Darwin gefällt das (eBook)
208 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-31761-4 (ISBN)
Die Menschheit - was für eine Erfolgsstory. Wir wären nicht da, wo wir sind, wenn nicht über die Jahrtausende hinweg viele kluge Köpfe viele geniale Ideen gehabt hätten. Charles Darwin, Vater der Evolutionstheorie, wäre stolz auf den Status quo: Survival of the Fittest - der Stärkste setzt sich durch. So ist es. Aber was ist eigentlich mit dem oder der Zweitstärksten?
Anna Bühler und Christian Alt sind es leid, dass in der Geschichtswissenschaft immer nur über die Gewinner und Gewinnerinnen gesprochen wird. Denn wir können von den Verlierern deutlich mehr lernen. Irgendjemand muss ja mal herausgefunden haben, welche Beeren giftig sind, ob Herdplatten nach drei Minuten immer noch heiß sind und ob Sicherheitsglas wirklich so sicher ist.
Im Buch zu ihrem Erfolgspodcast Darwin gefällt das erfahren all diese vermeintlich genialen Ideen, die es nie in die Geschichtsbücher geschafft haben, die Würdigung, die sie verdienen, und werden in Wort und Schrift festgehalten. Bühler und Alt erzählen von Bomben, die an Fledermäuse geschnallt werden. Von absurden Selbstversuchen, von Teenagern, die Atomkraftwerke im Garten bauen, und von englischen Kranführern, die sich nichts sehnlicher wünschen, als einmal die British Open zu gewinnen.
Die Geschichte ist voll von Experimenten, die astrein in die Hose gegangen sind. Von Menschen, die in ihrer Mission tragisch gescheitert sind. Geblieben ist dennoch etwas davon: Eine mitreißende Geschichte, an die man sich eben doch erinnern sollte.
Anna Bühler wurde 1988 in Düsseldorf geboren, hat in Wien Publizistik studiert und lebt in der Nähe von München. Sie hat viele Jahre als Reporterin, Feature-Autorin und Radiomoderatorin beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet und 2018 gemeinsam mit Christian Alt die Podcast-Produktionsfirma Kugel und Niere gegründet.
Der fliegende Gartenstuhl
oder:
Wie Larry Walters versuchte, mit 42 Ballons und einem Stuhl durch die Lüfte zu segeln
Stellen Sie sich kurz folgende Situation vor: Sie fliegen von Los Angeles nach Frankfurt am Main. Es war ein fantastischer Urlaub, Sie haben das Hollywood-Schild gesehen, versucht, beim Villa-Spotting einen echten Prominenten zu erspähen, und am dritten Tag gab’s diese unvergleichlichen Fisch-Tacos am Santa-Monica-Pier, von denen Sie Ihren Liebsten noch die nächsten Jahre erzählen werden. Aber jetzt ist der Urlaub vorbei, Sie sitzen halbwegs gemütlich auf Ihrem Sitz, haben sich schon einmal durch das Entertainmentprogramm geklickt, und Ihr Sitznachbar hat sogar schon seine verdammten Sneaker ausgezogen.
Ein ganz normaler Flug also. Während Sie gerade überlegen, wann Sie die nächste strategische Pinkelpause einlegen, um danach vielleicht schlafen zu können, schauen Sie aus dem Fenster. Zuerst denken Sie, Sie hätten etwas im Auge. Aber nein … Da am Himmel ist wirklich etwas, das da nicht sein sollte. Sie kneifen die Augen zusammen. Kann das sein? Nein, bestimmt nicht. Sie stupsen Ihren Nachbarn an, der soll sich das auch mal anschauen. Er blickt ebenfalls aus dem Fenster, und ihm klappt die Kinnlade runter. »Das ist … Also das ist ja …«, sagt er. »Ein Mann im Gartenstuhl, genau. Getragen von jeder Menge Ballons«, vervollständigen Sie den Satz. Sie sind fassungslos. Auch die Piloten sehen den Mann im Klappstuhl und setzen den legendären Funkspruch ab: »Hier ist T.W.A. 231, auf einer Höhe von 16000 Fuß. Wir haben einen Mann in einem Stuhl, der an Ballons befestigt ist.«
Es ist der 2. Juli 1982, da startet der Lkw-Fahrer Larry Walters zu einer der absurdesten Ballonfahrten der Menschheitsgeschichte. Walters versucht, nur mit einem Gartenstuhl und 42 Heliumballons ein eigenes Fluggerät zu bauen. Und hat damit Erfolg. Na ja, zumindest teilweise.
