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Diskriminiert -  Anna Domingo,  Felix Amsler,  Niklas Baer

Diskriminiert (eBook)

Gespräche mit psychisch kranken Menschen und Angehörigen zur Qualität des Lebens. Darstellung, Auswertung, Konsequenzen
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2004 | 2. Auflage
476 Seiten
Psychiatrie-Verlag
978-3-88414-344-5 (ISBN)
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Diese qualitative Untersuchung dokumentiert das Erleben von schwer und chronisch psychisch kranken Menschen und deren Angehörigen. Die Tiefeninterviews machen deutlich, welch starke Bedeutung der Krankheitserfahrung der und deren sozialen Folgen zukommt und wie wichtig die Qualität der professionellen Beziehungen und insbesondere die therapeutische Haltung ist.
Die Auswertungen führen zu einer grundsätzlichen Hinterfragung des psychiatrisch-rehabilitativen Systems, das Normalität und Autonomie in einer diskriminierenden Umgebung herstellen will und die psychiatrisch-therapeutischen von den rehabilitativen Zugängen trennt.
Deutlich wird, dass Menschen mit schweren psychischen Krankheiten eines verbindet: Das Leiden an Krankheit, Unverständnis und Diskriminierung. Deutlich wird zudem, wie einheitlich die Erfahrungen der Angehörigen sind, die von der Erschütterung durch die Krankheit in typischer Weise mitbetroffen sind.

