Tierarzt und Tierärztin in der Belletristik
Sierke Verlag
978-3-86844-151-2 (ISBN)
- Titel ist leider vergriffen;
keine Neuauflage - Artikel merken
(Jürgen Unshelm 1991)
Dieses Zitat aus dem Jahr 1991 verdeutlicht, von welch großer Bedeutung die Kenntnis über das in den Medien erzeugte Tierarztbild ist. Die Berufswahl potenzieller Studienanfänger wird durch das Öffentlichkeitsbild beeinflusst. Erkenntnisse über die Darstellung des tierärztlichen Berufes können den Standesvertretungen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit helfen. Praktizierenden Tierärzten kann entsprechendes Wissen eine Hilfestellung im alltäglichen Umgang mit ihren Kunden sein. Darüberhinaus stellt die Vergegenwärtigung dieses Bildes für jeden einzelnen Tierarzt einen Anstoß zur Selbstreflexion dar.
Dennoch haben sich bisher nur vergleichsweise wenige Autoren mit diesem Thema auseinandergesetzt. Ein bibliografischer und inhaltlicher Überblick, in welchen Gebieten der deutschsprachigen Belletristik und in welcher Weise das Motiv „Tierarzt“ aufgegriffen wird, fehlt bisher. Diese Forschungslücke soll mit der vorliegenden Arbeit geschlossen werden.
Inhaltsverzeichnis
1 EINFÜHRUNG 11
2 METHODENREFLEXION – ERLÄUTERUNG UND KRITISCHES HINTERFRAGEN DER VORGEHENSWEISE 12
2.1 Auswahl der Werke 12
2.1.1 Erstellung der Literaturliste 12
2.1.2 Auswahl und Herangehensweise 13
2.2 Kriterienkatalog 13
2.3 Möglichkeiten der Strukturierung 14
2.4 Gruppenbildung 15
3 EINORDNUNG IN THEMENGRUPPEN UND VORSTELLUNG DER EINZELNEN WERKE 16
3.1 Gruppe 1: Der Tierarzt als Mensch im Vordergrund 16
Die Pferdefrau (Jutta Beyrichen) 18
Solo einer Tierärztin. Über das alltägliche Chaos im Umgang mit Zwei- und Vierbeinern (Romy Tayler) 23
Sieben aus dem Doktorhaus. Nach dem Leben erzählt (Leonore Hannss) 28
Urban, Tierarzt erster Klasse (Fritz Reck-Malleczewen) 35
„Adu Siegfried“. Erinnerungen eines Landtierarztes (Gerhard Parrisius) 41
Wolken wandern im Wind. Roman eines Sommers (William Quindt) 47
3.2 Gruppe 2: Der Tierarzt im zeit- und sozialgeschichtlichen Kontext 58
Weisse Lämmer, grünes Land. Mit einem Tierarzt in Irland (Maria Coffey) 60
Ein Tierarzt erzählt. Heuduft und Kartoffelfeuer (Kurt Haller) 65
Kein Job für ein Mädchen? Das aufregende Leben einer Pferde-
tierärztin (Phyllis Lose) 73
Er und ich und neues Leben. Ein heiterer Roman (Teda Bork) 80
Wie behandle ich meinen Tierarzt? Wunderliche Erlebnisse eines Landtierarztes (Franz Knüsel) 86
Dr. Vlimmen (Band I); Vlimmen gegen Vlimmen (Band II); Vlimmens zweite Jugend (Band III) (Antonius Roothaert) 93
Enge Strasse. Roman aus der katalanischen Provinz (Josep Pla) 106
3.3 Gruppe 3: Von Tierärzten erlebte Anekdoten mit Tieren und Tierbesitzern 113
Der Doktor und das liebe Vieh. Der Tierarzt; Ein jegliches nach seiner Art. Neue Geschichten vom Doktor und dem lieben Vieh (James Herriot) 115
Von Tieren und Menschen. Tierarzt mit Leib und Seele (Hugh Lasgarn) 121
Tierarzt müßte man sein (Hermann Röcken) 128
Ein Tierarzt, eine Familie und 449 Haustiere. Heitere Erzählungen (Udo Theissen) 134
Helfer der kranken Tiere (Gerhard Schulz) 139
3.4 Gruppe 4: Tierärztliche Tätigkeit als Rahmenhandlung 144
Der Tierdoktor. Von Menschen und ihren besten Freunden 145
Ein Tierarzt hat viele Freunde. Heiterer Roman; Tierarzt Dr. Morton und der verpatzte Kongreß. Heiterer Roman (Alex Duncan) 151
Verlieb dich nie in einen Tierarzt. Heiterer Roman (Mary Scott) 160
3.5 Gruppe 5: „prodesse et delectare“ 166
Ein Haus voll Tiere. Ein Tierarzt erzählt (Michel Klein) 167
Die Ohrmarke. Ein Krimi aus dem 'Ländle'. Die haarsträubenden Erlebnisse eines Amtstierarztes; Lu.Ziefer. Dr. Geitberg und der Aberglaube. Aus dem Leben eines Amtstierarztes (Alois Brommelhuber) 172
Menschen, Tiere und ein Tierarzt (Heinz A. Müller) 179
3.6 Übersicht der analysierten Werke 184
4 DER TIERARZT IN NEBENROLLEN 188
5 DER TIERARZT IN DER KINDER- UND JUGENDLITERATUR 193
6 CONCLUSIO 195
7 ZUSAMMENFASSUNG 203
8 SUMMARY 207
9 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS 210
10 ANHANG 221
11 DANKSAGUNG 222
3 Einordnung in Themengruppen und Vorstellung der ein-zelnen Werke 3.1 Gruppe 1: Der Tierarzt als Mensch im Vordergrund Das Hauptcharakteristikum dieser Gruppe von Werken ist darin zu sehen, dass nicht der Tierarzt in der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Vordergrund steht. Das Augenmerk liegt vielmehr auf dem Tierarzt als Mensch mit seinen persönlichen Erlebnissen, Erfahrungen oder auch Problemen. Das bedeutet nicht zwingend, dass er nicht auch während der Erzählung als Tierarzt tätig sein kann. Die Erlebnisse des Menschen sind schließlich eng mit seinem Beruf verknüpft. Die berufliche Tätigkeit tritt jedoch vielfach in irgendeiner Weise hinter die Person selbst zurück. So liegt das Hauptaugenmerk in Leonore Hannss’ (1991) Roman auf dem Tierarzt in der Rolle des Vaters. Bei Fritz Reck-Malleczewen (1922) tritt der Tierarzt als Re-volutionär in der Deutschen Revolution 1848/49 in Erscheinung. In dieser Erzählung ist nicht der Beruf, sondern die soziale Zuordnung zum Bürgertum ent-scheidend. Die Hauptperson im Werk Romy Taylers (1996) muss sich mit den Schwierigkeiten des Lebens als allein erziehende Singlefrau auseinandersetzen. Jutta Beyrichen (2000) schreibt von einer Tierärztin, die ihrem Alltag und ihrem Beruf entflieht, um schwerwiegende persönliche Probleme zu verarbeiten. Auch wenn es ihr gelingt, aufgrund ihres Einfühlungsvermögens ein traumatisiertes Pferd zu heilen, geschieht dies nicht in ihrer Rolle als Tierärztin. William Quindts (1948) Roman handelt von einem Tierarzt, der im Grunde seines Herzens Zoologe ist. Dieser lässt den Leser an seinen Natur- und Tierbeobachtungen, aber auch an seinen Gedankengängen zu sozialen Fragestellungen teilhaben. Gerhard Parrisius (1992) schließlich schildert seinen persönlichen Werdegang, bei dem Beruf und Familienleben stets eng verknüpft sind. Es ist jedoch letzteres, was den eigentlichen Kern der Handlung bildet. Diesen so unterschiedlichen Geschichten entsprechend werden in den Werken dieser Gruppe auch ganz verschiedene Tierarztbilder geschaffen: So finden sich ein revoltierender Vertreter des Bürgertums und ein finanziell unabhängiger Natur- und Tierliebhaber, der an Menschen und Tiermedizin nur bedingtes Interesse zeigt. Ebenso treten aber auch zwei Tierärzte auf, deren Leben ihrer Berufung, der Tier-medizin, gewidmet ist. Schließlich wird das Leben zweier Tierärztinnen beschrieben, von denen die eine darum kämpft, ihr Privatleben nicht von der Arbeit in ihrer Praxis dominieren zu lassen, während die andere sich auch in ihrem Urlaub couragiert und sensibel für das Wohl eines Tieres einsetzt. Jutta Beyrichen Die Pferdefrau Autorin Die 1964 geborenen Jutta Beyrichen lebt als Mutter zweier Söhne in Bad Kissingen. Schon als Kind wurde ihre Leidenschaft für Pferde geweckt, später kam die Leiden-schaft für die „Grüne Insel“ Irland hinzu, auf der mehrere ihrer Romane spielen. Werk Der Roman „Die Pferdefrau“ ist seit 1998 in drei Verlagen erschienen und umfasst in der vorliegenden Fassung 488 Seiten. Weitere Werke zum Thema Beyrichen, Jutta (2003): Die Tochter der Pferdefrau. Verlag Knaur, München. ISBN 3-42666-098-9. Inhalt Dieses Buch handelt von der jungen deutschen Tierärztin