Anderswelt (eBook)
240 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-476-9 (ISBN)
Hans Demmel, geb. 1956, ist Journalist und hat u.a. beim Bayerischen Fernsehen gearbeitet, war US-Korrespondent bei SAT 1, Chefredakteur von VOX und von 2006 bis 2018 Geschäftsführer bei n-tv. Seit 2020 ist er Geschäftsführer bei One Stop. Er lebt in Köln. Friedrich Küppersbusch, geb. 1961, Studium der Journalistik in Dortmund. Nach Stationen bei der WAZ und WDR-Radio Moderation des politischen Magazins »ZAK« beim WDR. Seit 1996 Geschäftsführender Gesellschafter der probono Fernsehproduktion. Er wurde mit dem Grimme-Preis und dem Fernsehpreis Telestar ausgezeichnet. Kolumnen bei der taz, Radio Bremen, RadioEINS und »KüppersbuschTV« bei Youtube. Er lebt in Dortmund.
Hans Demmel, geb. 1956, ist Journalist und hat u.a. beim Bayerischen Fernsehen gearbeitet, war US-Korrespondent bei SAT 1, Chefredakteur von VOX und von 2006 bis 2018 Geschäftsführer bei n-tv. Seit 2020 ist er Geschäftsführer bei One Stop. Er lebt in Köln. Friedrich Küppersbusch, geb. 1961, Studium der Journalistik in Dortmund. Nach Stationen bei der WAZ und WDR-Radio Moderation des politischen Magazins »ZAK« beim WDR. Seit 1996 Geschäftsführender Gesellschafter der probono Fernsehproduktion. Er wurde mit dem Grimme-Preis und dem Fernsehpreis Telestar ausgezeichnet. Kolumnen bei der taz, Radio Bremen, RadioEINS und »KüppersbuschTV« bei Youtube. Er lebt in Dortmund.
I
VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER UND DIE MITTE DER GESELLSCHAFT FINDEN ZUEINANDER
ERSTES VORSICHTIGES HERANTASTEN
Es ist Freitag früh, der 28. August 2020. Ein trüber Spätsommermorgen und Tag eins meines Selbstversuchs. Für das bevorstehende Wochenende sind in Berlin Großdemonstrationen angekündigt. Vor drei Wochen schon haben nach Polizeiangaben zwischen 15.000 und 20.000 Menschen in Berlin gegen die Anti-Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern demonstriert. Offiziellen Angaben zufolge. Von den Organisatoren und den sie unterstützenden, meist rechten Medien werden diese Zahlen aggressiv bestritten. Sie wollen in etwa eine Million Menschen gezählt haben.
Gestern Abend habe ich mich noch einmal bei den von rechts so genannten System-Medien informiert. Dieser Begriff der System-Presse stammt aus einer Zeit, als es Medien in der heutigen Vielfalt von Verbreitungsformen noch nicht gab und Informa tionsvermittlung und politische Kommentierung fast ausschließlich in Zeitungen stattfand. Das Radio wurde zwar für die NS-Propaganda immer wichtiger, stand aber seit der ersten Sendung im Oktober 1923 unter staatlicher Kontrolle. Der Begriff der System-Presse entstand 1933, wie Cornelia Schmitz-Berning in ihrem Buch »Vokabular des Nationalsozialismus« festhält.1 Er war fester Bestandteil des offiziellen Sprachgebrauchs der Nazis. »Am 8. 4. 1933 verkündete Goebbels vor dem SA-Appell: ›Wir dürfen heute mit stolzem Selbstbewusstsein sagen, dass an unserer Kraft das System zerbrochen ist.‹ Zu System, verächtlich für die Weimarer Republik benutzt, gebildete Komposita sind Systembeamte, Systembonzen, Systempresse.«
Eines der großen Themen an diesem Tag ist in eben all diesen »System-Medien« die Entscheidung des Berliner Innensenators Andreas Geisel, die für das Wochenende geplante »Anti-Corona-Demonstration« zu verbieten. Sein Argument: der Infektionsschutz sei nicht gewährleistet. Zeitgleich hat die Kanzlerin die Ministerpräsidenten für den heutigen Tag geladen, um einheit lichere Anti- Corona-Maßnahmen zu verabreden. Mit mehr oder weniger Erfolg. So will Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff nichts von Strafen gegen Maskensünder wissen. Auch Außenminister Maas hat seine Kollegen aus den anderen EU-Staaten eingeladen, um eine gemeinsame Strategie zu den Demokratiebestrebungen in Belarus zu erarbeiten. Auch mit mehr oder weniger Erfolg. Nikos Dendias, der griechische Außenminister, hat sein Veto angedroht, sollte Belarus sanktioniert werden und nicht gleichzeitig auch die Türkei wegen deren Vorpreschens im Kampf um das Erdgas im Mittelmeer. Und dann noch ein Blick nach Milwaukee, wo die Basketball-Stars der Milwaukee Bucks den Ball niedergelegt haben, um so gegen den Rassismus in ihrem Land zu demonstrieren.
