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Urbane Praxis

Urbane Praxis

Buch | Softcover
200 Seiten | Ausstattung: Druckwerk
2024
Arch+ (Verlag)
978-3-931435-84-4 (ISBN)
CHF 39,20 inkl. MwSt
Die Städte der Gegenwart stehen vor multiplen sozialen und ökologischen Heraus­ forderungen. Die offizielle Stadtplanung reagiert darauf oft nur träge, zudem bleiben die meisten Stadtbewohner*innen von einer wahren Mitbestimmung ausgeschlossen. Die Urbane Praxis stellt dem eine selbstbestimmte und demokratische Raum­ produktion entgegen. Mithilfe künstlerisch­ kultureller Interventionen schaffen Stadt­ macher*innen Räume, in denen eine andere Stadt imaginiert und solidarisches Zusammenleben und Mitgestaltung erprobt werden. Die Ausgabe entsteht in Zusam­menarbeit mit raumlaborberlin, deren vielfältiges und transdisziplinäres Schaffen das Feld der Urbanen Praxis seit vielen Jahren zentral mitprägt. Ausgehend von ihren Projekten und zahlreichen weiteren Praxisbeispielen präsentiert die Ausgabe Werkzeuge und Strategien einer sozial­ökologischen Transformation von unten.

Mit Beiträgen von: raumlaborberlin, Abbrechen Abbrechen, Moritz Ahlert, Jochen Becker, Constructlab, Giorgio de Finis, Planbude, Stalker und vielen mehr. Urbane Praxis – Gemeinsam Stadt gestalten
Text: Anh-Linh Ngo
 
Vor genau 20 Jahren richtete ARCH+ im Rahmen des Projekts Shrinking Cities den Ideenwettbewerb „Shrinking Cities – Reinventing Urbanism“ aus.1 Als Ergebnis stellten wir eine Verlagerung in der gegenwärtigen Planungsdebatte fest. In einer Zeit, in der traditionelle Planungsmethoden zunehmend an ihre Grenzen stoßen, eröffnen „urbane Interventionen“, wie wir sie damals nannten, einen Möglichkeitsraum – eine Einladung zur partizipativen Neugestaltung städtischen Zusammenlebens. Dies wäre zumindest die positive Lesart des Wandels, den wir kritisch diskutiert haben. Je ausgeprägter die Krise der Planung ist, desto mehr gewinnt der akteurszentrierte Planungsansatz an Bedeutung. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen fungieren aus dieser Sicht als „Task-Forces“, die selbstständig und problembewusst eingreifen, wenn traditionelle Planungsinstrumente versagen.
Planung als gesellschaftssteuernde Disziplin verlagert sich damit zunehmend weg von einem Ansatz staatlicher Lenkung hin zu dezentralen, partizipativen Modellen. Im Sinne von Foucaults Konzept der Gouvernementalität, das die Subjektivierung von Macht beschreibt, haben wir diese Verschiebung ideologiekritisch analysiert:3 Planung wird nicht mehr einseitig staatlich durchgesetzt, sondern als dynamisches Zusammenspiel von Selbst- und Fremdsteuerung konzipiert. Der moderne Staat operiert nicht ausschließlich von oben, sondern steuert gerade dadurch, dass er das Handlungsfeld der Individuen und Initiativen strukturiert und lenkt. Neoliberalismus und das Ideal eines schlanken Staates rücken Selbststeuerungsmechanismen der Gesellschaft in den Fokus, hoheitliche Aufgaben werden zunehmend auf lokale Basisinitiativen und individuelle Subjekte übertragen. Entsprechende Akteurskonstellationen ausfindig zu machen, einzubinden und zu aktivieren wird Teil der Planungsaufgabe.
Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, diese Entwicklung nur ex negativo zu betrachten, denn mit der Einbindung zivilgesellschaftlicher Kräfte geht automatisch eine Verschiebung der sozialen Zielsetzungen einher. Klassische staatliche Eingriffe garantieren noch lange nicht eine soziale Ausrichtung der Planung. Die sozialen und ökologischen Krisen der Gegenwart verlangen geradezu nach dezentralen Mechanismen, die staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen gleichermaßen mobilisieren und miteinander in Dialog bringen. Dadurch wird das Politische neu belebt und ein Gegengewicht zur neoliberalen Deregulierung geschaffen.
Die neue Rollenverteilung und das Verständnis von sozialen Bewegungen als kritische Akteur*innen in einer kooperativen Planung bilden die Grundlage für das, was wir heute „Urbane Praxis“ nennen. Akteur*innen werden nicht länger als passive Objekte der Planung gesehen, sondern als aktive Gestalter*innen, die ihr Handlungspotenzial über die ihnen zugewiesenen Rollen hinaus erweitern und die Machtverhältnisse selbst neu definieren.
Die Rolle von Planer*innen wandelt sich durch Urbane Praxis radikal: Planer*innen sind nicht mehr allwissende, steuernde Instanz, sondern Akteur*innen in einem breiten Netzwerk kooperativer Stadtgestaltung. Als Urbane Praktiker*innen schaffen sie Handlungsräume für zivilgesellschaftliche Akteur*innen und agieren eingebettet in kollektive Prozesse, die soziale, kulturelle, politische und ökologische Kontexte zugleich berücksichtigen. Planen heißt daher nicht mehr, Masterpläne zu entwerfen, die idealiter alle Aspekte des städtischen Lebens im Vorfeld festlegen, sondern flexible, netzwerkartige Strategien zu entwickeln, die in der Lage sind, gesellschaftliche Transformationen aus sich heraus zu gestalten und zu begleiten.
Im Rahmen des Projektes Ecological Futures, das ARCH+ derzeit in Kooperation mit dem Goethe-Institut bearbeitet, haben wir die Tools untersucht, die solche Praxen in den letzten 20 bis 30 Jahren hervorgebracht haben. Wir haben versucht, sie zu systematisieren, damit andere sie aufgreifen und in die eigene Praxis umsetzen können. Es geht dabei jedoch nie darum, Rezepte vorzuschreiben, sondern die Denkweisen, Haltungen und Politiken zu vermitteln, die hinter der Urbanen Praxis als Methodik stehen. Um diese aus der Praxis heraus zu reflektieren, haben wir raumlabor als Pionier*innen dieser Form der Planung eingeladen, das Heft in Gastredaktion mit uns zu konzipieren und unseren Versuch der Systematisierung mit ihrer eigenen Praxis der letzten 25 Jahre abzugleichen.
Die vier Kapitel des Heftes orientieren sich an den vier Prinzipien, die wir als Grundlage der Urbanen Praxis herausgearbeitet haben: Inventur, Aktivierung, Intervention und Verstetigung. Jedes Kapitel wird durch ausführliche Gespräche mit Vertreter*innen von raumlabor und weiteren Vordenker*innen der Urbanen Praxis eingeleitet und anhand von Praxisbeispielen illustriert sowie in Essays kritisch reflektiert.
 
Inventur: Probleme und Potenziale
Die Urbane Praxis geht über bloße Planung hinaus und nutzt künstlerisches Handeln als transformative Kraft, um alternative städtische Realitäten zu schaffen. Doch statt ein städtisches Umfeld von Grund auf neu zu entwerfen, geht es der Urbanen Praxis darum, vorhandene Strukturen und Ressourcen zu würdigen. Daher ist die „Inventur“ zentraler Ausgangspunkt der Urbanen Praxis: Sie beginnt stets mit der Auseinandersetzung mit dem Ort und dem spezifischen Wissen, das sich in ihm materiell und immateriell verankert hat. Dies bedeutet, die Gegebenheiten nicht nur anzuerkennen, sondern sie aktiv in die Gestaltung einzubeziehen. Diese „Inventur“ ist jedoch mehr als ein reiner Erfassungsprozess; sie birgt die Bereitschaft, Ungeplantes zu entdecken und eigene Erwartungen zu hinterfragen. Die Inventur legt die Potenziale und Freiräume offen, die in marginalisierten Räumen existieren.
 
Aktivierung: Agency und Imagination
Eine zentrale Herausforderung der zeitgenössischen Stadt ist die fortschreitende Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und der Verlust von Freiräumen. Diese Dynamik führt zu einer paradoxen Situation: Während der Ruf nach Eigenverantwortung und Beteiligung in der Stadtplanung lauter wird, schwinden zugleich die Ressourcen und der reale Zugang für die Bevölkerung. Urbane Praxis kann diese strukturellen Probleme nicht lösen, doch sie schafft Räume der Begegnung, die zeigen, dass andere Formen des Zusammenlebens und der Raumgestaltung möglich sind.
Hier gewinnt das Konzept der „Aktivierung“ an Bedeutung: Es meint nicht die neoliberale Forderung nach Eigeninitiative des Individuums, sondern einen Prozess des gemeinsamen Auslotens und der Erzeugung neuer Ideen, die Handlungsspielräume zurückerobern. Ohne dieses imaginative Denken, so argumentiert Jesko Fezer im Interview, ist eine grundlegende Transformation städtischer Verhältnisse nicht denkbar. Aus gemeinsamen Zukunftsvisionen kann ein kollektives, solidarisches Handeln erwachsen, das das Potenzial hat, eine gerechtere und lebenswerte Stadt für alle zu gestalten.
 
