Grundelemente der Wirtschaftsgesellschaft (eBook)
186 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11819-9 (ISBN)
Werner Hofmann, geboren 1922, war ab 1966 bis zu seinem Tode 1969 Ordinarius für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg und Direktor des Soziologischen Instituts. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.
Werner Hofmann, geboren 1922, war ab 1966 bis zu seinem Tode 1969 Ordinarius für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg und Direktor des Soziologischen Instituts. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.
A. Arbeit und Arbeitsteilung
1. Arbeit als Grundtatsache menschlicher Selbsterhaltung
Die Lehre von der Wirtschaftsgesellschaft, wie sie im weiteren entwickelt werden soll, geht mit keinerlei vorgefaßten Annahmen, mit keinerlei spekulativen Voraussetzungen an die sozialen Tatbestände heran. Ihre einzige ‹Voraussetzung» ist selbst von empirischer Art, sie entspringt der unmittelbaren Erfahrung: Das erste Bedürfnis der Menschen, ihre erste Existenznotwendigkeit ist die Erhaltung ihres Daseins.
Solche Daseinserhaltung ist zunächst von rein physischer Natur, nämlich Fortsetzung des individuellen Lebens und Fortpflanzung der Art. Mit zunehmender Naturbeherrschung und wachsender Kulturhöhe verfeinern und erweitern sich die Lebensbedürfnisse.
Unsere Untersuchung geht also von den Menschen als Handelnden, als Tätigen aus, welche in ihrer Wirksamkeit die Umwelt und hierdurch zugleich sich selbst verändern und sich schrittweise jenen materiellen Freiheitsraum schaffen, mit dem sich auch die Möglichkeiten des sozialen Zusammenlebens erweitern und bereichern.
2. Arbeit als soziales Verhältnis
Die erste Grundtatsache menschlichen Umweltverhältnisses ist die Arbeit, das heißt die bewußte, überlegte, planvolle Aneignung der Natur: der Naturgüter wie der Naturkräfte. Nur im Menschen ist die kreatürliche Welt zu solchem bewußten und aktiven Naturverhältnis gelangt; nur der Mensch arbeitet, nur er produziert.
Die Produktion stellt sich jedoch nicht nur als Einwirkung des Menschen auf die Gegenstände und Kräfte der Natur dar, als eine technische Beziehung von Subjekt und Objekt der Arbeit, sondern zugleich als ein soziales Verhältnis zusammenwirkender Menschen zueinander: Von allem Anfang an vollzieht sich die Auseinandersetzung der Menschen mit der Natur in Formen des Zusammenwirkens.
Die Notwendigkeit gemeinsamer Daseinsvorsorge ergibt sich schon aus der biologischen Ausstattung des Menschen:
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Im Vergleich zu den anderen Lebewesen kommt der Mensch verhältnismäßig unentwickelt und hilflos zur Welt; seine postfätale Entwicklung ist eine sehr langsame; das junge Menschenkind bleibt daher lange der Hilfe und der Nahrungsfürsorge seiner Umwelt bedürftig. Dies ist eine allgemeine Voraussetzung der menschlichen Sozialisation.
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Gegenüber den Tieren bringt der Mensch einen geringen Bestand an ererbten Instinkten mit; er bleibt angewiesen auf das Lernen, auf Beobachtung, auf zwischenmenschliche Kommunikation (Ausbildung der Sprache!), auf Aneignung der Erfahrungen anderer im Daseinskampf mit der Natur.
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Seiner physischen Beschaffenheit nach ist der Mensch gegenüber den meisten Tieren im Nachteil: er verfügt über keine besonderen körperlichen Angriffs- oder Verteidigungswaffen. Diesen Nachteil muß er ausgleichen a) durch Entwicklung von Verstandeskräften, b) durch Vereinigung der individuellen Einzelkräfte in der Zusammenarbeit.
So findet sich schon bei einfachsten menschlichen Kleingruppen auf der Stufe der Sammler und Jäger gegenseitige Ergänzung in der Nahrungsfürsorge; und alle weitere Fortentwicklung der Gesellungsformen beruht auf der Entfaltung der verbundenen Arbeit.
3. Arbeitsteilung
Alle Produktion ist gesellschaftliche Tätigkeit, worin die Einzelarbeiten einander ergänzen. Arbeitsteilung bezeichnet insofern ein Wechselverhältnis, von Arbeitsscheidung und Arbeitsvereinigung; beide können sehr verschiedene Formen annehmen.
Arbeitsscheidung
Der Prozeß zunehmender Sonderung der menschlichen Wirksamkeiten kann geschichtlich nach drei Hauptrichtungen verfolgt werden:
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Verselbständigung verschiedener Tätigkeitszweige: Von der anfangs alles beherrschenden Nahrungsfürsorge sondern sich in der Geschichte zunächst Formen der gewerblichen Produktion ab (‹Beruf› des Schmiedes, des Töpfers etc.). Es verselbständigt sich weiter die händlerische Tätigkeit. ‹Geistige Berufe› treten hinzu, nachdem sich frühzeitig in Gestalt des Medizinmannes, Zauberers, Schamanen, später des Priesters schon die erste soziale Scheidung von geistiger und körperlicher Arbeit angedeutet hat.
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Zerlegung der Arbeit innerhalb bestehender Tätigkeitszweige: Sie vollzieht sich überall da, wo ein Arbeitsprodukt aus dem Zusammenwirken vieler, auf verschiedene Personen aufgeteilter und aufeinander bezogener Einzelverrichtungen hervorgeht. Ihre äußerste Entwicklung erfährt eine solche Arbeitszerlegung in der modernen Fabrik.
