Wachstum am Ende: Was jetzt? (eBook)
154 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9100-2 (ISBN)
Hannes Swoboda
Wachstum – wofür und für wen?
Wir leben in der westlichen und nördlichen Welt in einer Wohlstandsgesellschaft und sprechen von einer Leistungsgesellschaft. Anhaltendes Wirtschaftswachstum und Leistungsbereitschaft haben über Jahrhunderte zu diesem Wohlstand geführt. Doch wer hat diese Leistung erbracht? Und wie genau wurde sie erbracht?
Ausbeutung von Menschen als Quelle des Wachstums
In seinem bahnbrechenden Werk über „AFRIKA und die Entstehung der modernen Welt“ kommt der amerikanische Autor und Journalist Howard E. French nach eingehender Analyse zu folgendem Schluss:
„Der Zuwachs an Wohlstand und Macht beruht nicht auf irgendwelchen angeborenen oder dauerhaften europäischen Eigenschaften, die zu einer Überlegenheit geführt hat. In einem noch immer nicht anerkannten Maß baut er auf dem Fundament der ökonomischen und politischen Beziehungen Europas zu Afrika auf, bei denen natürlich der massive, jahrhundertelange transatlantische Handel von Sklaven im Mittelpunkt stand, die zu Millionen eingesetzt wurden, um Zucker, Baumwolle und andere Marktfrüchte auf den Plantagen der Neuen Welt anzubauen.“
Die Einkommen aus diesen Aktivitäten haben die Industrialisierung der westlichen Welt ermöglicht. Und das betraf und betrifft nicht nur die unmittelbaren Nutznießer wie Portugal, Spanien, England, Niederlande, die USA und andere, sondern alle, die vom wirtschaftlichen Aufschwung der Kolonialländer mitprofitierten.
All das müssen wir bedenken, wenn wir das Verhältnis der westlichen/nördlichen Staaten zu den Staaten des Globalen Südens neugestalten wollen. Die koloniale Geschichte wirkt bis heute nach und kann von den Politikern des Globalen Südens jederzeit „hervorgeholt“ werden, wenn der Westen/Norden Forderungen an Staaten des Globalen Südens stellt. Dennoch wird eine wirksame Klimapolitik nur durch ein neues konstruktives Verhältnis zwischen den beiden globalen Regionen bzw. durch eine enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe zustande kommen.
Ausbeutung der natürlichen Ressourcen
Aber nicht nur die Menschen wurden ausgebeutet, sondern auch die Natur. Und so kamen wir schrittweise ins Anthropozän, einem Zeitalter, in dem wir durch unsere Eingriffe in die Natur diese selbst massiv verändert und damit unsere eigenen Lebensgrundlagen gefährdet haben.
Viele Wissenschaftler fordern daher heute ein Umdenken, nicht zuletzt auch im Verhältnis zu den anderen Lebewesen auf dieser Erde. Der Mensch sollte sich nicht allzu sehr auf sein Alleinstellungsmerkmal als denkendes Wesen berufen. Vielleicht denkt er ohnedies zu wenig – vor allem an die Konsequenzen seines Handels. Insbesondere muss der Mensch die Umwelt zu einer Mitwelt werden lassen, also sich als integralen Teil der Natur verstehen.
Zeit zum Umdenken
Das Zeitalter des Anthropozäns ist vor allem durch die massive Verwendung fossiler Rohstoffe zur Energiegewinnung gekennzeichnet. Diese Form der Energieerzeugung, die vor allem in der nördlichen Erdhälfte stattfand und weiterhin stattfindet, ist für die Erderwärmung und den Klimawandel mit all seinen immer weniger kontrollierbaren Folgewirkungen hauptverantwortlich.
Die Energietransformation ist daher ein wesentliches Element der notwendigen Gegensteuerung, um die Klimakatastrophe zu vermeiden, zumindest aber die schädlichen Konsequenzen der Erderwärmung zu minimieren. Hier geht es nicht um eine Dekarbonisierung, die wir erreichen müssen, sondern um eine Defossilisierung. Wir brauchen Kohlenwasserstoffe als Energieträger, aber wir müssen die Verbrennung fossiler Rohstoffe, also von Öl, Gas und Kohle, massiv zurückfahren.
Kooperation statt Konfrontation
Noch immer denken wir zu sehr an die westliche Welt, wenn wir von der notwendigen Energiewende sprechen. So auch, wenn wir die Entwicklung in Richtung der „nachhaltigen“ Elektrifizierung und insbesondere der Elektromobilität steuern und es als selbstverständlich ansehen, dass wir die dafür notwendigen Rohstoffe aus dem Globalen Süden beziehen – oft unter katastrophaler Vernachlässigung der ökologischen und sozialen Bedingungen vor Ort.
Nach wie vor „externalisieren“ wir die Kosten für die Entwicklung unserer – nun „nachhaltigen“ – Wohlstandsvermehrung, in dem wir – und das trifft nun allerdings auch auf China und andere asiatische Staaten zu – verschiedene Länder des Globalen Südens mit den Folgewirkungen dieser Ausbeutung, der für unser Wohlergehen wichtigen Rohstoffe, allein lassen.