Intervention: Produktion und Reproduktion
Interventionen in urbanen Räumen sind mehr als bloße Eingriffe; sie schaffen Foren als Schnittstellen zur Gesellschaft und bieten Raum für Diskurs und Begegnung. Interventionen, so wird deutlich, sind keine rein ästhetischen oder symbolischen Akte, sondern können gesellschaftliche und politische Räume öffnen. Anders als bei klassischen Planungsprozessen geht es nicht nur darum, wie ein Ort langfristig gestaltet wird, sondern auch darum, spontane Reaktionen hervorzurufen und soziale Dynamiken anzustoßen.
Ein entscheidender Aspekt der Intervention ist die Verhandlung – nicht als bloßer Prozess der Konsensbildung, sondern als Austausch und respektvoller Umgang mit den Gegebenheiten vor Ort. Diese Verhandlung schafft Vertrauen und verankert Projekte langfristig. So wird das Ziel der Urbanen Praxis deutlich: nicht von außen über die Köpfe der Menschen hinweg zu gestalten, sondern durch das Engagement vor Ort Räume zu produzieren, die der sozialen Reproduktion dienen. Es sind Orte, an denen Menschen miteinander in Kontakt treten, über Alternativen nachdenken und die Rolle von Gemeinschaft und Nachhaltigkeit neu erleben können.
 
Verstetigung: Wissen und Infrastrukturen
Urbane Praxis, das Zusammenspiel von Kunst, Architektur und sozialem Engagement, ist zu einem wirksamen Instrument der Stadtgestaltung geworden. Doch um langfristig Bestand zu haben, braucht sie stabile Rahmenbedingungen, die über eine begrenzte Projektförderung hinausgehen. Das ist jedoch nicht ohne Veränderungsbereitschaft auf Seiten der Verwaltung und Politik möglich, so Frauke Burgdorff im Interview. In einer auf Stabilität ausgerichteten Verwaltung müsse Raum für Irritation und Offenheit für neue Ansätze geschaffen werden.
Letztlich fordern die Akteur*innen in dieser Ausgabe, dass Urbane Praxis nicht länger als Sonderfall, sondern als integraler Bestandteil städtischen Handelns gesehen wird. Dazu gehört, dass Politik und Verwaltung Strukturen schaffen, die es Urbanen Praktiker*innen ermöglichen, langfristig zu arbeiten und damit ihre transformative Kraft voll zu entfalten. Denn Urbane Praxis hat das Potenzial, Städte resilienter, nachhaltiger, solidarischer und lebenswerter zu machen – aber nur, wenn sie als professionelle Disziplin anerkannt und entsprechend gefördert wird.
 
Mein Dank gilt dem Redaktionsteam dieser Ausgabe, allen voran Alex Nehmer, die dieses Projekt geleitet hat. Großer Dank gebührt außerdem unserer Gastredaktion raumlabor für die überaus bereichernde Kooperation sowie dem Goethe-Institut, mit dem wir das Pilotprojekt von Ecological Futures Un’altra Casa in Rom realisierten. Für die Leitung des Projekts danke ich Christian Hiller sowie für ihre Beiträge zu Un’altra Casa den Teams von Jörg Leeser / BeL, Social Impact Studio und den Studierenden der HSD Peter Behrens School of Arts, dem Metropoliz / MAAM, PlanBude sowie raumlabor mit Maria Garcia Perez (Maria Dilemas). 1 Editorial
URBANE PRAXIS – GEMEINSAM STADT GESTALTEN
Anh-Linh Ngo

12 INVENTUR: PROBLEME UND POTENZIALE

14 Interview
„DAS SCHEITERN DER TRADITIONELLEN PLANUNG ERÖFFNETE EINEN MÖGLICHKEITSRAUM“
Markus Bader, Christof Mayer, Renée Tribble und Kathrin Wildner im Gespräch mit Alex Nehmer

24 Essay
PLANLOS AUSSENSTADT – ROM, EINE ÜBER WEITE STRECKEN SELBSTGEMACHTE STADT, EINGEBETTET IN EINE LANDSCHAFT DER „ALTERMODERNITÄT“
Jochen Becker

34 Praxis
DIE OASEN VON OSTIENSE – BERICHT EINER REISE ZU MARGINALEN REALITÄTEN, UNSICHTBAREN ERINNERUNGEN UND GRENZÜBERSCHREITUNGEN
Lorenzo Romito

40 Praxis
METROPOLIZ: DAS BEWOHNTE MUSEUM
Giorgio de Finis

46 Praxis
ROM, DURCHBLICKE – VON TAKTIKEN DER ANEIGNUNG ZU STRATEGIEN DER PLANUNG
Margit Czenki, Christoph Schäfer, Lisa Marie Zander (PlanBude)

58 Praxis
EIN SZENARIO FÜR DAS METROPOLIZ / MAAM
raumlabor, Maria Garcia Perez

60 Essay
ZWISCHEN GEMEINGÜTERN UND GRENZOBJEKTEN – KOLLEKTIVES KARTIEREN ALS GEMEINSCHAFFEN
Jan Fries

64 AKTIVIERUNG: AGENCY UND IMAGINATION

66 Interview
„OHNE IMAGINATIVES DENKEN KOMMEN WIR AUS DEN GEGENWÄRTIGEN VERHÄLTNISSEN NICHT HERAUS“
Jesko Fezer, Benjamin Foerster-Baldenius, Frauke Gerstenberg, Gabu Heindl und Christof Mayer im Gespräch mit Alex Nehmer

78 Essay
DER SCHLÜSSEL ZUR WIDERSPENSTIGEN STADT – SOZIALE, MATERIELLE UND RÄUMLICHE GRENZÜBERSCHREITUNGEN
Adam Kraft

88 Praxis
WENDO, CRUISEN, TUNTENOPER – DAS FESTIVAL CONSTELLATIONS ALS QUEER-URBANE PRAXIS Christian Haid, Lukas Staudinger (POLIGONAL)

92 Interview
GEMEINSAM DAS ZUKÜNFTIGE ÖFFENTLICHE GESTALTEN
Hannah Berner und Sophie Dilg (Sorge ins ParkCenter) sowie Justus Henze (communia) im Gespräch mit Markus Krieger und Alex Nehmer

100 Praxis
GREEN BANS SYDNEY – NEW SOUTH WALES BUILDERS LABOURERS’ FEDERATION
Alex Nehmer

106 INTERVENTION: PRODUKTION UND REPRODUKTION

108 Interview
„INTERVENTION SCHAFFT EIN FORUM, EINE SCHNITTSTELLE ZUR GESELLSCHAFT“
Francesco Apuzzo, Jeanne Astrup-Chauvaux, Łukasz Lendziński, Jan Liesegang und Axel Timm im Gespräch mit Daniel Kuhnert und Alex Nehmer

118 Praxis
SOLIDARISCHE URBANE PRAXIS UND FORSCHUNG – KIOSK OF SOLIDARITY
Moritz Ahlert

124 Praxis
MASH & HEAL – FOLKE KÖBBERLING
Christian Hiller, Daniel Kuhnert

128 ARCH+ FEATURES 126: VERHANDELBAR – UNTER EINSCHLUSS DER ÖFFENTLICHKEIT

130 Praxis
EINE FRAGE VON GEDULD UND BEHARRLICHKEIT – ZUR AKTIVIERENDEN URBANEN PRAXIS VON GUERILLA ARCHITECTS AM MEHRINGPLATZ IN BERLIN
Christian Holl

136 Interview
ÜBER DIE FREIHEIT, ARCHITEKTUR POLITISCH ZU DENKEN
Feda Wardak im Gespräch mit Alex Nehmer

146 Praxis
SOULARDARITY
Alex Nehmer

148 Essay
WIEDERGEWONNENE LEBENSRÄUME – REUSE IM SCHATTEN DER ABRISSEXZESSE DER ISTANBULER WOHNUNGSPOLITIK
E. Onur Ceritoğlu

156 VERSTETIGUNG: WISSEN UND INFRASTRUKTUREN

158 Interview
„DIE URBANE PRAXIS MUSS PROFESSIONALISIERT WERDEN“
Markus Bader, Frauke Burgdorff, Frauke Gerstenberg, Andrea Hofmann und Leona Lynen im Gespräch mit Alex Nehmer

170 Praxis
URBANE PRAXIS ALS POLITISCHES LABOR: S27 – KUNST UND BILDUNG
Anna Piccoli, Carla Schwarz

176 Praxis
ZK/U – PETER GRUNDMANN ARCHITEKTEN & KUNSTREPUBLIK
Mirko Gatti

182 Praxis
MAKING POLICY PUBLIC – CENTER FOR URBAN PEDAGOGY
Sascha Kellermann

184 Essay
TESTFELD FÜR EINE GERECHTERE STADT – URBANE PRAXIS E. V. BERLIN
Kristin Lazarova, Nina Peters, Rebecca Wall

188 Praxis
URBANE PRAXIS IN DER SELBSTORGANISIERTEN STADT – DIE FUNDACIÓN OASIS URBANO IN MEDELLÍN
Cielo María Holguín Ramírez, Maximilian Becker, Albert Kreisel

196 Beteiligte

199 Bildnachweise

S. 169 200 Impressum

ARCH+ Team dieser Ausgabe:
Nora Dünser (CvD), Mirko Gatti, Christian Hiller, Felix Hofmann, Sascha Kellermann, Markus Krieger, Daniel Kuhnert, Victor Lortie, Melissa Makele, Anh-Linh Ngo (Redaktionsleitung), Alex Nehmer (Projektleitung)
raumlabor Gastredaktion:
Francesco Apuzzo, Markus Bader, Benjamin Foerster-Baldenius, Frauke Gerstenberg, Andrea Hofmann, Jan Liesegang, Christof Mayer, Florian Stirnemann, Axel Timm, mit Anna Foerster-Baldenius, Maria Garcia Perez, Lukas Hamilcaro Moritz Ahlert
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Habitat Unit am Institut für Architektur der TU Berlin. Er studierte Architektur und promovierte an der HFBK Hamburg. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt Urbane Interventionen. Als Post-Doc im Projekt Transforming Solidarities (Berlin University Alliance) hat er die Ausstellung Spaces of Solidarity am Deutschen Architektur Zentrum DAZ in Berlin kuratiert und zusammen mit Constructlab den Kiosk of Solidarity initiiert.

