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Der Ruf des Sommers (eBook)

Das erstaunliche Leben der Mauersegler | Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit einer höchst spannenden Vogelart
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60486-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Ruf des Sommers -  Charles Foster
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Ein poetisches Buch über die Akrobaten der Lüfte Mauersegler legen bis zu 50.000 Kilometer pro Jahr fliegend zurück, können im Flug schlafen, und wo sie sind, ist Sommer: Sie sind weitgereiste Weltenbummler; ihr Verhalten ist so faszinierend wie universell. Zwölf Monate lang folgt Charles Foster seinen Lieblingstieren. Er beobachtet, wie sie sich in Mosambik für den Flug gen Norden bereitmachen, verfolgt ihren Ritt auf dem Scirocco, der von der Sahara Richtung Mittelmeer fegt, und ihre Ankunft in Südeuropa. In England sieht er zu, wie die faszinierenden Vögel sesshaft werden und ihren Nachwuchs großziehen, um anschließend nach Afrika zurückzukehren. Eine herausragende Liebeserklärung, einfühlsam illustriert von Jonathan Pomroy. »Fosters Gabe, die Natur scharf zu beobachten und zu lesen, begeistert.« Badische Zeitung

Charles Foster, ausgebildeter Tierarzt und Anwalt, unterrichtet Ethik und Rechtsmedizin in Oxford. Er ist Fellow der Royal Geographical Society sowie der Linnean Society, ist auf Skiern zum Nordpol vorgestoßen und hat am Marathon des Sables teilgenommen. Charles Foster hat Bücher zu diversen Reise- und Wissenschaftsthemen publiziert. Auf Deutsch erschienen von ihm bereits »Der Geschmack von Laub und Erde« (»Being a Beast«), das von den Medien gefeiert wurde und mehrere Wochen auf der Bestsellerliste stand, sowie zuletzt »Jagen, sammeln, sesshaft werden«: »Das Buch ist irre und grandios«, von »höchst unterhaltsamer Exzentrik« (Berliner Zeitung); »Very British und ziemlich lustig« (Terra Mater). https://www.charlesfoster.co.uk/

Charles Foster, ausgebildeter Tierarzt und Anwalt, unterrichtet Ethik und Rechtsmedizin in Oxford. Er ist Fellow der Royal Geographical Society sowie der Linnean Society, ist auf Skiern zum Nordpol vorgestoßen und hat am Marathon des Sables teilgenommen. Charles Foster hat Bücher zu diversen Reise- und Wissenschaftsthemen publiziert. Auf Deutsch erschienen von ihm bereits »Der Geschmack von Laub und Erde« (»Being a Beast«), das von den Medien gefeiert wurde und mehrere Wochen auf der Bestsellerliste stand, sowie zuletzt »Jagen, sammeln, sesshaft werden«: »Das Buch ist irre und grandios«, von »höchst unterhaltsamer Exzentrik« (Berliner Zeitung); »Very British und ziemlich lustig« (Terra Mater). https://www.charlesfoster.co.uk/

Januar


 

Für sie ist immer Sommer.

Sie schwirren jetzt über meinem Kopf. Einer dreht an meinem rechten Ohr ab, indem er einen schwarzen Flügel schräg stellt, und schnappt nach einer Fliege, die heute Nachmittag aus Löwenkot geschlüpft ist. Immer nach einer Fliege – nicht nach mehreren. Sie fliegen nicht mit offenem Schnabel, um einzusammeln, was sie kriegen können, sie suchen sich ihre Beute gezielt aus. Sie töten Individuen. Die Vögel machen Millionen intensiver Erfahrungen mit dem Besonderen. Jede neue Erfahrung jagt der vorigen hinterher, so wie Mauersegler im brausenden Himmelsstrom des Lebens Fliegen nachjagen.

Wenn das Insekt über den hinteren Teil der harten dreieckigen Zunge gleitet, wo die Geschmacksknospen durch die Speichelkanäle feucht gehalten werden, hat der Vogel den Geschmack von Löwenmoschus im Rachen. Fliegen verwandeln sich erst dann von Individuen in Brei, wenn sie im Kehlsack zusammengequetscht werden, und da diese Mauersegler in Afrika keine Jungen zu füttern haben, sind ihre Kehlsäcke zurzeit leer, und jede Fliege wandert direkt nach unten.