Christine, die ihren Vater, einen vor Jahren nach Irland ausgewanderten Maler, in dessen neuer Heimat besucht. Wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, versucht sie, dort eine Fehlgeburt und die Trennung von ihrem Freund zu verarbeiten. Während dieses Aufenthaltes verbringt Christine viel Zeit auf einem nahe gelegenen Reiterhof. Dort entdeckt sie ein verstörtes Rennpferd und beschließt trotz vielerlei Hindernisse, es zu therapieren. Erst im weiteren Verlauf des Buches, in dem es zu Anschlägen auf einige Tiere des Hofes kommt, gibt sich Christine als Tierärztin zu erkennen und versucht, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Schließlich gelingt es der jungen Tierärztin, durch viel Einfühlungsvermögen das Rennpferd zu heilen, das fortan zahlreiche Rennen gewinnt und dadurch das Schicksal des vom Ruin bedrohten Reiterhofes wendet. Zu guter Letzt findet Christine in dem Sohn des Besitzers, Denis, einen Partner fürs Leben und wandert selbst nach Irland aus. Analyse • Text In diesem in der personalen Erzählperspektive verfassten Roman steht eine Tierärz-tin nicht primär in ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern vielmehr als Mensch und als Frau im Vordergrund. Deutlich wird dies daran, dass sie die beiden anderen Haupt-personen des Buches, die Söhne des Reiterhofbesitzers, erst auf Seite 125 über ihren Beruf aufklärt, als ihre Fachkenntnisse bei der Untersuchung eines toten Hundes einer Erklärung bedürfen. Im Mittelpunkt stehen jedoch ihre tierpsychologischen Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Bezug auf die Therapie des verstörten Rennpferdes Anwendung finden und für den Fortgang der Geschichte unerlässlich sind. Sonstige fachliche Details treten nur begrenzt auf und sind auf die jeweils im Rahmen der Handlung verfügbaren Möglichkeiten zugeschnitten. So wird das Hinzuziehen eines weiteren Tierarztes, der die Geschichte stören könnte, nicht nötig. Darüber hinausgehende Therapiemaßnahmen, wie sie etwa bei der Behandlung der auf den Seiten 218-225 auftretenden Pododermatitis aseptica diffusa (Hufrehe) essenziell wären, werden entweder aus Unwissenheit oder aus dramaturgischen Gründen nicht erwähnt: „'Nun', meinte sie, 'viel machen kann man im Moment wohl nicht. Kühle Umschläge, eventuell eine entzündungshemmende Breipackung. Eiweißar-mes Futter, das heißt Heu und Stroh. Auf keinen Fall Hafer, er enthält ja eben-falls viel Eiweiß. Sollte es schlimmer werden oder sich sogar chronisch entwi-ckeln, braucht sie Spezialhufeisen, aber das wird euer Hufschmied sicher wis-sen.'“ (S. 221) Die aufgeführten Details erinnern dabei stark an Informationen, die man in für tier-medizinische Laien bestimmten Büchern über Erste Hilfe-Maßnahmen bis zum Eintreffen des Tierarztes findet und lassen daher eine Recherche seitens der Autorin in derlei Literatur vermuten. Insgesamt wird dem Leser in diesem Roman eine gefühlvolle Geschichte erzählt, die zwar beispielsweise mit dem späten Bekanntwerden der Fehlgeburt Christines Überraschungen bereithält, in ihrem Gesamtverlauf jedoch vorhersehbar ist. Neben der Beziehung Christines zu den Pferden steht vor allem die sich entwickelnde Liebesbeziehung zu Denis im Vordergrund. Doch auch der Kampf um ihren Stand als Frau zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Schließlich gibt Christine der Erfolg ihres Handelns Recht und verschafft ihr auch bei den Männern Anerkennung. Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte scheint eine Einordnung dieses Romans in die Unterhaltungs-, wenn auch nicht in die Trivialliteratur, berechtigt. Das Motiv „Tierarzt“ wäre im Rahmen dieses Romans nicht zwingend notwendig gewesen. Die für die Handlung entscheidende Eigenschaft Christines, nämlich der einfühlsame und von Geduld und Liebe geprägte Umgang mit Tieren, wird typischerweise Frauen an sich zugeschrieben. Somit wäre auch ohne den Verweis auf tierärztliche Ausbildung und tierpsychologische Kenntnisse ein Versuch der Heilung schlüssig gewesen. • Tierärztin Die Hauptfigur des Romans ist eine 28jährige Tierärztin. Sie hat ihr Studium in Deutschland abgeschlossen und wurde promoviert. In den USA hat sie ein einjähri-ges Praktikum an einem Forschungsinstitut absolviert. Zur Zeit der Handlung des Romans ist sie ohne Anstellung und verbringt einige Zeit in Irland, kann sich jedoch eine Tätigkeit im Großtierbereich vorstellen. Aussagen bezüglich des Arbeitsalltages können demzufolge nicht gemacht werden. Christine wird als schlanke junge Frau mit Kurzhaarfrisur beschrieben, die ein schlichtes, natürliches Aussehen hat und unauffällig, jedoch gut gekleidet ist. Sie tritt zumeist selbstsicher auf, auch wenn sie es nicht immer zu sein scheint. Um ihre Ziele zu erreichen, nimmt sie auch die Bewältigung von Hindernissen in Kauf. Ihr Vater charakterisiert sie im Zusammenhang mit ihrer Aussage, dass das Arbeiten mit Großtieren sie mehr interessiere als eine Tätigkeit in einer Kleintierpraxis, auf den Seiten 37 f. folgendermaßen: „Er konnte sich gut daran erinnern, daß Christine immer schon das Schwierige gereizt hatte, von Kindheit an. Sie war nicht unangenehm ehrgeizig, keine Streberin gewesen, doch war es ihr zuwider, der Einfachheit halber eine Kompromißlösung einzugehen. Insofern sollten ihn ihre Pläne für ihre berufli-che Zukunft nicht weiter überraschen.“ Diese Einstellung wird auch in Situationen deutlich, in denen sie ihren Stand als Frau in einem von Männern dominierten Umfeld behaupten muss. So etwa, noch bevor sie ihren Beruf preisgegeben hat, auf Seite 91: „'(…) Wenn ich dir sage, daß du ein hübsches Mädchen bist, dann ist das doch nichts Besonderes. Aber eine gute Reiterin zu sein, das ist etwas, auf das eine Frau stolz sein kann.' Christine sah ihn von der Seite an und überlegte, daß es wohl noch eines langen Weges bedurfte, bis Frauen überall die gleiche Anerkennung fanden wie Männer. (…) Christine hatte sich noch niemals in ihrem Leben mit Frauenbewegung, Feminismus und dergleichen beschäftigt. Doch hier begann sie geradezu zwangsweise, darüber nachzudenken.“ An einer anderer Stelle der Geschichte, an der ihr Beruf bereits bekannt ist, heißt es dann: „'Soll ich Ihnen etwas sagen, Lady? Sie bilden sich vielleicht eine Menge auf Ihren Doktortitel ein – für mich sind Sie nichts weiter als ein Frauenzimmer, das gefälligst den Mund zu halten hat!' (…) 'Solange ich einen Mund habe, werde ich auch reden', sagte Christine leise, doch mit gefährlichem Klang in ihrer Stimme.“ (S. 190 f.) Gegenüber Tieren verhält Christine sich äußerst einfühlsam, was insbesondere im Umgang mit dem von ihr therapierten Rennpferd auf Seite 100 deutlich wird: „In diesem Moment beschloß Christine, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um dem Tier zu helfen. Leise begann sie zu sprechen. Ihr Ton war sanft und gleichmäßig, und sie wußte, daß das Gehör des Pferdes fein genug war, um diese Laute zu vernehmen, auch wenn es nicht erkennen ließ, daß es sie hör-te.