Praxiswissen Betriebliche Altersversorgung (eBook)
474 Seiten
Haufe Verlag
978-3-648-17416-6 (ISBN)
Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.
Gregor Thüsing Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Thomas Granetzny Dr. Thomas Granetzny ist Rechtsanwalt in Düsseldorf mit Schwerpunkt im Bereich der betrieblichen Altersversorgung.
2.5 Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz und sonstige Diskriminierungsverbote
§ 1b Abs. 1 S. 4 BetrAVG erwähnt den Grundsatz der Gleichbehandlung als Rechtsbegründungsakt ausdrücklich. Der Arbeitgeber hat diesen bei der Gestaltung von Versorgungsregelungen gegenüber den Arbeitnehmern zu beachten. Insbesondere zur Begründung von Versorgungszusagen durch den Gleichbehandlungsgrundsatz findet sich umfassende Kasuistik.45
O-Ton Rechtsprechung
»Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist die privatrechtliche Ausprägung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Gemäß § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG können Versorgungsverpflichtungen nicht nur auf einer Versorgungszusage, sondern auch auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruhen. Im Bereich des Betriebsrentenrechts hat der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz damit kraft Gesetzes anspruchsbegründende Wirkung (etwa BAG 12. August 2014 – 3 AZR 764/12 – Rn. 22 m. w. N). Er findet stets Anwendung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt. Allerdings greift er nur bei einem gestaltenden Verhalten des Arbeitgebers ein, hingegen nicht beim bloßen – auch vermeintlichen – Normenvollzug.«46
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet, Arbeitnehmer oder eine Gruppe von diesen, soweit sie hinsichtlich bestimmter Merkmale im Wesentlichen vergleichbar sind und damit eine Vergleichsgruppe bilden, bei Anwendung der selbst gestalteten Versorgungsbestimmungen gleich zu behandeln.47 Eine Ungleichbehandlung ist nur zulässig, soweit sie gerechtfertigt ist. Im Rahmen der Anforderungen an die Rechtfertigung ist zwischen sachverhaltsbezogener und personenbezogener Ungleichbehandlung zu differenzieren. Sachverhaltsbezogene Ungleichbehandlungen sind nicht zulässig, wenn sie sachfremd und damit willkürlich sind. Sachfremd ist eine Ungleichbehandlung, sofern sich für sie kein vernünftiger Grund findet.
Ob ein solcher Grund vorliegt, ist zunächst nach dem Zweck der Maßnahme oder Regelung zu beurteilen. Insbesondere unternehmerische, soziale und betriebliche Zwecke sind grundsätzlich geeignet, als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung im vorgenannten Sinn zu dienen. Zulässig sind Ungleichbehandlungen bspw. zur Belohnung von Betriebstreue, zur Gewinnung neuer Arbeitskräfte, wenn in bestimmten Bereichen ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt herrscht, zur Sicherung der Finanzierbarkeit für das Unternehmen sowie zur Wahrung sozialer Besitzstände der Arbeitnehmer im Unternehmen, bspw. bei der Zusammenlegung verschiedener betrieblicher Versorgungsordnungen infolge eines Betriebszusammenschlusses. Deshalb sind Differenzierungen zum Beispiel nach dem Eintrittsdatum, der Stellung und der Funktion im Betrieb, der Leistung der Arbeitnehmer, dem Lebensalter, der Kinderzahl usw. ebenso grundsätzlich möglich wie etwa ein Ausschluss bestimmter Arbeitnehmer von der Versorgungsleistung, die ein wesentlich höheres laufendes Arbeitsentgelt beziehen. Zulässig kann auch eine Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten sein, wenn damit einer unterschiedlich hohen Versorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung Rechnung getragen werden soll.48 Ferner kann eine stichtagsbezogene Differenzierung zwischen Versorgungsempfängern und Versorgungsanwärtern nicht zu beanstanden sein, nach der der Arbeitgeber ohne Rechtsgrund gewährte Begünstigungen nur noch Versorgungsempfängern gewähren will.49 Auch kann ein Ausschluss von Arbeitnehmern mit bestehender Individualzusage aus einer Versorgungsordnung zulässig sein, wenn der Arbeitnehmer mit individueller Zusage im Versorgungsfall nicht eine zumindest annähernd gleichwertige Versorgung erhält.50 Demgegenüber ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe anders behandelt wird, obwohl zu anderen Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können.51
Darüber hinaus trifft den Arbeitgeber die Pflicht, wesentlich Ungleiches entsprechend unterschiedlich zu behandeln, sodass die vorgenannten Grundsätze auch in diesem Fall der Ungleichbehandlung greifen. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz bindet den Arbeitgeber hingegen nicht, soweit er Normen vollzieht.
