Einführung in die systemische Organisationstheorie (eBook)
128 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-8348-8 (ISBN)
Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon Weber Friends Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 34 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: Der Prozeß der Individuation (1984), Die Sprache der Familientherapie (1984, mit Helm Stierlin und Ulrich Clement), Lebende Systeme (1988), Unterschiede, die Unterschiede machen (1988), Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (1990), Radikale Marktwirtschaft (1992, mit CONECTA), Die andere Seite der Gesundheit (1995), Die Kunst, nicht zu lernen (1997), Zirkuläres Fragen (1999, mit Christel Rech-Simon), Tödliche Konflikte (2001), Die Familie des Familienunternehmens (2002), Gemeinsam sind wir blöd!? (2004), Mehr-Generationen-Familienunternehmen (2005, mit Rudi Wimmer und Torsten Groth), Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (2006), Einführung in die systemische Organisationstheorie (2007), Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie (2009), Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Systemische Aspekte des Fußballs (2009), Einführung in die Systemtheorie des Konflikts (2010), 'Zhong De Ban' oder: Wie die Psychotherapie nach China kam (2011, mit Margarete Haas-Wiesegart und Zhao Xudong), Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2012), Wenn rechts links ist und links rechts (2013), Einführung in die (System-)Theorie der Beratung (2014), Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2018), Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht! (2019), Der Streit ums Nadelöhr. Körper, Psyche, Soziales, Kultur. Wohin schauen systemische Berater? (2019, mit Jürgen Kriz), Lockdown: Das Anhalten der Welt (2020, mit Heiko Kleve und Steffen Roth), Formen (reloaded). Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2022), Stalin und der Apparat. Die Organisation der Diktatur und die Psyche des Diktators (2023), Die kommenden Diktaturen (2024).
Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon Weber Friends Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 34 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: Der Prozeß der Individuation (1984), Die Sprache der Familientherapie (1984, mit Helm Stierlin und Ulrich Clement), Lebende Systeme (1988), Unterschiede, die Unterschiede machen (1988), Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (1990), Radikale Marktwirtschaft (1992, mit CONECTA), Die andere Seite der Gesundheit (1995), Die Kunst, nicht zu lernen (1997), Zirkuläres Fragen (1999, mit Christel Rech-Simon), Tödliche Konflikte (2001), Die Familie des Familienunternehmens (2002), Gemeinsam sind wir blöd!? (2004), Mehr-Generationen-Familienunternehmen (2005, mit Rudi Wimmer und Torsten Groth), Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (2006), Einführung in die systemische Organisationstheorie (2007), Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie (2009), Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Systemische Aspekte des Fußballs (2009), Einführung in die Systemtheorie des Konflikts (2010), "Zhong De Ban" oder: Wie die Psychotherapie nach China kam (2011, mit Margarete Haas-Wiesegart und Zhao Xudong), Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2012), Wenn rechts links ist und links rechts (2013), Einführung in die (System-)Theorie der Beratung (2014), Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2018), Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht! (2019), Der Streit ums Nadelöhr. Körper, Psyche, Soziales, Kultur. Wohin schauen systemische Berater? (2019, mit Jürgen Kriz), Lockdown: Das Anhalten der Welt (2020, mit Heiko Kleve und Steffen Roth), Formen (reloaded). Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2022), Stalin und der Apparat. Die Organisation der Diktatur und die Psyche des Diktators (2023), Die kommenden Diktaturen (2024).
2. Historischer und theoretischer Kontext
2.1 Vom „organisierten Verhalten“ zur „Organisation“
Dass Menschen kooperieren und sich Arbeit teilen, ist ein Phänomen, das wahrscheinlich so alt ist, wie die Menschheit. Schon in grauen Vorzeiten ging man gemeinsam auf die Jagd, der Bau der Pyramiden im alten Ägypten wäre ohne die Abstimmung und Organisation der Arbeit Tausender nicht möglich gewesen, und die Kriegführung des alten Roms verdankte ihre Erfolge der Bildung von Truppenverbänden.
Wo immer Menschen eine gemeinsame Geschichte durchleben, müssen sie ihr Verhalten koordinieren. Wenn zwei Menschen durch dieselbe Tür gehen wollen, müssen sie sich einigen, wer zuerst geht, falls nicht beide gleichzeitig hindurchpassen. Und wenn sie weiter denselben Weg nehmen, so müssen sie an der nächsten Tür entscheiden, ob sie beim zweiten Mal wieder dieselbe Reihenfolge wählen oder nicht. Spätestens wenn sie an die dritte Tür kommen, hat sich wahrscheinlich schon so etwas wie eine gemeinsame Regel oder Struktur gebildet: Entweder der eine geht immer voraus und der andere folgt ihm, oder aber die beiden wechseln sich ab. Ihr Verhalten hat sich organisiert (sie haben sich faktisch geeinigt), ja, die beiden scheinen durch ihr Verhalten nicht nur einen bestimmten Typus von Interaktionsmuster, sondern von persönlicher Beziehung (asymmetrisch vs. symmetrisch) zu realisieren.
