Das Liebesleben der Vögel (eBook)
240 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-28032-8 (ISBN)
Treue Stadt-Amseln, Meisen mit Vaterkomplex und polygame Wachteln - das Liebesleben der Vögel ist variantenreich und immer wieder überraschend. Der Euronatur-Preisträger und Vogelexperte Ernst Paul Dörfler eröffnet die Beziehungswelt von über fünfzig heimischen Vogelarten und gibt Einblicke, die man sonst nirgends findet. So leben Vögel weit weniger monogam, als häufig angenommen, und der Klimawandel verstärkt diese Tendenz sogar noch: Extreme Schlechtwetterlagen beflügeln den Partnerwechsel unter Vögeln. Mit Witz und Leichtigkeit erzählt der Autor von den Bindungsmustern und Fortpflanzungstaktiken unserer gefiederten Nachbarn. Dieses Buch verändert den Blick auf das, was in Garten und Busch passiert.
Ernst Paul Dörfler, geboren 1950 in Kemberg bei Lutherstadt Wittenberg, ist promovierter Ökochemiker. Sein Buch Zurück zur Natur? (1986), gemeinsam verfasst mit Marianne Dörfler, wurde zum Kultbuch der ostdeutschen Umweltbewegung. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den EuroNatur-Preis der Stiftung Europäisches Naturerbe. 2019 erschien sein Buch Nestwärme bei Hanser, 2021 Aufs Land. Er lebt und arbeitet in Steckby.
BUCHFINK, GOLDAMMER, PFAU —
Eine Frage des Stils
Die Hauptakteure bei der Anbahnung einer Beziehung mit Familienperspektive sind die Vogelmännchen — zunächst jedenfalls. Sie präsentieren sich von ihrer besten Seite! Ihr Bühnenauftritt findet oft an exponierten Orten statt, auf einem Ast, auf einer Baumspitze oder gar im Luftraum. Für Männchen ist es im Frühling Pflicht, aufzufallen, wenn sie Erfolg bei den Weibchen haben wollen. Neben der akustischen Darbietung spielt daher das Aussehen eine große Rolle. Nur mit gepflegtem Äußeren lässt sich das Interesse des anderen Geschlechts wecken. Ein liederliches Federkleid bietet dagegen keinen Anlass für weibliche Zuneigung. Hinzu kommen weitere optische Reize. Als Hingucker werden kräftig schillernde Farben und blinkende Abzeichen vorgezeigt.
Während sich Menschen im Laufe des Älterwerdens Sorgen um ihr Aussehen machen, haben Vögel einen beneidenswerten Vorteil: Man sieht ihnen ihr Alter nicht an! Graue Haare und Falten im Gesicht? — Fehlanzeige! Im Gegenteil: Die Farbenpracht der Männchen nimmt mit dem Älterwerden sogar zu, und auch die Weibchen bewahren ihre Schönheit und sind bis ins Sterbejahr fortpflanzungsfähig.
Jede Vogelart hat strenge Standards fürs Aussehen, man trägt eine Art Uniform mit gewissen Extras. Diese Uniform unterliegt tatsächlich modischen Veränderungen, die sich allerdings nicht in jeder Saison, sondern nur im Laufe von Jahrhunderten bemerkbar machen. Fast Fashion ist unbekannt. Den entscheidenden Einfluss auf den Modetrend nehmen die Weibchen über die sexuelle Selektion, also über ihre Partnerwahl. Sie allein entscheiden, was gefällt und auf wen sie sich einlassen wollen. Unfreiwillig schwanger zu werden ist für sie kaum eine reelle Gefahr, denn der Körperbau der Vögel lässt erzwungenen Sex nicht zu. Schon aus diesem Grund müssen die Männchen öffentlich brillieren, um die Weibchen für sich zu gewinnen.
