. Grenzen markieren nicht nur die räumliche Abgrenzung von Territorien, sondern auch die politischer und gesellschaftlicher Ordnungen und internationale Einflusssphären. Die Zonengrenzen im besetzten Deutschland bildeten den Ausgangspunkt für die politischen Entwicklungen der einzelnen Besatzungsmächte in ihren Besatzungszonen, die zu unterschiedlichen politischen und ökonomischen Ordnungen führten und in der Gründung von zwei deutschen Staaten mündeten. Als dies 1949 geschah, war der Systemkonflikt zwischen West und Ost bereits zum Kalten Krieg geworden, seine Frontlinie verlief durch Deutschland und Berlin.
Die Analyse konzentriert sich auf die politischen Entscheidungen; sie sind Festlegungen über Lösungen in Konflikten und schließen, nachdem sie gefallen sind, in der Innen- und Außenpolitik denkbare Alternativen aus. Die Orte der Entscheidungen waren in der Zeit vor der Gründung der beiden Staaten London, Moskau, Paris und Washington. Die Auseinandersetzung um die Grenzen in Deutschland und Berlin war ein weiteres Kriterium der immanenten Konflikte zwischen den Mächten, die weiterhin nachhaltigen Einfluss auf die deutschen Geschicke ausübten. Beide deutsche Staaten wurden 1955 als Mitglieder der NATO beziehungsweise des Warschauer Paktes in die gegnerischen Bündnissysteme integriert. Die Zäsuren in den politischen Entscheidungsprozessen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, mit denen die Teilung Deutschlands vollzogen wurde, stehen im Mittelpunkt der Analyse.
Die Teilung des Landes war ein Prozess, den die Darstellung in drei Teilen nachvollzieht. Der erste Teil behandelt den Zusammenhang von bipolarer Nachkriegsordnung in Europa und deutscher Teilung, die sich in den neuen Grenzen Deutschlands ausdrückte. Namentlich die Zonengrenzen strukturierten die Entstehung der beiden deutschen Staaten. Ein wichtiger Unterschied bei der Entstehung der DDR und der Bundesrepublik bestand darin, dass die Vorbereitung der künftigen kommunistischen Staatsführung des Teilstaates DDR bereits im Moskauer Exil während des Krieges begann. 1944 formulierten die Kader der KPD bereits die Grundfrage deutscher Politik nach Hitler: Wo geht Deutschland hin, Ost- oder Westorientierung? Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht verstanden sich bereits als »staatsaufbauende Partei« und waren sich gewiss, dass ihre Machteroberung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) durch die Besatzungsmacht garantiert würde. Eine der frühen vollendeten Tatsachen des sowjetischen Diktators Josef W. Stalin von weichenstellender Bedeutung überraschte sie nicht: Im Juni 1945 beauftragte er die deutschen Kommunisten in seiner Besatzungszone mit der Übernahme der staatlichen Macht – erst der letzte Generalsekretär der KPdSU, Michail S. Gorbatschow, annullierte diesen Auftrag 1990.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils des Buches stehen die beiden Berlin-Krisen und der Mauerbau selbst. Nachvollzogen werden die politischen Ziele, die die Sowjetunion in den von ihr ausgelösten Krisen verfolgte, und die Interaktion mit ihren ostdeutschen Partnern, der SED-Führung. Einbezogen in die Darstellung werden auch die Reaktionen des Westens auf die Krise, wobei die politische Entscheidungsfindung bei den Amerikanern, innerhalb des westlichen Bündnisses, bei der Bundesregierung und im West-Berliner Senat in den Blick genommen wird. Hierbei wird sichtbar, wie sich das Verhältnis der nach dem Weltkrieg besiegten Westdeutschen zu den Siegermächten änderte: Im Zuge der Westintegration wurden aus Besetzten Partner und und aus Besatzern Schutzmächte. Der in der unmittelbaren Nachkriegszeit naheliegende Gedanke, die deutsche Einheit in einem nationalen Konsens auch mit den Kommunisten anzustreben, verflog angesichts der Berliner Konfrontation und der diktatorischen Verhältnisse in der Sowjetischen Besatzungszone. Die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer strebte entschlossen die Westintegration der Bundesrepublik an. Die drei Westmächte waren für Adenauer Anwälte und Garanten deutscher Selbstbestimmung in den Vier-Mächte-Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Deutschland und die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates, wie die Potsdamer Vereinbarung von 1945 sie vordergründig versprach. Als zuverlässiger Bündnispartner hoffte Adenauer, der Sowjetunion aus einer Position der Stärke die Einheit auf Basis freier Wahlen in ganz Deutschland abhandeln zu können.
Für das Verständnis der Berlin-Krisen ist der 17. Juni 1953 relevant, weil diese zeitlich zwischen den beiden Ereignissen liegende erste Staatskrise der DDR das Verhältnis der SED zu ihrem Staatsvolk grundlegend änderte. Sie war nicht nur für die Staatspartei SED, sondern auch für die sowjetische Führung ein Schock, zumal der polnische Oktober und die ungarische Revolution 1956 folgten. Mit diesen Aufständen war die Illusion zerstört, die kommunistischen Parteien könnten ihre politische Ordnung in Osteuropa widerspruchslos implementieren, und gleichzeitig ging die damit verbundene Illusion verloren, die eine politische Identität von Staatspartei und Staatsvolk ideologisch voraussetzte. Als die Sowjetunion und die DDR 1958 den Versuch wagten, den Status quo in Berlin zu verändern, diente dieses Unternehmen auch der völkerrechtlichen Anerkennung und damit der endgültigen Sicherung des Staates DDR.
Der 17. Juni ist auch als Krisenphänomen des jungen Staates DDR zu sehen. Diese Krise wurde durch die Niederschlagung des Aufstands nicht gelöst, sondern nur vorläufig beendet und konserviert. Sie währte fort, und ihr vielleicht sichtbarstes Zeichen war die anhaltende Abwanderung eines Teils der Bevölkerung. Ende der fünfziger Jahre wurde sie wahrscheinlich durch den in Konkurrenz zu Westdeutschland forcierten und bei gleichzeitiger Abhängigkeit von westdeutschen Zulieferungen behinderten wirtschaftlichen Ausbau, der mit einer Kollektivierung der Landwirtschaft einherging, noch verschärft. Die Darstellung geht der Frage nach, wie Abwanderung und Wirtschaftskirse die Entscheidungsfindung beeinflussten, und zeigt die Verschiebung der politischen Prioritäten, die sich daraus sowohl in Ost-Berlin als auch in Moskau ergaben.
Die Darstellung der zweiten Berlin-Krise konzentriert sich sehr stark auf den politischen Abstimmungsprozess zwischen der SED und der KPdSU. Diese Abstimmungen waren Chefsache. Grundsätzliche Festlegungen über die politische Taktik fanden in persönlichen Gesprächen...
Erscheint lt. Verlag | 1.1.2012 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | 1961 • Berlin • Berliner Mauer • DDR • Grenze • John F. Kennedy • Macht • Mauerbau • Nachkriegsdeutschland • Nikita Chruschtschow • Ost-Berlin • SED • Sektorengrenze • Sowjetische Besatzungszone • Stalin • Teilung Berlin • Teilungsgeschichte • Walter Ulbricht • West-Berlin |
ISBN-10 | 3-86284-116-2 / 3862841162 |
ISBN-13 | 978-3-86284-116-5 / 9783862841165 |
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