Ganz vernarrt nach Ballons ist Larry schon, seit er klein ist. »Als ich etwa acht oder neun Jahre alt war, wurde ich nach Disneyland mitgenommen. Als wir reinkamen, stand da eine Frau, die scheinbar eine Million Micky-Maus-Ballons in der Hand hielt, und ich sagte: ›Wow!‹«, erzählt Larry nach seinem Flugversuch der Zeitschrift New Yorker. Dieser Micky-Maus-Moment war der Auslöser für seine Faszination. In seiner Schulzeit beginnt er mit Experimenten mit kleinen Wasserstoffballons – an diese bindet er Nachrichten und hofft, dass der Ballon ganz weit fliegt. Eine Antwort bekommt er nie. In akademische Erfolge kann er seine Ballonliebe leider nicht ummünzen. In der Highschool nimmt er an einer Art Jugend-forscht-Wettbewerb teil. Sein Thema natürlich: Wasserstoffballons. Larry bekommt eine Vier.
Die Idee, dass man nicht nur Briefe per Ballon verschicken kann, sondern vielleicht sogar einen Menschen, die hat er, als er als Jugendlicher einen Army Store besucht. Hier hängt nämlich ein riesiger Wetterballon an der Decke. Die tragen normalerweise halbwegs schwere meteorologische Messgeräte. Larry gerät sofort ins Träumen. Was wäre, wenn man nur genug von diesen Wetterballons hätte? Für ihn steht fest: »Ich musste ein paar dieser dicken Dinger in die Hände kriegen.«
Larry Walters wäre wahrscheinlich schon eher mit 42 Ballons in die Lüfte gestiegen, aber in den 70er-Jahren kommt ihm Vietnam dazwischen. Während er in der Feldküche Suppen rührt oder Burger brät, denkt er ständig an seinen Traum.
1982 soll es dann endlich so weit sein. Inzwischen ist Larry wohlbehalten aus dem Krieg zurückgekehrt, arbeitet als Trucker und lebt mit seiner Lebensgefährtin Carol in Kalifornien. Die weiß schon länger von seinem Traum und hält ihn mit allen Kräften davon ab. Es ist ja auch vielleicht nicht die allerschlauste Idee. Aber nach Jahren des Nörgelns muss auch Carol einsehen: Ihr Larry ist nicht zu stoppen. Als sie grünes Licht gibt, beginnt Larry sofort mit den Planungen. Der Ort: ein McDonald’s in San Bernardino, Kalifornien. Larry ritzt die erste Blaupause seines Fluggeräts mit einer Münze in die Papiertischdecke. Carol hat jedoch eine Bedingung: Bevor er wirklich losfliegt, soll er einen Fallschirmsprung absolvieren. Denn im Notfall wird er auch mit einem Fallschirm abspringen müssen. Carol erhofft sich insgeheim, dass Larrys Traum vom Fliegen nach diesem Sprung vielleicht gar nicht mehr so dringlich ist.
Und Larry? Lässt sich von dieser Bedingung natürlich nicht aufhalten. Er macht den Fallschirmsprung und ist begeistert. Sofort kauft er sich selbst einen Fallschirm und plant weiter an seinem Fluggerät. Wobei nicht genau klar ist, was es da zu planen gibt. Denn sein Traumflugzeug umfasst ja eigentlich nicht mehr als ein paar Dutzend Ballons. Zum Vergleich: Eine Boeing 747 besteht aus etwa sechs Millionen Einzelteilen. Die Frage, die er aber noch nicht geklärt hat: Woran macht er die Ballons fest? Soll er sich vielleicht einen Ballonanzug bauen, der aus lauter kleinen Ösen besteht, in die man die Ballonschnüre verknotet? Oder wie wär’s mit einem Ballonfahrrad, vielleicht kann man irgendwie die Richtung bestimmen, wenn man in 1,5 Kilometer Höhe nach links lenkt? Oder vielleicht muss sein Ballonfahrzeug selbst ein riesiger Ballon sein? Falls er dann beim Abflug in ein Gebäude crasht, befindet er sich schon in einem Airbag und bricht sich nichts.
Das Fluggerät, das Larry schlussendlich baut, kann man heute noch im National Air and Space Museum in Washington, D.C., besichtigen. Auf einer überwältigenden Ausstellungsfläche lassen sich dort die Highlights amerikanischer Flugingenieurskunst bewundern: In einem Gang hängt ein Rettungshubschrauber von der Decke, in einer anderen Ecke steht ein großer Learjet und woanders wiederum ein Wasserflugzeug. Und irgendwo ganz hinten ist in mehreren Metern Höhe Larry Walters Gartenstuhl zu sehen. Es ist noch nicht einmal ein schöner Gartenstuhl, vielleicht einer aus Teak-Holz mit einem dicken gemütlichen Polster. Nein, es ist ein Metallrahmen mit Gurtbandbespannung, ein Stuhl, bei dem man schon beim Aufstellen hofft, dass er einen Sommer durchhält. Links und rechts vom Stuhl hat Larry je sechs große Wasserkanister befestigt. Die sorgen für Ballast und können im Notfall auch abgeworfen werden, um schnell an Höhe zu gewinnen. An die Nachbarn in Los Angeles, denen dann womöglich eine vier Kilo schwere Wasserbombe durchs Dach regnet, denkt er im ersten Moment nicht. Am Metallrahmen sind außerdem noch vier Schnüre vertäut, die über dem Stuhl in einem Punkt zusammenlaufen. Wobei »vertäut« das falsche Wort ist – leider fehlt das Fachwort für »Schnüre schnell mit Gaffertape an einem Rahmen festkleben und beten, dass es hält«. Das war’s schon – fertig ist Larry Walters Fluggerät. Oder wie er sein Gefährt nennt: Inspiration 1.