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Zwischenräumliche Arbeitsteilung: Ihr Umfang ist geschichtlich ständig gewachsen: Der Weg geht von der interlokalen über die interregionale und interterritoriale zur internationalen Arbeitsteilung der Weltwirtschaft von heute.
Von wahrhaft weltgeschichtlicher Bedeutung ist hierbei die frühzeitige Scheidung von Stadt und Land geworden. Seitdem vollzieht sich die materielle, soziale und geistige Entwicklung zwischen beiden Sphären – und heute zwischen den verschiedenen Weltzonen – höchst ungleichmäßig. Der Rückstand des ländlichen Teils der Gesellschaft gegenüber dem städtischen erscheint hierbei in der Geschichte einerseits als eine Voraussetzung, andererseits selbst wieder als Folge einer anhaltenden Herrschaft der Stadt (besser: der städtisch-gewerblichen Oberschichten) über das flache Land.
Arbeitsvereinigung (Kooperation)
Alle Arbeitsscheidung bleibt gebunden an die Entwicklung entsprechender Formen gleichzeitiger Arbeitsvereinigung. Die Zusammenfassung dessen, was sich gesondert hat, kann vor sich gehen:
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technisch: innerhalb einer Wirtschaftseinheit, zum Beispiel innerhalb eines Betriebes, wo die vereinigte Wirksamkeit kooperierender Spezialarbeiter eine neue produktive Gattungskraft bildet;
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ökonomisch: durch das Zusammenwirken zwischen den Wirtschaftseinheiten, die durch regelmäßigen Warenverkehr (Tausch) miteinander verbunden sind.
4. Tausch
Es können verschiedene geschichtliche Entwicklungsstufen des Tauschs unterschieden werden; wobei die Entwicklungshöhe des Tausches ablesbar ist am Stande des verwendeten Tauschmittels:
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Gelegentlicher Tausch, auf naturaler Grundlage: Ein Tauschgut ist jeweils Maßstab und Äquivalent des anderen.
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Gewohnheitsmäßiger Tausch (etwa: zwischen Stadt und Land): Ein Tauschgut wird zum allgemeinen Tauschmesser und Tauschmittel gegenüber allen anderen Gütern.
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Regelmäßiger Tausch: Produkte werden von vornherein für den Tausch, das heißt als Waren, hervorgebracht. Dies ist Voraussetzung des Übergangs vom ‹Bedarfstausch› zum ‹Erwerbstausch› (Max Weber). Das allgemeine Tauschmittel verselbständigt sich in Gestalt des (zunächst gewogenen, dann geprägten, jedenfalls aber noch für lange unmittelbar stoffwertigen) Geldes.
5. Arbeitsteilung und Herrschaftliche Teilung der Gesellschaft
Grad und Ausdehnung der Arbeitsteilung bezeichnen die allgemeine materielle Höhe einer Gesellschaft. Neben solcher Differenzierung eines Sozialverbandes in der ‹Horizontalen› aber und auf ihrer Grundlage entwickelt sich eine Teilung der Gesellschaft von ganz anderer Art: eine Scheidung in der ‹Vertikalen›. Hat die Produktivkraft der verbundenen Arbeit einen gewissen historischen Reifegrad erreicht, so erlaubt sie auch eine Teilung der Gesellschaft in Arbeitende und in Nichtarbeitende, welche Teile des Produktionsergebnisses anderer auf dem Wege herrschaftlicher Aneignung an sich ziehen.
Die Verteilung des Arbeitsertrags kann gemeinschaftsbestimmt oder herrschaftsbestimmt sein. Sie ist gemeinschaftsbestimmt, wenn die Verfügung über die wichtigsten Arbeitsmittel nicht bei einzelnen, sondern bei einer zusammenwirkenden Gruppe liegt und die Verteilung daher dem Zweck der gemeinsamen Daseinsfürsorge folgt. Herrschaftsbestimmt ist die Verteilung des Arbeitsertrages dann, wenn über die entscheidenden Arbeitsmittel der Produzenten direkt oder indirekt Nichtarbeitende verfügen, wenn daher sozial einseitige Aneignungsgewalt besteht und Nichtarbeitende kraft eines dinglichen Unterpfandes am Arbeitserzeugnis anderer teilhaben. Gemeinschafts- oder herrschaftsbestimmte Verteilung der Arbeitsmittel und daher des Arbeitsertrages bezeichnen einen denkbar allgemeinen Unterschied geschichtlicher Gesellschaftsformationen.
Ein besonders sprechendes Beispiel für den Übergang von Arbeitsteilung in herrschaftliche Teilung der Gesellschaft bezeichnet etwa das indische Kastenwesen, ein System von «Berufsklassen» (Karl Bücher). – Immer besteht übrigens die Neigung, die herrschaftliche Scheidung gesellschaftlicher Gruppen als einen Vorgang bloßer ‹Arbeitsteilung› zu erklären; so daß etwa die Tätigkeit des feudalen, aus den Leistungen seiner abhängigen Bauern lebenden ritterlichen ‹Berufskriegers›, die Wirksamkeit des Kapital akkumulierenden Unternehmer-Eigentümers, schließlich selbst die bloße Konsumtion moderner Kapitalrentner als eine für den Bestand der Gesellschaft ‹notwendige› Funktion und daher als vergleichbar mit der produktiven Arbeit anderer Glieder der...
Erscheint lt. Verlag | 16.4.2019 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Gesellschaftslehre • Ökonomische Bedingungen • Wirtschaftsgesellschaft |
ISBN-10 | 3-688-11819-7 / 3688118197 |
ISBN-13 | 978-3-688-11819-9 / 9783688118199 |
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