Jeanne Astrup-Chauvaux
ist Architektin und arbeitet an der Schnittstelle von Urbaner Praxis, Performance und Film. Ihr Interesse gilt performativen Aktionen als Mittel zur Stärkung des Rechts auf Stadt und kollektiver Handlungsfähigkeit. Seit 2018 ist sie als Gestalterin, Produzentin, Künstlerin und Forscherin an der Raum- und Programmgestaltung der Floating University in Berlin beteiligt. Sie ist Mitbegründerin der Kollektive spätispäti, Urban Fragment Observatory (ufoufo) und Collectif Trouble.

Jochen Becker
arbeitet als Autor, Kurator und Dozent und ist Mitbegründer von metroZones – Zentrum für städtische Angelegenheiten und der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf. Zuletzt entstand mit metroZones die Ausstellung Mapping Along (Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin, 2021) und Helle Fabrik, Dunkelkammer Produktion (Scharaun Berlin, Kunstraum München, 2023). Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt Robotron & Co wird in der gfzk Leipzig (2025/26) sowie im HMKV Dortmund (2026) gezeigt. Becker ist in der Initiative Urbane Praxis aktiv und kuratierte die Kongresse SITUATION BERLIN #1 und #2 sowie das Glossar Urbane Praxis.

Frauke Burgdorff
ist Raumplanerin und seit 2019 Beigeordnete für Stadtentwicklung, Bau und Mobilit.t in Aachen. Zudem ist sie Vizepräsidentin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL). Sie hat als Zukunftsforscherin, als selbstständige Beraterin und als Projektentwicklerin gearbeitet und u. a. die Stadtbaukultur NRW (heute Baukultur NRW) und die Montag Stiftung Urbane Räume aufgebaut.

Center for Urban Pedagogy (CUP)
ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in New York. Seit ihrer Gründung 1997 setzt sie Mittel der Kunst und Gestaltung ein, um Menschen dazu befähigen, an (stadt-)politischen Prozessen teilzuhaben. Dafür arbeitet CUP mit Designer*innen, Pädagog*innen, Anwält*innen und Aktivist*innen zusammen, um Werkzeuge zu entwickeln, die komplexe politische und planerische Themen verständlich machen.

E. Onur Ceritoğlu
ist Architekt, Künstler und Stadtforscher. Er hat an internationalen Residencys und Ausstellungen teilgenommen und im Fachgebiet Stadtplanung an der BTU Cottbus-Senftenberg promoviert. Seine akademische Forschung in der Türkei widmet sich informeller Arbeit, der Soziomaterialit.t von Bauabfällen und Praktiken des Reuse in der Architektur.

Jesko Fezer
arbeitet als Gestalter zur gesellschaftlichen
Relevanz entwerferischer Praxis. In Kooperation mit ifau realisiert er Architekturprojekte, ist Mitbegründer der Buchhandlung Pro qm in Berlin sowie Teil der Kooperative für Darstellungspolitik. Er gibt die Bauwelt Fundamente und die Studienhefte für problemorientiertes Design mit heraus. Jesko Fezer ist Professor für Experimentelles Design an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und betreibt mit Studierenden seit 2011 die öffentliche Gestaltungsberatung St. Pauli. Zuletzt erschien sein Buch Umstrittene Methoden (2022).

Giorgio de Finis
ist Anthropologe, Künstler und unabhängiger Kurator. Er ist Gründer des MAAM und leitete das Museo d’Arte Contemporanea in Rom mit dem Pilotprojekt MACRO Asilo. Derzeit leitet er dort auch das Museo delle Periferie sowie das Museo d’Arte Moderna Vittoria Colonna in Pescara.

Jan Fries
(* 1988) ist Urbanist und Spezialist für Geoinformationssysteme. Er studierte Europastudien, Architektur und Urbanistik in Chemnitz, Aachen, Moskau und Delft. Während des Studiums arbeitete er u. a. am Ludwig Forum Aachen, an der RWTH Aachen sowie in Planungsbüros in der Russischen Föderation und den Niederlanden. Aktuell ist er in München im Bereich der Landes- und Regionalplanung tätig. Außerdem setzt er sich als Mitgründer der Initiative JustizzentrumErhalten/AbbrechenAbbrechen für eine suffizienzorientierte Planungs- und Baukultur ein.

Fundación Oasis Urbano
ist ein Kollektiv und eine gemeinnützige Stiftung, die 2021 aus dem Urban Lab Medellín Berlin hervorging und ihren Sitz in der informellen Nachbarschaft Moravia in Medellín hat. Was als Kollektiv aus lokalen Community Leadern und Planer*innen aus Berlin begann, umfasst heute Menschen mit verschiedenen Hintergründen – von Kunst, Aktivismus und Handwerk über Pädagogik und Ökologie bis hin zu audiovisueller Produktion und Kochen. Der Großteil stammt aus Moravia bzw. Medellín.
Maximilian Becker
ist Mitbegründer der Fundación Oasis Urbano. Während seines Architekturstudiums in Berlin und Santiago de Chile lernte er 2013 die selbstgebaute Nachbarschaft Moravia in Medellín kennen, 2017 gründete er das Urban Lab Medellín Berlin mit. Er ist außerdem Gründungsmitglied des Berliner Architekturbüros Supertype Group.

Cielo María Holguín Ramírez
ist Mitbegründerin und derzeitige Direktorin der Fundación Oasis Urbano. Geboren und aufgewachsen in Moravia, hat sie sich seit ihrer Jugend für die positive Entwicklung ihres Viertels engagiert. Nach ihrem Abschluss als Familientherapeutin absolvierte sie ein Masterstudium in Stadt- und Umweltstudien an der Universidad EAFIT, das sie mit Auszeichnung abschloss. Sie ist Fellow von Echoing Green und dem Aspen Institute Colombia.
Albert Kreisel
ist Mitbegründer der Fundación Oasis Urbano. Während seines Architekturstudiums in Berlin forschte und arbeitete er in selbstgebauten Stadtquartieren in Kolumbien und Mexiko. 2013 lebte er erstmals in Moravia. Diese prägende Erfahrung beschrieb er in seiner Abschlussarbeit Oasis Tropical und initiierte die Zusammenarbeit zwischen Medellín und Berlin, die heute als Fundación Oasis Urbano fortbesteht.

Maria Garcia Perez
(aka Maria Dilemas) ist Architektin, Illustratorin und Doktorandin im Fach bildende Kunst. Seit über 15 Jahren widmet sie sich der Transformation städtischer Räume durch künstlerische Praktiken, die die Stadtbewohner*innen mit einbeziehen. Dazu nutzen ihre Projekte interaktive und spielerische Ansätze. Ihre Arbeiten wurden u. a. auf der Biennale von Venedig ausgestellt, zudem hat sie mit zahlreichen internationalen Magazinen und Institutionen zusammengearbeitet.

Mirko Gatti
(* 1987) ist freischaffender Architekt und seit 2014 als Redakteur, Projektleiter und Kurator für ARCH+ tätig, u. a. im Rahmen der Projekte An Atlas of Commoning, 1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin und Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet. Er studierte Architektur in Mailand, erwarb seinen Master an der Goldsmiths, University of London, und erhielt ein Forschungsstipendium der ETH Zürich. Sein Interesse an der Architektur umfasst Bereiche der kritischen Theoriebildung und des politischen Aktivismus, dabei bleibt sein Ansatz jedoch stets praktisch.

Peter Grundmann
ist Architekt, Stadtplaner und Filmemacher. Er studierte Schiffbau in Rostock und Architektur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, wo er 2002–2005 Architektur und Städtebau lehrte. Mit seinem Büro Peter Grundmann Architekten erprobt er alternative Entwurfs-, Konstruktions- und Realisierungsmethoden, um qualitativ hochwertige Architektur zu niedrigen Kosten zu bauen.

Guerilla Architects
ist ein Künstler*innenkollektiv mit Sitz in Berlin. Im Fokus seiner sozialkritischen Kunstprojekte stehen Fragestellungen politischer, juristischer und räumlicher Grauzonen. Entgegen der Überzeugung, dass man groß bauen muss, um großen Wert zu schaffen, greift das Kollektiv auf ungenutzte Potenziale zurück. Bei der Arbeit mit vorhandenen Strukturen sind häufig nur minimalinvasive Eingriffe erforderlich, um zuvor unsichtbaren Räumen eine neue Bedeutung zu verleihen.

Gabu Heindl
ist Professorin und Leiterin des Fachgebiets für Bauwirtschaft und Projektentwicklung | ARCHITEKTUR STADT ÖKONOMIE an der Universit.t Kassel. Zuvor war sie Professorin für Städtebau an der TH Nürnberg, an der AA London und Gastprofessorin an der Sheffield University mit Forschungsschwerpunkt Urban Commons. Ihr Wiener Büro GABU Heindl Architektur konzentriert sich auf öffentlichen Raum, öffentliche Bauten, bezahlbares Wohnen sowie auf Kollaborationen in den Bereichen Geschichtspolitik, Ausstellungsarchitektur und eigenständige kritisch-künstlerische Praxis. Zuletzt erschien ihr gemeinsam mit Drehli Robnik verfasstes Buch Nonsolution – Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen (2024).

Justus Henze
hat in Hamburg und Berlin Sozialökonomie und Urbanistik studiert. Er arbeitet bei communia zu Vergesellschaftung im Energiesektor und Gemeinwirtschaft und ist in der Berliner Mietenbewegung aktiv, insbesondere bei Deutsche Wohnen & Co enteignen. Darüber hinaus arbeitet er zu politischer Ökonomie und hat das Netzwerk Demokratische Wirtschaftsplanung mit aufgebaut.

Christian Hiller
(* 1975) ist Medienwissenschaftler, Redakteur und Kurator. Er leitete Ausstellungs-, Veranstaltungs-, Publikations- und Forschungsprojekte, u. a. für die Stiftung Bauhaus Dessau und das Haus der Kulturen der Welt. Mit ARCH+ kuratierte er u. a. projekt bauhaus (2015–2019), An Atlas of Commoning (2018) und Cohabitation (2021). Er war Co-Kurator von The Great Repair und des Deutschen Pavillons der Architekturbiennale 2023 in Venedig.