“ Sie verkörpert somit eine Eigenschaft, die, wie oben bereits erwähnt, typischerweise Frauen zugeschrieben wird. Im Falle einer Behandlung oder Untersuchung zwingt sich Christine jedoch zu Distanz und Sachlichkeit. Beispielhaft sei hier die Untersu-chung der Todesursache eines ihr bekannten Ponys genannt: „Christine fühlte, wie sie zitterte, während sie vorsichtig näher trat. Es war nicht das erste Mal, daß sie ein totes Pferd sah, sie hatte während ihres Studiums sogar zeitweise im Anatomiekurs Pferdekadaver seziert. Doch nun handelte es sich um ein Tier, dem sie persönlich verbunden war. Hier lag kein anonymer Leichnam, hier lag Bandit. (…) Für den Bruchteil einer Sekunde drehte sich Christine der Magen um, doch dann atmete sie tief durch. Sie durfte sich keine Blöße geben, schließlich war es ihr Beruf. Hier lag ein totes Pferd, nichts weiter. Sie mußte einfach vergessen, daß es Bandit war.“ (S. 186 f.) Zum Wohl der Tiere geht sie auch Konfrontationen mit deren Besitzern nicht aus dem Weg, was sie wiederum in Bezug auf das verstörte Rennpferd und dessen Be-sitzer Denis beweist: „'Oh, mein Gott', sagte sie leise und legte ihr Kinn auf ihre über der obersten Zaunstange gestützten Arme und faltete die Hände. 'Du armer Kerl!' Das Pferd reagierte nicht, doch in Christine pulste Mitleid, und gleichzeitig wurde sie von unbändiger Wut erfaßt. In diesem Augenblick hätte sie es sogar be-grüßt, wenn Denis plötzlich hinter ihr stünde, in ihrem Zorn wäre sie ohne jede Hemmung fähig gewesen, ihn anzugreifen, ungeachtet seines einschüchtern-den Auftretens.“ (S. 100) Da sie in der Geschichte keine Anstellung als Tierärztin hat, muss sie in mehreren Fällen, in denen sie dennoch Tiere oder sogar Menschen behandeln will, auf die vorhandenen Mittel der Stallapotheke zurückgreifen und improvisieren. Da Human- oder andere Veterinärmediziner nicht auftreten, ergeben sich hinsichtlich der Einstellung Christines ihnen gegenüber keine Hinweise. Das Privatleben stellt die junge Tierärztin gegen Ende des Buches zunächst hinter ihre Karriere zurück, da sie eine Auswanderung nach Irland mangels Karrierechan-cen auf Seite 432 noch ablehnt: „Vor ihrer Abreise stand sie in Kontakt mit einer größeren Tierklinik in Köln, die ihr für den Herbst die Möglichkeit einer festen Anstellung signalisierte. Christi-ne war sich der Chancen, die eine Arbeit dort bot, äußerst bewußt. Was stand dem in Irland entgegen? Sie wußte nicht, wie hier die Aussichten für Tierärzte waren, doch angesichts der allgemeinen bescheidenen Wirtschaftslage neigte sie dazu, sie als eher gering einzustufen. Und sich auf Dauer hier auf dem Hof einzurichten, ohne dabei jemals mehr zu tun, als gelegentlich die eigenen Pferde zu behandeln, das widerstrebte Christine zutiefst, dafür hatte sie nicht jahrelang hart gearbeitet, um sich möglichst hoch zu qualifizieren.“ Schließlich entscheidet sie sich jedoch für einen Mittelweg, der mit gewissen Abstri-chen beruflichen und privaten Erfolg miteinander zu verbinden verspricht: „'Vielleicht habe ich Glück und finde hier in der Gegend eine Stelle als Tier-ärztin', sagte Christine leise. 'Vielleicht wird es aber auch so sein, daß ich nicht ständig hier leben kann. Möglicherweise muß ich in irgendeiner anderen Stadt wohnen. Doch ich werde, so oft es geht, hier sein.'“ (S. 485 f.) Resümee In diesem Roman wird das Bild einer sowohl im Privatleben als auch im Beruf sen-siblen und couragierten, an einer beruflichen Karriere interessierten jungen Frau gezeichnet, die zum Wohle der Tiere auch Unannehmlichkeiten und Konfrontationen nicht ausweicht. Romy Tayler Solo einer Tierärztin. Über das alltägliche Chaos im Umgang mit Zwei- und Vierbeinern Autorin Romy Tayler wurde 1956 als Tochter eines Tierarztes in Rheinland-Pfalz geboren. Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung zur veterinärmedizinisch-technischen Assistentin und arbeitete zwei Jahre in München im Bereich Tropenmedizin. Nach einem Tiermedizinstudium in Gießen machte sie sich 1985 mit einer Kleintierpraxis in Bingen selbstständig. Werk Dieser 1996 ersterschienene Roman umfasst 208 Seiten. Inhalt Bei diesem Werk handelt es sich um das fiktive Tagebuch einer allein erziehenden, selbstständigen Tierärztin, die über einen Zeitraum von ca. drei Monaten hinweg von ihrem Leben in dieser nicht alltäglichen Situation berichtet. Auf humorvolle Art und Weise berichtet Romy Tayler über das, was der Untertitel bereits verspricht, auch wenn die Zweibeiner und die mit ihnen verbundenen Probleme etwas in den Vordergrund treten. Dieses sind vor allem die mitunter sehr anstrengenden Tierbesitzer, die Angestellten ihrer Kleintierpraxis, aber auch Familie und Freunde. Die Autorin erkennt im Verlauf der Geschichte, dass sie im Bemühen, allen gerecht zu werden, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche hinten anstellt. Vor allem aber leidet die Freizeit mit ihrer Tochter, die ihr mehr als alles andere bedeutet. Am Ende des Buches beschließt sie daher, durch die Einführung neuer Regeln im Privat- wie im Berufsleben ihre eigenen Lebensvorstellungen zu verwirklich. Analyse • Text Aus nahe liegenden Gründen wurde dieses Buch in der Ich-Erzählperspektive ver-fasst. Einem Tagebuch entsprechend finden sich keine Kapitelüberschriften, sondern die jeweiligen Daten der Eintragungen. Auch wenn die geschilderten Erlebnisse sicher ihren Ursprung im wahren Leben der Autorin haben, ist dieses Buch nicht als Autobiografie, sondern als zumindest teilfiktionale Erzählung zu bezeichnen. Bereits im Klappentext wird diese Zuordnung betont: „Die Hauptfigur dieses fiktiven Tagebuches ist Mitte Dreißig, führt selbständig ihre Tierarztpraxis, hat eine reizende Tochter, die sie allein erzieht, und einen ebenfalls reizenden Hund namens Schnüffel.“ Dass das Privatleben in diesem Buch im Mittelpunkt steht, obwohl auch die tierärztliche Tätigkeit einen großen Teil der Erzählungen einnimmt, ergibt sich ebenfalls aus dem Klappentext: „Auf amüsant-beschwingte Art erzählt das vorliegende Buch von kleinen Ka-tastrophen und großen Träumen im Leben einer lebenslustigen Single-Frau, die sich bei allem beruflichen Erfolg ihre persönlichen Wahrheiten erst er-kämpft: Daß das Leben im Fluß ist und jede Frau nur sich allein gehört.“ Ein weiterer Beleg für diese Gewichtung und somit eine Berechtigung für die vorge-nommene Eingruppierung findet sich auf Seite 162. Taylor beschreibt hier, wie ein Freund das Manuskript zu ihrem Buch auf einer Buchmesse anpreist: „Eine Bekannte habe einige Wochen aus ihrem Dasein als Single mit Kind be-schrieben, im Tagebuchstil, wie sie damit zurechtkommt und was sie sich von einer Partnerschaft erträumt.“ Trotz des überwiegend amüsanten Schreibstils erfährt das Buch durch das Aufgrei-fen der Probleme, mit denen eine berufstätige, allein erziehende Frau im alltäg-lichen Leben konfrontiert wird, eine gewisse Realitätsnähe. Neben der reinen Unterhaltung ist somit auch eine tiefere Intention in Form eines Mutmachens für andere Frauen in ähnlichen Situationen zu erkennen. Die Ausdrucksweise und die mit der Schilderung von Emotionen, Gedanken und Hoffnungen vielschichtige Darstellung der Hauptperson heben den literarischen Wert des Buches. Fachliche Details finden nur selten Erwähnung. Da es sich bei der Autorin um eine erfahrene Tierärztin handelt, wird die Genauigkeit der Darstellungen jedoch nicht angezweifelt. • Tierärztin Wie erwähnt betreibt die Hauptperson eine Kleintierpraxis, in der ein Assistent und zwei Tierarzthelferinnen angestellt sind. Zu weiteren ehemaligen Helferinnen bzw. Assistenten pflegt sie noch Kontakt. Das Verhältnis zu ihren Angestellten ist einer-seits freundschaftlich-familiär, wie folgende Textstelle zeigt: „Es ist rührend zu sehen, wie unser Team in der langen Zeit zusammenge-wachsen ist und so eine Art Kleinfamilie wurde.