Inhalt 6
Danksagung 12
Geleitwort 14
1 Einleitung 17
1.1 Rehabilitation und Lebensqualität 17
1.2 Das Konzept Lebensqualität: Hinweise aus der Literatur 18
1.3 Problematische Entwicklungen 22
1.4 Modelle und Dimensionen von Lebensqualität 27
1.5 Resultate zur Lebensqualität psychisch kranker Menschen 29
1.6 Intervenierende psychologische Variabeln 32
1.7 Zusammenfassung und Konsequenzen für die Untersuchung 35
2 Methodisches Vorgehen 39
2.1 Ziele der Studie 39
2.2 Umsetzung der Ziele in ein forschungstheoretisches Konstrukt 39
2.3 Praktisches Vorgehen 40
2.4 Einige Lesehilfen 47
3 Merkmale der Interview-Situation 51
3.1 Unterschiede der Interviewten 51
3.2 Die Haltung im Interview 52
3.3 Gemeinsamkeiten der Interviewten 52
3.4 Das Erleben der Angehörigen psychisch kranker Menschen 55
4 Zwischen Leiden und Stabilität 59
4.1 Einleitung 59
4.2 Das Gefühl, alle hören, was ich denke – Schizophrenie 60
4.3 Angehörige: Die erschwerte Ablösung 68
4.4 Die Panik, jetzt werde ich ohnmächtig und alle sehen es – Angststörungen 72
4.5 Das große Ritual dauerte 14 Stunden – Zwangsstörung 77
4.6 Den Tag durchzuhalten, das ist das Schlimmste – Affektive Störungen 79
4.7 Ich ging nicht an seine Beerdigung – Gewalttätigkeit und sexueller Missbrauch 83
4.8 Gekommen, gegangen, abgegeben, wieder gekommen – Persönlichkeitsstörungen 91
4.9 55,2, 48,3, 47,2, die Zahlen waren entscheidend – Essstörungen 104
4.10 Miriam und Claudia – Manisch-depressive Störungen 107
4.11 Angehörige: Die psychische Belastung der Familie 111
4.12 Zusammenfassung 116
5 Zwischen Machtlosigkeit und Kontrollgefühl 119
5.1 Einleitung 119
5.2 Ich kann es nicht kontrollieren – Die Erfahrung von Machtlosigkeit 120
5.3 Das Gefühl, ich hätte einen Kleiderbügel verschluckt – Kontrolle durch Psychopharmaka 125
5.4 Ich stehe jeden Tag um dieselbe Zeit auf – Weitere Kontrollmöglichkeiten 131
5.5 Ich bin nicht allein – Hilfe durch religiöse Erfahrung 138
5.6 Angehörige: Trauer und Bewältigung 140
5.7 Zusammenfassung 144
6 Zwischen Erschütterung und Krankheitsintegration 149
6.1 Einleitung 149
6.2 Das andere ist schizophren – Erschütterung 150
6.3 Es ist schwierig zu erklären – Unverständnis 154
6.4 Es sind nicht genug Fakten da, um mich zu entlasten – Schuld und Scham 158
6.5 Angehörige: Die Integrationsaufgabe der Familie 163
6.6 Das Wort ›akzeptieren‹ kann ich nicht mehr hören – Hilfen zur Krankheitsintegration 169
6.7 Eine Spannung zwischen Erleben und Wirklichkeit – Die Erfahrung von Inkongruenz 171
6.8 Und wie reagieren die Leute? – Die Bedeutung der Umwelt 173
6.9 Zusammenfassung 176
7 Zwische Abhängigkeit und Autonomie 179
7.1 Einleitung 179
7.2 Es gibt bei allem irgendwie zwei Seiten – Betreuungsbedürftigkeit als Notwendigkeit 180
7.3 Ich muss die Behörden bitten – Die Abhängigkeit von Systemen der sozialen Sicherheit 184
7.4 Mein Mann musste viel Kraft aufwenden für mich – Abhängigkeit in der Familie 191
7.5 Angehörige: Extrembelastungen 195
7.6 Ich freue mich auf die nächste Stunde – Die psychotherapeutische Beziehung 202
7.7 Es ist einfach eine Ausbeutung – Autonomie und Abhängigkeit in der Arbeit 203
7.8 Man wird nicht zu stark betreut – Autonomie und Betreuungsbedürftigkeit beim Wohnen 206
7.9 Heute könnte ich mich wehren – Autonomie als Resultat einer persönlichen Entwicklung 211
7.10 Zusammenfassung 216
8 Zwischen Stigmatisierung, Diskriminierung und Zugehörigkeit 219
8.1 Einleitung 219
8.2 Ich merke, dass ich an Grenzen stoße – Versteckte Stigmatisierung und Diskriminierung 221
8.3 Angehörige: Schuldzuweisungen an die Eltern 227
8.4 Eine Frau, die äfft mich immer nach – Offene Stigmatisierung 234
8.5 Alle haben einen Brief bekommen, nur ich nicht – Diskriminierung und Traumatisierung 241
8.6 Leitlinien für behinderte Menschen – Diskriminierung durch ›positive‹ Stigmatisierung 247
8.7 Was meinen Sie, was Sie haben? – Auskunft über Diagnose und Prognose 248
8.8 Angehörige: Das Angehörigen-Paradox 254
8.9 Wo nicht gefragt wird: Warum hast du eine Rente? – Der Wunsch nach Zugehörigkeit 260
8.10 Zusammenfassung 267
9 Zwischen Nutzlosigkeit und Gebrauchtwerden 271
9.1 Einleitung 271
9.2 Ich bin eine Last für die Gesellschaft – Die Erfahrung, nutzlos und unwichtig zu sein 272
9.3 Das war ein wunderschöner Tag – die Erfahrung, für jemanden nützlich zu sein 277
9.4 Zusammenfassung 282
10 Zwischen Versagen und Kompetenz 285
10.1 Einleitung 285
10.2 Wenn ich das Gefühl hätte, dass ich etwas kann – Biografie des Inkompetenzerlebens 287
10.3 Das Denken geht langsamer – Die Erfahrung, nicht kompetent zu sein 295
10.4 Dann habe ich ein Hochgefühl – Das Gefühl, kompetent zu sein 298
10.5 Ich träume davon, dass ich arbeite – Der Wunsch, zu arbeiten und die Angst davor 303
10.6 Zusammenfassung 312
11 Zwischen Alleinsein und Beziehung 317
11.1 Einleitung 317
11.2 Nach der ersten Krise waren sie weg – Die Schwierigkeit, psychische Not auszuhalten 318
11.3 Jede Wohnform hat zwei Seiten – Beziehungswunsch und Ruhebedürfnis 324
11.4 Angehörige: Der Kampf gegen die Depression 326
11.5 Ich bin ein Einzelgänger – Die Schwierigkeit, überhaupt Kontakt herzustellen 329
11.6 Dann helfen wir uns gegenseitg – Hilfreiche Freundschaften 335
11.7 Als es mir besser ging, fingen die Probleme an – Schwierigen Beziehungen 340
11.8 Zusammenfassung 348
12 Zwischen Resignation, Perspektive und Sinnhaftigkeit 351
12.1 Einleitung 351
12.2 Ich habe gar kein Ziel – Die Leistung, ohne reale Perspektive zu leben 352
12.3 Nirgends steht, dass sich das nicht ändern kann – Da Bemühen um Perspektive 357
12.4 Angehörige: Verarbeitung und erlebte Sinnhaftigkeit 366
12.5 Zusammenfassung 370
13 Das Erleben professioneller Hilfe 375
13.1 Einleitung 375
13.2 Er glaubte mir nicht – Verhindernde Erfahrungen durch professionelle Hilfe 378
13.3 Die waren alle sehr nett – Unterstützende Erfahrungen durch professionelle Hilfe 395
13.4 Angehörige: Das Bedürfnis, ernst genommen zu werden 408
13.5 Zusammenfassung 413
14 Zusammenfassung der Ergebnisse 419
14.1 Die Dynamik des Erlebens 419
14.2 Die Bedeutung der Krankheit 422
14.3 Krankheit und Gesundheit 425
14.4 Die Bedeutung der Umwelt 427
14.5 Die Bedeutung professioneller Beziehungen 428
14.6 Die Angehörigen 431
15 Hauptresultate und praktische Konsequenzen 437
15.1 Hinweise für die Lebensqualitätsforschung 437
15.2 Hinweise für die Gesundheitspolitik 443
15.3 Hinweise für die psychiatrische Versorgung insgesamt 445
15.4 Hinweise für die psychiatrischen und rehabilitativen Institutionen 450
15.5 Hinweise für die Behandlung, Betreuung und Förderung 455
16 Lebensqualität und Rehabilitaion psychisch kranker Menschen: Ein Modell 461
Literatur 466
Weitere Literaturhinweise 472
Autoren 476

