Workshift (eBook)
239 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45592-1 (ISBN)
Elly Oldenbourg ist erfahrene Managerin, zuletzt langjährig bei Google. Dank Teilzeit und Jobsharing konnte sie sich in den letzten Jahren als Sidepreneurin und ehrenamtlich fu?r eine flexiblere und zukunftsweisendere (Arbeits-)Welt engagieren: zum Beispiel als Speakerin, Co-Gru?nderin des New-Work-Onlinekurses oder Gastdozentin am Karlsruher Institut fu?r Technologie (KIT), als Gastgeberin eines philosophischen Salons, Wertebotschafterin bei der Bildungsinitiative #GermanDream, oder als Aufsichtsra?tin beim World Future Council. Die Halb-Griechin lebt mit ihrer Familie in Hamburg.
Elly Oldenbourg ist erfahrene Managerin, zuletzt langjährig bei Google. Dank Teilzeit und Jobsharing konnte sie sich in den letzten Jahren als Sidepreneurin und ehrenamtlich für eine flexiblere und zukunftsweisendere (Arbeits-)Welt engagieren: zum Beispiel als Speakerin, Co-Gründerin des New-Work-Onlinekurses oder Gastdozentin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), als Gastgeberin eines philosophischen Salons, Wertebotschafterin bei der Bildungsinitiative #GermanDream, oder als Aufsichtsrätin beim World Future Council. Die Halb-Griechin lebt mit ihrer Familie in Hamburg.
ENOUGH? ENOUGH!
Wo fange ich an, wenn das Klima kippt, wenn demokratische Strukturen in immer mehr Ländern auseinanderbrechen, wenn die globale Wirtschaft vor geopolitischen Zerreißproben steht? Wo fange ich an, wenn wir alle so übermüdet in diesem System performen, dass wir vergessen haben, warum wir so rastlos in genau die Richtung rennen, von der wir doch längst wissen, dass sie nicht stimmt? Wo fange ich an, wenn es nirgendwo den einen mächtigen Hebel gibt, der diesem Wahnsinn ein Ende setzt – und ich trotzdem will, dass das aufhört? Vor ein paar Jahren habe ich entschieden, dort anzufangen, wo ich direkt und unmittelbar etwas bewirken kann: bei mir selbst.
Meine Story: Von »Reicht es?« zu »Es reicht!«
Als Kind einer in Brasilien aufgewachsenen Mutter mit deutsch-russisch-jüdischen Wurzeln und einem griechischen Künstler-Vater wurde ich 1984 in Athen geboren. Aufgewachsen bin ich in einer großen, gutbürgerlichen Familie in München – mit einer Mutter, die ein Netflix-reifes Leben führte, und gleich drei Vaterfiguren. Der Satz, den mir meine Mutter in meiner Schulzeit am häufigsten gesagt und der sich bei mir am stärksten eingebrannt hat, war: »Elly, DU musst Karriere machen und nicht den gleichen Fehler wie ich, immer von irgendeinem Mann abhängig zu sein.« Dieser Satz hat bei mir zu einem hohen Arbeitsethos geführt. Aber nicht sofort. Das passierte erst, nachdem ich in meinen Schul- und Studienjahren mehr auf Partys als in der Bibliothek performt, nachdem ich meine Abenteuerlust in unzähligen Reisen von Burma bis nach Patagonien, von Honduras bis nach Indien ausgelebt und nachdem ich meinen leiblichen Vater in Griechenland gesucht und gefunden hatte. Diese Reise war mein größtes Abenteuer. Zu entdecken, dass ich Wurzeln habe in einem anderen Land, mit einer anderen Kultur, die zwar zu mir gehört, aber in meinem Leben sehr lange eine Leerstelle war. Vielleicht frage ich deshalb so oft »Warum?« und »Woher?« und »Könnte es nicht auch ganz anders sein?«.
Dass Verhältnisse »anders« sind, ist Teil meiner Biografie. Ich selbst bin halb-dies-halb-das, habe Halb-, Adoptiv- und Stiefgeschwister. Einer meiner Väter ist Künstler, einer Ingenieur, einer ein US-Army Colonel. Meine Verwandtschaft lebt in Großbritannien und in der Schweiz, in Mexiko, Brasilien und den USA. VUCAP – das Akronym aus »volatil, unsicher, komplex, mehrdeutig, paradox« – war lange bevor es zur Beschreibung unserer Makrowelt wurde Realität in meiner Mikrowelt. Bis ich 20 war, lebte ich in einem angloamerikanisch geprägten Umfeld, allein schon durch die engen Kontakte meiner Familie in die USA, vor allem aber durch meine sehr geliebte Schwester in Texas. In meinem dualen Studium habe ich einen Teil meiner Ausbildungsphasen in Singapur und Hongkong gearbeitet – in dieser Zeit habe ich zum ersten Mal die Welt nicht mehr nur durch die westliche Brille gesehen, und ich kam deutlich weitblickender, toleranter und vorurteilsfreier zurück. Genauso erging es mir ein paar Jahre später, als ich sechs Monate lang durch Südamerika reiste und im Norden Perus ein Straßenkinder-Projekt begleitete. Auch hier ließ ich mein westliches Weltverständnis und dessen Taktung hinter mir – und ich kam weicher, klüger, aber auch ernüchterter zurück. Und vergesse seitdem keinen Tag, wie privilegiert ich groß geworden bin, trotz dieser riesigen Familie voller Lücken und Spannungen. Was mich und mein Leben außerdem seit vielen Jahren ausmacht, ist eine »innere Arbeit«: der Versuch, die vielen Herzen in meiner Brust besser zu verstehen, die oft so gar nicht in einem Rhythmus schlagen wollen. Auch Erinnerungsarbeit gehört dazu: beim Aufschreiben meiner gesamten Familiengeschichte habe ich viel über Mensch und Welt gelernt. Ein Leben zwischen den Stühlen ist ungemütlich, bleibt ungemütlich, bietet aber auch Vorteile: Ich kann nicht anders, als »von außen« auf Situationen und Konstellationen zu schauen.
