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Die Entwicklung der zerstörungsfreien Prüfung -  Horst A. Wessel

Die Entwicklung der zerstörungsfreien Prüfung (eBook)

Wissenschaftliche Forschung und die Praxis der zerstörungsfreien Prüfung in der Eisen- und Stahlindustrie im Spannungsfeld wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie technischer und wirtschaftlicher Anforderungen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4456-5 (ISBN)
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Zum Text: Die Methoden der zerstörungsfreien Prüfung sind in der industriellen Produktion, insbesondere in der Stahlröhrenfertigung, seit langem unverzichtbar. Sie garantieren Qualität und Sicherheit. Dabei handelt es sich vor allem um die Röntgentechnologie (einschließlich Durchstrahlungstechnik und Computer Tomografie), um das Streufluss- sowie das Ultraschall- bzw. Überschall-Verfahren. Es war ein langer und anfangs auch schwieriger Weg bis zur weitge-henden Ablösung und Ergänzung der zunächst ausschließlich zur Verfü-gung stehenden zerstörenden Prüfungen. Diese Entwicklung wird von den Anfängen bis in die Gegenwart betrachtet und analysiert. Des Weiteren wird den Fragen nachgegangen, wer die Entwicklung gefördert bzw. was sie gehemmt hat, ferner wann und warum sowie mit welchem Ergebnis die Umsetzung in die industrielle Praxis erfolgte.

Zum Autor: Der Verfasser (geb. 1943 in Bonn) wurde 1983 an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in den Fächern Germanistik und Geschichte zum Dr. phil. promoviert; an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat er sich 1995 habilitiert und die venia legendi für das Fach Wirtschaftsgeschichte mit dem Schwerpunkt Unternehmensgeschichte erhalten. Er war 25 Jahre Leiter des Mannesmann-Archivs, einem der größten Unternehmensarchive weltweit. Viele Jahre hat er den VDE Ausschuss "Geschichte der Elektrotechnik" geleitet und die Publikationsreihe "Geschichte der Elektrotechnik" herausgegeben. Aufgrund seiner Verdienste um die Erforschung der Geschichte der Elektrotechnik wurde er mit der Karl Joachim Euler-Medaille ausgezeichnet.

5. Das Verhältnis der Wirtschaft zur Wissenschaft


5.1 Die Zeit der zögerlichen Annäherung


Der 1860 gegründete „Technische Verein für Eisenhüttenwesen“ (seit 1880 Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh)) hatte die Zielsetzung, die Ausbildung des praktischen Eisenhüttenwesens sowie „den Austausch der Erfahrungen und Meinungen“ zu fördern. Dabei sollten auch Neuerungen in „technisch-wissenschaftlicher Gemeinschaftsarbeit“ diskutiert werden.17 Die Chemie stand eindeutig im Vordergrund; für Physiker gab es noch keine Verwendung. Noch 1881 verneinte ein in der Verbandszeitschrift „Stahl und Eisen“ veröffentlichter Beitrag die Notwendigkeit eines mehrjährigen Studiums an einer Technischen Hochschule und empfahl mit Nachdruck nach der Aneignung von Grundkenntnissen der analytischen Chemie eine rein praktische Ausbildung.18

Ein wenige Jahre später in derselben Fachzeitschrift erschienener Beitrag betonte dagegen die Bedeutung der theoretisch-wissenschaftlichen Ausbildung. Selbst da, wo wie in der Eisen- und Stahlindustrie der praktische Versuch bahnbrechend geworden sei, habe „die Theorie auf die spätere, namentlich ökonomische Ausbildung der Processe einen bedeutenden Einfluß geübt...ohne diese Theorie kann kein Schritt gemacht werden, wenn nicht ungeheure Quantitäten an Arbeit und Material verloren gehen sollten...es gibt keine Maschine, die, kein chemischer oder mechanischer Arbeitsprocess, der nicht in seinen Grundlagen auf die von der Theorie festgestellten Regeln und Gesetze zurückzuführen wäre...Industrie und Gewerbe (werden – d. Verf.) nur dort am besten gedeihen..., wo höchstes theoretisches Wissen mit höchstem praktischen Können sich verbindet.“19

