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Der Tunnel -  Bernhard Kellermann

Der Tunnel (eBook)

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2022 | 1. Auflage
348 Seiten
e-artnow (Verlag)
9786338127084 (ISBN)
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'Der Tunnel' ist das bedeutendste Buch des Schriftstellers Bernhard Kellermann. Der titelgebende Tunnel ist ein Transatlantik-Tunnel, der unter großen Opfern und trotz eines katastrophalen Unfalls gebaut wird. Protagonist des Romans ist der Ingenieur Mac Allen, und durch die Erfindung eines 'Allanit' genannten Werkzeugstahls ein Vermögen gemacht hat. Dieser neue Stahl soll es ermöglichen, einen Tunnel unter dem Atlantik zu bauen. Nach 26 Jahren Bauzeit ist der Tunnel endlich fertiggestellt. Doch kaum ist er eröffnet, ist das Meisterwerk der Ingenieurskunst schon wieder veraltet, denn Flugzeuge überqueren den Atlantik in wenigen Stunden.

Bernhard Kellermann (1879 - 1951) war ein deutscher Schriftsteller. Ab 1904 machte er sich einen Namen als Romanautor, als eines seiner frühen Werke, Yester und Li, außerordentlichen Erfolg erreichte und bis 1939 insgesamt 183 Auflagen erlebte. Auch der Roman Ingeborg erreichte 131 Auflagen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erschienen Romane und Reiseberichte im Anschluss an Reisen in die USA und Japan. 1913 erschien sein Hauptwerk Der Tunnel. 1920 erschien der Roman Der 9. November, der sich kritisch mit dem Verhalten von Soldaten und Offizieren gegenüber der Bevölkerung auseinandersetzte.

VI.


New York briet in diesen Tagen in einer Hitzwelle, so daß Allan sich entschloß, die Versammlung auf dem Dachgarten des Hotels abzuhalten.

Die Geladenen, die größtenteils auswärts wohnten, waren im Laufe des Tages und einige schon gestern eingetroffen.

Sie kamen in riesigen, staubbedeckten Tourencars mit Frauen, Töchtern und Söhnen angerollt aus ihren Sommerresidenzen in Vermont, Hampshire, Maine, Massachusetts und Pennsylvania. Die Einsamen und Schweiger flogen in Extrazügen, die glatt jede Station ignorierten, von St. Louis, Chikago und Cincinnati herbei. Ihre Luxusjachten dockten am Hudson-River. Drei Chikagoleute, Kilgallan, Müllenbach und C. Morris, waren mit dem Expreß-Luftliner, der die 700 Meilen von Chikago nach New York-Centralpark in acht Stunden durchschneidet, angekommen, und der Sportmann Vanderstyfft war im Laufe des Nachmittags auf dem Dachgarten des Atlantic mit seinem Eindecker gelandet. Andere wieder trafen als ganz unscheinbare Reisende, zu Fuß, mit einer bescheidenen Tasche in der Hand, vor dem Hotel ein.

Aber sie kamen. Lloyd hatte sie in einer Angelegenheit von allererster Bedeutung gerufen, und jene Solidarität, die das Geld in weit höherem Maße als das Blut erzeugt, erlaubte ihnen nicht zurückzustehen. Sie kamen nicht allein, weil sie ein Geschäft witterten (es war sogar möglich, daß sie bluten mußten!), sie kamen in erster Linie, weil sie erwarteten, ein Projekt mit starten helfen zu können, dessen Bedeutung ihren Unternehmungsgeist befriedigte, der sie groß gemacht hatte. Lloyd hatte jenes mysteriöse Projekt in seinem Sendschreiben „das größte und kühnste aller Zeiten“ genannt. Das genügte, um sie aus der Hölle herauszuholen; denn das Schaffen neuer Werke war für sie soviel wie leben selbst.

