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7. Oktober (eBook)

Stimmen aus Israel | Der Almanach zum 7. Oktober - Versuch einer Einordnung

Leo Baeck Institute (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
200 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-78128-7 (ISBN)

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7. Oktober -
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Der 7. Oktober 2023 stellt für die Israelis eine Zäsur ohnegleichen dar. Von nun an wird es in der Zeitrechnung nur noch ein Davor und ein Danach geben. Das schiere Ausmaß und die ungeheuerliche Brutalität der Angriffe der Hamas, die Geiselnahmen und ein Krieg, so lange wie noch keiner zuvor, haben die Nation traumatisiert. Die Grundfesten, auf denen man sich im eigenen Staat sicher fühlte, wurden zutiefst erschüttert. Wie kann hier ein Neuanfang gelingen?

Ein Jahr danach versucht der Jüdische Almanach einen Rückblick und eine Einordnung der Ereignisse. Die hier versammelten Texte, die diesmal alle aus Israel berichten, erzählen ganz persönliche Geschichten, es geht um Ortsbesichtigungen, Momentaufnahmen, Zustandsbeschreibungen, Zukunftsvisionen; es geht um den Zionismus, um Trauerarbeit, Erinnerung und Resilienz, um alte Bruchlinien und neuen möglichen Zusammenhalt.

Mit Beiträgen von David Grossmann, Ayelet Gundar-Goshen, Eva Illouz, Etgar Keret, Fania Oz-Salzberger, Amir Tibon u.a.



Gisela Dachs ist Publizistin, promovierte Sozialwissenschaftlerin und Professorin am Europ&auml;ischen Forum der Hebr&auml;ischen Universit&auml;t Jerusalem. 2016 erschien der von ihr herausgegebene <em>L&auml;nderbericht Israel</em> im Auftrag der Bundeszentrale f&uuml;r politische Bildung. Seit 2001 ist sie die Herausgeberin des J&uuml;dischen Almanachs. Sie lebt in Tel Aviv. Das Leo Baeck Institute (LBI ) ist benannt nach der Symbolfigur der deutschen Judenheit im 20. Jahrhundert und besitzt Zentren in New York, London und Jerusalem sowie eine Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft in Deutschland. Es wurde 1955 in Jerusalem gegründet, um die Geschichte und Kultur des deutschen und zentraleuropäischen Judentums zu erforschen und zu dokumentieren. Seit 1993 gibt das Leo Baeck Institute Jerusalem den Jüdischen Almanach heraus. Dies knüpft an eine alte Tradition an, die durch den Nationalsozialismus gewaltsam abgeschnitten wurde. Erstmals erschien ein <em>Jüdischer Almanach</em> im Jahre 1902.

Zu diesem Almanach


Der 7. Oktober 2023, der sogenannte Schwarze Schabbat, stellt für die Israelis eine Zäsur ohnegleichen dar. Fortan würde es in der Zeitrechnung, das war sehr schnell klar, nur mehr ein Davor und ein Danach geben. Das schiere Ausmaß des Massakers der Hamas, die ungeheuerliche Brutalität, die Geiselnahmen und der darauffolgende Krieg, so lange wie noch keiner zuvor in der Geschichte des Landes, haben die gesamte Nation traumatisiert. Sämtliche Grundfesten, auf denen man sich im eigenen Staat zu bewegen glaubte, scheinen erschüttert worden zu sein. Auf diesem brüchigen Boden muss ein Neuanfang stattfinden.

Zum ersten Jahrestag versucht der Jüdische Almanach einen Rückblick und eine Einordnung auf diese Ereignisse zu geben, die noch nicht zu Ende sind. Die Texte der Autoren, die diesmal alle aus Israel berichten, erzählen zum Teil ganz persönliche Geschichten, bei anderen handelt es sich um Ortsbesichtigungen, Momentaufnahmen, Selbstreflexion, Zustandsbeschreibungen und Zukunftsvisionen.