Im zuletzt genannten Jahr beauftragten der „Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes“ in Berlin und der VDEh die „Kgl. Mechanisch-Technische Hochschule“ in Charlottenburg bei Berlin, damals die wichtigste Einrichtung für die Materialprüfung in Deutschland,20 mit der Ausführung von Festigkeitsversuchen an Flusseisen verschiedener Härtegrade.21 Die dadurch gewonnenen Ergebnisse wurden veröffentlicht und zur Nutzung in der gewerblichen Praxis empfohlen. Es handelte sich um eine zerstörende Prüfung. Allerdings trat hier nun neben die Chemie die Physik. Der Lehrplan der Rhein.-Westf. Hüttenschule in Bochum sah 1882 in der Oberklasse neben acht Stunden Chemie vier Stunden Physik vor.22 An den bereits vorher gegründeten Bergakademien und Technischen Hochschulen hatten zunächst in erster Linie junge Männer studiert, die technische Leitungsfunktionen in staatlichen Einrichtungen übernehmen wollten. Dazu waren sie gegründet worden. Später haben dann auch andere Studierende, etwa Unternehmersöhne, schließlich in zunehmender Zahl zukünftige Angestellte in Führungspositionen, das Angebot wahrgenommen und diese Einrichtungen einige Semester besucht, zunächst meist ohne ein Examen abzulegen.

5.2 Die Einsicht, dass die zur Lösung anstehenden Probleme neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bedurften


Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nachdem sich die Erkenntnis durchzusetzen begonnen hatte, dass man den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr nur auf empirischem Wege gerecht zu werden vermochte, änderte sich das Verhältnis der unternehmerischen Praxis zur wissenschaftlichen Grundlegung der Ausbildung. Nun wurde zunehmend Wert auf eine mit Diplom abgeschlossene akademische Ausbildung gelegt.23 Dennoch waren entsprechend ausgebildete Führungskräfte zunächst noch die Ausnahme. Friedrich Springorum (1858-1938), der langjährige Generaldirektor der Hoesch AG und von 1904 bis 1917 Vorsitzender des VDEh, war im Vorstand des genannten Vereins der Einzige mit einem abgeschlossenen Studium an einer Technischen Hochschule, und zwar in Aachen.24

Friedrich Springorum

Dort lernten die Studierenden des Eisenhüttenwesens seit 1897 in einem eigenen Laboratorium, nachdem sie im anorganischen Laboratorium qualitative und quantitative Analyse betrieben hatten, die speziellen Methoden zur Untersuchung der Roh-, Zwischen- und Fertigprodukte kennen. Die Hauptprüfung umfasste die Bearbeitung einer von der Prüfungskommission gestellten Diplomaufgabe und eine mündliche Prüfung.25 In der Ausbildung setzte man noch lange einseitig auf die bei der praktischen Arbeit gewonnene Erfahrung. Allein der Analyse der zu verwendenden Materialien maß man Wert bei, aber die fiel in das Fach der Chemie, war also keineswegs umfassend. „Die naturwissenschaftliche Durchdringung war auch an den Hochschulen noch kein Allgemeingut.“26

Die Kenntnis von der geeigneten chemischen Zusammensetzung war noch lange Zeit die einzige Grundlage, ein Material mit den benötigten Eigenschaften hinsichtlich beispielsweise Festigkeit, Geschmeidigkeit, Härte, Dehnbarkeit, elektrischer Leitfähigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen chemische Einflüsse herzustellen. Über den Erfolg und Misserfolg entschied dann der direkte Versuch. Fiel dieser negativ aus, musste man von Neuem beginnen. Es handelte sich also immer noch um ein planvolles Probieren, wobei die letzte Sicherheit einer Fehlerfreiheit, weil man nicht in das Material bzw. in die Konstruktion hineinsehen konnte, auch durch einen zunächst erfolgreichen Test oder die zerstörende Prüfung eines Teilstücks nicht gewonnen werden konnte.27