Die Bewegung so vieler Häuptlinge des Kapitals war natürlich nicht unbemerkt geblieben, denn jeder einzelne war von einem ausgearbeiteten Alarmsystem umgeben. Am Morgen schon war die Börse von einem leichten Fieber geschüttelt worden. Ein zuverlässiger Tip jetzt bedeutete ein Vermögen! Die Presse verkündete die Namen all der Männer, die im Atlantic abgestiegen waren, und vergaß nicht hinzuzufügen, wieviel jeder einzelne wert war. Nachmittag um fünf Uhr ging es schon hoch in die Milliarden. Auf jeden Fall stand etwas Ungewöhnliches bevor, eine Riesenschlacht des Kapitals. Einzelne Zeitungen taten so, als kämen sie gerade vom Lunch bei Lloyd und seien bis zum Halse mit Informationen geladen, Lloyd aber habe ihnen einen Knebel zwischen die Zähne getrieben. Andere gingen weiter und veröffentlichten, was ihr Freund Lloyd ihnen beim Dessert anvertraut hatte: es handele sich um nichts Besonderes. Die elektrische Einschienen-Schnellbahn sollte von Chikago weiter bis San Franzisko geführt werden. Das Netz des Luftverkehrs sollte über die ganzen Staaten erweitert werden, so daß man nach jeder beliebigen Stadt genau so fliegen könnte, wie heute nach Boston, Chikago, Buffalo und St. Louis. Hobbys Idee: New York, das Venedig Amerikas, stände dicht vor ihrer Realisierung.

Die Reporter umschnupperten das Hotel wie Polizeihunde, die auf der Spur liegen. Sie traten mit den Absätzen Löcher in das zerweichte Asphalt des Broadways und starrten an den sechsunddreißig Stockwerken des Atlantic empor, bis die gleißende Kalkwand ihnen Halluzinationen ins Gehirn spiegelte. Ein ganz Gerissener kam sogar auf den genialen Einfall, sich als Telephonarbeiter ins Hotel zu schmuggeln, und nicht nur ins Hotel — bis in die Zimmer der Milliarden, wo er an den Zimmertelephonen herumbastelte, um etwa ein Wort aufzuschnappen. Aber der Manager des Hotels entdeckte ihn und machte ihn höflich darauf aufmerksam, daß alle seine Apparate in Ordnung seien.

Umfiebert von glühender Hitze und Erregung stand das kalkweiße Turmhaus da und schwieg. Es wurde Abend und es schwieg noch immer. Der Gerissene von heute nachmittag kehrte in seiner Verzweiflung mit einem Schnurrbart im Gesicht als ein Monteur Vanderstyffts zurück, der an der Maschine oben auf dem Dach etwas nachzusehen habe. Aber der Manager erklärte ihm mit höflichem Lächeln, daß Herrn Vanderstyffts Marconi-Apparat ebenfalls in Ordnung sei.

Da trat der Gerissene auf die Straße und zerplatzte: er war plötzlich irgendwohin verschwunden, um etwas Neues zu ersinnen. Nach einer Stunde erschien er als Globetrotter in einem Automobil voll beklebter Koffer und forderte ein Zimmer im 36. Stock. Da das 36. Stockwerk aber von Hotelbediensteten bewohnt wurde, so mußte er sich mit Zimmer Nummer 3512 begnügen, das ihm der Manager mit zuvorkommender Geschäftsmiene anbot. Hier machte er einem chinesischen Boy, der zur Dachgartenbedienung gehörte, ein bestechendes Angebot, wenn er einen unscheinbaren Apparat, nicht größer als ein Kodak, in irgendeines der Kübelgewächse da droben schmuggele. Allein er hatte nicht damit gerechnet, daß Allanit ein Hartstahl war, den kein Geschoß durchschlägt.

Allan hatte seine genauen Instruktionen gegeben, und der Manager verbürgte sich dafür, daß sie eingehalten wurden. Sobald alle Geladenen den Roofgarden betreten hatten, durfte der Lift nicht weiter als bis zum 35. Stock geführt werden. Die Boys der Bedienung durften den Dachgarten nicht eher verlassen, als bis der letzte Gast sich entfernt hatte. Nur sechs Vertretern der Presse und drei Photographen war der Zutritt erlaubt (Allan brauchte sie ebenso wie sie ihn) — allein gegen die ehrenwörtliche Versicherung, während der Konferenz nicht mit der Außenwelt in Verbindung zu treten.

Einige Minuten vor neun Uhr erschien Allan selbst auf dem Dachgarten, um sich zu überzeugen, ob man all seine Anordnungen genau befolgt habe. Er entdeckte augenblicklich den eingeschmuggelten drahtlosen Telephonapparat im Geäst eines Lorbeerbaumes, und eine Viertelstunde später hatte ihn der Gerissene wieder als ein hübsch verschnürtes und versiegeltes Expreßpaket auf Nummer 3512 — ohne überrascht zu sein, denn er hatte deutlich in seinem Empfangsapparat gehört, wie eine Stimme etwas unwillig sagte: „Schaffen Sie das Zeug weg!“

Von neun Uhr an begann der Lift zu spielen.