Nichts davon wird sich in der von mir verfolgten alternativen Presse wiederfinden, nicht einmal in Spurenelementen.
Freitag früh gehe ich zum Bahnhof. An den Kiosk oder die Tankstelle, wo mich ein Nachbar sehen könnte, habe ich mich nicht getraut, erkannt zu werden wäre mir dann doch peinlich. Schlimmer wäre es noch, wenn mir jemand aus meinem gutbür-gerlichen Wohnumfeld auf die Schulter hauen würde: »Freut mich, dass du einer von uns bist.« Das würde ich nicht hören wollen. Am Bahnhof muss ich mich erst einmal nach Tichys Einblick erkundigen. Es liegt ein bisschen versteckt in einer Ecke.
Gleich daneben, in räumlicher und inhaltlicher Nähe, die Junge Freiheit und daneben wiederum ein Heft, das mir bisher nicht bekannt war: »Zuerst! Deutsches Nachrichtenmagazin« mit dem Titelthema »Gibt es Rassismus in Deutschland? Angriff auf die weiße Welt«. Beim Überfliegen des Inhaltsverzeichnisses schaudert es mich: »Gute, alte Zeit, als in Europa weiße Völker in weitgehend ritterlicher Weise gegeneinander fochten«, »Wird Wien zum Babylon? Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist auf bestem Weg, die gebürtigen Österreicher zu überflügeln«. Auf Seite fünf lese ich beim Durchblättern: »Doppelt so viel Geld für Auschwitz«. Außenminister Maas hat der Meldung zufolge bei einem Besuch in Polen zugesagt, die Summe für die Stiftung Auschwitz-Birkenau von 60 auf 120 Millionen zu erhöhen. »Der deutsche Steuerzahler kann sich gerade in Krisenzeiten darauf verlassen, dass die Politik die ihr zur Verfügung gestellten Mittel nur für die absolut wichtigsten und notwendigsten Zwecke ausgibt.«2
Ein erstes Fundstück, ein erster Abzweig vom gemäßigt scheinenden in den radikalen rechten Weg.
Das gedruckte Compact-Magazin ist hier am Kölner Bahnhofskiosk hinter einem vorgeschobenen Miniregal nur schwer zu finden. Seit Publikation und Verlag vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wird es in manchen Zeitungskiosken gar nicht mehr angeboten.
Im Netz dann langsames Warmlaufen bei Tichys Einblick. Noch sind die für Samstag geplanten Demos in Berlin verboten, die Entscheidung dafür wird erst in der Nacht zum Samstag vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg getroffen werden.
Zeit für den ersten Fakteneinschub von Friedrich Küppersbusch:
Demo Genehmigungen
Freitag 13:47 Uhr: Spiegel Online meldet, das Berliner Verwaltungsgericht habe die Verbotsverfügungen der Polizei aufgehoben. Es gebe »keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit«. Der Veranstalter habe ein Hygienekonzept vorgelegt. Das Land habe die Auflagen nicht hinreichend geprüft.3
Samstag 3:02 Uhr: Tagesspiegel Online berichtet, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe in der Nacht die Eilbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes »im Wesentlichen« bestätigt. Schlagzeile: »Demonstrationen gegen Corona-Politik dürfen stattfinden.«4
Dazu schreibt Dushan Wegner, Gastautor bei Tichys Einblick: »Berlin verbietet Corona-Demos, liest man im Staatsfunk.«5 Na ja, im Funk zu lesen ist irgendwie ein bisschen schwierig, und ziemlich verschwurbelt geht es dann auch weiter. Eigentlich nicht nachvollziehbar verbindet Wegner (wie gerne würde ich ihn jetzt googeln, aber das scheint mir gegen die Spielregeln zu verstoßen) das Demonstrationsverbot mit dem »Brüsseler New pact on immigration and asylum« und flicht den von ihm als bekannt vorausgesetzten Roman »Hitchhikers Guide to the Galaxy« ein.
