Gutes Geld (eBook)
285 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-6449-0 (ISBN)
»Dieses Buch führt einen weit hinaus aus der eigenen politischen Komfortzone. Aber der Ausflug lohnt sich.« Giovanni di Lorenzo
»Frauen sollen weniger arbeiten als Männer«, »Wir brauchen Arbeitslosigkeit«, »Die Zukunft wird sein wie die Vergangenheit« - das sind tatsächlich die Regeln, nach denen die deutsche Regierung derzeit Entscheidungen über den Staatshaushalt trifft. Damit verspielen wir unsere Zukunft und gefährden die Demokratie. Es ist nicht der Kapitalismus an sich, der im Weg steht. Sondern die angebliche Alternativlosigkeit, die unsere Politik bestimmt. Dieses Buch zeigt, wie es anders geht. Mit gutem Geld für ein selbstbestimmtes Leben, wirksamen Klimaschutz und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Diktatoren. Eine Geschichte von sparsamen Eichhörnchen und investierenden Kapitalisten, von Politik-Theater und zufälligen Kennzahlen - und der gefährlichsten Idee, die nie einer hatte.
»Der Staat als Unsicherheitenreduzierer - darum geht es der Autorin bei ihrem persönlichen Gang durch die finanzpolitischen Herausforderungen, vor denen unser Land heute steht. Beworben wird gedankliche Offenheit in Verbindung mit sicherem Gespür für Fragwürdigkeit. So werden die Widersprüche der deutschen Schuldenbremse enttarnt und der Reformbedarf benannt.«
Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft
<p><strong>Philippa Sigl-Glöckner</strong> ist Expertin für Finanzpolitik und Geschäftsführerin der von ihr mitgegründeten Denkfabrik Dezernat Zukunft. Sie hält einen Bachelor in Philosophie, Politik und Ökonomie von der Universität Oxford und einen Master in Informatik vom Imperial College, London. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des wirtschaftspolitischen Beirats des SPD-Parteivorstands und wurde für das Young Leaders Programm der Atlantik Brücke ausgewählt. Überdies ist sie gern eingeladener Gast in Talkshows (u.a. Lanz, Phoenix Runde etc.) und veröffentlicht z.B. in der <i><b>FINANCIAL TIMES</b></i>, <i><b>FAZ</b></i>, <i><b>SÜDDEUTSCHE </b></i>und <i><b>ZEIT</b></i>.</p>
Kapitel 1
It’s jobs, stupid!
Die Idee, definieren zu wollen, was eine ›gute‹ Wirtschaft ist, mag Ihnen etwas seltsam vorkommen. Die Gesellschaft sei doch gespalten und die Politik ebenso. Einen Konsens über ein gemeinsames wirtschaftliches Ziel könne es heute gar nicht geben, nur noch eine Wirtschaft, die gut ist für die ein oder andere Interessengruppe. An die Stelle der alten Volksparteien seien längst Klientelparteien gerückt, die die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen vertreten. Die einen wollen Steuersenkungen, die andere Förderung für ihre Lastenräder und die Dritten die Viertagewoche. Ein gemeinsames Verständnis von ›gut‹ entwickeln zu wollen, das über Parteigrenzen hinausgeht, wirkt angesichts dieser Gesamtsituation womöglich aussichtslos. Aber bevor wir uns alle vorschnell in den Kokon unserer jeweiligen gesellschaftlichen Splittergruppe zurückziehen, könnte es sich lohnen, einmal die fundamentalen Unterschiede zwischen den Mitteparteien herauszuarbeiten. Ich rede nicht davon, ob eine Partei für oder gegen eine bestimmte Wirtschaftspolitik ist, sondern von den grundlegenden Politikzielen, die Parteien zum Beispiel in ihren Grundsatzprogrammen definieren.