Solch „organisiertes Verhalten“ (Crozier u. Friedberg 1977, S. 39 ff.) entsteht unvermeidlich, wenn Menschen auf engem Raum zusammenleben. Meist ist die dabei entstehende Ordnung nicht irgendwelchen bewussten Entscheidungen oder Planungsprozessen zuzuschreiben. Sie entwickelt sich selbstorganisiert, bestimmt von der Notwendigkeit, gemeinsam durch enge Türen zu kommen.
Diese Muster organisierter Interaktion dürfen aber nicht mit dem Typus sozialer Systeme verwechselt werden, der als „Organisation“ bezeichnet wird (auch wenn sie sich selbstverständlich in Organisationen zuhauf finden lassen). Denn während organisierte Interaktion im skizzierten Sinn so alt ist wie die Menschheit, sind Organisationen, so wie wir mit ihnen heute konfrontiert sind, ein historisch relativ junges Phänomen. Der Begriff ist modern, auch wenn er alte Wurzeln hat (griech. organon: „Werkzeug“, „Instrument“, „Organ“). Im Altertum wurde er nicht gebraucht. Im Grimmschen Wörterbuch der deutschen Sprache aus dem Jahre 1889 finden sich folgende Definitionen:
„1. activisch, die thätigkeit, durch die ein organismus gebildet wird, die organisierung […], 2. passivisch, die durch organische thätigkeit hervorgebrachte bildung, einrichtung und beschaffenheit eines organischen wesens […]“ (Bd. 7, S. 1339).
Im erläuternden Text wird darauf hingewiesen, dass es dabei primär um biologische Prozesse geht, dass aber auch die dazu analoge Idee, den Staat als „Körper“ zu betrachten, so benannt wird. Auch von der Organisation der Universität oder einer Partei ist schon die Rede. Die biologische Metaphorik, die im Begriff der Organisation transportiert wird, zeigt sich auch heute noch, wenn auf staatliche „Organe“ Bezug genommen wird, von „Körperschaften“ gesprochen wird oder Unternehmen im Englischen auch als „corporation“ bezeichnet werden.
Der Gebrauch des Begriffs Organisation für einen besonderen Typus sozialen Gebildes hat sich erst im 19. Jahrhundert eingebürgert. Dabei war der Fokus der Aufmerksamkeit auf das „organische“ Schema der Beziehung des „Ganzen“ und seiner „Teile“ gerichtet (vgl. Luhmann 2000, S. 11).
Mit der industriellen Revolution traten die anderen Aspekte der Metapher des Körpers gegenüber der des Werkzeugs oder der Maschine in den Hintergrund. Die Mechanisierung der Arbeit und die Schaffung von Fabriken sorgte für die ideelle Entkopplung von Personen und ihren Handlungen – ein Abstraktionsprozess, der im „Scientific Management“ von Frederick W. Taylor (1856–1915) seinen Höhepunkt fand. Er konzeptualisierte Fabriken als Maschinen und die Funktion von Arbeitern analog zu der von Maschinenteilen. Das Ideal des „wissenschaftlichen“ Managements war, die Mechanik der Arbeitsabläufe so zu planen und zu kontrollieren, dass – möglichst kleinteilig – wohldefinierte Arbeitseinheiten „rational“ zu umfassenderen Prozessen zusammengesetzt werden konnten (= Management). Die klare Definition und Standardisierung dessen, was an einem bestimmten Arbeitsplatz zu tun sei, diente dem Ziel der vollkommenen Austauschbarkeit der Personen, die diese Arbeit auszuführen hatten.
Angestrebt wurde also zielgerichtet organisiertes Verhalten, das der Rationalität des Maschinenmodells entsprach. Das sorgfältige Studium von Arbeitsabläufen und die daraus abgeleiteten „Rationalisierungs“-Wellen, vor allem die von Henry Ford eingeführte Fließbandproduktion (inspiriert von den „disassembly lines“ der Chicagoer Schlachthöfe) mit ihrer Produktivitätssteigerung, waren Resultat dieses Ansatzes.
Parallel dazu beschreibt Max Webers (1864–1920) Bürokratiemodell einen Idealtypus formalisierter Prozesse, nach dem Vorgesetzte und Untergebene logisch-deduktiv Regeln befolgen und so den Aufwand der Kommunikation in der Praxis der Verwaltung auf ein handhabbares Maß reduzieren.
