Blutrotes Kobalt. Der Kongo und die brutale Realität hinter unserem Konsum (eBook)
320 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0694-9 (ISBN)
Wie sauber ist unsere Mobilitätswende wirklich?
Es ist ein Rohstoff, der unseren batteriebetriebenen Alltag am Laufen hält: Kobalt. Abgebaut wird es überwiegend in der Demokratischen Volksrepublik Kongo - unter dramatischen Menschenrechtsverletzungen. Welche Industrie steckt hinter unseren sauberen E-Autos, Smartphones und Laptops? Der Wirtschaftswissenschaftler und Aktivist Siddharth Kara ist auf seinen Reisen in die von Milizen kontrollierten Bergbauregionen bis tief in das finstere Herz unseres fossilen Kapitalismus vorgedrungen.
In seinem Buch legt er erstmals die Lieferketten und Geschäftsmodelle der Tech- und Automobil-Konzerne offen, deren Nachhaltigkeitsversprechen sich selbst auf Vorzeigeminen als Fiktion erweisen. Er erkundet koloniale Hintergründe, die zu den heutigen Zuständen geführt haben, vor allem aber lässt er die Menschen zu Wort kommen, die für den Kobaltabbau ihr Leben riskieren.
Eindrücklich und fundiert berichtet Kara aus den Untiefen unserer postimperialen Welt und erweitert unser Verständnis für die Effekte unserer globalen Wirtschaft, deren moralische Auswirkungen uns alle betreffen.
SIDDHARTH KARA ist Wirtschaftswissenschaftler, Menschenrechtsaktivist und gehört zu den weltweit führenden Experten zum Thema Menschenhandel. Er ist ein Global Professor der British Academy und Professor an der Universität Nottingham. Kara hat drei Bücher über moderne Sklaverei verfasst und wurde mit dem Frederick Douglass Book Prize ausgezeichnet. Sein erstes Buch über die schockierenden Bedingungen der globalen Zwangsprostitution wurde mit dem Titel »Trafficked« in Hollywood verfilmt. Ein von »Blutrotes Kobalt« inspirierter Spielfilm befindet sich derzeit in der Vorproduktion.
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»UNBESCHREIBLICHER REICHTUM«
Es ist eine in jeder Hinsicht ungeheuerliche und grausame Lüge. Wäre sie nicht so entsetzlich, könnte schon ihre schiere Unverfrorenheit unterhaltsam sein.
Joseph Conrad, Brief an Roger Casement (17. Dezember 1903)
Wir alle wissen, wie abhängig die heutige Welt von fossilen Brennstoffen ist. Erdöl, Kohle und Erdgas werden in jedem Winkel der Erde abgebaut, unter Meeren, Wüsten, Bergen und auf dem Festland. Stellen Sie sich einen Moment vor, fast drei Viertel aller fossilen Brennstoffe unter der Erdoberfläche würden stattdessen auf einem einzigen Fleck Erde von etwa 400 mal 100 Kilometern Größe gefördert. Stellen Sie sich weiter vor, dass sich innerhalb dieses Flecks Erde etwa die Hälfte des Öls in einer einzigen Stadt und ihrem Umland befände und dass die Lagerstätten so nahe an der Oberfläche lägen, dass praktisch jeder mit einer Schaufel darauf zugreifen könnte. Dies wäre sicherlich die unentbehrlichste Stadt der Welt. Große Bohrunternehmen würden in Scharen anrücken, um Ansprüche auf diese Reichtümer zu erheben. Das Gleiche gilt für die örtliche Bevölkerung im Umkreis. Man würde versuchen, mit Gewalt die Kontrolle über wertvolle Parzellen zu erlangen. Der Schutz der Umwelt würde zur Nebensache. Die regionale Verwaltung wäre durch Korruption geprägt. Die Gewinne würden ungleich verteilt, wobei die mächtigen Akteure an der Spitze der Kette den größten Nutzen hätten, während für die lokale Bevölkerung eher wenig abfallen dürfte. Genau diese Situation ist heute bei einem Mineral gegeben, das für unsere Zukunft so wichtig sein wird, wie die fossilen Brennstoffe für unsere Vergangenheit waren. Dieses Mineral ist Kobalt, und die Stadt heißt Kolwezi.