Wer in den Grundsatzprogrammen von CDU, CSU, FDP, Grünen und SPD nachsieht, könnte meinen, die fünf Parteien hätten voneinander abgeschrieben. Allen geht es um ›Freiheit‹ und nicht nur das: Auch die Auslegung des Freiheitsbegriffs ähnelt sich. Es geht eigentlich immer um Freiheit als Selbstbestimmung und Entfaltung. Die einen wollen die »Talente und Ideen«2, die anderen die »Talente und Begabungen«3 und die Dritten die »Persönlichkeit«4 des Menschen entfalten. Die besonders sozial Gesinnten setzen auf selbstbestimmte Entfaltung mit »Schwächen und Stärken«5, die besonders Fortschrittlichen auf die Entfaltung von »Frauen wie Männer[n]«6. Ganz so verwunderlich ist dieser politische Konsens nicht. Auch in der deutschen Gesellschaft dürfte breite Zustimmung zu diesen Aussagen bestehen. Schließlich stimmen die allermeisten hierzulande zweierlei zu: Erstens, jeder Mensch hat qua seiner Existenz Menschenwürde. Zweitens, Menschen macht aus, dass sie ihre eigenen Lebenspläne verfolgen können.7 Wir vegetieren nicht nur dahin, jeder von uns will irgendwas. Sie möchten vielleicht der erste Mensch auf einem bestimmten Berggipfel sein, ich dieses Buch fertig schreiben und mein Bruder Schauspieler werden. Nimmt man diese beiden Annahmen – Menschenwürde und Willen – zusammen, kommt dabei heraus, dass die Politik versuchen sollte, jedem Menschen Selbstbestimmung zu ermöglichen. Es gibt in Deutschland also doch einen Konsens über fundamentale Prinzipien. Die entscheidende Frage ist, ob sich von diesem Konsens ein ausreichend konkretes und kohärentes Politikziel für die Wirtschafts- und Finanzpolitik ableiten lässt; ein Politikziel, von dem wir auch wissen, wie wir es erreichen können. Ein solches Ziel zu finden wäre der Jackpot, eine Art Kochrezept für die Weltverbesserung.
Beten, Brunch und Baukästen
Kein solches Kochrezept zu haben ist unbefriedigend. Das lernte ich auf der Kirchenbank von Heilig Blut in München Bogenhausen. Bogenhausen, das ist da, wo die Leute in schönen Häusern leben, ein Audi oder Land Rover vor der Tür steht und man am Wochenende in sein Haus am See fährt. Ich war ungefähr zehn. Im Gottesdienst erzählte der Priester eindringlich und immer wieder von Kindern in Afrika, die hungern mussten. Die Erwachsenen seufzten ob des schrecklichen Zustands der Welt. Wir beteten eifrig dafür, dass es den hungernden Kindern bald besser ginge. Danach fuhren wir heim zum Brunch, ich freute mich besonders auf meine Honigsemmel. Die Kinder in Afrika waren schnell vergessen. Am nächsten Sonntag begannen die Gebetsmühlen von neuem. Um zu denken, dass davon irgendetwas besser würde, musste man schon sehr stark an ›den da oben‹ glauben. Das fiel mir schwer, ich beschloss, später irgendwas mit Weltverbesserung zu machen, zum Beispiel bei Ärzte ohne Grenzen in Afrika anzuheuern. Als Arzt hat man zwar nicht das Rezept für die allumfassende Weltrettung, ich würde aber hoffentlich dazu beitragen können, die Folgen von Hungersnöten und Krankheit zu lindern.
Der Berufswunsch Ärztin hielt nicht lang. Organische Chemie überforderte mich in der 10. Klasse hoffnungslos. Dafür lief es gut bei der Schülerzeitung. Die war damals in der Hand der intellektuellen Jungs aus der Oberstufe, die gefühlt den ganzen Tag zwischen Kant, Big-Band-Proben und Platon hin und her schwebten. Ich verstand von alldem nichts, hatte aber das Buch Schatten der Globalisierung des US-amerikanischen Ökonomen Joseph Stiglitz gelesen. Damit fühlte ich mich eindeutig ausreichend informiert, um eine über mehrere Seiten ausufernde Generalkritik am Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu verfassen, die dann tatsächlich in der Schülerzeitung abgedruckt wurde. Stiglitz rezitierend warf ich den beiden Organisationen vor, ganz unterschiedlichen Entwicklungsländern auf Basis eines sehr stilisierten ökonomischen Modells das immer gleiche Reformrezept verordnet zu haben. Ging es nach ihnen, sollten Staaten möglichst schnell privatisieren, ihre Handelsbarrieren abbauen und Kapitalmärkte für ausländisches Geld öffnen. So freigesetzte Marktkräfte würden dann von allein in Wachstum und Wohlstand resultieren. Dass ein effizienter Markt voraussetzungsreich ist, weil er unter anderem einen Rechtsstaat benötigt, der die Marktregeln bestimmt und durchsetzt, wurde oft nicht berücksichtigt. Glaubt man Stiglitz, hat das Vertrauen des IWFs und der Weltbank in stark vereinfachte ökonomische Modelle großen Schaden angerichtet. So sei zum Beispiel die asiatische Wirtschafts- und Währungskrise 1997 und 1998 vor allem auf Empfehlungen des IWFs zurückzuführen.8 Wahrscheinlich hatte ich von der Thematik genauso wenig verstanden wie von organischer Chemie. Der große Einfluss abstrakter Modelle auf konkrete Politik, die den Alltag von Millionen Menschen betraf, war mir aber ungeheuer. Ich entschied mich für ein Studium in Philosophie, Politik und Volkswirtschaftslehre. Meine Hoffnung war, besser zu verstehen, was ein gutes Leben ausmachte, und zu lernen, wie man dieses gute Leben möglichst vielen Menschen ermöglichte.