Christian Holl
ist freier Autor, Publizist, Kurator und Mitglied des Ausstellungsausschusses an der Stuttgarter Architekturgalerie am Weißenhof sowie Geschäftsführer des BDA Hessen. Gemeinsam mit Ursula Baus und Claudia Siegele gründete er 2004 frei04 publizistik und gibt das Magazin Marlowes heraus. Er forscht, schreibt, tr.gt vor, moderiert und ist überzeugt, dass sich die Qualit.t von Architektur erst entfalten kann, wenn man sich im Diskurs darüber verständigt, was sie leisten kann.

JustizzentrumErhalten/ AbbrechenAbbrechen
formierte sich als Initiative anlässlich des drohenden Abrisses des Strafjustizzentrums in der Nymphenburger Straße in München. Das vielfältige Netzwerk aus Stadtmacher*innen setzt sich mit Positionspapieren, Öffentlichkeitsarbeit, performativen Interventionen und einem selbst initiierten Open Call zur Zukunft des Justizzentrums für dessen Erhalt und Umnutzung ein. Gemeinsam mit ARCH+ und PointOfNoReturn hat die Initiative das Projekt VerhandelBar – unter Einschluss der Öffentlichkeit initiiert.

Sascha Kellermann
(* 1987) studierte Architektur an der TU Dresden und arbeitete danach in verschiedenen Architekturbüros in Zürich und Berlin. 2015 war er Gründungsmitglied des Vereins THFwelcome e. V. in Berlin. Zusammen mit Omar Barkal und Donata Hasselmann drehte er 2018 die Dokumentation Am Rande Europas über die Auswirkungen des EU-Türkei-Migrationsabkommens. Er ist Redakteur des Online-Magazins kritisch-lesen.de und seit 2019 Redakteur bei ARCH+.

Folke Köbberling
(* 1969) ist Künstlerin und Professorin an der TU Braunschweig, wo sie das Institut für Architekturbezogene Kunst leitet. In ihren Arbeiten formuliert sie Formen des Widerstands gegen die Auswüchse der neoliberalen Wirtschaftsordnung wie Konsumzwang, die Zerstörung der Städte, Landschaften, öffentlichen Räume, Ressourcen und Menschen. Dafür nutzt sie gefundene Materialien, die sie ortsbezogen transformiert und installiert.

Adam Kraft
ist Praktiker und Forscher. Die Werkzeuge und Zufluchtsorte, die er schafft, sind inspiriert vom widerspenstigen, grenzüberschreitenden Wandel der Stadt und selbst Teil davon: wo sich Möglichkeiten kreuzen und verflechten, wo Fassaden bröckeln und radikale kollektive Imaginationen Wurzeln schlagen und aufbrechen.

Daniel Kuhnert
(* 1993) studierte Soziologie. Er ist Redakteur von ARCH+ und Co-Kurator von VerhandelBar – unter Einschluss der Öffentlichkeit. Seine Texte als freier Autor wurden u. a. in Class and Status, einem Journal zu sozialer Ungleichheit, und frame[less], einem Magazin für Kunst in Theorie und Praxis, veröffentlicht.

KUNSTrePUBLIK
ist ein 2006 gegründetes Kunstkollektiv und operierte bis 2010 als organisatorischer Rahmen des Skulpturenparks Berlin_Zentrum. In wechselnden Rollen erforscht es das Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit und schafft Formate an der Schnittstelle von Stadtforschung und künstlerischen Praktiken. 2012 gründete die Berliner Gruppe das Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U) als Labor interdisziplinärer und städtischer Fragestellungen.

Łukasz Lendziński
ist Mitbegründer des Kunstkollektivs umschichten, das seit 2008 aktiv ist. Die Werke des Kollektivs entstehen stets in engem Bezug zu aktuellen Diskursen in Architektur und Stadtpolitik, wie die der Materialzirkulation oder Teilhabe. Durch ihre vision.re Kraft und ästhetische Wirkung lassen die architektonischen Installationen alternative Realitäten Wirklichkeit werden und geben so Impulse für Transformationen in eine bessere Zukunft.

Leona Lynen
unterstützt als Expertin für Ko-Produktion Orte in ihrem Entstehungsprozess: Sie ist Vorständin von zwei Genossenschaften – der ZUsammenKUNFT Berlin eG, dem zivilgesellschaftlichen Partner in der Entwicklung des Modellprojekts Haus der Statistik in Berlin, sowie der PFHAU eG, mit der sie einen Ort für gemeinschaftliche Wohn- und Arbeitsformen in der Uckermark aufbaut. Seit Herbst 2024 unterrichtet sie im neuen Masterprogramm Kollaborative Raumentwicklung an der Hochschule Luzern.

Alex Nehmer
(* 1989) ist Redakteurin von ARCH+. Von 2015 bis 2016 arbeitete sie für das Haus der Kulturen der Welt in Berlin an der Publikationsreihe zur Ausstellung Wohnungsfrage, 2019/20 lehrte sie im Studiengang Kultur der Metropole an der HafenCity Universit.t Hamburg. Mit ARCH+ war sie Co-Kuratorin von Cohabitation (2021) und The Great Repair (2023/24).

Anh-Linh Ngo
(*1974) ist Architekturtheoretiker, Kurator und Mitherausgeber von ARCH+. Er kuratiert mit ARCH+ regelmäßig Ausstellungs- und Forschungsprojekte wie projekt bauhaus (2015–2019), Cohabitation (2021) und The Great Repair (2023/24). Von 2010 bis 2016 war er Mitglied des Kunstbeirats des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), für das er die Tourneeausstellungen An Atlas of Commoning (2018) und Post-Oil City (2009) entwickelte und co-kuratierte. Er ist aktuell Mitglied des Kuratoriums der IBA 2027 StadtRegion Stuttgart und der Akademie Schloss Solitude sowie Beiratsmitglied des Goethe-Instituts. Er war Co-Kurator des Deutschen Pavillons auf der 18. Architekturbiennale in Venedig 2023. Seit 2021 ist er Mitglied, seit Mai 2024 Vizepräsident der Akademie der Künste, Berlin.

PlanBude
wurde 2014 gegründet, um die Beteiligung des Stadtteils an der Neuplanung der ESSO-Häuser in Hamburg-St. Pauli unter dem Titel der „Wunschproduktion“ zu organisieren. Das transdisziplin.re Team aus den Feldern Planung, Kunst, Architektur, Soziale Arbeit, Musik und Kulturwissenschaft entwickelt neue, durch Kunst geprägte Ansätze, wie Stadt mit dem Wissen der Vielen geplant und gebaut werden kann.
Margit Czenki
ist Co-Gründerin der PlanBude. Als Künstlerin interessiert sie, wie sich emanzipatorische Politik in Alltagspraxen und Projekten umsetzen lässt. 1963 arbeitete sie in der Psychiatrie und Nervenklinik der Universität Freiburg, 1969 gründete sie einen anti-autoritären Kinderladen in München. Sie ist Autorin und Regisseurin mehrerer Filme, darunter Komplizinnen (1987). Mit Park Fiction nahm sie 2002 an der Documenta11 in Kassel teil. 2020 bis 2024 arbeitete sie an der Wunschproduktion für Park Fiction 2.
Christoph Schäfer
ist Künstler und Professor für Malerei und partizipative Strategien an der hks Ottersberg und Co-Gründer der PlanBude. Er interessiert sich für Städte und Imaginationen, die dem Alltag entspringen. Seit 1994 konzipiert er die Wunschproduktion für Park Fiction in Hamburg. 2010 erschien Die Stadt ist unsere Fabrik. Mit der Zeichnungsserie Bostanorama nahm er 2013 an der 13. Istanbul Biennale teil. Seit 2022 arbeitet er gemeinsam mit Margit Czenki an parklabyr, einem partizipativen Planungs-und Kunstprojekt am Museum Morsbroich.
Lisa Marie Zander
(* 1992) ist Co-Gründerin der PlanBude. Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit der Demokratisierung von Gestaltungsprozessen und der kritischen Aneignung von Raum. Die Konstruktion von Situationen rückt dabei das Alltägliche und die Nutzung städtischer Räume in den Vordergrund. 2020 gründete sie projektbüro, ein Studio für Architektur und Urban Design in Hamburg, zu dessen Projekten Kinderstadt Hamburg, Ein Zimmer für dich und St. Pauli Hafenkante zählen.

PointOfNoReturn (P.O.N.R.)
wurde 2020 in München gegründet. In verschiedenen Projektformaten, von temporären Strukturen über Workshops und Performances bis hin zu Diskussionsrunden, vermittelt das interdisziplinäre Kollektiv alternative Visionen für eine lebendigere Stadt, die Bewohner* innen aktiv mitgestalten. Zu ihren Projekten zählen die Urban Chair Machine auf der Theresienwiese 2020 und 2021, der Mietmarktstand auf dem Viktualienmarkt 2022 und die VerhandelBar in Kooperation mit JustizzentrumErhalten/ AbbrechenAbbrechen und ARCH+. 2022 erhielt P.O.N.R. den Förderpreis der Landeshauptstadt München in der Kategorie Architektur.