Kolwezi liegt versteckt in den dunstigen Hügeln im Südosten der Demokratischen Republik Kongo. Obwohl die meisten Menschen noch nie von Kolwezi gehört haben, könnten Milliarden von Menschen ihr tägliches Leben ohne diese Stadt nicht führen. Die Akkus fast aller Smartphones, Tablets, Laptops und Elektrofahrzeuge, die heute hergestellt werden, können ohne Kolwezi nicht wieder aufgeladen werden. Das Kobalt, das hier in der Erde gefunden wird, sorgt für maximale Stabilität und Energiedichte bei wiederaufladbaren Batterien, sodass sie mehr Ladung halten und eine längere Funktion gewährleisten können. Würde man das Kobalt aus dem Akku entfernen, müsste man sein Smartphone oder Elektroauto viel öfter an die Steckdose anschließen, und die Akkus könnten schneller in Brand geraten. Es gibt weltweit kein bekanntes kobalthaltiges Erzvorkommen, das größer, leichter zugänglich und von höherer Qualität ist als das Kobalt unter Kolwezi.
Kobalt kommt in der Natur meist in Verbindung mit Kupfer vor, und die Kupfer-Kobalt-Vorkommen im Kongo erstrecken sich in unterschiedlicher Dichte und Qualität entlang eines 400 Kilometer langen Halbmondes von Kolwezi bis ins nördliche Sambia und bilden ein Gebiet, das als Zentralafrikanischer Kupfergürtel (Copperbelt) bezeichnet wird. Der Kupfergürtel ist ein metallogenes Wunder, das enorme Mineralienreichtümer birgt, darunter zehn Prozent des weltweiten Kupfers und etwa die Hälfte der weltweiten Kobaltreserven. Im Jahr 2021 wurden in der Demokratischen Republik Kongo insgesamt 111 750 Tonnen Kobalt abgebaut, was 72 Prozent des weltweiten Angebots entspricht. Dieser Anteil wird voraussichtlich weiter steigen, da die Nachfrage von Technologieunternehmen und Herstellern von Elektrofahrzeugen Jahr für Jahr zunimmt. 1 Man könnte meinen, Kolwezi sei eine Boomtown, in der unerschrockene Schürfer ein Vermögen machen können. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Kolwezi, wie auch der Rest des kongolesischen Kupfergürtels, ist ein Gebiet, das von dem wahnwitzigen Bemühen beherrscht wird, die Verbraucher in aller Welt mit Kobalt zu versorgen. Das Ausmaß der Zerstörung ist gewaltig, das Leid unermesslich. Kolwezi ist das neue Herz der Finsternis, ein geschundener Erbe aller kongolesischen Gräuel der Vergangenheit – Kolonialherrschaft, Kriege und Generationen der Sklaverei.
Der erste Europäer, der das Herz des afrikanischen Kontinents in einer zusammenhängenden Reise von Osten nach Westen durchquerte, der britische Leutnant Verney Lovett Cameron, schrieb am 7. Januar 1876 in der Times über den Kongo:
Das Landesinnere ist zum großen Teil ein herrliches und gesundes Land von unbeschreiblichem Reichtum. Ich habe einen kleinen Brocken guter Kohle mitgenommen; auch andere Mineralien wie Gold, Kupfer, Eisen und Silber sind reichlich vorhanden, und ich bin zuversichtlich, dass durch klugen und großzügigen (nicht verschwenderischen) Kapitaleinsatz eines der großartigsten Binnenschifffahrtssysteme der Welt nutzbar gemacht werden könnte, das sich in 30 bis 36 Monaten für jeden geschäftstüchtigen Kapitalisten, der die Sache in die Hand nimmt, auszahlen dürfte. 2
Innerhalb eines Jahrzehnts nach Camerons Schreiben plünderten »geschäftstüchtige Kapitalisten« den »unbeschreiblichen Reichtum« des Kongo. Der gewaltige Kongostrom und seine kapillaren Nebenflüsse boten den Europäern, die in das Herz Afrikas vordringen wollten, ein natürliches Navigationssystem, das es ihnen außerdem ermöglichte, wertvolle Ressourcen aus dem Landesinneren an die Atlantikküste zu transportieren. Niemand ahnte anfangs, dass der Kongo einige der größten Vorkommen nahezu aller Rohstoffe beherbergte, nach denen die Welt verlangte, oft gerade dann, wenn sich neue technische Erfindungen oder industrielle Entwicklungen etablierten – Elfenbein für Klaviertasten, Kruzifixe, falsche Zähne und Schnitzereien (in den 1880er-Jahren), Gummi für Auto- und Fahrradreifen (in den 1890er-Jahren), Palmöl für Seife (ab 1900), Kupfer, Zinn, Zink, Silber und Nickel für die Industrialisierung (ab 1910), Diamanten und Gold, um den Wohlstand zu vermehren (immer), Uran für Atombomben (1945), Tantal und Wolfram für Mikroprozessoren (ab 2000) und Kobalt für wiederaufladbare Batterien (ab 2012). Jede Neuerung entfachte eine gesteigerte Nachfrage nach den jeweiligen Ressourcen und zog stets eine neue Welle Schatzsuchender an. Das kongolesische Volk dagegen hat zu keinem Zeitpunkt in seiner Geschichte in irgendeiner Weise von der Monetarisierung der Ressourcen seines Landes profitiert. Vielmehr dienten die Einheimischen oft als Zwangsarbeiter bei der Gewinnung dieser Ressourcen, wobei sie kaum etwas verdienten, aber dafür umso mehr Leid zu ertragen hatten.
