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Die schonende Abwehr verliebter Frauen (eBook)

Oder die Kunst der Verstellung
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12240-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die schonende Abwehr verliebter Frauen -  Adam Soboczynski
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»Nichts ist vor dem Witz dieses Erzählers sicher.« taz Wir wollen Erfolg, wollen gegenüber anderen glänzen oder uns manchmal aus unliebsamen Situationen wie ein Dieb auf und davonmachen. Im Vorteil ist, wer sich dabei gut zu verstellen weiß - dem einen gelingt's während der andere krachend scheitert. Diese peinlichen oder glücklichen Momente schildert Adam Soboczynski schonungslos offen: mit liebevoller Zärtlichkeit und hinreißendem Witz. »Soboczynski führt vor, dass Verstellungskunst, ob wir wollen oder nicht, unser Leben begleitet und dass sie sich oftmals gerade mit dem Ausdruck der Authentizität tarnt.« Ursula März, dlf kultur »An diesem Buch bleibt keines der gewohnten Etiketten haften; es ist ein philosophierender Ratgeber-Erzählungsband, ein kleines, leichtes Kunstwerk.« René Aguigah, Literaturen

Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Toru?, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter »Die schonende Abwehr verliebter Frauen«. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman »Fabelhafte Eigenschaften« bei Klett-Cotta.

Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Toruń, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter »Die schonende Abwehr verliebter Frauen«. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman »Fabelhafte Eigenschaften« bei Klett-Cotta.

3 Sich verstellen


Zwei Geschichten liegen hinter uns, die davon handeln, dass wir uns immerzu inszenieren, inszenieren müssen, um Wünsche, Gedanken, Sehnsüchte auszudrücken, dass wir uns immerzu verstellen! Zur Schonung anderer, damit sie uns in Zukunft nicht schaden und um uns gegenüber Konkurrenten Vorteile zu verschaffen. Wir brauchen dafür den Körper, brauchen die Sprache. Fragile Werkzeuge, die anzeigen, dass ein Riss, seitdem wir auf der Welt sind, in uns ist; dass wir gespalten sind in ein geistiges Innen und ein körperliches Außen; dass wir authentisch sein wollen und bestenfalls so wirken. Nie sind wir bei uns selbst, die Schöpfung, seit wir den Sündenfall erlitten, ist reines Welttheater. Und »wahrhaft zu sein«, wie einst ein Philosoph sagte, heißt nur, »nach einer festen Konvention zu lügen, herdenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen«.

Verstellung ist das Verbergen von Absichten, von Charaktereigenschaften, von Einstellungen. Schon das freundliche Grüßen eines Kollegen, den wir nicht schätzen, der im Büro immer so selbstgefällig grinst, der grundlos glaubt, uns überlegen zu sein, ist streng genommen Verstellung. Es gibt Tage, da würden wir ihn gerne ohrfeigen. Doch wir tun es nicht. Wir grüßen, wen wir verachten, noch herzlich. Ohne Höflichkeit, die unsere Leidenschaften dämpft, die den Alltag mit sanften Lügen umspannt, ohne Triebhemmung, ohne auferlegte Distanz wären wir so unverstellt gefährlich, wie es nur Tiere sind. Man muss schon staunen, wie sehr das zivile Zusammenleben vom beharrlichen Sich-Zusammenreißen der Menschen geprägt ist, ja überhaupt erst ermöglicht wird. Und wie mühelos es den meisten gelingt, sich dabei auch noch moralisch zu wähnen. Verstellt wird in dieser Selbstlüge die Verstellung selbst.

Es wurde vor einiger Zeit die feine Beobachtung gemacht, dass die Verstellungskunst immer dann Konjunktur hat, wenn eine Krisenzeit die Menschen plagt. Verbissen kreisten einst die Höflinge um den Fürsten wie Motten ums Licht, und das, was heute Mobbing genannt wird, war schon damals übliche Praxis: Man stach sich gegenseitig aus, machte den Gegner lächerlich, suchte beharrlich nach seinen diskreditierenden Eigenheiten – um nicht selbst einen sozialen Abstieg zu erleiden. Es ging zu wie heute in Chefetagen, in jedem mittelständischen Unternehmen, jeder freiberuflichen Arbeitsgemeinschaft, in jedem Ladenlokal, jeder Putzkolonne.