Warum erzähle ich all das? Weil ich deutlich machen will, was ich mit meinem Gesprächsgästen auch bei jedem meiner philosophischen Cafés, dem Morgen.Salon, deutlich machen möchte: dass hinter den Titeln und Jobs auf den schicken LinkedIn-und-Co. Seiten Menschen stehen. Menschen, deren Wege alles andere als geradlinig sind, sondern vielseitig, krumm und schief, hier und da auch gewöhnungsbedürftig. Wie das Leben selbst: fehler- und fabelhaft.
Nach meinen Wanderjahren habe ich dann das auf die Beine gestellt, was man wohl als »erfolgreiche Karriere« bezeichnet, in verschiedenen Industrien, Ländern, Unternehmen – Elly, die Managerin. Und das hat mir durchaus Spaß gemacht, meine Lernkurve und Wirkungsspielraum vergrößerten sich stetig. Aber nach einigen Jahren, in denen es immer nur höher, schneller, weiter ging, war ich müde. So müde, dass ich mich nicht einmal mehr über die Gründe aufregen konnte, die mich so müde machten. In meinem Kopf ratterte es pausenlos. Und im Hintergrund kam ein anfangs stummer, dann immer lauter werdender Protest hinzu:
»Leiste ich genug? Bin ich genug? Was bin ich ohne meinen Job? Ist es das, wofür ich meine Talente und Fähigkeiten wirklich einsetzen möchte? Ist das schon der ›Erfolg‹, den man mir in meiner Schulzeit, Ausbildung, in meinem Studium und in den ersten Berufsjahren versprochen hatte: Woche für Woche fünf Tage durchackern mit Rückenschmerzen, zu wenig Schlaf, zu wenig Zeit für Freunde, Familie, Hobbys? Ein Hangeln von Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub, bis zur Rente? Soll DAS alles sein? Ist DAS schon die ganze Idee?«
Intuitiv wusste ich, dass meine innere Stimme mich mit ihren Nörgel-Arien bei Laune hielt, dass sie mir mit ihrem Pseudo-Protest sogar einen moral benefit vorgaukelte – immerhin »tut« man ja etwas durch das innere Gejammer – und dass sich an meiner Situation erst dann etwas ändern würde, wenn ich mit dieser inneren Stimme Schluss mache und ins Handeln komme. Aber ich kam nicht ins Handeln – bis mein Leben stoppte. Ich wurde Mutter. Man stelle sich kurz die strahlendsten Insta-Mums vor – und dann das Gegenteil. Viele Körper überstehen eine Schwangerschaft und Geburt, ohne sich in einen Sanierungsfall zu verwandeln – aber nicht alle. In den Jahren zuvor war meine Mutter lebensgefährlich erkrankt, kurz vor der Schwangerschaft starb plötzlich mein leiblicher Vater. Und mein Partner hatte zwar das Glück einer ganz großen Liebe in mein Leben gebracht, aber zusätzlich auch ein neues, kompliziertes Patchworkfamilien-Paket. Kurz: Mein Leben hatte mir in wenigen Jahren so viele schöne und unschöne Erfahrungen nacheinander aufgetischt, dass ich um die fundamentalen Fragen, die mich innerlich drängten, nicht mehr herumkam. Von Tag zu Tag wurde mir mehr klar: Es reicht! Ich hatte genug davon, dass mein Leben um nichts anderes als um Leistung, Druck, Status und Karriere herum optimiert war. Dass persönliche Höhenflüge (Liebe, Leben) und Rückschläge (Krankheit, Tod), die mit dem Job nichts zu tun haben, aber zu einem Leben doch eigentlich gehören sollten, überhaupt keinen Platz und keine Zeit hatten. Und so beschloss ich, mich auf die Suche nach meinem ganz persönlichen anderen Arbeits-, nein eigentlich: Lebensmodell, zu machen. In diesem monatelangen, jahrelangen, manchmal heute noch sehr präsenten Emanzipationsprozess habe ich dann irgendwann das getan, was mir nach vielen Gesprächen – mit anderen und mit mir selbst – plötzlich absolut logisch schien, was auf andere aber auch heute noch radikal wirkt. Statt die Zeit, meine Lebenszeit, nach meiner Arbeit auszurichten, begann ich, meine Arbeit nach meiner Zeit auszurichten.
Ein Leben, viele Hüte
Mein erster Schritt klingt für sich genommen erst einmal nicht besonders revolutionär: Ich reduzierte meinen gut bezahlten, auf dem »High-Performer«-Track dahinrasenden Unternehmens-Job in einem globalen Tech-Konzern auf drei Tage. Drei. Ich wusste intuitiv, dass »vollzeitnahe Teilzeit« bei mir nicht funktionieren und ich mich ständig selbst sabotieren würde. Mein Gefühl war: Wenn...
Erscheint lt. Verlag | 7.2.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
Schlagworte | Agiles Arbeiten • Care-Arbeit • Jobsharing • Klimaschutz • KPI • new work • Sinnfrage • Vereinbarkeit |
ISBN-10 | 3-593-45592-7 / 3593455927 |
ISBN-13 | 978-3-593-45592-1 / 9783593455921 |
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