Die Gier nach Kobalt ist eine unmittelbare Folge der heutigen gerätegesteuerten Wirtschaft in Verbindung mit dem weltweiten Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen. Die Automobilhersteller steigern die Produktion von Elektrofahrzeugen rasant und unterstützen damit die Bemühungen der Regierungen, die Kohlenstoffemissionen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens von 2015 zu reduzieren. Diese Verpflichtungen wurden auf dem Klimagipfel COP26 im Jahr 2021 bekräftigt. Die Batterien von Elektrofahrzeugen benötigen jeweils bis zu zehn Kilogramm raffiniertes Kobalt, das ist mehr als das 1000-Fache der für einen Smartphone-Akku erforderlichen Menge. So soll die Nachfrage nach Kobalt von 2018 bis 2050 voraussichtlich um fast 500 Prozent steigen 3 , und es gibt keinen anderen bekannten Ort auf der Welt außer der Demokratischen Republik Kongo, wo diese Menge an Kobalt verfügbar ist.
Der Kobaltabbau an Orten wie Kolwezi steht am Beginn einer komplexen Lieferkette, die sich wie eine Krake bis zu den reichsten und mächtigsten Unternehmen der Welt erstreckt. Apple, Samsung, Google, Microsoft, Dell, LTC, Huawei, Tesla, Ford, General Motors, BMW und Daimler-Chrysler sind nur einige der Unternehmen, die ihr Kobalt teilweise, überwiegend oder komplett aus der Demokratischen Republik Kongo beziehen, und zwar über Batteriehersteller und Kobaltveredler in China, Japan, Südkorea, Finnland und Belgien. Offiziell toleriert keines dieser Unternehmen die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Kobalt im Kongo gefördert wird, aber weder sie noch sonst irgendjemand unternimmt die notwendigen Anstrengungen, um diese Bedingungen zu verbessern. Tatsächlich scheint sich niemand der Verantwortung für die negativen Folgen des Kobaltabbaus im Kongo stellen zu wollen – nicht die kongolesische Regierung, nicht die ausländischen Bergbauunternehmen, nicht die Batteriehersteller und schon gar nicht die großen Technologie- und Automobilkonzerne. Die Rechenschaftspflicht verflüchtigt sich wie der Morgennebel in den Hügeln von Katanga auf dem Weg durch die undurchsichtigen Lieferketten, die das Mineral mit dem Telefon und dem Auto verbinden.
Die Mineralien- und Geldströme werden zusätzlich durch ein Netz undurchsichtiger Verbindungen zwischen ausländischen Bergbauunternehmen und kongolesischen Politikern verschleiert, von denen sich einige an den Versteigerungen der Bergbaukonzessionen des Landes bereichert haben, während Millionen Kongolesen unter extremer Armut, Nahrungsmittelknappheit und Bürgerkriegen leiden. Von 1960, als Patrice Lumumba zum ersten Premierminister des Landes gewählt wurde, bis 2019, als Félix Tshisekedi das Amt übernahm, gab es im Kongo keinen einzigen friedlichen Machtwechsel....
Erscheint lt. Verlag | 23.4.2024 |
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Übersetzer | Hans Freundl |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Cobalt Red |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Recht / Steuern ► EU / Internationales Recht | |
Recht / Steuern ► Privatrecht / Bürgerliches Recht | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
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Wirtschaft | |
Schlagworte | Afrika • Armut • Ausbeutung • Batterien • Bestseller USA • Cobalt • Cobaltblau • Cobalt Rex • Element • fossiler Kapitalismus • Geschichte Afrikas • Glencore • Handel • Imperialismus • Kinderarbeit • Kobalt • Kobaltabbau • Kolonialherrschaft • Kolonialismus • Kolonialzeit • Kongo • Menschenrecht • Menschenrechtsverletzungen • Mobilitätswende • Moderne Sklaverei • Postkolonial • Reportage • Rohstoffhandel • Sachbuch • Sklaverei |
ISBN-10 | 3-7499-0694-7 / 3749906947 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0694-9 / 9783749906949 |
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