Was nicht in der Ausstellung zu sehen ist: die restliche Ausstattung von Larry. Auf seine Ballonfahrt nimmt er noch mit: ein Funkgerät, einen Höhenmesser, einen Handkompass, eine Taschenlampe, Ersatzbatterien, einen Verbandskasten, ein Taschenmesser, eine Straßenkarte von Kalifornien, einen Fotoapparat und als Proviant: eine Packung Beef Jerky und zwei Liter Coca-Cola. Stay hydrated. Außerdem braucht er noch ein Luftgewehr. Denn während die Wasserkanister die Absicherung für einen Sinkflug sind, muss er auch das andere Extrem bedenken: Was, wenn er zu hoch fliegt? Dann schießt er einfach die Ballons ab. Das Wichtigste fehlt natürlich noch: die Ballons. Hier kommt Larry auf 42 Ballons mit einem Durchmesser von drei Metern. Um die aufzupusten, braucht er 55 Heliumflaschen. Die ganze Ausrüstung kostet ihn 4000 Dollar.
Larrys Flugzeug – mit Betonung auf Zeug – ist innerhalb kürzester Zeit zusammengebaut. Jetzt fehlt nur noch so etwas wie ein Flughafen, ein Ort, von dem aus die Reise losgeht. Er dachte eigentlich an die Mojave-Wüste, da stört er niemanden. Aber die Mojave ist mehrere 100 Kilometer entfernt – man müsste erst mal das ganze Gerät dorthin karren. Allein für die Heliumflaschen bräuchte man einen eigenen Lkw. Also hat Carol eine Idee: Wieso machen wir den Testflug nicht bei meiner Mutter im Garten? Da müssen wir nicht so viel schleppen, und außerdem weiß ich genau, wie ich zum nächsten Krankenhaus komme, wenn beim Start was Schlimmes passiert.
Larrys Plan ist es, sich von den Winden über L.A. bis in die San Gabriel Mountains und die Mojave-Wüste tragen zu lassen. Jetzt sollte man aber dazusagen: Larrys Schwiegermutter lebt in San Pedro. Das liegt am südwestlichen Zipfel der Stadt, direkt neben Long Beach. Der Großraum Los Angeles ist riesig, und wenn Larry seinen Plan in die Tat umsetzen will, muss er erst einmal mehr als 50 Kilometer Luftlinie nach Nordosten fliegen, um Los Angeles hinter sich zu lassen. Auf dem Weg hat er immerhin einen schönen Überblick – es geht von Long Beach über Downtown L.A. und das berühmte Griffith Observatory in die San Gabriel Mountains. Ab der Hälfte könnte er auch das Hollywood Sign sehen. Eine schöne Route, aber so ziemlich das Gegenteil der menschenleeren Mojave-Wüste. Und eine ganz schön lange Strecke für einen Mann in einem Plastikstuhl.
Die Nachbarn von Larrys Schwiegermutter werden sich am Vorabend des Flugs gewundert haben. Denn seit abends bläst dieser im Garten die riesigen Ballons auf. Wer den Pixar-Film Up! gesehen hat, in dem ein Rentner sein Haus mit einer riesigen Anzahl an Ballons zum Wegfliegen bringt: So ungefähr sieht es bei Larrys Schwiegermutter aus. Natürlich interessiert das auch die Polizei, die wissen will, wieso das Grundstück einer älteren Dame einem Vergnügungspark ähnelt. »Ach, wir drehen...
Erscheint lt. Verlag | 27.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | 2024 • alles geschichte • Anekdoten • Daniel Meßner • der rest ist geschichte • eBooks • Erfindungen • Evolution • Expeditionen • Experimente • Geschenk Bruder • Geschenk Partner • Geschenk Vater • Geschichte • Geschichten aus der Geschichte • Geschichtswissen • Gesetze • History • Humor • humorvoll • kurios • Kuriositäten • lustig • lustige • Menschheit • Menschheitsgeschichte • Missverständnisse • Neuerscheinung • people of science • Persönlichkeiten • Podcast • Popscience • Rekorde • Richard Hemmer • Rituale • skurril • sound of science • Verschwörung • Verschwörungstheorie • Wissenschaft • Zeitgeschichte |
ISBN-10 | 3-641-31761-4 / 3641317614 |
ISBN-13 | 978-3-641-31761-4 / 9783641317614 |
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