Ziemlich beschaulich geht es wohl nur zu, wenn man in einem wohlhabenden Land lebt, das kaum Aufsteiger und kaum Absteiger kennt. Es gibt Menschen, die haben das noch erlebt. Sie hatten ein sattes Wirtschaftswachstum im Rücken, sie studierten, bis die Schläfen grau wurden, diskutierten über Trotzki, bis die Stimme heiser, tauschten Partner, bis die Libido ermattet war. Dann retteten sie sich noch schnell in die sicheren Häfen des Beamtentums und der Ehe, um noch das eine oder andere Kind ihren Lenden abzuringen.

In den WG-Küchen sollte es wahrhaftig zugehen, dort gelangte der ungeheure Ausstoß an Psychologie, den die bürgerlichen Jahrhunderte kultiviert hatten, zu seinem Höhepunkt. An den mit Wachstropfen gesprenkelten Tischen wurde nach erfolgtem Liebesspiel über den weiblichen Orgasmus gesprochen und wie er sich anfühlt angesichts des noch nicht vollständig beseitigten Patriarchats. Was für ein Triumph über die schweigsamen Eltern, dass endlich die feinsten seelischen Verästelungen mit verzärtelter Stimme entblößt werden konnten!

Ähnliches erzählen auch manche Ostdeutsche, wenn sie mit vager Melancholie an die Hilfsbereitschaft erinnern, die einst an jeder Ecke einer bröckeligen Fassade erblühte! Wie selbstverständlich half man sich damals mit raren Ersatzteilen für den stotternden Wagen aus, und in den Kneipen saßen noch die Arbeiter gemeinsam mit den Professoren am Tresen, wohnten im selben Block.

Wer sich heute in eine Lounge begibt, im Hintergrund läuft verhalten Musik, mag noch Reste des alten Wahrhaftigkeitskults erblicken, sieht Männer und Frauen, die in klebriger Vertrautheit im gedämpften Licht sitzen und die Nuancen seelischer Verwerfungen erkunden. Es ist wohl die letzte Generation, die vom Wirtschaftswunder der Großeltern noch eine kleine Weile wird zehren können.

Die Jahre jener Männer und Frauen waren bislang vergangen wie ein langer Sonntagnachmittag, sie waren in den achtziger Jahren aufgewachsen, dem, wie einmal treffend gesagt worden ist, langweiligsten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts: Nicole sang ein bisschen vom Frieden, und Boris Becker spielte ein wenig Tennis. Doch wer heute Gespräche belauscht, als Beobachter, der sich wie zufällig hineinbegibt in die mit weißen Billy-Regalen bestückten Wohnzimmer, hört und sieht erneut das alte Spiel der Verstellung.

Die Verstellung war natürlich nie ganz verschwunden, sie gehört zum Menschsein dazu wie das Fingernägelschneiden oder der aufrechte Gang. Nur lohnte es sich, da die Lebensläufe, die man vor sich hatte, ziemlich vorhersehbar schienen, über lange Zeit nicht recht, zu intrigieren.

Entscheidend ist nach wie vor die Frage, was anzuziehen sei, welches Hemd stilvoller sei, welches Auto einen in günstigerem Licht dastehen lasse, doch die gute, melancholische Laune ist versiegt und gewiss nicht nur in dieser Generation: der Stress; das Handy, das in der Nacht noch klingelt; das fünfte Praktikum in Folge, und noch immer kein rechter Job; zu wenig Zeit, sagen die Erfolgreichen; schon wieder ein Umzug, sagen die Überforderten. Man eilt von einer Stadt in die andere, wechselt den Beruf, steigt auf, steigt wieder ab, arbeitet an wechselnden Projekten, in wechselnden Teams, unter wechselnden Chefs, checkt siebenundsechzig Mal am Tag seine Mails. Die Beweglichkeit ist hoch, die Konkurrenz erbittert, doch die Verstellung ist blendend: So freundlich war die Welt wohl nie, selten war sie in derart süße Worte verpackt. Der Choleriker ist Vergangenheit, dem Charmeur gehört die Zukunft.