Schauen wir uns den zahlenmäßig am häufigsten in Mitteleuropa vorkommenden Vogel an, es ist — wer hätte es erwartet? — der sangesfreudige Buchfink. Seine kaum überhörbaren Liedstrophen beginnen mit einem harten »Finkenschlag«, einem Trillern, und am Schluss folgt ein sogenannter Überschlag, man könnte ihn auch als Ausrufezeichen deuten. Überlieferte Merksprüche lauten: »B-b-b-b-bin ich nicht ein schöner Bräutigam!« sowie »Ich, ich, ich bin der Unteroffizier!«, in neuerer Zeit wird »B-b-b-b-bring mir ein Glas mit Weizenbier!« bevorzugt.
Der Buchfink hält sich gern in der oberen Etage von Bäumen auf und legt dort auch sein Nest an. Zur Futtersuche kommt er jedoch gern auf den Boden. Dabei begegne ich ihm häufig an Wegrändern im Wald, eine gute Gelegenheit, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Die kontrastreichen weißen Binden an Schultern und Flügeln fallen als Erstes auf — und zwar bei beiden Geschlechtern. Darüber hinaus hat das Männchen mit seinem Prachtkleid großartige Farbkompositionen zu bieten: Seinem blau-grauen Oberkopf schließt sich eine rot-braune Kopf-Hals-Partie an, sein Rücken erstrahlt moosgrün, die Bauchseite tendiert farblich ins Rosa. Besonders bei Sonnenschein im Frühling verblüffen diese Farben, denn in der Zeit der Werbung erreicht die Schönheit ihren Höhepunkt. Das ist kein Zufall, die Weibchen wollen es so, und sie honorieren es — nicht nur durch ihre Bewunderung.
Auf die Goldammer trifft man niemals im tiefen Wald, sondern in abwechslungsreichen, offenen Landschaften mit Büschen und Hecken. Im zeitigen Frühjahr aus dem Mittelmeerraum zurückgekehrt, machen sich die Männchen mit dem immer gleichen Lied bemerkbar: »Wie-wie-wie-hab-ich-dich-lieeeeb.« Sie flirten mal mit diesem, mal mit jenem Weibchen, und die Weibchen fliegen mal in dieses und mal in jenes Männchenrevier zum gemeinsamen Probewohnen ohne Trauschein. Man beschnuppert und beäugt sich und findet sich sympathisch oder eben nicht. Das ist eine Art Verlobung light, die eben mal schnelle Verlobung mit der Möglichkeit einer schnellen Entlobung.
Bei den Goldammern suchen sich die Weibchen gern das im wahrsten Sinne des Wortes goldigste Männchen aus. Der leuchtend gelbe Kopf und die kräftig gelbe, gestrichelte Unterseite sind zusammen mit der rötlichen Brust und bräunlichen Flügeldecken eine Augenweide ersten Ranges, dazu der Bürzel in edlem Zimtbraun.
Die Fähigkeit, auf jedes noch so kleine Detail zu achten und zwischen den Bewerbern zu vergleichen, ist ein maßgebliches Indiz für ein vorhandenes Bewusstsein der Vögel, so sieht es die Biologin Eva Jablonka von der Universität Tel Aviv. Es ist das wählerische Verhalten der Weibchen, es sind ihre hohen Ansprüche an farbliche Harmonie und an Ästhetik, die im Laufe der Evolution zur Herausbildung von Schönheit in der Natur geführt haben — und das schon seit über einhundert Millionen Jahren!
Ihnen, den Vogelweibchen, haben wir die Erfindung der natürlichen Schönheit zu verdanken, lange bevor der Mensch die Bühne betrat. Wir Menschen dürfen uns an den prachtvollen Kleidern erfreuen. Und doch sehen wir nur den halben Glanz, denn im Vergleich zu den Vögeln sind wir die »blinden Hühner«. Vogelaugen haben das zehnfache Auflösungsvermögen und nehmen ein breiteres Farbenspektrum bis weit in den UV-Bereich wahr. Wir Menschen ahnen nicht einmal, was uns an Schönheit und Anmut entgeht.