Ein gutes Leben hatte für mich damals viel mit Freiheit zu tun. Als Eigenbrötlerin, die am liebsten Ski fuhr und Handball spielte, wollte ich wissen, wie alle ihr Leben so leben konnten, wie sie das wollten. Amartya Sen, ein indischer Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler mit Legendenstatus (und Nobelpreis), hatte eine plausible Antwort. Geht es nach Sen, brauchen Menschen für Freiheit die Chance, ihren Lebensentwurf selbst zu wählen, und die Fähigkeiten, ihn umzusetzen.9 Falls Ihnen die Formulierung aus den oben erwähnten Freiheitskonzepten der deutschen Mitteparteien bekannt vorkommt, täuschen Sie sich nicht. Sie alle teilen die zentralen Punkte aus Sens Denkschule. Als Staat sicherzustellen, dass Menschen die notwendigen Fähigkeiten haben, um ihren Lebensentwurf umsetzen zu können, ist anspruchsvoll. Es reicht unter diesem Konzept zum Beispiel nicht aus, eine Schule zu bauen. Die Politik hat erst dann die Freiheit erhöht, wenn die Kinder auch erfolgreich die Schule besucht und die Fähigkeiten erworben haben, die sie für ein selbstbestimmtes Leben benötigen. Da für jeden etwas anderes im Leben wichtig ist, der eine gärtnern, die andere um die Welt segeln möchte, weigert sich Sen, generell festzulegen, welche Fähigkeiten für Freiheit wichtig sind. Die einzige Beschränkung der zulässigen Fähigkeiten ist, dass sie zu einem Leben führen, für dessen Wertschätzung Menschen einen Grund haben.10 Nach diesem Kriterium wäre es in Deutschland zum Beispiel keine Einschränkung der Freiheit, jemandem die Karriere als Massenmörder zu verbieten. Sens Freiheitskonzept wirkt weniger wie ein Kochrezept als vielmehr wie ein Baukasten für die große Freiheitsformel. In der Anleitung des Baukastens beschreibt er, nach welchen Prinzipien die Freiheitsformel zusammengebaut werden könnte. Ich war mir nicht sicher, wie gut sich mit diesem Baukasten ein konkretes Politikziel formulieren ließ.
Die Straßen von Liberia
Nach dem Studium wollte ich meine Kindheitsidee, in Afrika zu arbeiten, weiterverfolgen. Zu Hause im Land der Audis und Land Rovers schien mir die Welt in Ordnung, während die Menschen in Afrika weiter hungerten. Etwas zu lernen, das einen in Afrika nützlich machte, war nur gar nicht so einfach. Ich heuerte bei einer Unternehmensberatung in London an, die sich auf Telekommunikation spezialisiert hatte, eine der wichtigsten Industrien in Afrika. Die Chance, an einem Projekt dort arbeiten zu dürfen, war minimal. Sie kam aber tatsächlich. Ich lernte, dass man für den Kongo mehrere Businesspläne brauchte, weil die Regionen so unterschiedlich waren, dass Mobile Money, also Geldtransfer per SMS, recht mühselig war und dass afrikanische Kunden wesentlich weniger zahlten als lateinamerikanische. Mit dieser Erfahrung bewarb ich mich bei der Weltbank. Nach zahllosen erfolglosen Anläufen bekam ich tatsächlich ein Jobangebot von der Institution, die mich seit der Stiglitz-Lektüre faszinierte: Wie konnte die Weltbank, die den moralisch ansprechendsten Auftrag überhaupt hatte, nämlich armen Ländern zu helfen, angeblich so großen Schaden anrichten? Die Bank wirkte auf mich ein bisschen wie die katholische Kirche oder die FIFA. Sie hat ein Betätigungsfeld, das über allem erhaben...
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Arbeit • Arbeitslosigkeit • Arbeitsmarkt • Armut • Ausbildung • Bund • Deutschland • Europa • Finanzpolitik • Generation • Gerechtigkeit • Gesellschaft • Grundsicherung • Humanistisch • Jobs • Kapitalismus • Klimaschutz • Konzerne • Löhne • Macht • menschlich • Nachhaltigkeit • Notstand • Pflege • Reformen • Reichtum • Schulen • Selbstbestimmung • Staat • Steuern • Verantwortung • Verteilung • Werte • Wirtschaft • Wirtschaftspolitik • Wohlstand • Zukunft |
ISBN-10 | 3-7517-6449-6 / 3751764496 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6449-0 / 9783751764490 |
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