5.3 Ein wirkliches Umdenken von nachhaltiger Wirkung


Eine der ersten Unternehmer, die sich für eine politische Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung des Ingenieurnachwuchses stark machte, war Werner Siemens, der Pionier auf dem Gebiet der Elektrotechnik und Förderer des Mannesmann-Verfahrens. Es ist verständlich, dass seine Anstrengungen auf diesem Felde vor allem der Elektrotechnik zugutekamen. Er setzte sich jedoch auch für die Errichtung eines Instituts ein, dessen Personal, frei von Lehrverpflichtungen, sich ausschließlich der naturwissenschaftlichen Forschung widmen sollte. Gedacht war u. a. an Grundlagenforschung auf höchstem Niveau, an hochpräzises Messen, an die Entwicklung neuer Werkstoffe und moderne Prüfmethoden. Siemens stellte dafür ein Grundstück in Charlottenburg kostenlos zur Verfügung. Darauf errichtete das Reich die bereits an anderer Stelle genannte „Physikalisch-Technische Reichsanstalt“.28

Werner von Siemens

Physikalisch-Technische Reichsanstalt, Berlin

Zu den Unternehmern, die mit ihrem Tüfteln trotz aller Kreativität und Willenskraft an Grenzen gestoßen waren, das erkannt hatten und entsprechend handelten, gehörte Reinhard Mannesmann29 in Remscheid. Seine Erzeugnisse, die damals unverzichtbaren Universalwerkzeuge Feilen, waren bereits auf der ersten Weltausstellung 1851 in London prämiert worden, übrigens als einzige Feilen des Kontinents. Vieles von dem, was er sich vorgenommen hatte, war auch realisiert worden. Nur eins nicht, nämlich ein Verfahren, mit dem sich Stahlrohre ohne Naht wirtschaftlich herstellen ließen. Daran wurde damals weltweit gearbeitet; denn nicht allein die Waffenhersteller und die Betreiber von Gas- und Wasserversorgungsanlagen forderten seit langem ein zuverlässiges, preiswertes Stahlrohr, sondern auch die Maschinen- und Fahrzeugbauer. Carl Benz hatte für die Konstruktion seines Patentfahrzeugs in seiner Not, weil das Benötigte nicht zur Verfügung stand, nahtlose Stahlrohre aus dem vollen Material erbohren lassen – und dafür viel, zuviel, zahlen müssen. Unter diesen Voraussetzungen wären die Aussichten für eine Verbreitung dieses neuen Verkehrsmittels denkbar schlecht gewesen.

Reinhard Mannesmann sen.

Carl Benz

Patent-Benz Rohrrahmen, 1886

Reinhard Mannesmann setzte große Hoffnung darauf, dass seine Söhne das Problem lösen würden, und er schuf dafür die Voraussetzungen. Er brachte ihnen das Handwerkliche bei und ermöglichte ihnen den Besuch der höheren Schule bis zur Erlangung der Hochschulreife. Das war in Remscheid damals noch nicht möglich. Dort erwarb man die Mittlere Reife Molekularwanderung. Damit stand fest, dass man jeden Kohlenstoffgehalt in jede gewünschte Tiefe im Eisen einführen kann. Übrigens hat sich Reinhard Mannesmann das Verfahren nicht nur patentieren lassen, sondern auch in der vom Vater geleiteten Stahl- und Feilenfabrik zur Herstellung von Werkstücken aus Compoundstahl (außen glashart und innen zähweich) angewandt.30

Reinhard Mannesmann jun.

Unter den hunderten von Erfindungen, die die Brüder Mannesmann in ihrem Leben gemacht haben, ist zweifellos das „Mannesmann-Verfahren“ von Reinhard und ging dann, um die Sprachkenntnisse zu verbessern und um die Märkte zu studieren, ins...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-7583-4456-5 / 3758344565
ISBN-13 978-3-7583-4456-5 / 9783758344565
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