POLIGONAL
untersucht mit künstlerischen und kuratorischen Arbeiten die Schnittstellen zwischen urbaner Praxis, Stadtvermittlung und Architektur. Mit dem Anliegen, nicht-normative Blickwinkel zu eröffnen, entwickelt das Kollektiv in disziplinübergreifenden Kooperationen Formate zur Vermittlung und Diskussion urbanistischer und stadtsoziologischer Themen. Dazu zählen performative Stadterkundungen, Stadtvermittlungskonzepte sowie kuratorische Projekte zu urbaner Transformation, Marginalisierung und Queerness.
Christian Haid
ist Stadtsoziologe und Kurator für Urbane Praxis. Er ist Mitbegründer von POLIGONAL, Senior Researcher an der TU Berlin und Vorstandsmitglied bei Urbane Praxis e. V. Nach seinem Studium in Urban Studies (UCL London) und Architektur (Akademie der bildenden Künste Wien) promovierte er in Stadtsoziologie an der HU Berlin. Er entwickelt Formate an den Schnittstellen von Urbaner Praxis, Kunst und Architektur. Seine Schwerpunkte sind queerer Urbanismus, urbane Informalit.t und postkoloniale Kritik.
Lukas Staudinger
ist Stadtvermittler und Kurator für Urbane Praxis. Er ist Mitbegründer von POLIGONAL und Professor für Architektur und Urban Design an der Berlin International University of Applied Sciences. Er studierte Architektur (Akademie der bildenden Künste Wien, UdK Berlin) sowie Stadtsoziologie (Goldsmiths, University of London). Seine Schwerpunkte sind Stadtplanung, Kunst im öffentlichen Raum und queeres urbanes Leben. Zu seinen aktuellen Projekten zählen Constellations (2023/24) und ZusammenZimmern (2023).

raumlabor
ist ein interdisziplinäres Kollektiv von rund 15 Architekt*innen, das seit 1999 ein erweitertes Verständnis von Architektur als räumliche Praxis zwischen Kunst, Stadtentwicklung und Partizipation verfolgt und damit die Idee einer Urbanen Praxis mit etabliert hat. Im Zentrum steht eine situations- und handlungsorientierte Gestaltung mit dem Ziel, bestehende Strukturen durch neue Ansätze zu transformieren. raumlabor schafft Projekte, die eine aktive Beteiligung aller Beteiligten ermöglichen und in denen die Kollektivmitglieder vielfältige Rollen übernehmen. raumlabor engagiert sich insbesondere für Projekte im öffentlichen Raum und verbindet institutionelle und zivilgesellschaftliche Akteure durch räumliche und gemeinschaftliche Initiativen.
raumlabor besteht derzeit aus Francesco Apuzzo, Markus Bader, Benjamin Foerster-Baldenius, Frauke Gerstenberg, Andrea Hofmann, Jan Liesegang, Christof Mayer, Florian Stirnemann und Axel Timm, mit Anna Foerster-Baldenius, Olof Duus, Maria Garcia Perez, Lukas Hamilcaro, Miriam Kassens, Claire Mothais, Luka Murovec, Louise Nguyen, Anna Pape und Albert Tschechne.

Lorenzo Romito
ist Gründungsmitglied des Stadtforschungslabors Stalker, das durch partizipatorische Aktionsforschung den urbanen, sozialen und ökologischen Wandel von Vorstädten und Grenzgebieten erforscht. Romito ist zudem Mitbegründer anderer Forschungsplattformen wie Osservatorio Nomade (2001–2009), PrimaveraRomana (2009–2013), Biennale Urbana (seit 2014) und NoWorking (seit 2016). Er ist Professor für Space and Design Strategies an der Kunstuniversität Linz und unterrichtet an der Nuova Accademia di Belle Arti in Rom sowie der Universität Roma Tre. Zusammen mit Michael Obrist und Sabine Pollak kuratiert Romito den österreichischen Pavillon bei der 19. Architekturbiennale in Venedig 2025.

S27 – Kunst und Bildung
ist ein Jugendkulturhaus in Berlin, das sich in experimentellen Projekten mit dem Zusammenleben in der wachsenden internationalen Stadt beschäftigt. Im Zentrum steht die Frage, wie wir solidarisch leben und lernen und mit künstlerischen Mitteln gesellschaftliche Reflexion anregen können. Dazu arbeitet S27 mit Partner*innen aus Kunst und Kultur, Wissenschaft, Straßensozialarbeit, kultureller und politischer Bildung, aus Geflüchteten- und migrantischen Communities und Rom*nja-Selbstvertretungen zusammen.
Anna Piccoli
arbeitet als Assistenz der Geschäftsführung in der S27 – Kunst und Bildung. Von 2021 bis 2022 war sie Teil des Teams des Projektbüros Urbane Praxis. Sie studierte Kommunikations- und Medienwissenschaften in der Schweiz und an der Universit.t von Amsterdam. Beruflich und ehrenamtlich versucht sie, das Bewusstsein für Fragen der Barrierefreiheit zu stärken.
Carla Schwarz
treibt als Koordinatorin der S27 – Kunst und Bildung die Entwicklung neuer Standorte für deren vielfältige künstlerische und soziale Projekte voran. Sie studierte Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart. In ihrer Arbeit als Stadtplanerin und Koordinatorin verknüpft sie gesellschaftliche Fragestellungen mit räumlichen Strategien und sozialen Prozessen.

Sorge ins ParkCenter
hat sich aus der Kritik an der Care-Krise und der Immobilienspekulation gegründet und fordert eine wohnortnahe Sorgeinfrastruktur. Am konkreten Fall eines seit Jahren zu rund 60 Prozent leer stehenden Einkaufszentrums in Berlin entwirft die Initiative die Realutopie von nachbarschaftlichen Zentren in demokratischer Selbstverwaltung, in denen die alltägliche Sorgearbeit unkommerziell, gemeinschaftlich und auf kurzen Wegen ebenso ihren Platz finden kann wie institutionalisierte Betreuungs- und Pflegearbeit.

Soulardarity
wurde 2012 in Highland Park, Detroit, gegründet, nachdem der örtliche Energieversorger über 1.000 Straßenlaternen der Gemeinde abgeschaltet und entfernt hatte. Ziel der Anwohner*inneninitiative ist es, die abmontierten Straßenlaternen durch eine eigene, solarbetriebene Straßenbeleuchtung in Gemeinschaftseigentum zu ersetzen und auch darüber hinaus ein nachhaltiges und demokratisch verwaltetes Energiesystem in Highland Park aufzubauen.

Renée Tribble
leitet das Fachgebiet Städtebau, Bauleitplanung und Stadtgestaltungsprozesse an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund. Sie ist selbstständige Planerin sowie Gründerin und Gesellschafterin der PlanBude Hamburg und des projektbüro in Hamburg. Ihr Fokus liegt auf partizipativer und kooperativer Stadtentwicklung, Prozessgestaltung, Urbaner Praxis sowie nachhaltigem Städtebau. Sie studierte Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar und promovierte 2021 an der HCU Hamburg.

Urbane Praxis e. V.
wurde 2022 in Berlin gegründet. Der Verein vernetzt zivilgesellschaftliche Akteur*innen der Urbanen Praxis in Berlin und darüber hinaus, speichert und vermittelt Wissen über urbane Transformationen und kulturelle Stadtentwicklung.
Kristin Lazarova
studierte Architektur und Stadtplanung in Stuttgart und Urbanism and Societal Change in Kopenhagen. Sie gestaltet kollektiv urbane Räume und lehrt darüber. Seit 2015 arbeitet sie für und mit Planungsbüros und Kollektiven in Stuttgart, Zürich und Berlin und ist Teil des Urbanen Liga e. V. Von 2022 bis 2023 koordinierte Lazarova das Learnscapes Programm der Floating University, derzeit leitet sie die Netzwerkstelle Urbane Praxis.
Nina Peters
studierte Architektur und Stadtplanung in Stuttgart, Madrid und Berlin. Von 2015 bis 2022 arbeitete sie mit Adengo Architecture an multidisziplinären Forschungsprojekten in Kampala, Uganda. Ab 2018 war sie als Teil der ZUsammenKUNFT Berlin eG für die kooperative Quartiersentwicklung am Haus der Statistik mitverantwortlich und baute von 2022 bis 2023 die Netzwerkstelle Urbane Praxis mit auf. Seit 2023 ist sie bei Bauhaus Erde tätig und erforscht regionale und regenerative Transformationsprozesse.
Rebecca Wall
studierte Architektur und Urban Design in Weimar und Hamburg. Sie arbeitet in unterschiedlichen Konstellationen an der Schnittstelle von aktivistischer, künstlerischer und planerischer Stadtproduktion. 2021 baute sie im Projektbüro Urbane Praxis den Urbane Praxis e. V. mit auf, in dessen Vorstand sie seit 2022 ist. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin forscht sie seit 2022 am Lehrstuhl für Stadtanthropologie der Humboldt-Universität zu Berlin zu Modellprojekten kooperativer, gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung.

Feda Wardak
ist Künstler, Architekt und unabhängiger Forscher. 2015 schloss er sein Studium an der ENSA Paris-Belleville ab, wo er derzeit auch lehrt. Er ist Mitbegründer der Plattform Aman Iwan. In seinen kollaborativen Arbeiten im öffentlichen Raum setzt er sich mit den Folgen staatlicher Gewalt auseinander. Seine künstlerischen Werke, die von Filmen über choreografische Performances bis hin zu monumentalen Landschaftsarbeiten reichen, wurden auf verschiedenen Biennalen wie Venedig, Dhaka, Lagos, Chicago und Lyon sowie in Ausstellungen u. a. in Paris, Genf, Dünkirchen und Afghanistan gezeigt.