10 Zwischen Versagen und Kompetenz (S. 284-285)

10.1 Einleitung


In den Gesprächen tauchte schon zu Beginn ein Thema auf, das sich dann in vielen weiteren Interviews zeigte: Das Bedürfnis, sich selbst kompetent zu fühlen. Wiederum handelt es sich offensichtlich nicht um ein Bedürfnis, welches nur psychisch kranken Menschen eigen ist. Der Wunsch nach Kompetenzerleben erhält aber aufgrund der Lebenssituation der meisten unserer Gesprächspartner/ -innen einen etwas bitteren Geschmack: Dieser Wunsch ist sehr direkt an Ausbildung, Arbeit und Beruf gekoppelt.

Kompetenz- und Versagensgefühle werden fast ausschließlich berichtet im Zusammenhang mit Erlebnissen in Schule, Lehre, Studium, Beruf und – in etwas geringerem Ausmaß – am geschütztem Arbeitsplatz. Fast alle Interviewpartner/- innen sind aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und beziehen eine Rente der Invalidenversicherung. Ihre Krankheit hat dazu geführt, dass sie einem oder mehreren Ansprüchen des Erwerbslebens nicht genügen.

Wo die Krankheit früh ausgebrochen ist, hat sie bei einigen den Lehrabschluss oder die Matura verhindert, wo sie später ausgebrochen ist, hat sie früher oder später zum Verlust der Arbeitsstelle geführt. Keine einzige Person, mit der wir gesprochen haben, arbeitet mehr als nur stundenweise im normalen Arbeitsmarkt. Diese Tatsache wird als von fast allen als persönliches Ungenügen wahrgenommen. Der Leistungsaspekt unserer Gesellschaft wird von psychisch Kranken sehr deutlich erlebt, und zwar in der Hinsicht, dass sie diese Leistungen selbst auch gerne erbringen würden.

In den Gesprächen hat sich klar gezeigt, dass die berufliche Desintegration nicht nur ein persönliches Drama im Einzelfall ist, sondern dass sie für psychisch Kranke speziell destruktiv ist: Berufliche Ausgliederung schädigt das Selbstvertrauen zusätzlich, das schon durch die Krankheit selbst erschüttert worden ist. Arbeit und Berufstätigkeit können zu Kompetenzerlebnissen verhelfen, die kompensierend auf das meist schlechte Selbstbild einwirken.

Da unsere Interviewpartner/ -innen mehrheitlich alleine leben und wenig soziale Kontakte haben und so Beziehungen kaum als Quelle von Selbstvertrauen erlebt werden, bliebe ihnen eigentlich nur die Arbeit oder Ausbildung. Mit zunehmender Dauer der beruflichen Ausgliederung und der Krankheit wird der zweite, geschützte Arbeitsmarkt zur einzigen und wichtigen Alternative. Bei den noch jüngeren Interviewpartner/-innen ist dagegen noch die Hoffnung spürbar, mithilfe einer Ausbildung, Umschulung oder eines Eingliederungsprogramms den Einstieg ins Erwerbsleben zu schaffen.

Erscheint lt. Verlag 1.1.2004
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Test in der Psychologie
ISBN-10 3-88414-344-1 / 3884143441
ISBN-13 978-3-88414-344-5 / 9783884143445
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