Die natürliche Schönheit ist kein rein äußerliches Phänomen, weder bei Menschen noch beim Vogel. Die begehrten Farbkomponenten sind ein Gemenge aus Karotinoiden, natürliche Farbstoffe, die uns von Karotten bekannt sind, aber auch in vielen anderen roten, gelben und blauen Früchten vorkommen. Schon über 800 verschiedene Substanzen wurden identifiziert, sie sind in der natürlichen Nahrung enthalten und werden vom Körper verwertet und in die Organe eingebaut, so auch in Haut und Gefieder. Diese Stoffe steigern zudem die Abwehrkräfte gegen alle möglichen Krankheiten. Wer sie im Überfluss hat, sieht nicht nur gut aus, er ist auch kerngesund. Die Schönheit ist somit ein Spiegelbild der inneren Verfassung, eines guten Ernährungszustandes, der Fitness und eines gesunden Selbstbewusstseins. All das ist den Weibchen bei der Partnerwahl sehr wichtig.
Was uns kaum bewusst ist: Vögel haben es schon lange vor uns Menschen geschafft, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Dieser Leitsatz aus der Epoche der Aufklärung wurde erstmals in der Gestaltung des heutigen UNESCO-Welterbes »Dessau-Wörlitzer Gartenreich« vor gut 200 Jahren in einem Landschaftspark realisiert, der Obstanbau sowie Methoden der ökologischen Landwirtschaft in den landschaftlichen Zauber integrierte. Mit ihrem Federkleid haben Vögel dieses Prinzip vorweggenommen: Das Gefieder schützt vor Kälte und Hitze gleichermaßen, es entspricht einer CO2-neutralen Klimaanlage und zeigt damit einen Weg zum effizienten Einsatz von Energie — ein für uns Menschen bleibend aktuelles Thema.
In eben diesem Park — wie auch in vielen anderen Parkanlagen weltweit — lebt jene Vogelart mit dem wohl opulentesten Gefieder und der verblüffendsten Federzeichnung, der Pfau.
Er gilt in vielen Kulturen als Symbol für Schönheit, Reichtum, Stolz, aber auch für Arroganz und Eitelkeit. Der Pfau geht regelrecht verschwenderisch mit Farben, Mustern und Dimensionen um. Der Hahn ist an Hals, Brust und Bauch leuchtend blau. Je nach Lichteinfall kann das Gefieder grünlich und golden schimmern. Auf seinem Kopf thront eine fächerförmige Federkrone. Seine Besonderheit sind die Schwanzdeckfedern, sie können bis zu anderthalb Metern Länge wachsen. Diese »Schleppe« kann der Hahn zu einem fächerförmigen Rad mit strahlenden »Augen« aufrichten. Sie sollen Fressfeinde abschrecken. Ganz sicher aber dienen diese visuellen Ornamente der Partnerwahl als Indikator für die genetische Fitness des Bewerbers. Zur Balz richtet der Hahn seine »Augenfedern« nicht nur zu einem Rad auf, er erzeugt durch wiederholtes Federnzittern ein bemerkenswertes Rasselgeräusch. Beim Fliegen wirkt die lange Schleppe eher als Behinderung, denn das »Federgewicht« ist alles andere als federleicht. Ein so ausgestatteter Pfauenhahn schafft es gerade mal so, auf einen Baum zu fliegen, um einem Raubtier zu entkommen. Doch gerade dieses Handicap gilt für die Weibchen als ein Beweis für eine hohe Überlebensfähigkeit und für gute Gene. Es gilt das Prinzip der...
Erscheint lt. Verlag | 18.3.2024 |
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Illustrationen | Ute Bartels |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | Adler • Frühling • Heimische Vogelarten • Kranich • Meise • Nestwärme • Ornithologie • Rendezvous mit einem Oktopus • Sind Vögel treu? • Spatz • Star • Storch • Vogelehe • Vogelhochzeit • Vogelküken • Waldwissen • Wie brüten Vögel? • Wohlleben |
ISBN-10 | 3-446-28032-4 / 3446280324 |
ISBN-13 | 978-3-446-28032-8 / 9783446280328 |
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