Im Aufmachertext beschreibt Amir Tibon, der 2014 in den Kibbuz Nahal Oz gezogen war, wie er am 7. Oktober zehn Stunden lang mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern im Schutzraum ihres Hauses in Todesangst ausharrte und sie am Ende von seinem Vater gerettet wurden. Es ist eine tragische Geschichte mit gutem Ausgang. Sie ereignete sich inmitten des Massenmordes an mehr als 1000 Zivilisten und der gewaltsamen Verschleppung von weiteren 240 Israelis, darunter Alte, Kranke, Frauen und Kinder. Zwei Gedichte von Gad Kaynar Kissinger widmen sich den Geiseln sowie dem Massaker, das am 7. Oktober auch auf dem Musikfestival in der Nähe von Re'im, stattfand. Um das Schicksal der Geiseln geht es in dem E-Mail-Austausch zwischen dem Friedensaktivisten Gershon Baskin und einem hochrangigen Hamas-Vertreter. Baskin, der sich zuvor schon einen Namen gemacht hatte als Go-Between zwischen den Fronten, versuchte erneut einen Kommunikationskanal zu etablieren. Es funktionierte auch, bis sein letztes Schreiben am 30. Oktober unbeantwortet blieb. Hanne Foighel beschreibt anschließend, wie sie den Schwarzen Schabbat in Kopenhagen erlebt hat – genau 80 Jahre nachdem die Juden in Dänemark vor der Deportation durch die Nazis gerettet worden waren. Die in Tel Aviv lebende dänische Journalistin, deren Eltern und weitere Familienmitglieder zu den Geretteten gehörten, besuchte am 8. Oktober 2023 die Hauptveranstaltung dieser Feier, die in Anwesenheit von Königin Margarethe und der dänischen Ministerpräsidentin im Königlichen Theater Kopenhagen stattfand.

In Tel Aviv hat der Schwarze Schabbat bei Etgar Keret zum ersten Mal in 37 Jahren eine Schreibblockade ausgelöst. Er fuhr im Land herum, wollte Traumatisierten helfen, las dazu aus seinen Texten. In der ersten Kurzgeschichte, die Keret danach verfasste, verliert ein »armer asthmatischer Junggeselle« fast den Glauben, weil die Geiseln trotz seiner inständigen Gebete nicht freikommen – bis seine Nachrichtenapp plötzlich vermeldet, dass zwei Frauen aus Gaza zurückgekommen sind.

Die Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen ist auch als Psychologin im Einsatz. Ihr Beitrag handelt vom Umgang mit Traumata und der Rolle, die dabei den Worten zukommen kann. Der Aufbau einer kohärenten und zeitlich eingegrenzten Erzählung sei notwendig, reiche aber allein nicht aus. Denn es gebe Geschichten, die uns heilen, und solche, die uns verfolgen. In der Therapie lausche man diesen Geschichten und versuche, darin Augenblicke der Potenz zu finden oder herauszuarbeiten. Letztlich aber geht es noch um viel mehr: die Schaffung einer neuen, einenden Erzählung.

Niemand hat vergessen, in welchem polarisierten Zustand sich die Israelis vor dem 7. Oktober befanden. Gegen den geplanten Justizumbau waren monatelang Demonstranten auf die Straße gegangen. Der Streit spaltete das Land wie nie. Andrea Livnat beschreibt die unglaubliche Solidarität und Hilfsbereitschaft nach dem 7. Oktober und wie die Strukturen der Protestorganisationen von der Zivilbevölkerung genutzt wurden, um in fast allen Bereichen zu helfen – dort wo der Staat zunächst überfordert war und es teilweise auch immer noch ist.

Um die Zukunft der Gesellschaft geht es auch David Grossman. In seinem Essay fragt er danach, »wer wir (nach dem Krieg) sein werden«: Lassen sich mit so einem Feind Abkommen schließen? Gibt es überhaupt eine andere Wahl? Und wie werden wir – um niemals wieder so überrascht zu werden – lernen, ein volles Leben auf des Messers Schneide zu führen? Zu welchem Preis? Und wer wird dann noch im Land bleiben? Er schließt dabei die Möglichkeit nicht aus, dass die Schockwelle vom 7. Oktober auch die Wirklichkeit verändern könne.

Die Spuren des Schocks haben sich auch in das Gesicht von Tel Aviv eingegraben. Navit Inbar erzählt, wie sich seit dem Schwarzen Schabbat die Straßen mit subversiven Werken, intimen kleinen Bildern, riesigen Wandmalereien, Traueranzeigen und Street Lyrics gefüllt haben. Street Artisten zogen mit Sprühdosen und Pinseln los, vermittelten dabei nicht nur persönliche Gefühle und privaten Protest, sondern wollen auch bezeugen, erinnern, neue Narrative anstoßen. Sie thematisieren die Verschleppten, die Soldaten im Feld, die unfreiwilligen Helden und das schreckliche Massaker.