Mein Wanst hingegen ist selten leer. Hier in Afrika wölbt er sich unter dem klebrigen Kakihemd, er ist gerade prall gefüllt mit Süßkartoffeln und Schlangenfleisch, hinuntergespült mit spritzigem Laurentina-Bier, das dem Heimweh seine Schärfe nimmt.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt etwas Besonderes und Konkretes erlebt habe. Für mich ist alles allgemein und abstrakt. Meine Welt besteht aus Wörtern und meinen eigenen armseligen Gedanken. Diese Vögel fliegen durch den Himmel, nicht durch ihre Vorstellung davon. Sie fressen Fliegen, keine Adjektivansammlung, die Fliegen beschreibt. Sie haben keine Wörter, die sie trennen von der Sonne, die heute Morgen bei Madagaskar aufgegangen ist, von den Affen, die sich gegenseitig am Strand lausen, von den Krebsen, die unter den Mangroven Schutz vor den Reihern suchen, von den Trampeltieren in Cargohosen, die hinter mir durchs Mahagonigehölz poltern.

Seit drei Stunden sitze ich nun hier und blicke aufs Meer hinaus, durch den dichten, stickigen Dunst voller zappelnder metallischer Insektenbeine. Ich habe Hand und Arm bewegt, um das Bier an die Lippen zu heben und mir den Hut über die Augen zu ziehen, meine Stiefel haben Furchen in die rote Erde unter dem Tisch gegraben, und meine Blutzellen haben bestimmt etliche Kilometer zurückgelegt, als sie sich durch die Adern zwängten, um Sauerstoff zu meinen Zellen zu befördern und die Malariaparasiten zu umfließen.

In dieser Zeit könnte der Mauersegler neben meinem Ohr ohne Weiteres 100 oder 200 Kilometer übers Buschland geflogen sein. Er hat vielleicht 1000 Insekten erbeutet, ist über ein Frachtschiff aus Panama geschwirrt, das vor somalischen Piraten geflohen ist, hat Hyänen gesehen, die einer kranken Giraffe nachstellten, und wegen der nördlich von Maputo in die Luft geblasenen Abgase gehustet, hat sich mit seinem Partner oder seiner Partnerin, den oder die er zuletzt unter der Dachtraufe eines Reihenhauses in Oxford gesehen hat, glücklich wiedervereint, ist dem Schuss eines gelangweilten Dorfbewohners ausgewichen, hat einen Falken zum Narren gehalten, der einen absurden Moment lang glaubte, er könnte sich den Mauersegler schnappen und seine Leber fressen, und er hat gespielt – denn nicht immer geht es um die Algorithmen des Überlebens.

Das ist eine Menge Leben für drei Stunden. Der Mauersegler könnte 21 Jahre alt sein. Angesichts eines 21 Jahre langen Lebens wie diesem schäme ich mich meiner selbst. Es kommt mir vor, als vergliche man eine Symphonie mit einem Rülpser weißen Rauschens.

 

Eine weitere Flasche Laurentina planscht mit der Schlange herum, und die pulsierende Hitze ist so drückend, dass es mir vorkommt, als läge ich mit dem Gesicht auf meinen feuchten Oberschenkeln. Ich atme mit tiefen Lungenzügen Mücken ein, ein paar davon bleiben an meinen Zähnen hängen, und ich spüle sie mit Bier hinunter. Da ruft die Frau, die wie eine Galeone in gefleckter gelber Baumwolle auf mich zusegelt und dabei das Bier auf ihrem Vordeck transportiert: »Er kommt bald, Schätzchen.«

Sie hatte recht. Er kam aus Nordwest. Hoch aufgestiegen über den dunklen Wäldern der Demokratischen Republik Kongo, hatte er Käfer und Spinnen mit sich gerissen, war finster grollend über Malawi hinweggezogen und hatte seine Schleusen geöffnet, als er die Grenze zu Mosambik überquerte.

Dass der Zyklon kommen würde, wussten die Mauersegler schon seit Stunden, denn sie waren an diesem Morgen dank früher Thermik hoch gekreist und hatten gesehen, wie er sich zusammenbraute. Und sie hatten das Pochen seines Herzens als Beben in ihrer eigenen kleinen Brust gespürt. Infraschall können sie über einen halben Kontinent hinweg wahrnehmen. Sie wissen, wie aneinanderreibende tektonische Platten, trauernde Elefanten und grummelnde Berge klingen.

Am Rand des Wirbelsturms sausen sie herum und tun sich an haltlosen Spinnen gütlich, die versucht haben, ihre seidenen Fäden um Regentropfen zu schlingen, die mit der Geschwindigkeit eines Expresszugs an ihnen vorbeirauschen. Dabei achten die Mauersegler darauf, nicht selbst in das brodelnde Zentrum hineingesaugt zu werden: Es würde ihnen die Flügel abreißen, die Federn ausrupfen und sie irgendwo in der Nähe von Mauritius ins Meer speien.