Soweit die betriebliche Altersversorgung in einem Tarifvertrag geregelt ist, ist der Arbeitgeber innerhalb des Anwendungsbereichs der tariflichen Regelungen nicht an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Dies gilt auch, wenn nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihren Arbeitsverträgen auf tarifvertragliche Regelungen verweisen.52 Die tarifvertraglichen Regelungen selbst sind jedoch an dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz53 und den Vorschriften des A GG zu messen.54
Wichtig
Von besonderer praktischer Relevanz ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ausschluss von befristet beschäftigten Arbeitnehmern von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.55 Der mit dem Teilzeitbefristungsgesetz im Jahr 2000 eingeführte § 4 Abs. 2 TzBfG, der ein Diskriminierungsverbot gegenüber befristet Beschäftigten statuiert, legt zunächst einmal nahe, dass ein Ausschluss von der betrieblichen Altersversorgung aufgrund der Befristung unzulässig ist. Das BAG hat bisher demgegenüber aber an seiner bereits zuvor vertretenen Auffassung festgehalten, dass der Zweck der betrieblichen Altersversorgung, die Arbeitnehmer möglichst langfristig an den Betrieb zu binden, weiterhin einen sachlichen Grund darstellt und ein Ausschluss insoweit grundsätzlich zulässig ist.56 Ob das BAG seine Rechtsprechung auch auf eine Versorgungszusage übertragen wird, die (zusätzlich) die wirtschaftlichen Folgen des Renteneintritts abfedern soll, bleibt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der 2018 abgesenkten Unverfallbarkeitsfristen in § 1b BetrAVG abzuwarten.57
Für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, denen bereits eine Versorgungszusage erteilt worden ist, gilt jedoch der Pro-rata-temporis-Grundsatz aus § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG. Dem Grunde nach müssen Teilzeitbeschäftigte Leistungen aus betrieblicher Altersversorgung mindestens in der Höhe erhalten, die dem Umfang ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigen entspricht. Vergleichbar sind Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte mit gleich langer Betriebszugehörigkeit.58 Dem Arbeitgeber steht es offen, bei einer endgehaltsbezogenen Betriebsrentenzusage auch bei Teilzeitkräften auf das zuletzt maßgebliche Entgelt abzustellen. Berücksichtigt der Arbeitgeber zur Feststellung des maßgeblichen Beschäftigungsumfangs bspw. die letzten zehn Jahre, liegt darin keine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitkräften, selbst wenn diese unmittelbar vor Beginn des Betrachtungszeitraums in Vollzeit tätig waren.59
Verstöße gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz haben hinsichtlich der Vergangenheit zur Folge, dass dem zu Unrecht ungleich behandelten Arbeitnehmer ein Anspruch auf dieselbe Leistung, wie vergleichbare Arbeitnehmer sie erhalten haben, zusteht. Dies resultiert insbesondere auch aus dem Umstand, dass eine Rückforderung bereits erbrachter Leistungen rechtlich weitestgehend nicht möglich, zumindest aber faktisch regelmäßig nicht realisierbar sein wird. Für die Zukunft kann der Arbeitgeber überwiegend frei bestimmen, auf welche Weise die Gleichbehandlung erreicht werden soll. Infolgedessen ist ihm nicht benommen, die jeweils unzulässige Regelung oder Leistung für die Zukunft zu ergänzen oder zu ersetzen. Vergleiche zu Einzelfällen ausführlich die Rechtsprechungsübersicht unter »Gleichbehandlung, Diskriminierungsschutz, betriebliche Übung« im Anhang.
Allgemeiner arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz
Rechtsprechungsbeispiele für zulässige Differenzierungskriterien:
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Gewährung an beschränkten, nach abstrakten Kriterien eingrenzbaren Personenkreis (z. B. für Arbeitnehmer in gehobenen Positionen) (BAG v. 11.11.1986, NZA 1987, 449)
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Differenzierung der Anspruchshöhe nach Arbeitsentgelt und Dauer der Betriebszugehörigkeit (BAG v. 22.11.1994, NZA 1995, 733)
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Stichtagsregelungen (BAG v. 18.9.2001, NZA 2002, 148)
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zur Belohnung der Betriebstreue
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aus wirtschaftlichen Gründen
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zum Anreiz im Wettbewerb um Arbeitskräfte
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teilweise Herausnahme eines Arbeitnehmers bei Rentenberechnung wegen eines aufgrund eines Erziehungsurlaubs ruhenden Arbeitsverhältnisses (BAG v. 20.4.2010, NZA 2010, 1188)
45 U. a. BAG v. 19.8.2008 – 3 AZR 194/07, NZA 2009, 196; v. 21.8.2012 – 3 AZR 81/10, AP...
Erscheint lt. Verlag | 11.12.2023 |
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Reihe/Serie | Haufe Fachbuch | Haufe Fachbuch |
Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management |
Schlagworte | bAV • Betriebliche Altersversorgung • Betriebsrente • Entgeltumwandlung • Pension • Rente • Rentenversicherung • Riester • Ruhestand • Sparen • Zusatzrente |
ISBN-10 | 3-648-17416-9 / 3648174169 |
ISBN-13 | 978-3-648-17416-6 / 9783648174166 |
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