Prognoseverfahren
Bei der Anwendung eines Prognoseverfahrens wird der in der Vergangenheit beobachtete Bedarf eines Produkts auf der Basis der bisherigen Beobachtungswerte in die Zukunft extrapoliert. Prognoseverfahren werden für die Prognose der Nachfragemenge in der Wiederbeschaffungszeit eingesetzt. Sie kommen aber auch im Zusammenhang mit der Beschäftigungsglättung und der Hauptproduktionsprogrammplanung zum Einsatz. Prognosemethoden stehen auch in den Planungskonzepten zur sog. „Supply Chain Optimization“ – dort unter der Bezeichnung „Demand Planning“ – zur Verfügung.
Bild B.1: Datenstruktur der Bedarfsprognose
Die für die Prognose relevanten Daten eines Produkts sind in Bild B.1 wiedergegeben. Der Vergangenheitsbedarf wird als eine Zeitreihe interpretiert, d. h. als eine zeitlich geordnete Folge von Periodenbedarfsmengen. Bezeichnet man mit yt die in der Periode t beobachtete Bedarfsmenge, dann kann die Zeitreihe der Periodenbedarfsmengen durch die geordnete Folge (y1,y2, ..., yt , ...) beschrieben werden. Der Prognosewert für die zukünftige Periode (t + 1) wird im Folgenden durch das Symbol pt+1 dargestellt. Der Bedarf der Periode (t + 1) wird jeweils am Ende der Periode t prognostiziert, nachdem der Beobachtungswert yt für diese Periode vorliegt. Als Datengrundlage zur Errechnung eines Prognosewertes stehen dann die Zeitreihe von Periodenbedarfsmengen in den Vorperioden (y1, y2, ..., yt) und möglicherweise einige andere Daten59 zur Verfügung.
Auf der Grundlage der vorliegenden Vergangenheitsdaten werden unter Anwendung eines Prognosemodells die Modellparameter (z. B. bei einem Trendmodell der Achsenabschnitt und die Steigung) geschätzt. Ein Prognosemodell beschreibt die (angenommene) Gesetzmäßigkeit, die dem Verlauf einer Zeitreihe zugrundeliegt. Die Qualität der Anpassung des Prognosemodells an die Zeitreihe wird durch einen Vergleich von ex-post-Prognosewerten mit den entsprechenden Beobachtungswerten überprüft. Durch Extrapolation des für die Vergangenheit als zutreffend angenommenen Prognosemodells werden die voraussichtlichen Bedarfsmengen zukünftiger Perioden, (pt+1, pt+2, ...), errechnet.
Außer bei der Nachfrageprognose für Endprodukte werden Prognoseverfahren eingesetzt
- bei geringwertigen Gütern, wie z. B. Hilfsstoffen, Betriebsstoffen und Verschleißwerkzeugen, die in der betrieblichen Praxis der Gruppe der C-Produkte zugeordnet werden. Hier wären programmorientierte Verfahren zu aufwendig.
- bei untergeordneten Produkten, die in sehr viele unterschiedliche übergeordnete Baugruppen und Endprodukte eingebaut werden. In diesem Fall nimmt der Bedarf oft einen regelmäßigen Verlauf an, der mit geeigneten Verfahren bei geringem Aufwand vergleichsweise genau prognostiziert werden kann.
- wenn programmorientierte, deterministische Verfahren nicht anwendbar sind, weil die zum Einsatz dieser Verfahren notwendigen Informationen nicht verfügbar sind, z. B. bei Ersatzteilbedarf.
Man kann die Prognoseverfahren zunächst danach unterscheiden, ob sie für regelmäßigen oder für unregelmäßigen Bedarfsverlauf konzipiert sind. An dieser Unterscheidung orientiert sich auch die Struktur der folgenden Ausführungen. Zuvor wird jedoch die unabhängig von dem eingesetzten Prognoseverfahren zu untersuchende Frage der Prognosequalität diskutiert. Wir stellen diesen Abschnitt der Darstellung der einzelnen Prognoseverfahren voran, da eine Verfahrensauswahl die Kenntnis der Qualitätskriterien zur Beurteilung eines Prognoseverfahrens voraussetzt.
B.1 Beurteilung der Qualität eines Prognoseverfahrens
Prognosen beziehen sich immer auf zukünftige Ereignisse (z. B. das Eintreffen von Kundenaufträgen). Da deren Vorhersage aber i. a. nicht mit Sicherheit möglich ist, treten regelmäßig Prognosefehler auf. Prognosefehler können verschiedene Ursachen haben:
- Es wird ein ungeeignetes, d. h. nicht dem tatsächlichen Verlauf der zu prognostizierenden Zeitreihe angepaßtes Prognosemodell verwendet. Das ist z. B. der Fall, wenn zur Prognose eines trendförmig ansteigenden Bedarfs das Verfahren der exponentiellen Glättung erster Ordnung eingesetzt wird.
- Es ist ein Strukturbruch in der Zeitreihe aufgetreten. Diese Situation kann entstehen, wenn aufgrund nicht vorhersehbarer Ereignisse sich das Verbrauchsverhalten der Abnehmer oder die Menge der Abnehmer verändert hat. Derartige grundlegende Änderungen im Zeitreihenverlauf können entweder Parameteränderungen des bereits verwendeten Prognosemodells oder den vollständigen Übergang zu einem anderen Prognosemodell erfordern.
Zur Gewährleistung einer hohen Prognosequalität ist es notwendig, die Leistungsfähigkeit eines Prognoseverfahrens sowohl vor dem erstmaligen Einsatz des Verfahrens – bei der Verfahrenswahl – als auch im Zeitablauf zu beurteilen. Dies kann durch die Analyse der Prognosefehler geschehen. Der Prognosefehler ist die Differenz zwischen dem tatsächlich eingetretenen Beobachtungswert yt einer Zeitreihe in einer Periode t und dem prognostizierten Wert pt:
Zwei Eigenschaften der Prognosefehler sind für die Beurteilung der Güte eines Prognoseverfahrens von besonderer Bedeutung:
- das Niveau der Prognosefehler und
- die Streuung der Prognosefehler.
Das Niveau der Prognosefehler erlaubt eine Aussage darüber, ob eine systematische Abweichung der Prognosewerte von den beobachteten Werten einer Zeitreihe vorliegt. So tritt z. B. eine systematische Unterschätzung der Bedarfsmengen dann auf (positive Prognosefehler), wenn bei trendförmig ansteigendem Bedarf ein Prognoseverfahren eingesetzt wird, das sich lediglich zur Prognose bei konstantem Zeitreihenverlauf eignet. Für ein gutes Prognoseverfahren ist zu fordern, daß die prognostizierten Werte im Durchschnitt (über einen längeren Zeitraum betrachtet) gleich den beobachteten Werten sind. Daraus leitet sich die Bedingung ab, daß das Niveau der Prognosefehler um Null schwanken muß.
Die Streuung der Prognosefehler erlaubt eine Aussage über den Sicherheitsgrad, mit dem prognostizierte Bedarfsmengen in der Zukunft auch tatsächlich realisiert werden. Häufig wird unterstellt, die Prognosefehler folgen einer Normalverteilung. Aus dem Verlauf der Normalverteilung läßt sich dann die Aussage ableiten, daß ca. 95% aller Prognosefehler innerhalb eines Bereichs von zwei Standardabweichungen (σe) um Null liegen. Das bedeutet: Der tatsächliche Beobachtungswert in der Periode t wird mit der Wahrscheinlichkeit von 95% im Intervall (pt ± 2 ⋅ σe) liegen.
Zur Beurteilung der Streuung der Prognosefehler können im...