Hinzu kommt, dass wir nicht ausreichend seltene Erden und Mineralien aus der Erde schöpfen können, um auf diese Weise die Elektrifizierung über Sonne und Wind zu erzielen. Notwendig ist die Entwicklung einer Langzeit-Strategie, mit der wir Kohlenwasserstoffe in Form von Methan, Methanol etc. in jenen Ländern erzeugen, wo die Sonne diese Erzeugung in ausreichendem Maße ermöglicht.
Die Energietransformation muss also in enger Kooperation mit den Ländern des Globalen Südens erfolgen. Das kann nur gelingen, wenn es nicht in kolonialer bzw. neokolonialer Form geschieht, sondern klar zum Nutzen beider Seiten organisiert wird. Eine Entkopplung (decoupling) vom Süden, wie sie vielfach generell für die Wirtschaft der westlichen und nördlichen Welt gefordert wird, ist dabei unmöglich bzw. wäre extrem teuer.
Die Energieversorgung muss weiterhin über eine globale Vernetzung passieren, allerdings über eine breit gestreute Versorgung, die die Risken von Versorgungsengpässen und Unterbrechungen minimiert. Die Energiewende im Norden – weg von fossilen Energieträgern -– muss also in enger und gleichberechtigter Kooperation mit dem Globalen Süden erfolgen.
Fundamentale Transformation
Das führt zur berechtigten Frage, wer diese umfassende Transformation eigentlich in Gang setzen soll? Sicher brauchen wir den Staat und in unserem Falle die Europäische Union. Und bei aller berechtigten Kritik hat die EU in den vergangenen Jahren besondere Anstrengungen unternommen, um ein umfangreiches Gesetzespaket, vor allem im Rahmen des „Green Deals“, zu beschließen.
Schon kommt allerdings aus verschiedenen Mitgliedstaaten der Ruf nach einem Stopp fortschrittlicher Gesetze. Die Industrie brauche Zeit, um sich an die neuen Regelungen anzupassen, als ob uns der Klimawandel diese Zeit ließe. Wenn es Anpassungen braucht, dann wohl in Richtung einer engeren Kooperation mit den Ländern des Globalen Südens, was Vorteile für beide Seiten hätte.
Aber es geht nicht nur um die europäischen bzw. staatlichen Regelungen. Es geht darum, dass wir ein Wirtschaftssystem entwickeln, das den ökologischen und sozialen Anforderungen der Zukunft gleichzeitig gerecht wird. Der Kapitalismus in seiner heutigen Form (!) ist Mitverursacher der gefährlichen Entwicklung. Und daher braucht es fundamentale Änderungen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir alle Teil dieses Kapitalismus sind. So meinte die Schriftstellerin Anne Weber anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchpreises: „Der Kapitalismus ist keine böse Machenschaft von Millionären und Milliardären, die sich auf unserem Rücken die Taschen füllen. Wir sind es selbst, die sich auf fremdem Rücken die Bäuche und die Konten füllen.” Und sie fügte hinzu:„ … sogar, wenn du schlecht dabei weggekommen sein solltest, bist du immer noch besser dran als die Armen woanders, mit denen du, weil die Verhältnisse global sind und die Menschheit erst recht, dich wohl oder übel zu vergleichen hast.“
Unabhängig davon, dass wir alle Teil einer falschen Entwicklung sind, ist aber ebenso klar, dass die reicheren Schichten einen unverhältnismäßig höheren ökologischen Fußabdruck verursachen als die ärmeren.
Nachhaltigkeit als Voraussetzung
Und damit sind wir wieder bei der Frage der krassen Ungleichheit – bei uns im Westen, aber noch mehr global gesehen. Wir haben immer wieder geglaubt oder glauben wollen, dass Wirtschaftswachstum die Ungleichheit automatisch verringert. Und in einem gewissen Maß war das tatsächlich der Fall.
Auf der nationalen Ebene hat das Wirtschaftswachstum die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, vor allem die Gewerkschaften ja „ermächtigt“, eine Erhöhung der Löhne und Pensionen durchzusetzen. Aber diese Umverteilung nach unten war nie nachhaltig.
Und auch weltweit hat die Teilnahme am globalen Arbeitsmarkt die Einkommen ärmerer Schichten aus dem Globalen Süden erhöht und eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen aus der Armutsfalle befreit. Allerdings ging dies zum Teil wiederum auf Kosten der unteren Einkommensgruppen in den reicheren Ländern.
Wir sollten uns also nicht so sehr in die Debatte verirren, ob wir Wachstum brauchen oder nicht! Die “Degrowth”-Debatte ist da oftmals irreführend! Es ist immer die Frage zu stellen, was wachsen soll und für wen das Einkommen zunehmen soll.
Wir können die Armut nicht allein durch...
Erscheint lt. Verlag | 16.1.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-7583-9100-8 / 3758391008 |
ISBN-13 | 978-3-7583-9100-2 / 9783758391002 |
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