Kathrin Wildner
ist Stadtforscherin. Sie erkundet mittels ethnografischer und künstlerischer Methoden – Gehen, Hören, Kartierungen – die „Produktion von Stadt“. Sie lehrt an internationalen Hochschulen und ist als Mitglied von metroZones – Zentrum für städtische Angelegenheiten an einer Vielzahl von interdisziplinären Projekten, Publikationen, Ausstellungen, Workshops und weiteren performativen Vermittlungsformaten beteiligt. Seit 2023 ist sie Projektentwicklerin im adocs Verlag Hamburg. „DAS SCHEITERN DER TRADITIONELLEN PLANUNG ERÖFFNETE EINEN MÖGLICHKEITSRAUM“
Markus Bader, Christof Mayer, Renée Tribble und Kathrin Wildner im Gespräch mit Alex Nehmer

Alex Nehmer: Im ersten Kapitel dieser Ausgabe wird die Frage behandelt, wie Urbane Praxis sich dem Arbeitsfeld nähert. Wir nennen diese Phase „Inventur“. Könnt ihr mit dem Begriff etwas anfangen?
Markus Bader: Den Begriff der Inventur haben wir bisher in unserer Praxis nicht benutzt. Ich assoziiere damit eher eine bürokratische Aufgabe: Man steht zwischen Lagerregalen und prüft, ob der Bestand mit den Büchern übereinstimmt. Das bedeutet, man muss genau hinschauen, mit dem arbeiten, was da ist und das Vorhandene ernst nehmen. Tatsächlich gehen wir in vielen unserer Projekte so vor. Planen heißt für uns nicht, eine Situation zu überschreiben, sondern das, was man vorfindet, anzuerkennen. Wenn wir in eine neue Umgebung kommen, erkunden wir als Erstes die vorhandenen Ressourcen wie auch die menschlichen Netzwerke und Dynamiken, die sich an und um den Ort entwickelt haben.
Renée Tribble: Urbane Praxis beginnt immer damit, sich mit dem Ort auseinanderzusetzen und lokales Wissen in sein eigenes Erfahrungswissen zu übersetzen. Der Begriff Inventur suggeriert, dass sich dieses spezifische Wissen vollständig erfassen ließe, was trügerisch ist. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen, er kann nur Momentaufnahmen liefern.
Kathrin Wildner: Für mich lenkt der Begriff den Blick auch zunächst auf das Quantitative, auf das Zählen und Messen von Strukturen, die schon gesetzt sind. Doch die Fragestellung ist genauso wichtig: Was zähle ich? Was sind die Parameter? Als Stadtethnologin finde ich, dass die Inventur erst nach einer Erkundungsphase kommen sollte, in der man unvoreingenommen die Räume erkundet, da man vielleicht noch gar nicht weiß, was man sucht, was man finden oder zählen könnte. Das erfordert Offenheit und Neugier, auch wenn wir stets unser eigenes Erfahrungswissen mitbringen, die Positionen und Haltungen unserer Disziplinen. Wie macht man die eigene Rolle als Forschende, Entwickelnde, Gestaltende transparent?
Renée Tribble: In der Planung fehlt oft das Bewusstsein für die eigene Position. In der Architektur ist klar, dass unterschiedliche Architekt*innen in unterschiedlichen Stilen entwerfen. Planung hingegen wird als objektiv vermittelt. Doch Planung ist nie objektiv. Das eigene Erfahrungswissen beeinflusst, wie ich an Situationen herangehe und Probleme löse. Wie in der Urbanen Praxis sollte auch in der Planung dieses eingeschriebene Erfahrungswissen bewusst gemacht werden.
Markus Bader: Wir arbeiten explorativ, versuchen, uns einem Ort ohne vorgefasste Ideen zu nähern. Dabei sehen wir uns als Übersetzer*innen des lokalen Wissens, auf das wir stoßen. Wir haben aber auch den Anspruch, uns vor Ort einzuschreiben und durch unser Handeln Resonanz zu erzeugen. Erst danach entwickeln wir Fragestellungen. Das unterscheidet Urbane Praxis von vielen anderen Ansätzen in der Architektur. Bevor Architekt*innen an Bord kommen, ist die Fragestellung meist schon von jemand anderem formuliert, ob bei einem Wettbewerb oder einem Auftrag. Was wir dennoch aus der Architektur mitbringen, ist die Vorstellung, dass wir einen Ort durch ein Projekt transformieren können. Das schließt eine Zukunftsgewandtheit ein.
Alex Nehmer: Könnt ihr ein Beispiel geben, wie dieser explorative Ansatz in eurer Arbeit aussieht?
Christof Mayer: Ein Schlüsselmoment für unsere Praxis war das Projekt Kolorado-Neustadt in Halle-Neustadt 2002. Im Rahmen des Programms „Stadtumbau Ost“ beauftragte uns das Stadtplanungsamt Halle, uns mit der Schrumpfung der Stadt zu beschäftigen. Da wir als frisch ausgebildete Architekt*innen keinerlei Erfahrung mit Schrumpfungsprozessen hatten, fühlten wir uns überfordert. In unserer Ausbildung hatten wir gelernt, Neues zu schaffen und zu verbessern – das Konzept der Schrumpfung, also des Wegnehmens, war uns völlig fremd. So mussten wir uns die Komplexität der Stadt erst selbst erschließen. Dazu wählten wir einen für Architekt*innen eher ungewöhnlichen Ansatz: Wir organisierten uns eine leer stehende Wohnung und lebten dort, um uns der Situation auszusetzen, den Ort direkt zu erleben und zu verstehen, anstatt aus der distanzierten Perspektive eines Schreibtischs zu arbeiten.
Wir begannen damit, Potenzialkarten zu erstellen. Bei zahllosen Spaziergängen sammelten wir alles, was uns bemerkenswert erschien, ohne hierarchische Kategorisierung. Auch innerhalb der anfangs abweisend wirkenden modernistischen Großstrukturen entdeckten wir verschiedene Formen der räumlichen Aneignung, etwa einen Garten, den Bewohner*innen angelegt hatten. Solche Entdeckungen sahen wir als Potenziale, an die man anknüpfen konnte.
Renée Tribble: Mein erster Kontakt mit raumlabor war euer Projekt Hotel Neustadt im Jahr 2003, als ich ein Praktikum beim Planungsbüro complizen in Halle machte und am Unterprojekt Sportification beteiligt war. Damals dachte ich, urbane Interventionen hätten einen Selbstzweck. Doch durch meine Doktorarbeit zum Thema wurde mir klar, dass sie bewusst eingesetzte künstlerische Methoden sind, um partizipativ mit den Menschen vor Ort lokal spezifische, alternative Realitäten zu koproduzieren und erlebbar zu machen. David Harvey beschreibt diesen „positiven Moment“ als den Punkt, an dem Partikularinteressen zu gemeinsamen Wertvorstellungen werden, etwa darüber, wie ein Ort oder eine Stadt als Ganzes gestaltet sein soll.
Was Hotel Neustadt mit anderen frühen Projekten der Urbanen Praxis wie dem Million Donkey Hotel von feld72 in Prata Sannita oder Jeanne van Heeswijks Homebaked in Liverpool gemein hatte, war die Mangelsituation. Immer wenn die Ökonomie nicht mehr funktioniert und die normalen Planungsprozesse versagen, entstehen Freiräume, in denen die Urbane Praxis überhaupt erst wachsen kann. Diese Praxis erinnert an die künstlerischen Bewegungen der 1970er- und frühen 1980er-Jahre, wie etwa Trisha Browns Roof Piece (1973) und Gordon Matta-Clarks Cuttings-Serie (ab 1971). Auch diese Arbeiten entstanden in Reaktion auf die Krise der Stadt und das Versagen des funktionalistischen Städtebaus.
Markus Bader: Nach Halle-Neustadt wurden wir eingeladen, weil das klassische Planungsrepertoire dort angesichts der Widersprüche nicht mehr funktionierte. Das Scheitern der traditionellen Planung eröffnete einen Möglichkeitsraum, in dem unsere experimentelle Perspektive zugelassen wurde. Wir erkannten, dass die städtische Realität oft nicht mit den Parametern der Förderinstrumente übereinstimmte. Noch dramatischer war, dass Gebiete, die nicht Teil eines Förderinstruments waren, keine öffentliche Finanzierung erwarten konnten, egal wie sinnvoll die vorgeschlagenen Maßnahmen schienen.
Der Versuch, die Stadt planerisch zu transformieren, scheiterte häufig an den neuen Eigentumsverhältnissen. Nach der Wende wurde Halle-Neustadt schnell privatisiert. Die neuen Eigentümer*innen waren nicht bereit, ihre Häuser der Rückbaustrategie zu opfern. Gleichzeitig wurde der Abriss stark gefördert. Eine Wohnungsbaugesellschaft erzählte uns, dass sie bei der Entscheidung, welche Gebäude abgerissen werden sollen, lediglich auf die „Performance“ der Gebäude in ihrer Exceltabelle schaue. Ein Haus etwa wurde abgerissen, weil die Schlafzimmer zur Straße lagen und das Gebäude unbeliebt war.
Es gab verschiedene Logiken: eine räumliche, die vom Bestand ausging, eine finanzielle, die vom Profit her dachte, und eine Förderlogik, die nach eigenen Regeln funktionierte. All diese Logiken produzierten unterschiedliche Vorstellungen zum Umgang mit der Schrumpfung. Uns war klar, dass die sich daraus ergebenden Widersprüche die Konsensfindung erschwerten. Unser Vorschlag war, diese Komplexität zu vereinfachen, indem wir Halle-Neustadt in kleinere Felder aufteilten, in der Hoffnung, dass sich innerhalb dieser Felder wieder Verhandlungsspielräume zwischen den Akteur*innen ergäben. Renée zitiert in diesem Kontext Jeanne van Heeswijk, die diese Strategie als „De-Abstracting“ bezeichnet – es geht darum, Abstraktion und Komplexität zu reduzieren, um menschliche Begegnung wiederherzustellen. Das kann ein erster Schritt sein, um eine verfahrene Situation in Bewegung zu bringen.