“ (S. 173) Andererseits ärgert die Hauptperson sich auch oftmals über ihre Angestellten, wenn diese sich über ihre Entscheidungen hinwegsetzen oder sie in der hart umkämpften Freizeit mit ihrer Tochter stören. Immer wieder hadert sie mit sich und ihrem Führungsstil: „Ich halte nichts von autoritärem Gehabe und immerwährenden Machtproben, doch wird es mir mehr und mehr bewusst, daß ich jetzt an der Reihe bin. Es ist unglaublich, daß sich junge Assistenten bei ihrer Einstellung – abgesehen von der Gehaltsfrage – direkt nach Urlaubs- und Freistellungstagen für Kongresse und Freizeit erkundigen.“ (S. 30) Zur Zeit der Handlung ist die Tierärztin noch nicht promoviert, bemüht sich jedoch gerade um ein entsprechendes Thema. Die Ausstattung der Praxis ist nach eigenen Angaben Taylers bedingt durch die vielfältigen Belastungen im Zusammenhang mit ihrer Scheidung nicht auf dem neuesten Stand. Gegen Ende des Buches beginnt sie jedoch, diese zu modernisieren. Ihr Aussehen beschreibt die Tierärztin auf Seite 120 folgendermaßen: „Sportlich leger, weder ausgeflippt noch extravagant. Das ist meine Art, mein Äußeres zu verkörpern. Ich finde und halte es für ausgesprochen wichtig, dem eigenen Stil treu zu bleiben, damit andere nicht geblendet werden und man sich selbst auch nichts vormacht.“ Auch auf den Seiten 41 f. erklärt sie, welchen Anspruch sie an ihr eigenes Aussehen und das anderer stellt: „Ich bin eitel, durchaus, getreu dem Motto: 'Auch die Augen essen mit' kann ich keinen Menschen akzeptieren, der sich schon allein körperlich gehen läßt. Es braucht so wenig, um sich sauber zu kleiden, eventuell, falls nötig, ein schnelles Make up aufzulegen und sich figurbewusst zu ernähren oder gezielt Sport zu treiben.“ Da die Hauptperson die Chefin einer scheinbar gut gehenden Praxis ist, genießt sie vermutlich ein hohes Ansehen, auch wenn dies nicht explizit erwähnt wird. Im Privatleben wird ihr Rat gerne eingeholt. Wie beschrieben ist das Verhalten Taylers gegenüber ihren Angestellten in der Regel wenig autoritär. Sie kann ihre Ansichten jedoch auch klar vertreten, wenn ihre persönliche Freiheit angegriffen wird. Ebenso tritt die Tierärztin in den meisten Fällen Kunden gegenüber beherrscht und diplomatisch auf, kann andererseits aber auch hier äußerst bestimmt werden, wenn diese ohne einen vernünftigen Grund in ihr Privatleben eindringen: „Ich erkläre ihr mit einem Geduldsfaden, der zum Reißen gespannt ist, daß wir um diese Uhrzeit Mittagspause haben. Da blökt sie mich an: 'Dann machen Sie eben heute mal eine Ausnahme!' Jetzt reicht’s aber! Ich verliere die Fas-sung und brülle zurück: 'Vor 16 Uhr erscheint hier niemand, auch Sie nicht! Denn wenn ich eine Ausnahme für Sie mache, dann haben alle anderen des gleiche Recht, mich zu sprechen, wann es ihnen beliebt, und das würde mir einen 24-Stunden-Job einbringen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?' Wü-tend knalle ich den Hörer auf.“ (S. 166 f.) In diesem Verhalten ist ein deutlicher Unterschied zu vielen der in anderen Romanen beschriebenen Tierärzte zu sehen. Vor allem die am Anfang ihrer Selbstständigkeit stehenden Kollegen nehmen dort häufig sowohl schlechte Arbeitsbedingungen als auch unhöfliches Verhalten der Tierbesitzer hin, um neue Kunden zu gewinnen. Mit Tieren geht die Hauptperson freundlich und einfühlsam um. Sie wünscht sich, ihnen ihr Handeln erklären zu können, um ihnen ihre Angst zu nehmen. Doch auch bei den Tieren scheut sie im Notfall keine drastischen Erziehungsmaßnahmen. Ihre Einstellung zur Euthanasie von Tieren hat sich im Laufe der beruflichen Tätigkeit gewandelt. Während sie anfangs noch die Berechtigung, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen, hinterfragte und von den Eindrücken einer jeden Euthanasie lange verfolgt wurde, ist sie heute stolz darauf, Tieren einen langen Leidensweg ersparen zu können. Nichtsdestotrotz bewegt ein derartiger Schritt sie insbesondere bei langjährigen Patienten. Das Verhältnis der Tierärztin Humanmedizinern gegenüber ist nicht genauer be-schrieben. Sie bezeichnet sie jedoch als Kollegen, was eine gewisse Wertschätzung beinhaltet. Obwohl Chefin der Kleintierpraxis beschließt die Hauptperson, nur noch halbtags zu arbeiten, um mehr Zeit für ihre Tochter zu haben. Dieses Vorhaben durchzusetzen gelingt ihr allerdings nur nach und nach, da Praxis und Wohnung im selben Haus liegen und sie so für ihre Angestellten ständig verfügbar ist. Dieser Umstand belastet sie sehr: „Der objektive Nachteil der Wohnung besteht darin, daß mir meine Angestell-ten und meine Mutter permanent Besuch abstatten, weil sie sich im zweiten Stockwerk desselben Hauses befindet, in dem sowohl Frau Mama als auch die Praxis untergebracht sind. Eine ungesunde Nähe, die Privates nicht so leicht von Beruflichem trennen läßt! Ich habe niemals die Möglichkeit, die Türe hinter mir zu schließen und das Gefühl zu kriegen, ganz allein, mit Tochter, zu sein.“ (S. 28) Freizeit und Arbeitszeit lassen sich daher nicht immer voneinander trennen. Unab-hängig davon verbringt die Tierärztin jedoch auch freiwillig ihre Freizeit mit den An-gestellten, insbesondere ihrem Assistenten. Obwohl sie die Praxis nur mit gemisch-ten Gefühlen ihren Angestellten überlässt, unternimmt sie gemeinsam mit ihrer Tochter mehrere Urlaubsreisen im Jahr. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass das Privatleben mit ihrer Tochter für die Hauptperson an erster Stelle steht. Resümee Dieser im Stil eines fiktiven Tagebuches verfasste Roman kann als eine auf leichte Unterhaltung abzielende Lektüre bezeichnet werden. Durch die aufgegriffenen Situationen im Leben einer Singlefrau und die Darstellung des Umgangs mit diesen bekommt er jedoch eine gewisse Tiefe. Es wird eine Tierärztin beschrieben, die im Laufe der Geschichte erkennt, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse vielfach hinter die anderer zurückgestellt hat, indem sie sowohl für die Angestellten als auch für die Familie und die Freunde ständig verfügbar war. Im Gegensatz zu vielen anderen in Romanen auftretenden Tierärzten hat für sie jedoch das Privatleben mit ihrer Tochter oberste Priorität. Deshalb erkämpft sich die Tierärztin bis zum Ende des Buches Stück für Stück ihre eigene Freiheit und Selbstbestimmtheit zurück, was auch bedeutet, dass sie nur noch halbtags arbeitet. Den Mitmenschen und den Patienten prinzipiell freundlich gegenübertretend setzt sie sich im Zweifelsfall ohne Rücksicht auf beispielsweise einen Kundenverlust durch. Das hier geschilderte Bild einer allein erziehenden selbstständigen Singlefrau, die von den sich durch diese Situation ergebenden Problemen berichtet, taucht in keinem anderen der behandelten Bücher auf. Handeln auch große Teile des Buches von der tierärztlichen Tätigkeit der Hauptperson, spricht es doch ebenso Leser an, die an diesem geschlechtsspezifischen Thema interessiert sind. Leonore Hannss Sieben aus dem Doktorhaus. Nach dem Leben erzählt Autorin Unter dem Pseudonym Leonore Hannss hat Elisabeth Krameyer, eines von sieben Kinder der Tierarztfamilie, von deren Leben das Buch erzählt, diesen Roman veröf-fentlicht. Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek wird als Verfasserin der Erst-ausgabe noch Elisabeth Krameyer angegeben, während bei der Neuauflage Leonore Hannss genannt ist. Werk Das Buch wurde 1937 in Leipzig im Linden Verlag Herbert Fischer das erste Mal aufgelegt und war laut Klappentext der Neuauflage eines der meistgelesenen Bücher in Altenburg. Inhalt In diesem Buch wird das Leben der in Thüringen beheimateten Tierarztfamilie Berg, bestehend aus Vater, Mutter und sieben Kindern, in den Jahren vor und während des Ersten Weltkrieges geschildert. Auch wenn sich die Autorin in der Erzählung nicht als Familienmitglied zu erkennen gibt, verraten auktoriale Elemente in der ansonsten aus einer personalen Erzählperspektive heraus geschriebenen Geschichte den Wissensvorsprung der Erzählerin. Die Erlebnisse der Kinder stehen im Vordergrund der Handlung. Dennoch erfährt der Leser einiges über die Arbeit und das durch den Beginn des Krieges noch erschwerte Leben des Kreistierarztes Dr. Berg. Auffallend ist der verklärt wirkende Erzählstil der Autorin, der im Nachwort zur Neuauflage des Buches folgendermaßen beschrieben, jedoch auch sogleich erklärt wird: „Wo immer uns glückliche Familien vorgezeigt werden, sind wir aus Erfahrung mißtrauisch. Auch in dieser Familiengeschichte überrascht uns der ungebro-chene Mut der Autorin zu so viel Harmonie und heiler Welt. Doch man lasse sich nicht täuschen! Was zunächst wie eine reine Idylle daherkommt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Reflex auf eine Zeit existenzieller Krisen und Verluste, auf einen tiefgreifenden Kulturumbruch, (…).“ (S. 222) Ob dies jedoch tatsächlich als Grund zu sehen ist oder ob die Autorin nicht vielmehr ihre eigene Kindheit und das Leben und Wirken ihres Vaters derart harmonisch schildert, um es besonders zu würdigen, ist fraglich. Analyse • Text In diesem Buch steht der Tierarzt als Vater gemeinsam mit seiner Familie im Vordergrund der Handlung. Für die Praxis und den Lebensunterhalt der Familie verantwortlich, ist eine klare Trennung der Person des Vaters von der des Tierarztes jedoch nur selten möglich. Der Untertitel des Werkes, „Nach dem Leben erzählt“, verdeutlicht, dass es sich bei diesem Roman um eine fiktional bearbeitete Familiengeschichte handelt und nicht um eine Biografie. Die Intention, mit der die Autorin dieses Buch verfasst hat, ist eindeutig darin zu se-hen, dem Vater erzählerisch ein Denkmal zu setzen. Seine Person und sein Schaffen sollen auch außerhalb der Familie nicht in Vergessenheit geraten. Das Ende der Erzählung belegt dies: „Im Frühling weht ein leiser Wind die Blütenblätter herab, sie sind wie ein Gruß aus dem Heimatland, dem der Vater vom ersten bis zum letzten Atemzug treu geblieben ist. Sein Schaffen war gesegnet, und er lebt fort in den 'Sieben aus dem Doktorhaus'.“ (S. 219) Der literarische Wert des Buches ist als eher gering einzustufen. Die Schilderungen der Ereignisse wirken vielfach übertrieben romantisch und daher unrealistisch. Stilistische Feinheiten sind kaum zu erkennen: „Die Mutter hatte noch nicht an sich selbst denken können, als der Vater ein-trat. Aus sechs Kehlen erklang ein frohes 'Guten Morgen, Vater!' - und alle freien Hände streckten sich dem stattlichen, wettergebräunten Mann entgegen. Mit glücklich leuchtenden Augen blickte er über seine Kinderschar und auf seine Frau. Es waren Feierstunden, die er im Kreis seiner Familie verbrachte, denn sein Beruf hielt ihn tagaus, tagein, Sommer wie Winter viel von zu Haus fern, und oft mußte er die Mahlzeiten allein nachholen.“ (S. 7 f.) Das Geschehen außerhalb des Familienlebens findet zwar immer wieder Beachtung – so werden beispielsweise die Folgen des Krieges beschrieben – dennoch wird in der Regel nur das erwähnt, was in direktem Zusammenhang mit der Familie steht. Fachliche Details zu Behandlungen oder Untersuchungen finden sich fast gar nicht. Insgesamt wird die eigentliche tierärztliche Tätigkeit nur selten thematisiert. Auf Seite 150 findet sich eine kurze Schilderung der Behandlung zweier Tiere im Zoologischen Garten, die als äußerst unrealistisch anzusehen ist und daher den Verdacht stärkt, dass es der Autorin lediglich um die positive Darstellung ihres Vaters ging: „Furchtlos ging der Vater in jeden Zwinger, wohl wissend, daß Tiere fühlen, wer ihnen helfen will, und daß das Vertrauen, das die Menschen zu ihm hatten, sich auch auf sie übertrug. Ein Löwe ließ sich einen Dorn aus der Tatze ziehen und leckte dankbar seines Helfers Hand, ein Bär hielt still, als ihm eine Fleischwunde genäht wurde.“ • Tierarzt Die Motivation der Hauptperson, Tierarzt zu werden, liegt in deren Kindheit und ist als klischeehaft zu bezeichnen. Die Tiere waren es, die ihm nach Auseinanderset-zungen mit dem Vater Trost spendeten: „Wie oft weinte der Knabe oben auf der Bodentreppe, wo es keiner sah, und wenn er in seinem Herzensweh nicht mehr aus noch ein wußte, flüchtete er wieder zu den Tieren. Sie kannten und verstanden ihn, sie rieben sich an ihm und leckten seine Hände. Dabei wurde der Wunsch in ihm immer mehr gefes-tigt, Tierarzt zu werden.“ (S. 26) Obwohl das Studium in Dresden sehr kostspielig ist, wird es Berg vom Vater ermög-licht und stellt ihn vor viele Herausforderungen: „Er wurde Soldat und Roßarzt. An der neu eingerichteten Tierarzneischule studierte er die ersten Semester, und damit begann der Kampf um die Aner-kennung des auf völlig neuen Grundlagen aufzubauenden Berufes. Denn bis-her waren die 'Roßärzte' aus Hufschmieden ohne Studium hervorgegangen und hatten wenig Ansehen genossen. Jetzt galt es, sich mit Wissenschaft und Praxis gegen viel Verständnislosigkeit durchzusetzen.“ (S. 29) Nach zwei weiteren Semestern in Berlin besteht er sein Examen mit Auszeichnung. Als Unterroßarzt nach Gythen versetzt lernt er dort seine Ehefrau kennen, die er jedoch erst sieben Jahre später als Oberroßarzt heiraten darf. Kurz nach der Geburt des ersten Kindes erhält er die Möglichkeit, als Kreistierarzt in seiner Heimat tätig zu werden. Er nimmt dieses Angebot an, was jedoch auf Unverständnis bei seinem Vorgesetzten stößt: „'Wissen Sie, was Sie hier aufgeben und dort eintauschen? Ein Mensch wie Sie ist zu Höherem berufen, ist nicht dazu bestimmt, auf dem Land zwischen Rind- und Federvieh zu verbauern.' Hermann blieb jedoch bei seinem Ent-schluß. Wie konnte ihn auch der Oberst verstehen, der ein Soldatenkind war, dessen Vater schon von Garnison zu Garnison versetzt worden war und des-sen Heimat das Regiment bedeutete, in dem er gerade Dienst tat. Er dagegen hing als Bauernsohn mit allen Fasern an Land und Leuten seiner Heimat, er kehrte nun heim ins Land seiner Väter, um den Tieren ein Helfer und den Menschen ein Berater zu sein.