An einen Türpfosten gelehnt, betrachte ich die vom Strohdach prasselnden Regenschnüre, schwer und dicht wie die Perlenvorhänge in chinesischen Restaurants. Der Sturm richtet seine Gewalt wieder gegen das Meer. Dort wird er mit den von Südosten heranziehenden Passatwinden zusammenstoßen, man wird miteinander verhandeln, und eine Zeit lang wird warmer Regen aufs Meer fallen, und die Lemuren in Madagaskar werden in den Pfützen tanzen.

 

Mauersegler sind keine ausgesprochenen Frühaufsteher. Ihren Tag vor den Insekten zu beginnen wäre für sie sinnlos. Aber am nächsten Morgen sind sie lange vor mir munter, und bis ich augenreibend auf die Veranda stolpere, haben sie sich schon vollgefressen. Dennoch töten sie immer weiter, ein Beutetier nach dem anderen verschwindet in ihrem Schlund. Denn Afrika ist trotz seiner Freigebigkeit launisch, und man kann sich nicht darauf verlassen, immer Nachschub zu bekommen.

Jetzt jagen sie tief, nie mehr als 100 Meter über dem Boden, und wildern im Revier der Schwalben, die normalerweise unter ihnen auf Nahrungssuche sind. Wegen des Regens wimmelt es von Insekten in der Luft, und die Sonne brennt noch nicht heiß genug, um sie über die Baumwipfel und darüber hinauszutragen, wo ihnen die Schwalben nicht in die Quere kommen.

Mauersegler sind zu überdreht, um auf diese Art zu jagen. Will man enge Kurven fliegen und abrupt abtauchen und zuschnappen, braucht man kürzere Flügel und einen kunstflugtauglichen Schwanz. Schwalben verstehen sich darauf, sie lavieren zwischen Unterhosen auf der Wäscheleine, fädeln sich durch die Fenster eines pleitegegangenen Bordells, berühren im Tiefflug beinahe mit den Flügelspitzen das Gras, hocken auf Telefondrähten, um sich miteinander auszutauschen, zu verdauen und zu verschnaufen. Sie sind Landlebewesen, die fliegen können. Anders die Mauersegler: Sie sind in der Luft so sehr zu Hause wie Fische im Meer. Sie hocken sich nicht hin, um zu verschnaufen. Mich erinnern sie an Haie, die ertrinken, wenn man sie daran hindert, immerzu weiterzuschwimmen, weil ihre Kiemenatmung eine ständige Wasserströmung benötigt. In gleicher Weise haben sich die Mauersegler voll und ganz der Luft und der Bewegung verschrieben.

Die Mauersegler, die ein paar Meter über meinem Kopf unter dem Dachvorsprung in Oxford brüten, könnten gut und gern vier Mal ins nördliche Mosambik und zurück nach Oxford geflogen sein, ohne irgendetwas Festeres als den Panzer eines fliegenden Käfers berührt zu haben. Erst wenn sie brüten, begeben sie sich vorübergehend, für drei Monate, in die derbe, ordinäre Welt des Festkörperlichen – die einzige, die wir kennen, abgesehen von unseren kurzen Schwelgereien im Wasser. Wenn sie niemanden finden, mit dem sie zusammen nisten können, lernen sie diese Welt womöglich überhaupt nicht kennen.

Ich darf den Fall nicht übertrieben darstellen. Zwar ist es romantisch und sehr in Mode zu behaupten, außerhalb der Brutzeit hätten Mauersegler niemals Bodenkontakt, aber manchmal haben...

Erscheint lt. Verlag 27.7.2023
Illustrationen Jonathan Pomroy
Übersetzer Gerlinde Schermer-Rauwolf, Robert A. Weiß
Zusatzinfo Mit zehn Schwarz-Weiß-Illustrationen von Jonathan Pomroy
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Afrika • ART • Aufzucht • Brut • Brüten • Eier • England • Europa • Federn • Fliegen • Flugkünstler • Grenzen • Himmel • Italien • Jahr • Jahreszeiten • Luft • Mauersegler • Migration • Monate • Monografie • Mosambik • Mücken • Nest • Ornithologie • Philosophie • Schwalbe • Segler • Sommer • Spanien • Spezies • Süden • Symbol • Tierbeobachtung • Tiere • überwintern • Vogel • Vogelart • Wind • Winter
ISBN-10 3-492-60486-2 / 3492604862
ISBN-13 978-3-492-60486-4 / 9783492604864
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