Kathrin Wildner: Im Rahmen des Projekts Shrinking Cities habe ich 2003/04 zusammen mit der Künstlerin Laura Horelli das Wohnquartier Wolfen-Nord untersucht. Wie in Halle-Neustadt war auch dieses Gebiet von Plattenbauten und Schrumpfung geprägt. Für unseren Film fokussierten wir auf konkrete Orte des nachbarschaftlichen Zusammenkommens, wie die Gärten zwischen den Plattenbauten. Aus solchen Bestandsaufnahmen entwickeln Planer*innen Zukunftsvorstellungen. Sie verdeutlichen, dass es unterschiedliche Praktiken im Umgang mit Stadt gibt und auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was Stadt ist, wie Stadt aussieht und sein sollte. Wer spricht wie über Stadt? Welche Bilder und Narrative werden in diesen Planungsprozessen produziert? Das Narrativ der „schrumpfenden Stadt“ war nicht nur ein Forschungsprojekt, sondern auch ein wirkmächtiges Dispositiv – eine Feststellung eines Zustands und gleichzeitig eine Handlungsaufforderung.
Markus Bader: Unsere Begegnungen in Halle-Neustadt waren von Verlusterzählungen geprägt. Die Menschen identifizierten sich stark mit dem Ort, den sie gemeinsam aufgebaut hatten. Es herrschte Trauer darüber, dass ihre Lebenswelt keine Zukunft mehr hatte. Wir wollten diese Frustration überwinden und mit den Menschen vor Ort etwas Neues beginnen, weiter fantasieren, nach vorne blicken. Im Rückblick müssen wir zugeben, dass wir auch ein wenig naiv waren. Als im Westen Sozialisierte hatten wir nicht begriffen, wie schnell sich die gesamte Wirtschaft in den neuen Bundesländern transformierte.
Alex Nehmer: Mit eurem Projekt in Halle-Neustadt habt ihr den Blick auf einen großen planerischen Zusammenhang gerichtet. Andere Projekte von euch sind viel lokaler angesiedelt, manchmal auf einer einzelnen Brachfläche. Wenn die eigene körperliche Erfahrung und die soziale Begegnung dazugehört, stellt sich die Frage, wie groß der Maßstab der Urbanen Praxis sein kann.
Renée Tribble: Urbane Praxis verschränkt den planerischen Maßstab mit dem konkreten Alltag. Anders als klassische Planung, die von oben auf Räume blickt und sie am Reißbrett bestimmt, beginnt Urbane Praxis von unten, aus der Froschperspektive. Man entdeckt vielleicht auf Spaziergängen konkrete Raumaneignung und Nutzungsmuster und entwickelt daraus Vorschläge, ohne auf der gleichen Ebene zu bleiben.
Markus Bader: Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass Urbane Praxis nur im Kleinen existieren kann. Auch ein kleines Projekt kann eine gesellschaftliche Transformation und eine andere Zukunft für die Stadt implizieren. Wenn ich auf dem Gehweg mit Nachbar*innen koche, dann ist das eine Aussage darüber, dass öffentliche Räume angeeignet werden können. Dass eine solch einfache Praxis der kollektiven Aneignung getrennte Individuen wieder zusammenführen kann. Das Halle-Neustadt-Projekt mit dem anschließenden Theaterfestival Hotel Neustadt war für mich zentral, um die Verbindung zwischen planerischem Denken und künstlerischem Handeln vor Ort zu erkennen. Die neuen Kooperationsstrukturen halfen, das formalisierte Verständnis von Partizipation der Stadtverwaltungen zu überwinden. Diese Entdeckung der eigenen Handlungsmacht im kulturellen Kontext, mit planerischem Wissen im Hintergrund, legte das Fundament für das, was wir heute als Urbane Praxis bezeichnen.
Christof Mayer: Die Frage des Maßstabs hat auch eine zeitliche Dimension. Handlungsmacht entfaltet sich immer im Hier und Jetzt, kann aber Türen zu möglichen Zukünften öffnen. Wir sprechen gerne von „realen Utopien“, einem Konzept des Soziologen Erik Olin Wright. Es beschreibt die Möglichkeit, Zukunft im Hier und Jetzt mittels utopischer Modelle zu verhandeln und durch Transformationsprozesse zu gestalten. Der Untertitel von Wrights Buch Reale Utopien lautet Wege aus dem Kapitalismus. Damit kommen wir zu den grundlegenden Fragen: Wem gehört was? Wer hat Zugang zu Grund und Boden? Und wie wird die „Performance“ von Gebäuden bewertet? Solche großmaßstäblichen Parameter spielen in unserer Arbeit immer eine Rolle. In welchem System leben und arbeiten wir? Wie können wir Modelle entwickeln, die innerhalb dieses Systems funktionieren, aber trotzdem Lücken aufzeigen, die Raum für alternative Handlungsweisen bieten?
Alex Nehmer: Renée, du hast dich in mehreren deiner Texte mit dem Unterschied im Zeit- und Zukunftsverständnis zwischen klassischer Planung und Urbaner Praxis auseinandergesetzt. Wie würdet ihr anderen diesen Unterschied aus eurer eigenen Praxis beschreiben?
Christof Mayer: Wir haben eine grobe Vorstellung davon, in welche Richtung die Transformation gehen soll, aber damit geben wir nur die Richtung vor und nicht den genauen Weg. Wenn wir während des Prozesses feststellen, dass wir den Kurs oder sogar das Ziel korrigieren müssen, ist das möglich. Dieses schrittweise Vorangehen und Korrigieren ist ein wesentlicher Aspekt der Urbanen Praxis. Es erfordert die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten und Dinge zuzulassen, die man am Anfang nicht bedacht hat. Das unterscheidet Urbane Praxis von herkömmlicher Planung, bei der alles mit einem Masterplan festgelegt wird und dann die Schritte bis zum Ausgangspunkt in der Gegenwart zurückverfolgt werden. Jede Abweichung wird dabei als Problem gesehen – Planungssicherheit lautet das Stichwort. Urbane Praxis hingegen bewegt sich aus dem Hier und Jetzt in die Zukunft, die zwar eine Richtung hat, aber viel offener ist.
Renée Tribble: Euer Projekt zum Flughafengelände Tempelhof (2007–2009) fällt mir dazu ein. Ihr habt einen Prozess entworfen, der kulturelle und gesellschaftliche Initiativen mit langfristigen städtebaulichen Konzepten verbinden sollte. Dafür habt ihr das Modell der „venezianischen Brücke“ genutzt, das vom niederländischen Stadtplaner Jeroen Saris stammt. Dieses Modell beginnt mit einer offenen Suchphase, in der in mehreren Runden Projekte entwickelt und ausprobiert werden. Erst danach folgt eine Phase der Konsolidierung und Determinierung, in der sich einige Projekte verstetigen, andere nicht – je nachdem, was die Beteiligten wollen.
Es ist immer noch erstaunlich schwierig, Offenheit mit langfristiger Planung zu verbinden. Gleichzeitig gibt es ein Konzept wie die „temporäre Dauerhaftigkeit“, das wir im Projekt Billhorner Platz im Rahmen des Forschungsprojekts „Post-Corona-Stadt“ erarbeitet haben. Dort hatten sich Menschen während der Corona-Lockdowns städtische Räume angeeignet und zu Freiräumen umgestaltet, indem sie Abfall beseitigten, Gras säten und Gärten anlegten. Die Beteiligten wussten, dass diese Räume irgendwann der offiziellen Planung weichen müssen, und das war für sie in Ordnung. Es reichte ihnen zu wissen, dass sie diese Räume für drei Jahre nutzen dürfen. Sie brauchten keine zehnjährige Perspektive. Interessant ist, wie unterschiedlich sich solche zeitlichen Horizonte für verschiedene Akteur*innen anfühlen und welche Nutzungsmöglichkeiten sie eröffnen können.
Kathrin Wildner: Ihr habt von Modellen gesprochen. Vielleicht geht es genau darum, mehr an Modellen statt an Masterplänen zu arbeiten. Bei allen Commoning-Prozessen ist es zentral, gemeinsam Modelle oder Regelwerke zu entwickeln. Das heißt nicht, dass diese Regeln unveränderlich sind. Vielmehr sollten sie als Vereinbarungen immer wieder neu ausgehandelt werden können. Ich verstehe eure Arbeit auch so, dass eine Aufgabe der Gestaltung darin besteht, Regeln zu entwerfen, also Vorschläge zu machen, wie gebaute, soziale oder diskursive Räume genutzt werden können.
Markus Bader: Wir sind weniger an Regeln interessiert, sondern mehr an Handlungsmacht. Unser Ziel ist es, ein Klima zu schaffen, in dem die Menschen vor Ort beim gemeinsamen Erarbeiten dieser Regeln ihre eigene Handlungsmacht erleben. Das kommt aus unserer eigenen Erfahrung. In Berlin gab es in den 2000er-Jahren intensive Diskussionen über Stadtentwicklung durch Zwischennutzung und über das veränderte Verständnis von Planung und den Rollen darin. Planung hat die Kraft, in einem abstrakten Schritt die Zukunft vorwegzunehmen: „So könnte es hier einmal aussehen!“ Aber wer trifft diese Entscheidungen? Wer darf mitsprechen? In diesem Kontext kann Stadtentwicklung durch Zwischennutzung oder gemeinsames Handeln vor Ort als ein Übungsfeld für Transformation verstanden werden – und auch als eine Form der Selbstermächtigung, da man an diesen Zukunftsprozessen teilhat.
Christof Mayer: Für manche können drei Jahre tatsächlich ein langer Zeitraum sein. Das war auch ein zentrales Thema bei der Ideenwerkstatt Tempelhof. Damals wurde als Weiterentwicklung des Konzepts der Zwischennutzung der Begriff der Pioniernutzung eingeführt. Müssen diese Nutzer*innen nach fünf Jahren weg? Entwickeln sie symbolisches Kapital und betreiben „Placemaking“ und Aufwertung, bevor die „richtige“ Entwicklung kommt? Wir fanden es immer wichtig, dass beides möglich ist: Pioniernutzer*innen können nach drei Jahren zu dem Schluss kommen, dass es gut war, aber sie nun andere Lebenspläne haben. Aber es sollte auch die Möglichkeit bestehen, dass aus einer Pioniernutzung eine langfristige Entwicklung wird. Um diese Offenheit in normale Planungsprozesse zu integrieren, müsste man erst Rahmenbedingungen schaffen. Und natürlich kollidieren in diesem Konflikt zwischen Bottom-up- und Top-down-Prozessen auch Machtfragen: Wie wird der Zugang zu Grund und Boden geregelt? Wie lange darf ich irgendwo bleiben? Und wer erlaubt es mir?