“ (S. 38) Diese Textstelle ist von hervorragender Bedeutung für die Charakterisierung des Tierarztes. Wie in vielen anderen Romanen auch wird die Tätigkeit des Tierarztes hier als Berufung beschrieben. Eine mit einem einfacherem Leben und höherem Einkommen verbundene Karriere wird abgelehnt, um auf dem Land kurativ tätig sein zu können. Nicht das Geldverdienen, sondern das Helfen und Heilen stehen im Mittelpunkt. Gleichzeitig wird die Beziehung des Tierarztes zu den Tieren und deren Besitzern verdeutlicht. Später wird dem Tierarzt der Titel Veterinärrat ver-liehen, was zu Erstaunen bei der Bevölkerung führt, die damit nichts anzufangen weiß. Er selbst freut sich nur verhalten, da er von derartigen Titeln nicht viel hält. Dass Berg als ein Tierarzt mit Leib und Seele dargestellt wird, verdeutlicht auch die Seite 211, auf der der Umzug der Familie nach einem Schlaganfall des Vaters ge-schildert wird: „Friedrich überwand die Verpflanzung, aber der Vater lebte sich in der anderen Umgebung nicht ein. Ihm fehlten die Arbeit, die Fahrten aufs Land und seine Bauern.“ Das Aussehen des Tierarztes wird als wettergegerbt und stattlich beschrieben. Sein Verhältnis zu Kollegen wird nicht näher erläutert. Lediglich an einer Stelle des Bu-ches wird erwähnt, dass der Assistent Bergs die Sprechstunde hält. In der Praxis werden von Kleintieren über Nutztiere bis hin zu Exoten aus dem Zoo-logischen Garten alle Tierarten behandelt. Neben der praktischen Tätigkeit zählen auch Vorträge an einer landwirtschaftlichen Schule zu den Aufgaben des Tierarztes. Wie erwähnt werden die Behandlungsverfahren kaum beschrieben und wenn, dann fachlich eher unglaubwürdig. Es steht also eindeutig nicht die tierärztliche Tätigkeit im Vordergrund. Während der Tierarzt anfangs noch zu Fuß die Patienten aufsuchen muss, bekommt er später Pferd und Wagen von seinem Schwiegervater und beschäftigt letztlich sogar einen Kutscher. Der wird Teil der Familie und lebt noch bei ihr, als der Tierarzt längst gestorben ist. So wie sich die Bauern von Teilen ihres Viehbestandes trennen müssen, ist auch Berg bei Beginn des Krieges gezwungen, zwei seiner vier Kutschpferden abzugeben. Auch als er sein erstes Auto bekommt, werden Pferd und Wagen weiterhin genutzt, um den Tierarzt zu Patienten zu fahren, wenn er zu erschöpft ist, um das Auto zu steuern. Das ganze Leben der Familie ist von der Arbeit des Vaters geprägt. Die Mutter ist neben dem Haushalt auch dafür zuständig, die Behandlungswünsche entgegenzunehmen. Ein Urlaub mit der ganzen Familie ist nicht möglich, da der Vater arbeiten muss. So verbringen die Kinder ihre Ferien häufig bei den Verwandten. Sind sie zu Hause, so dürfen sie hin und wieder den Vater bei den Praxistouren begleiten, was ihnen die Möglichkeit gibt, etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Auch hier wird deutlich, dass die Privatperson und der Tierarzt fast untrennbar miteinander verbunden sind. Dass der Tierarzt Tag und Nacht zur Verfügung steht, wenn seine Hilfe von Nöten ist, wird sehr treffend schon zu Beginn des Buches beschrieben. Mit Ausbruch des Krieges verschlechtern sich die Bedingungen noch und er scheint nur dann zum Ausruhen zu kommen, wenn die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit erreicht sind: „Eine kräftige Hand setzte eben den Klingelzug in Bewegung, und man hörte deutlich oben bim-bim-bim-bim-bim. Das Fenster wurde geöffnet, und es er-schien nicht, wie man annehmen konnte, ein verschlafenes Dienstmädchen, sondern das frische, fröhliche Gesicht der Doktorsfrau. Sie rief: 'Was ist denn los?' 'Ist der Herr Doktor noch zu Hause?', tönte es zurück. Sie mußte un-willkürlich lachen, denn bis Mitternacht wurde sie stets gefragt, ob ihr Mann 'schon' zu Hause sei, und nach Mitternacht, ob er 'noch' da wäre.“ (S. 6) „Der Vater konnte die Arbeit kaum bewältigen, Tag und Nacht war er unter-wegs, um das immer mehr im Wert steigende Vieh zu erhalten. Der treue Friedrich fuhr ihn mit den verbliebenen zwei Pferden, wenn der Doktor zu überanstrengt war, das Auto zu lenken.“ (S. 171) Es handelt sich hierbei um ein Motiv, das in vielen Romanen verwendet wird, um die enge Verbundenheit der Tierärzte mit ihrem Beruf und ihre besondere Verantwortung zu verdeutlichen. Das Einkommen des Tierarztes wird nicht explizit erwähnt. Es scheint aber auszureichen, um die Familie gut zu ernähren und darüber hinaus auch bedürftigen Menschen zu helfen, wenn diese darauf angewiesen sind. Nach einer Behandlung von Zirkustieren verzichtet Berg sogar auf sein Honorar in Geldform. Er erhält dafür einen Lohn, von dem sämtliche Bewohner des Doktorhauses profitieren: „Geld nahm der Vater nie von den Zirkusbesitzern für seine Arbeit, weil er wußte, wie schwer jeder von ihnen wirtschaftlich zu kämpfen hatte; er ließ sich dafür lieber eine Dauerkarte für zwei Logenplätze geben. An den ersten Nachmittagen gingen die Doktorskinder hin, tags darauf Freudenbergs zu dreien auf zwei Plätze, und auch abends machte die Dauerkarte nach und nach im Haus die Runde.“ (S. 150) Das Ansehen des Tierarztes und seiner Familie ist hoch. Das Doktorhaus wird als Anziehungspunkt beschrieben, in dem die Kunden auch lange Wartezeiten bis zur Heimkehr des Tierarztes gerne hinnehmen, solange sie nur dem Geschehen im Haus folgen dürfen. An mehreren Textstellen wird das hohe Ansehen des Tierarztes beschrieben. Beispielhaft sei hier eine Passage genannt, in der der Tierarzt verstirbt: „Erschütternd war die Trauer und Anteilnahme in Stadt und Land. Die Liebe und Verehrung, die der Tote allgemein genossen hatte, zeigte sich, als sein Ableben bekannt wurde. Da stand vor der Korridortür ein Kutscher im Schurz-fell und wollte der Mutter als einer der ersten die Hand drücken und ihr kund-tun, was die Menschen und Tiere mit dem Herrn Rat verloren hatten.“ (S. 212) Resümee Bei diesem frühen Tierarztroman handelt es sich um einen Text, der zur Würdigung des Andenkens des Vaters der Autorin geschrieben wurde. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt nicht auf der Darstellung der tierärztlichen Tätigkeit, zu der sicher auch eine Erwähnung der medizinischen Neuerungen der Zeit gehört hätte. Vielmehr sollen die Familie und eben insbesondere der Vater teils anekdotenhaft, teils ernst, jedoch immer aus der Distanz einer Erwachsenen heraus, die verklärt auf ihre Kindheit zurückblickt, harmonisch beschrieben werden. Die Verwendung eines Pseudonyms und die Verfremdung der Orts- und Personennamen, die jedoch auf den Seiten 220 f. der Neuauflage entschlüsselt werden, sollten dabei in der ersten Ausgabe des Buches der Geschichte den Charakter eines Romans und nicht den einer Biografie geben. Zudem war eine Nennung von Namen damals nicht nötig, da zumindest die in Altenburg lebenden Leser die einzelnen Personen noch in Erinnerung gehabt haben werden. Der Neuauflage hingegen verleiht die Aufschlüsselung der Namen und Orte einen besonderen Reiz, da sie deutlich macht, dass es diese Familie tatsächlich gegeben hat und den Roman dadurch von anderen Werken abhebt. Dem Erzählanlass entsprechend wird der Tierarzt hier ausnahmslos positiv beschrieben. Er ist kompetent, liebt die Tiere und schätzt die Besitzer. Er belastet sich selbst bis an und über die körperlichen Grenzen, um seiner Berufung zu entsprechen. Schon am Anfang seines beruflichen Werdegangs stellt er die Karriere beim Militär zurück hinter seinen Wunsch, auf dem Land den Tieren helfen zu können. Derart mit dem Beruf verwachsen behandelt er sogar noch nach seiner Pensionierung weiter und zerbricht schließ-lich daran, dies nach schwerer Krankheit aufgeben zu müssen. Das zeigt noch ein-mal, dass die Tätigkeit als Tierarzt der Mittelpunkt seines Lebens war. Fritz Reck-Malleczewen Urban, Tierarzt erster Klasse Autor Friedrich Percyval Reck-Malleczewen wurde 1884 auf dem ostpreußischen Gut Malleczewen geboren. Nachdem er als Offizier im Ersten Weltkrieg schwer ver-wundet worden war, studierte er Medizin. Er bereiste zahlreiche Länder und war schließlich an der Münchner Hofoper beschäftigt sowie als freier Schriftsteller tätig. Der Autor verfasste zahlreiche Romane und Essays, von denen sich viele kritisch mit dem Verhalten von Massen auseinandersetzen. Die zu erwartende Zensur etwa des 1937 erschienenen Romans „Bockelsen. Geschichte eines Massenwahns“ hat er umgangen, indem er ihn als historischen Roman getarnt hatte. Dieses Buch zählt daher als das Hauptwerk der verdeckten Schreibweise der inneren Emigration. 