Dushan Wegner
Dushan Wegner, geboren als Dušan Grzeszczyk 1974 in der Tschechoslowakei, kam mit sechs Jahren nach Deutschland. Seiner Amazon-Autorenbeschreibung nach arbeitete er »als Programmierer, als Videojournalist, Politikberater und Publizist. Er studierte Theologie, dann Philosophie, Medienwissenschaften und Germanistik«, nach Angaben seines Verlages Westend war er »vormals Ausbilder und Redakteur beim Fernsehen … derzeit Texter und Politikberater. Sein Spezialgebiet ist die systematische Entwicklung von politischen Slogans und Talkingpoints.«6,7
Per Anhalter durch die Galaxis
»The Hitchhiker’s guide to the Galaxy« ist der Originaltitel der auch in Deutschland bekannten Science-Fiction-Komödie »Per Anhalter durch die Galaxis« von Douglas Adams. Erstveröffentlichung auf BBC Radio4 1978.8
Es ist mein erster bewusster Kontakt, mein erster für diesen Versuch gelesener Text. Ihn nachzuvollziehen fällt mir schwer. Ein Zitat vom Anfang: »… in den sozialen Medien liest man den Jubel der Staatsfunker und Gleichgeschalteten, und einem wird nicht-nur-leicht-übel.« Dieser Textteil ist noch halbwegs verständlich, für den Rest braucht es immense Konzentration: »Niemand hat nicht erwartet, dass im Schatten des Virus die ›üblichen Verdächtigen‹ drangehen würden, ihre ohnehin gehegten Ziele zu beschleunigen.« Zumindest mich, den Neuling in der Anderswelt, lässt dies ratlos zurück. Aber: Es gibt klar erkennbare Feindbilder bei Wegner: »Wolfgang ›schwarzer Koffer‹ Schäuble«, den »später an Ischias leidenden Wolfgang Juncker«, die »Chefin Deutschland ist die Jungkommunistin«. Gemeint ist wohl die Bundeskanzlerin.
Der zweite Kontakt: ein Video auf der Homepage von TE: Achim Winter und Roland Tichy am Tisch, ähnlich wie Statler und Waldorf aus der Muppet-Show, aber nicht in der Theaterloge und auch nicht ganz so witzig.9 Die Geschichte will Satire sein: Winters wohl fiktiver Freund aus Schwäbisch Gmünd hätte die Reise zur Demo ja schon gebucht, wüsste aber jetzt nicht so recht, was dort anfangen im fernen Berlin, sollte die Demo verboten werden. Tichys Tipps für den Ausflug in die Hauptstadt, in der es anscheinend drunter und drüber geht, versprechen ein unterhaltsames Wochenende. Winters Freund könne ja im Görlitzer Park unter Polizeischutz kiffen, sich am Abend dann Grillanzünder besorgen und straffrei einen Porsche anzünden und so weiter. In Berlin ginge das alles ganz problemlos. Satire? Na ja, ich komme mir beim Zusehen auf YouTube ein bisschen vor wie Fozzie Bär, der nichts versteht und sich nur wundern kann. Achim Winter kommt vom ZDF, und seine Kolumne auf Tichys Einblick verträgt sich offenbar mit seinen öffentlich-rechtlichen...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Anderswelt • Demokratie • demokratiefeindlich • Experiment • Faktencheck • Filterbubble • Friedrich Küppersbusch • Gefährdungspotenzial • Gesellschaft • Hans Demmel • KenFM • Lügenpresse • Matthias Matussek • Medien • Mit Rechten reden • Nachrichten • Politik • Printmedien • quanon • Radio • rechte Medien • Rechtes Gedankengut • Rechte Szene • Reportage • Roland Tichy • Selbstversuch • Was Rechte reden • Wolfgang Herles • ZAK |
ISBN-10 | 3-95614-476-7 / 3956144767 |
ISBN-13 | 978-3-95614-476-9 / 9783956144769 |
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Größe: 292 KB
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