Alex Nehmer: Mit der Studie Urbane Optionsflächen habt ihr 2022 gemeinsam mit dem Atelierbeauftragten für Berlin versucht, direkt auf die Frage des Zugangs zu neuen Flächen für gemeinwohlorientierte Nutzungen Einfluss zu nehmen.
Christof Mayer: Bereits 2014, also zehn Jahre zuvor, hatten wir die Studie Art City Lab in Kooperation mit dem berufsverband bildender künstler*innen berlin e. V. und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt durchgeführt. Die Idee dahinter war, auf öffentlichen Grundstücken Ateliergebäude zu realisieren und künstlerische Praxis mit öffentlichen Ressourcen an vielen Orten der Stadt zu ermöglichen. Doch das Vorhaben scheiterte, weil das Land Berlin keine Flächen bereitstellte. Die Frage nach Grund und Boden wurde in unserer Praxis immer zentraler, denn der Zugang zu Flächen, sowohl innerhalb als auch außerhalb von Gebäuden, hat sich extrem verknappt.
Die Studie Urbane Optionsflächen sollte diese Problematik zunächst sichtbar und transparent machen – im Gegensatz zur sogenannten „Transparenten Liegenschaftspolitik“ der Berliner Landesregierung, die nicht so transparent ist, wie sie vorgibt. Der größte Erfolg der Studie war es, aufzuzeigen, dass es Arrondierungs- und Splitterflächen gibt, die Potenzial für alternative Zukünfte haben. Viele dieser Flächen wurden durch verschiedene Akteur*innen in Eigeninitiative genutzt. Es ging nun darum, diese Orte langfristig zu sichern, idealerweise mit finanzieller Unterstützung der Kulturverwaltung.
Markus Bader: Diese Flächen befanden sich bisher im Portfolio der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) und waren oft schwer vermarktbar oder mit traditionellen Mitteln nicht entwickelbar. Wir wollten zeigen, dass diese öffentlichen Raumressourcen, die letztlich unser gemeinsames Gut sind, auch für andere als finanz- oder immobiliengetriebene Entwicklungen genutzt werden können. Jetzt muss man diese urbanen Optionsflächen nur noch mit den Urbanen Praktiker*innen verknüpfen, damit in der Stadt wieder Orte entstehen, die Porosität, Vielfältigkeit und Gleichzeitigkeit ermöglichen – so wie man es aus älteren Berliner Zeiten noch kennt.
Alex Nehmer: Wie bereits erwähnt, haben sich die Bedingungen für die Urbane Praxis seit Beginn eurer Arbeit enorm verändert. Freiräume werden immer knapper, und Leerstand wird heute oft aus immobilienwirtschaftlichen Gründen bewusst in Kauf genommen. Wie beeinflusst das den Zugang der Urbanen Praxis zur Stadt?
Markus Bader: Berlin war für die Entwicklung der Praxis von raumlabor von zentraler Bedeutung. Hier konnte man deutlich spüren, was es heißt, wenn eine Stadt zunehmend finanzialisiert wird. Wir haben miterlebt, welche Räume in der Abwesenheit von Kapital entstehen können. Doch innerhalb kurzer Zeit wurde das Kapital zur dominanten Kraft in der Stadtentwicklung. Das hat auch unsere Praxis verändert: Plötzlich erfinden wir selber immobilienwirtschaftliche Begriffe. Aber hinter diesen Begriffen steckt immer noch die Hoffnung, dass sie Menschen zusammenbringen und gelebte Räume entstehen lassen, in denen gemeinsames Handeln möglich und bedeutungsvoll ist. Es sind hoffnungsvolle Begriffe, die man politisch einsetzen kann.
Renée Tribble: Früher wusste niemand, wie man mit schrumpfenden Städten umgeht, heute fehlt der Zugang zu Flächen. In solch ausweglosen Fällen kommt dann die Urbane Praxis ins Spiel, um Möglichkeitsräume zu eröffnen. Man könnte sich jedoch kritisch fragen, wie lange man dieses Spiel noch mitmachen will. Akzeptiert man, dass man nur gefragt ist, wenn die klassischen Strategien der Wirtschaft und Planung nicht greifen? Urbane Praxis kann in solchen Situationen Handlungsmacht erzeugen. Es geht darum, in abstrakten Zusammenhängen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Oft wissen wir im Alltag nicht, wie wir als Einzelne in diesen großen Strukturen wirksam werden können. Wenn ich nichts bewirken kann, brauche ich auch nicht zu handeln – so ergeht es vielen bei klassischen Beteiligungsverfahren. Urbane Praxis muss heute an jenen Fragestellungen ansetzen, wie Flächen zugänglich gemacht und gehalten werden können, insbesondere in stark wachsenden oder schrumpfenden Städten.
Kathrin Wildner: Sollten wir nicht einen Schritt weitergehen und nicht nur Restflächen beanspruchen? Auch größere oder bereits als Investmentflächen ausgewiesene Grundstücke könnten einer anderen Nutzung als der reinen Finanzialisierung der Stadt dienen. Könnte man nicht das Konzept der Urbanen Optionsflächen auf solche Flächen ausweiten? Das ist eine radikale und politische Forderung, keine konkrete Praxis, und wird nicht leicht durchzusetzen sein. Aber wie Renée schon sagte, reagieren wir oft nur auf das, was gerade schiefgeht. Wie können wir aus diesen Erfahrungen Forderungen ableiten, die unsere eigene Handlungsmacht stärken und uns dazu bringen, die Verfahren, die wir entwickeln, ernst zu nehmen und aktiv einzusetzen?
Christof Mayer: Die Forderungen stehen im Raum, und wir vertreten sie etwa am Runden Tisch Liegenschaftspolitik. Gleichzeitig gibt es aber eine Art kapitalistischen Realismus, der unsere Praxis an die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpasst. In den 1990er-Jahren wurden wir architektonisch sozialisiert. Damals bot Berlin endlose Möglichkeiten, die Stadt zu nutzen, zu erforschen und sich auszuprobieren. Doch als wir Ende der 90er-Jahre ins Berufsleben eintraten, war das bereits nicht mehr so einfach. Besonders nach der Finanzkrise 2007/08, die wir sehr persönlich in unserem Tempelhof-Projekt erlebten. Wir wurden damals angefragt, an der Ideenwerkstatt teilzunehmen, weil große Ratlosigkeit herrschte. Doch sobald der Markt wieder erstarkte und das Kapital in die Stadt zurückkehrte, verschwand unsere Studie im Archiv. Die Kapitalisierung von Grund und Boden hat nach 2008 massiv zugenommen. Ein in diesem Zusammenhang für uns zentrales Projekt ist das Haus der Statistik, weil es eine unerwartete Tür aufgestoßen hat. Doch auch hier war es ein stufenweiser Verhandlungsprozess, um möglichst viel von den ursprünglichen Forderungen zu retten.
Alex Nehmer: Neben dem kapitalistischen Realismus habt ihr auch reale Utopien als Ausweg aus dem Kapitalismus erwähnt. Markus, du hast davon gesprochen, dass ihr durch künstlerische Ansätze eure eigene Handlungsmacht entdeckt habt. Zynisch betrachtet könnte man meinen, dass ihr eine Ausflucht gefunden habt, nachdem ihr feststellen musstet, dass ihr auf materieller Ebene wenig bewirken könnt. Worin liegt die Handlungsmacht, die ihr in künstlerischen Ansätzen gefunden habt?
Markus Bader: Unser Freund, der Raumplaner Hans Venhuizen hat einmal gesagt: „Als wenn so tun als ob nicht auch tun wäre.“ Was unsere Projekte konkret schaffen, sind Erfahrungsräume, in denen neue Verbindungen zwischen Menschen entstehen. Ich glaube schon, dass das eine Bedeutung hat. Auch wenn ein Projekt nur temporär ist, nehmen die Menschen die konkrete Erfahrung mit, dass ihr eigenes Handeln und ihr Verhältnis zur Stadt und zu ihren Mitbürger*innen auch anders sein kann.
Renée Tribble: Zwei Begriffe fallen mir dazu ein: Koproduktion und Mitautorschaft. In einem Projekt der Urbanen Praxis handelt man nicht alleine. Das verstärkt die eigene Handlungsmacht und macht uns erst wirklich handlungsfähig.
Christof Mayer: So verstehe ich auch meine Rolle in der Urbanen Praxis: Es geht mir darum, wie die Künstler*innen Céline Condorelli und Gavin Wade sagen, Support Structures zu schaffen, die man dann zur Aneignung überlässt. Die Floating University wurde von uns entwickelt, aber inzwischen ist ein Verein entstanden, in dem raumlabor nur noch einer von vielen Akteuren ist. Im Idealfall entwickeln unsere Projekte ein Eigenleben und entfalten Potenziale, die über das hinausgehen, was wir ursprünglich darin gesehen haben.
Erscheinungsdatum
Zusatzinfo 200 farbige Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Maße 235 x 297 mm
Gewicht 850 g
Einbandart geklebt
Themenwelt Technik Architektur
Schlagworte raumlaborberlin • Raumlabor Berlin • StadtmacherInnen • Stadtplanung • Teilhabe • Urbane Praxis • Werkzeug
ISBN-10 3-931435-84-9 / 3931435849
ISBN-13 978-3-931435-84-4 / 9783931435844
Zustand Neuware
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
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