1944 verhaftet, starb er am 17.02.1945 im KZ Dachau an Typhus (Brauneck 1995). Werk Die in mehreren Bänden erschienene Reihe „Phrygische Mützen“ ist nur noch anti-quarisch zu erwerben. Neben der hier behandelten Novelle beinhaltet dieser Band die Titel „Der Tag der Tuilerien“, „Der Tag von Saint-Denis“ und „Die Fabrik“. Die No-velle „Urban, Tierarzt erster Klasse“ wurde 1937 nochmals eigenständig im Weichert Verlag Berlin veröffentlicht. Hauptperson Als Vorlage für den in dieser Novelle beschriebenen Tierarzt diente Friedrich Ludwig Urban, der 1806 im Harz als Sohn eines Huf- und Waffenschmiedes geboren wurde. Urban war viermal verheiratet und hatte vier Kinder. Er starb 1879 in Berlin. Er arbeitete als Schmied zunächst im Betrieb der Familie und nach seiner Einberufung beim Militär. Dort anfangs als Fahnen- und später als Kurschmied tätig, wurde er an die Tierarzneischule nach Berlin abkommandiert, wo er zum Tierarzt zweiter Klasse ausgebildet wurde. Nach einem Unfall aus dem Militärdienst ausgeschieden, arbeitete Urban fortan als praktischer Tierarzt und studierte auf eigene Kosten ein weiteres Mal an der Tierarzneischule, um die Approbation als Tierarzt erster Klasse zu erhalten. Urban war gesellschaftspolitisch vor und nach der Revolution 1848 äußerst aktiv, gelangte aber insbesondere bei den Barrikadenkämpfen zu großem Ruhm: Die seinem Kommando unterstehende Barrikade am Alexanderplatz war die einzige der über 200 Barrikaden in Berlin, die nicht vom Militär erobert wurde. Zudem rettete Urban vor eben dieser Barrikade einen Verletzten aus der Schusslinie des Militärs, wobei er sich selbst in höchste Gefahr brachte. Dass er trotz allem Nachsicht mit dem Militär zeigte und dem König nach wie vor treu war, wurde Urban später negativ ausgelegt (Schäffer Vortrag unveröffentlicht). Inhalt Diese in der auktorialen Erzählperspektive verfasste Novelle handelt von den Barri-kadenkämpfen während der Deutschen Revolution in Berlin im März 1848. Haupt-person ist der Tierarzt erster Klasse Paul Urban. Dieser ist einerseits ein begeisterter Revolutionär und vernachlässigt seine Arbeit, um an den Kämpfen teilnehmen zu können. Wenn er auch fälschlicherweise die gegnerische Flagge in der Hand hält und daher beinahe erschossen wird, schreitet er doch stolz einer Gruppe von Revo-lutionären voran. In derartigen Szenen wird die Ironie, mit der der Autor das Geschehen beschreibt, immer wieder deutlich. Andererseits verhindert Urban jedoch das Öffnen einer königlichen Depesche, in der der Beweis für einen Verrat des Königs vermutet wird. Er beharrt darauf, dass dafür zunächst eine behördliche Genehmigung eingeholt wird. Beim Öffnen der Depesche stellt sich heraus, dass sie keinesfalls den Beweis für einen Verrat enthält, sondern eine Anfrage nach einem Kochrezept beinhaltet. Die Novelle endet damit, dass der ursprüngliche Revolutionär Urban, nachdem er Ausschreitungen unter den Bürgern verhindert hat, vom König beauftragt wird, das Garderegiment sicher aus der Stadt zu geleiten. Die gesamte Novelle ist von dem ironisch-versöhnlichen Schreibstil des Autors ge-prägt, mit dem er Kritik an Urbans Verhalten übt. Da dieser aber nicht in seiner Funktion als Tierarzt auftritt, während seine Zugehörigkeit zum Stand des Bürgertums durch die stets mit seinem Namen verbundene Bezeichnung „Tierarzt erster Klasse“ unterstrichen wird, gilt die Kritik augenscheinlich dem Bürgertum an sich, nicht der Person. Dennoch bedient sich der Autor bewusst des Bekanntheitsgrads Friedrich Ludwig Urbans für seine kritischen Intentionen. Die Annahme, dass nicht die Lebensgeschichte Friedrich Ludwig Urbans widergegeben werden soll, wird weiter durch die Tatsache bestätigt, dass dem Tierarzt Urban der Novelle ein bisweilen satirischer Charakter verliehen wird, der dem ,wahren Urban’ nicht gerecht zu werden scheint. Analyse • Text Genaugenommen steht in diesem Werk also nicht der Tierarzt in seiner beruflichen Tätigkeit, nicht einmal der Tierarzt als Mensch im Vordergrund, sondern der Tierarzt als Angehöriger des Bürgertums. Dennoch soll die Einordnung der Novelle in diese Gruppe erfolgen, da sie den dort auftretenden Charakteristika am ehesten entspricht. Der Autor ist in diesem Fall kein Veterinär-, sondern ein Humanmediziner. Dennoch werden, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, keine medizinischen Details erwähnt. Die Hauptperson tritt in der nur wenige Tage umfassenden Handlung als Revolutionär auf und vernachlässigt die Praxistätigkeit dementsprechend: „In diesem Augenblicke ließ in der Vorderstube die Tierärztin sich hören. 'Ur-ban!' rief es 'Du bist noch immer hier! Trinkst Deinen Kaffe um vier Uhr und läßt Praxis Praxis sein und Deine Kinder darben! Wie steht es mit Oberst von Prillwitz piphakigem Pferd? Und hat die Kommissionsrätin Zitelmann nicht heute schon zum zweiten Male nach Dir geschickt, wo doch ihr Kanarienvogel einen blauen Bauch hat?' 'Weib' donnerte der Tierarzt erster Klasse 'geht es um Prillwitzens piphakigen Gaul oder den Kanarienvogel der Kommissionsrätin Zitelmann sammt seinem blauen Bauch? Da – sieh her! Schon wieder haben sie die Preise für holländischen Kanaster erhöht! Wie? Das ist nichts? Soll das Pfeifchen des armen Mannes erkalten? Soll wieder einmal das Volk…' Hier unterbrach den Tierarzt ein merkwürdiger, durch das offene Fenster kommender Lärm. (…) Der Tierarzt lief, ohne ein Wort zu verlieren, zu dem großen Wandspiegel, nahm unter dem Glassturz die tellergroße dreifarbige Kokarde hervor, steckte sie an die Rockrabatte, schob, um das Abzeichen sichtbar zu machen, den ungeheuren Bart zur Seite. 'Ja, Kinder, ich komme schon' rief er den halbwüchsigen Jungen zu, die unmittelbar unter seinem Fenster standen.