Einer der ersten, im weitesten Sinne „systemtheoretisch“ argumentierenden Vordenker der Organisationstheorie, Chester I. Barnard (1886–1961), definierte einer ähnlichen Logik folgend Organisationen als „System von bewusst koordinierten Verhaltensweisen oder Kräften von zwei oder mehr Personen“ (Barnard 1938, S. 73). Hervorzuheben, weil theoretisch ein bedeutender Schritt, ist, dass seines Erachtens „nicht Personen, sondern Dienstleistungen, Handlungen, Handeln oder Einflüsse als eine Organisation konstituierend angesehen werden sollten“ (ebd., S. 83). Damit widerspricht er der auch heute noch üblichen, intuitiv naheliegenden Anschauung, Menschen, d. h. Mitarbeiter und Beschäftigte oder auch Gebäude, Produktionsmittel etc., seien die Elemente und Bestandteile von Organisationen. Indem er die Menschen aus der Organisation „wegdenkt“, macht er den Entwicklungsschritt deutlich, der mit der Bildung von Organisationen verbunden ist: die Konstruktion kooperativer Handlungsmuster, bei denen von den konkreten Menschen abstrahiert werden kann, weil sie durch die Standardisierung der notwendigen Handlungsweisen als Individuen austauschbar werden.
Damit wird die Differenz zwischen der Organisation und ihren Mitgliedern zu einem konstituierenden Merkmal von Organisationen – und damit auch zu einem zentralen Beobachtungs- und Analyseschema der Organisationstheorie. Organisationen als handelnde Einheiten (Akteure) können nun von ihren Mitarbeitern als handelnden Einheiten (Akteuren) unterschieden werden. Die Mitglieder der Organisation lassen sich als notwendige Umwelten ihrer Organisation konzeptualisieren (ein Ansatz, der von Chester Barnard wohl als Erstem theoretisch verfochten und später mit großer logischer Konsistenz von Niklas Luhmann ausgearbeitet wurde).
Die Teilnehmer an der Organisation (Mitglieder) liefern die Handlungen, die zusammen den „Organisation“ genannten Prozess bilden, aber sie können nicht selbst als Bestandteile der Organisation definiert werden. Sie erhalten eine Entlohnung für ihre Arbeit und kommen – das ist die Gegenseite ihrer Austauschbarkeit – nicht in ihrer Totalität, d. h. als psychische und biologische Systeme, in der Organisation vor. Die Organisation hat nur einen begrenzten Anspruch auf ihre Mitwirkung (= Arbeitsleistung), und all ihre anderen Talente und Kompetenzen werden nicht genutzt und bleiben unbeobachtet. Sie sind ihre Privatsache. Der einzelne Mensch kann so an ganz unterschiedlichen Organisationen mitwirken, in keiner ist er in seiner körperlichen oder psychischen Totalität integriert.
Da sie nur partiell gefordert sind, sind die Mitglieder von Organisationen bereit, innerhalb gewisser Bandbreiten das zu tun, was von ihnen verlangt wird, unabhängig davon, ob es ihnen als Privatpersonen im Einzelnen sinnvoll erscheint. Diesen Bereich fremdmotivierten Verhaltens nennt Barnard „Indifferenzzone“ („zone of indifference“, 1938, S. 167), das heißt, es macht für die Mitarbeiter keinen relevanten Unterschied, was sie da tun, ob sie es so oder anders machen …
Diese Entkopplung von Person und Handlung und die Bildung arbeitsteiliger Handlungsmuster, an denen eine Vielzahl von Akteuren mit ihren unterschiedlichen Aktionen beteiligt ist, stellt den evolutionären Gewinn der Organisationsbildung dar. Es können hochkomplexe Prozesse realisiert und Funktionen erfüllt werden, die das Handlungsvermögen von Individuen übersteigen. Kein einzelner Mensch wäre in der Lage, eines der modernen Verkehrsflugzeuge allein zu konstruieren, geschweige denn herzustellen. Zu unterschiedlich und vielfältig sind die dazu nötigen...
Erscheint lt. Verlag | 6.9.2024 |
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Reihe/Serie | Carl-Auer Compact | Carl-Auer Compact |
Verlagsort | Heidelberg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeine Soziologie |
Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management | |
Schlagworte | Beziehungsgestaltung • Hierarchie • Kommunikation • Konstruktivismus • Organisation • Organisationsentwicklung • Organisationskultur • Organisationstheorie • systemisch • Systemische Organisationsberatung • Systemtheorie • Unternehmensführung |
ISBN-10 | 3-8497-8348-0 / 3849783480 |
ISBN-13 | 978-3-8497-8348-8 / 9783849783488 |
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