Die Geladenen tauchten schwitzend und pustend aus dem Hotelblock empor, der trotz den Kühlanlagen in allen seinen Poren glühte. Sie kamen aus der Hölle ins Fegfeuer. Jeder einzelne, der aus dem Lift stieg, prallte vor dieser Mauer von Hitze zurück. Dann aber legte er augenblicklich den Rock ab, nicht ohne die anwesenden Damen vorher höflich um Erlaubnis gebeten zu haben. Diese Damen waren Maud — heiter, blühend, schneeweiß gekleidet — und Mrs. Brown, eine alte, kleine, ärmlich aussehende Frau mit gelbem Gesicht und dem argwöhnischen Blick schwerhöriger Geizhälse: die reichste Frau der Staaten und berüchtigte Wucherin.

Die Geladenen kannten einander ohne Ausnahme. Sie hatten sich auf verschiedenen Kriegschauplätzen getroffen, sie hatten jahrelang Schlachten Schulter an Schulter oder gegeneinander geschlagen. Ihre gegenseitige Hochachtung war nicht allzu groß, aber sie schätzten sich immerhin. Sie waren fast alle schon grau oder weiß, ruhig, würdig, abgeklärt und besonnen wie der Herbst, und die meisten hatten gutmütige, freundliche, ja kindliche Augen. Sie standen in Gruppen beisammen und plauderten und scherzten oder gingen zu Paaren auf und ab und flüsterten. Die Einsamen und Schweiger saßen schon still in den Klubsesseln und blickten kühl, nachdenklich und mit etwas übelgelauntem Gesichtsausdruck auf den persischen Teppich, der über den Boden gebreitet war. Zuweilen zogen sie die Uhr und warfen einen Blick auf den Lift: immer noch kamen Nachzügler...

Drunten brodelte New York und das Brodeln schien die Hitze zu verdoppeln. New York schwitzte wie ein Ringkämpfer nach getaner Arbeit, es pustete wie eine Lokomotive, die ihre dreihundert Meilen hinter sich hat und in einer Bahnhofhalle verschnauft. Die Autos, die im zerweichten Asphalt der Straße klebten, surrten und brummten in der Broadway-Schlucht dahin, die einander drängenden Züge der elektrischen Cars hämmerten ihre Glockensignale; irgendwo, ganz fern, gellte eine schrille Glocke: ein Feuerlöschzug, der durch die Straßen fegte. Es war ein Summen wie von riesigen Glocken in der Luft, untermischt mit fernen Schreien, als würden irgendwo in der Ferne Haufen von Menschen abgeschlachtet.

Ringsum standen und funkelten Lichter in der tiefblauen, heißen Nacht, von denen man auf den ersten Blick nicht sagen konnte, ob sie dem Himmel oder der Erde angehörten. Vom Dachgarten aus sah man einen Abschnitt der zwanzig Kilometer langen Broadway-Schlucht, die ganz New York in zwei Teile spaltet: einen weißglühenden, klaffenden Schmelzofen, in dem farbige Feuer schwangen und auf dessen Boden mikroskopische Aschenteilchen entlang trieben: Menschen. Eine Seitenstraße in nächster Nähe blendete wie ein Strom flüssigen Bleis. Aus ferner gelegenen Querstraßen dampften lichte Silbernebel. Einzelne Wolkenkratzer erhoben sich gespenstisch weiß im Lichtscheine eines Platzes. Wiederum aber standen Gruppen von eng aneinander gedrängten Turmhäusern dunkel, schweigsam, wie riesige Grabsteine, die über die eingesunkenen verschwindenden Zwerghütten von zwölf und fünfzehn Etagen emporragten. In der Ferne am Himmel ein Dutzend Stockwerke mattblinkender Fensterscheiben, ohne daß das geringste von einem Haus zu sehen gewesen wäre. Da und dort vierzigstöckige Türme, auf denen matte Feuer lohten: die Dachgärten von Regis, Metropolitain, Waldorf Astoria, Republic. Rings am Horizont glommen schwüle Feuersbrünste: Hoboken, Jersey City, Brooklyn, Ost-New York. In der Spalte zwischen zwei dunklen Wolkenkratzern zuckte jede Minute ein doppelter Lichtstrahl auf, wie elektrische Funkennähte,...

Erscheint lt. Verlag 19.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Technik Bauwesen
ISBN-13 9786338127084 / 9786338127084
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