Einen anderen Blickwinkel nimmt Daniel Mahla ein, dessen Beitrag sich auf die Dilemmata der in Israel lebenden Palästinenser fokussiert. Auf beiden Seiten war die Angst vor Gewaltausbrüchen zwischen palästinensischen und jüdischen Israelis groß, wie sie das Land im Mai 2021 erlebt hatte – zu Unrecht, wie sich herausstellte. Denn auch sie gehörten mit zu den Opfern am 7. Oktober, die Raketen aus Gaza unterschieden nicht nach Ethnie oder Religion. Gleichzeitig sind die arabischen Israelis nicht Teil des ethnonationalen Kollektivs, über welches sich der Staat definiert. So passt auch der Slogan vom »Gemeinsamen Siegen« nicht.

Nach Putins Krieg gegen die Ukraine im Frühjahr 2022 ist Anna Smoliarova von Sankt Petersburg nach Beer Sheva gezogen, nicht weit weg von Gaza. Jetzt lebt sie erneut in einem Land im Kriegszustand. In ihrem Beitrag lehnt sie den Vergleich allerdings ab. Denn während sich Russland – als Aggressorstaat – lautstark auf die Verteidigungsnatur seiner Aktionen beruft, müsse Israel im Gegensatz dazu wirklich verteidigt werden.

Assaf Uni lebt seit zwei Jahrzehnen als israelischer Auslandskorrespondent in Europa. Das macht ihn schon von Berufs wegen zum Außenseiter, der »kaum langjährige Verantwortung für einen Ort oder eine bestimmte Zukunft« trägt. Er beschreibt, wie plötzlich all die Stricke, die ihn mit seinem Wohnort Berlin verbanden, in dem Moment nachgaben, als er am 7. Oktober auf seinem Bildschirm die weißen Hamas-Jeeps durch die Straßen von Sderot fahren sah.

Die Ideengeschichtlerin Fania Oz-Salzberger erläutert anschließend in ihrem Beitrag, warum sie – trotz oder gerade wegen aller postkolonialen Angriffe auf den Zionismus – weiterhin an dem Konzept als Teil ihrer Werte und ihrer Weltanschauung festhält. Sie definiert sich dabei als humanistische Zionistin, ganz im Sinne Herzls, und sieht darin auch die intellektuelle Grundlage für jeden Einzelnen, der nach dem 7. Oktober noch auf eine Zweistaatenlösung hofft.

Eva Illouz beklagt sich über die globale Unmöglichkeit, heute gleichzeitig gegen Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus zu sein. Sie führt das zurück auf eine drastische Veränderung des politischen Klimas, insbesondere im linken Spektrum, das einen »kollektiv an die Wand« drücke, weil man sich im Wettbewerb der Opfer für ein Lager entscheiden müsse.

In seinem Essay über die »Wiederkehr des Krieges, die Juden und die Krise der Geschichte«, sieht Jacques Ehrenfreund, der sich am 7. Oktober zu einem Sabbatical in Israel aufhielt, erneut das Postulat, dass die Juden sich dem Sinn der Geschichte stur widersetzten und damit Frieden und Einheit der Menschheit gefährdeten. Dieses »Grundraster des Antisemitismus« könne erklären, warum das schlimmste antijüdische Massaker seit 1945 im selben Moment auch die radikalste Kritik hervorrief.

Der Fernsehjournalist Arad Nir beschreibt, wie sich im jüdisch-israelischen Diskurs die Berichte von der grauenhaften Begegnung mit dem ultimativen Bösen am 7. Oktober schnell zu einem einzigen Wort verdichteten, mit dem alles gesagt sei: »Nazis«. Doch ...

Erscheint lt. Verlag 22.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte 7. Oktober 2023 • aktuelles Buch • Benjamin Netanjahu • Bring them home now • Bücher Neuererscheinung • Gazakrieg • Gaza-Streifen • Geiselnahme • HAMAS • Israel • Juden • Jüdischer Almanach • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Massaker • Nahostkonflikt • Nahost-Konflikt • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Operation Eiserne Schwerter • Palästina • Qassam-Brigaden • Terror-Angriff • Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ISBN-10 3-633-78128-5 / 3633781285
ISBN-13 978-3-633-78128-7 / 9783633781287
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