In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche tritt der Verstellungskünstler besonders markant ins Licht. Passé sind die in Dreireiher und mit Monokel posierenden Großbürger in zerknitterten Fotoalben oder stolze Arbeiter, die stattlich vor großen Maschinen stehen, mit hochgekrempelten Ärmeln, zum Kampf der Körper gerüstet, passé die Gewissheit einer klassischen Festanstellung.

Aufbegehrt wird nicht. Nicht der Angestellte meutert, nicht der Freiberufler oder der Scheinselbständige. Nur die Unterschicht zieht ab und an in versprengten und desolaten Gruppen durch die Hauptstadt mit schäbigen Plakaten, Trillerpfeifen und Alkoholfahnen. Aufbegehren? Das gehört der Vergangenheit an. Gegen wen denn? Gegen den Vorgesetzten, der mit der Knute die Angestellten antreibt? Soll man sich unterhaken und ihn stürzen? Undenkbar: Es gibt den Chef, auf den sich die Wut vereinen könnte, nicht mehr. Er ist der angenehmste Mensch auf Erden. Es gibt auch kein Wir. Es gibt das Ich, das eingepanzerte, das sich seine Karriere geschickt erkämpft. Der Gegner sitzt nicht mehr oben, da ist nur noch der Himmel. Er sitzt neben einem im Großraumbüro. Das nennt man flache Hierarchie.

Wie sich verhalten, um sich durchzusetzen? Immer mit einem Lächeln. Der flexible Mensch unserer Zeit tut nie das, was er vorgibt, er gleicht einem Chamäleon, das die Farbe des Gesteins annimmt, auf dem es sitzt.

Allzeit reaktionsschnell sei der Mensch heute, ortsunabhängig und anpassungsfähig, heißt es. Treffende Begriffe, gewiss. Es sind Begriffe des höfischen Lebens. Damals, als jeder Höfling des anderen Gegner war, mit Verve seine Karriere vorantrieb oder um eine Liebschaft buhlte. Am Hof war er nicht mehr der alte Ritter, der mit Schwert und Lanze kämpfte, seine Waffen waren nun wohlbedachte Worte und tückische Gesten. So wie auch heute niemand auf dem Schlachtplatz der Straße Parolen skandiert, sondern in seinem Alltag mit Freundlichkeit sich tarnt.

Dem Urvater der Verstellungskunst, dem düsteren spanischen Jesuiten Baltasar Gracián, war die Täuschung, das Schmeicheln, das Hinter-dem-Rücken-Reden unserer Zeit allzu vertraut. Vor über 350 Jahren. Er und andere Moralisten seiner Zeit werden uns ab und an in unseren Geschichten begegnen. Sie wollten den Menschen nicht moralisch erbauen, sondern ihm seine Maskenhaftigkeit aufzeigen, nicht bessern wollten sie ihn, sondern sein moralisches Koordinatennetz nur begreifen; nicht ethisch verfeinern, sondern ihn kluges Handeln lehren.

Das wollen wir auch. Denn schlecht war die Welt, und sie ist es, schauen wir uns nur um, noch heute.

Was ist das Leben? Es ist ein Minenfeld.

Was die Verstellung? Bedingung unseres Aufstiegs.

Was ist die Liebe? Die...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Wirtschaft Allgemeines / Lexika
Schlagworte Anpassung • Beziehungen • Ehrgeiz • Kommunikation • Liebe • Sexualität • Verstellung
ISBN-10 3-608-12240-0 / 3608122400
ISBN-13 978-3-608-12240-4 / 9783608122404
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