“ (S. 71 f.) Ist demzufolge über die Richtigkeit fachlicher Details, soweit sie die Medizin betref-fen, keine Aussage zu machen, sind bezüglich der politischen Aktivitäten Fein-heiten in das Werk eingebaut, die auf fundierte Kenntnisse schließen lassen. Die objektive Ironie, die das damalige Geschehen vielfach kennzeichnete, nutzt der Autor gekonnt. Auf den Seiten 102 f. wird beispielsweise beschrieben, dass eine Gruppe von Revolutionären mit Urban an der Spitze die Waffen und Fahnen aus dem Fundus eines Theaters entwendet und damit auf die Straßen zieht. Wenn auch nicht Friedrich Ludwig Urban, sondern Theodor Fontane tatsächlich an diesem Geschehen beteiligt war, nutzt der Autor diese Situation doch, um die Umstände der Revolution überspitzt darzustellen: „Aber da sah er von der Königsbrücke her einen phantastischen Zug nahen, daß er unwillkürlich stehen blieb: Fahnen aller Staaten, Riesenbanner längst verschollener Dynastien leuchteten in schreiendem Blau und Rot und merk-würdige und in dieser nüchternen Stadt doppelt merkwürdige Waffen, Helle-barden und Morgensterne blitzten in der Sonne. (…) und da lief denn auch schon neben diesem Zuge bannertragender Gemüsehändler und pickelbe-wehrter Sattlermeister ein jammernder kleiner Mensch und beschwor die 'verehrten Mitbürger', sie sollten ihm doch um Gottesjesuwillen wenigstens ihre Namen angeben. Ja, er sei doch der Garderobier vom königstädtischen Theater, aus dem man die Waffen da genommen hätte (…) und womit man denn in aller Welt morgen Raupachs 'Kaiser Konradin' spielen solle, wenn der halbe Fundus auf der Königstraße unterwegs sei?“ In dem hier vorliegenden Werk werden die eine Novelle kennzeichnenden Kriterien erfüllt: So wird beispielsweise das außergewöhnliche Ereignis der Barrikadenkämpfe klar strukturiert und konzentriert beschrieben. Die Arbeit mit der erwähnten objektiven Ironie, der seinerseits von feiner Ironie geprägte Schreibstil sowie die historischen und personalen Anspielungen (explizit auf den Dichter Heinrich von Kleist, implizit etwa auf Theodor Fontane, der an ebendiesem Sturm teilgenommen hat und ein Nachbar Friedrich Ludwig Urbans war) belegen ebenfalls, dass der Autor nicht nur ambitioniert geschrieben hat. Er hat im Gegenteil insgesamt ein Werk mit klar ersichtlichem literarischen Wert geschaffen. • Tierarzt Das Privatleben des Tierarztes wird nur kurz erwähnt. Er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Alle wohnen in Berlin in einer Wohnung mit drei Zimmern und einem Alkoven. Rein äußerlich wird Urban als Mann mit langem Vollbart und mächtigem Bauch beschrieben, der die meiste Zeit große Filzstiefel und zur Revolutionszeit einen Rock mit der dreifarbigen Kokarde trägt. Ein Zeitgenosse Friedrich Ludwig Urbans beschrieb diesen in ähnlicher Weise, was abermals als Zeichen dafür zu werten ist, dass der Autor sich bewusst der Popularität Urbans bedient hat, um seine Kritik am Bürgertum zu vermitteln: „Seine riesige Gestalt war meist in einen kurzen braunen Rock von eigentüm-lichem Schnitt und in bis zu den Hüften steckenden Reiterstiefeln gehüllt, eine Kopfbedeckung trug er niemals, und dabei lief er mit solcher Hast oder ritt so eilig durch die Straßen, daß das wallende Haar und der lange Bart wirr um sein Haupt flogen.“ (Hamann 1996, S. 7) Er genießt bei der Bevölkerung und schließlich auch beim König scheinbar einen gewissen Respekt und ein hohes Ansehen. Der Widerspruch, der in der nachfolgend zitierten Passage deutlich wird, nämlich einerseits eine Revolution zu führen, andererseits aber gesetzestreu zu bleiben, spiegelt sich als objektiver Gesamtwiderspruch der Revolution subjektiv im Versuch Urbans wider, beides miteinander zu verbinden: „Aber da eben, als Lenski die Depesche mit dem königlichen Siegel an sich nahm, um sie feierlich in Anwesenheit des Volkes aufzubrechen, da eben war es der Tierarzt Urban, der zuerst würdevoll über seinen Bart strich und dann seine Stimme erhob und sich gegen das Öffnen der Depesche erklärte. Nein, ganz und gar nicht ginge es an, daß man sich einer ungesetzlichen und dazu noch undeutschen Handlung schuldig mache und ohne behördliche Genehmi-gung sich in ein Geheimnis eindränge! Ja, er als reifer Mann könne ja wohl den Eifer seines lieben jungen Freundes Lenski begreifen, aber bürgerliche Zucht müsse auch in der Revolution obwalten (…)“ (S. 76) Am Ende der Novelle wird Urban durch eine Botschaft des Königs dazu aufgefordert, das erste Garderegiment sicher aus der Stadt zu geleiten, nachdem er zuvor bereits Ausschreitungen verhindert hat. Seite 132 bietet dabei gleichzeitig eine kurze Charakterisierung des Tierarztes. Auch diese Textstelle ist beispielhaft für die Ironie, mit der die ganze Handlung und insbesondere der Tierarzt beschrieben werden: „Dann aber fuhr männliches Selbstbewußtsein, der Stolz des germanischen Kriegers in seine Glieder, und plötzlich dröhnte sein Kommando über das staunende Regiment. Und wenn das Kommando auch vielleicht etwas anti-quiert war und entweder aus der Zeit des unglücklichen Krieges stammte oder überhaupt nur in den Soldatenspielen berliner Jungen vorkam, so wurde es doch von dem Regiment willig akzeptiert (…)“ Die berufliche Tätigkeit Urbans findet, abgesehen von der reinen Bezeichnung „Tierarzt erster Klasse“, die stets betont wird, nur am Anfang der Novelle Beachtung. Anstatt Behandlungen durchzuführen, ereifert er sich dort über steigende Tabak-preise. Als es schließlich auf den Straßen zu Unruhen kommt, gerät die Praxis voll-ends in den Hintergrund und Urban schließt sich den Revolutionären an. Sinn dieser Beschreibung ist es jedoch nicht, ihn als schlechten Tierarzt darzustellen, sondern Urban als den ,Revolution’ spielenden Bürger zu kennzeichnen. Später bietet sich Urban nochmals die Möglichkeit, seine medizinischen Kenntnisse unter Beweis zu stellen, jetzt aber als Humanmediziner, als er zu einem Verletzen gerufen wird. Nach dem umgehenden Stellen einer infausten Prognose verlässt er den Sterbenden jedoch und bringt sich in Sicherheit. Resümee Diese Novelle ist eines der frühesten Werke mit einem Tierarzt als Hauptperson. Der Autor setzt sich auf ironische Art mit der Revolution von 1848 auseinander. Das Motiv Tierarzt wird hierbei genutzt, um eine Hauptperson mit klarer Standeszugehörigkeit zum Bürgertum zu schaffen, an der stellvertretend für das ganze Bürgertum Kritik geübt werden kann. Der Tierarzt wird als ein einerseits revoltierender, andererseits jedoch auch in der Revolution auf Gesetzestreue und bürgerliche Zucht beharrender Mann beschrieben. Er genießt den Respekt, der ihm, wenn auch stets ironisch beschrieben, entgegengebracht wird. Die berufliche Tätigkeit stellt der Autor, im Gegensatz zu fast allen anderen Werken selbst dieser Gruppe, bei der der Mensch im Vordergrund steht, völlig in den Hintergrund. Es kommt nur auf den sozialen Stand Urbans an, nicht auf den Beruf. Ebenso vorstellbar wäre in dieser Novelle jede andere eindeutig dem Bürgertum zuzuordnende Hauptperson gewesen. Ein derartiger Umgang findet sich in keinem anderen der behandelten Werke.
Verlagsort | Göttingen |
---|---|
Sprache | deutsch |
Maße | 148 x 210 mm |
Gewicht | 295 g |
Einbandart | geklebt |
Themenwelt | Veterinärmedizin ► Klinische Fächer ► Pathologie |
Schlagworte | Belletristik • Franz Knüsel • Fritz Reck-Malleczewen • Gerhard Parrisius, • Hermann Röcken • James Herriot • Jutta Beyrichen • Kurt Haller • Leonore Hannss • Maria Coffey • Phyllis Lose • Romy Tayler • Teda Bork • Tierarzt • Tierärztin • Tierarzt, Tierärztin, Belletristik, Jutta Beyrichen, Romy Tayler, Leonore Hannss, Fritz Reck-Malleczewen, Gerhard Parrisius, William Quindt, Maria Coffey, Kurt Haller, Phyllis Lose, Teda Bork, Franz Knüsel, James Herriot, Hermann Röcken, Udo Theissen, Gerh • Udo Theissen • William Quindt |
ISBN-10 | 3-86844-151-4 / 3868441514 |
ISBN-13 | 978-3-86844-151-2 / 9783868441512 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich