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Wie Tiere hämmern, bohren, streichen -  Peter-Rene Becker

Wie Tiere hämmern, bohren, streichen (eBook)

Werkzeuggebrauch und Bandbreite der Kultur bei Tier und Mensch
eBook Download: EPUB
2020 | 2. Auflage
200 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-2851-6 (ISBN)
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Schießende Fische und angelnde Insekten: Verblüffende kulturelle Leistungen im Tierreich Von Insekten über Fische und Vögel bis zu Primaten: Im Tierreich ist der Gebrauch von Werkzeugen erstaunlich verbreitet. Die Annahme, Werkzeuge und Bewusstsein würden uns als Menschen auszeichnen, ist ein Irrtum. Doch wo beginnt Kultur? Der Biologe Peter-René Becker hat zahlreiche Forschungen ausgewertet und führt viele Beispiele für den Einsatz von Hammer und Amboss, Lanzen, Ködern oder Schwämmen an. Auch der »soziale Werkzeuggebrauch« ist unter Tieren zu finden. Letztlich unterscheidet den Menschen von den übrigen Tieren nur die Tiefe seines Bewusstseins.    

Peter-René Becker (* 1949 in Kiel) ist ein deutscher Biologe und Ethologe. Er studierte von 1968 bis 1980 Biologie und Völkerkunde an der Universität Göttingen und wurde 1980 dort mit der Arbeit 'Der Einfluss von Erfahrung auf die Auslösung der Eindringreaktion bei einigen afrikanischen maulbrütenden Buntbarschen' (Cichlidae) promoviert. Becker war ab Oktober 1997 Leiter des Bereichs Naturkunde des Überseemuseums Bremen. Er betreut die naturkundliche Sammlung mit über einer Million Sammlungsstücken und arbeitet an den naturwissenschaftlichen Teilen der Ausstellungen im Museum mit. Zum 1. Oktober 2011 übernahm Becker die Leitung des Landesmuseums für Natur und Mensch in Oldenburg.

Und so funktioniert der Amboss


Wie wir bei manchen hämmernden Tierarten gesehen haben, braucht der Hammer oft als Widerlager einen Amboss: einen flachen Stein, einen Fels, Baumstumpf oder Ast. Insofern sind diese hämmernden Tiere dann automatisch auch Ambossnutzer.

Schlägt ein Tier ein zu öffnendes Objekt allerdings direkt mit Schnabel oder Pfote gegen einen harten Gegenstand, so nutzt es auch ohne Hammer einen Amboss. Der Amboss ist demnach im Gegensatz zum Hammer kein aktives, sondern ein passives Verformungswerkzeug: Auf ihm wird etwas zerschlagen. Auch hier gibt es neben der echten eine Quasiverwendung, wenn nämlich das zu öffnende Objekt vor dem Aufprall von dem Tier losgelassen wird und im freien Fall auf das harte Substrat trifft. Die Quasi-Amboss-Methode ist für ein hungriges Tier natürlich risikoreicher, verliert es doch im entscheidenden Augenblick – dem Aufsprengen – die Kontrolle über die Beute, die nach dem Aufprall unvorhersehbar wegspringen und/oder von einem anderen Tier weggeschnappt werden kann.

Einmal Amboss, klassisch


Ambossnutzung finden wir schon bei Rifffischen; hierzu liegen Beobachtungen sowohl aus Eilat am Roten Meer als auch vom australischen Great Barrier Reef vor. Hans Fricke konnte in Israel Vertreter von drei Lippfisch-Arten dabei filmen, wie sie Seeigel an Riffgestein zerschlugen: Dreilappen-Lippfisch (Cheilinus trilobatus), Besenschwanz-Lippfisch (C. lunulatus) und Clown-Lippfisch (Coris aygula). Die Fische stoßen die Seeigel zunächst um, packen sie dann an der Mundseite und schwimmen zu einem Stein oder Felsen in ihrem Revier, wo sie den Seeigel mit kurzen, heftigen Kopfbewegungen zerschlagen. Dass es Muscheln ähnlich ergehen kann, fotografierte der Wissenschaftstaucher Scott Gardner: Im Großen Barriereriff nahm ein Schwarzfleck-Lippfisch (Choerodon schoenleinii) eine Herzmuschel ins Maul und schlug sie solange gegen einen Fels, bis sie zersprang. Eine größere Ansammlung zerschlagener Muschelschalen verriet, dass dieses Amboss-Verhalten keine Ausnahme war.

Im Aquarium hatte Lukasz Pasko schon 2010 einen Hardwicks Lippfisch (Thalassoma hardwicke) beobachtet, wie er ein großes, hartes Stück Futter gegen einen Fels schlug, bis es in maulgroße Stücke zersprang. Interessant ist, dass alle bislang beobachteten Ambossnutzer zur Familie der Lippfische gehören; sie gelten als besonders erfindungsreich beim Erbeuten von Seeigeln, ihrer bevorzugten Nahrung. So konnte Fricke fünf verschiedene Techniken ausmachen, die Ambossnutzung war nur eine davon. Ob es populationsbedingte Unterschiede im Erbeuten von Seeigeln gibt, bleibt noch zu untersuchen, denn bis auf den Besenschwanz-Lippfisch sind alle hier genannten Lippfisch-Arten im Indopazifik weit verbreitet. Es könnte also gut sein, dass längst nicht alle Individuen einer Art die Ambossnutzung beherrschen und wir dann von lokalen Verhaltensweisen ausgehen könnten, die je nach Form der Vermittlung zu kulturellem Verhalten geführt hat. Fricke hält die Ambossnutzung bei Lippfischen für erfahrungsabhängig und schließt ein Entstehen des Werkzeuggebrauchs durch Lernen nicht aus.

Vögel als Ambossnutzer


Für Vögel ist die Verwendung eines Ambosses oft die einzige Möglichkeit, um hartschalige Früchte beziehungsweise Tiere oder zu groß geratene Beutetiere als Nahrung nutzen zu können. In Kroatien sah Josef Reichholf, wie Mittelmeermöwen (Larus michahellis) Rosenkäfer in ihre Schnabelspitze nahmen und sie mehrmals kräftig auf den harten Untergrund schlugen, bevor sie sie fraßen. Schmutzgeier hielten in Israel einen jungen Ägyptischen Dornschwanz im Schnabel und schmetterten ihn so lange auf den Asphalt, bis er tot war und sie ihn fressen konnten. Eine Schwarzfußseriema (Chunga burmeisteri) tat in Argentinien das Gleiche mit einem Vogel, der zu groß war, um in einem Stück verschlungen zu werden, wie Howarth Boyle berichtet. Der neuseeländische Felsschlüpfer (Xenicus gilviventris) nimmt große Heuschrecken in seinen Schnabel und zerschlägt sie auf Dachflächen, wie unsere heimische Bachstelze (Motacilla alba) es bisweilen mit Libellen tut. Unter den afrikanischen Buschwürgern sind bislang der Lagdenwürger (Malaconotus lagdeni), der Graukopfwürger (M. blanchoti), der Halsbandwürger (Chlorophoneus kupensis), der Orangebrustwürger (Telophorus sulfureopectus) und der Bokmakiriwürger (T. zeylonus) dabei beobachtet worden, wie sie größere Beutetiere durch Schlagen gegen Äste, Felsen oder auf den Boden töteten beziehungsweise in kleinere Teile zerlegten.

Austin Rand beobachtete, dass der philippinische Feuerliest (Halcyon coromanda) Gehäuseschnecken sammelt, sie zu einem flachen Stein trägt und ihre flachen Windungen auf dem Amboss zerschlägt. Auf ganz ähnliche Art zerbrach eine Blauracke (Coracias garrulus) ein Schneckenhaus in der englischen Grafschaft Devon. Und der seit 1834 ausgestorbene Delalande-Seidenkuckuck (Coua delalandei) aus Madagaskar hieß bei den Einheimischen »Famakiakora« (Schneckenaxt), weil er mit seinem Schnabel Gehäuseschnecken auf Steinen zertrümmerte. Auch unter Sperlingsvögeln ist der »Schnecken-Amboss« weit verbreitet, alleine fünf Pitta-Arten aus Asien, Australien und Neuguinea öffnen auf diese Weise Gehäuseschnecken: Lärmpitta (Pitta versicolor), Blaubrustpitta (P. erythrogaster), Kleine Blauflügelpitta (P. moluccensis), Kappenpitta (P. sordida) und Bindenpitta (P. guajana). Auch der Zahnlaubenvogel (Scenopoeetes dentirostris) aus dem Regenwald im Nordosten Australiens schlägt große Schnecken an speziellen Steinen auf, wie Ansammlungen zerbrochener Schalen Alexander Marshall verrieten. Wenn der südostafrikanische Flötenwürger (Laniarius ferrugineus) Schnecken frisst, zerbricht er ihr Haus durch mehrmaliges Schlagen gegen einen kräftigen Ast.

Von unserer heimischen Singdrossel (Turdus philomelos) konnte Frances Pitt schon 1927 eine Fotoserie erstellen, wie sie Hain-Bänderschnecken auf einem Amboss zerschlägt. Während Pitt ihre Untersuchungen in den englischen West Midlands machte, fand Charles Goodhart in Cambridge, East of England, dass die dortigen Singdrosseln nur Garten-Bänderschnecken zerschlagen hatten, obwohl auch andere Schneckenarten vorhanden waren. In derselben Region fand Robert Cameron in Rickmansworth neben Garten-Bänderschnecken jedoch auch Gefleckte Schnirkelschnecken als Beute der Singdrosseln. Und in einem Auwald bei Bad Füssing am Inn stellte Reichholf fest, dass die dort lebenden Singdrosseln ausschließlich die Gefleckte Schnirkelschnecke am Amboss zerschlugen, obwohl sie dort nur etwa die Hälfte der Gehäuseschnecken-Arten ausmachte. Ob diese unterschiedlichen Vorlieben der Singdrosseln von den Elterntieren beeinflusst oder einem individuellen Suchbildmuster geschuldet sind, bleibt offen. Fest steht hingegen, dass ihre Amboss-Technik überall die gleiche ist.

Während die Amsel (Turdus merula) in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebiets den Werkzeuggebrauch nicht beherrscht und daher den Singdrosseln die aufgeschlagene Schneckenbeute abjagt, wie Desmond Morris in Oxford beobachten konnte, fand Reichholf in München auch Amsel-Schmieden; das Beutespektrum ähnelte dem der dort lebenden Singdrosseln. Ob es hier ein Lernen über Artgrenzen hinweg gibt, ist noch ungeklärt. Andere europäische Arten der Gattung Turdus, die ebenfalls Schneckenhäuser an Ambossen aufschlagen, sind die Rotdrossel (T. iliacus) und die Misteldrossel (T. viscivorus). Letztere schaffte es als Zugvogel in der israelischen Wüste Negev, gemeinsam mit der Singdrossel in 55 Tagen fast den kompletten Bestand der Gürtel-Steppenschnecke im Kibbuz Sede Boker an Ambossen zu zerschlagen und aufzufressen, wie Moshe Shachak mit seinen Kollegen nachweisen konnte. Im westafrikanischen Burkina Faso ist die Afrikadrossel (T. pelios) Ambossnutzer, ebenso wie die Kapdrossel (T. olivaceus) in Südafrika.

Die mit den Drosseln nah verwandten Fliegenschnäpper können Schnecken auch nur fressen, nachdem sie ihre Gehäuse auf einem Amboss zerschlagen haben. Mit dem Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca), dem Schwarzkehlchen (Saxicola torquata) und der in Teilen Asiens lebenden Purpurpfeifdrossel (Myophonus caeruleus) sind bislang drei Schnäpper-Arten von Douglas Page, Crispin Fisher und Bertram Smythies beim Werkzeuggebrauch beobachtet worden.

Ein Raubtier als Ambossnutzer


Wenn Säugetiere einen Amboss nutzen, dann halten sie eine hartschalige Frucht oder Beute in ihren Pfoten und schlagen sie kraftvoll, aber dosiert gegen einen harten Gegenstand.

Sehr eindrucksvoll ist das beim Seeotter oder Kalan zu beobachten; denn neben dem bereits erwähnten Hämmern beherrschen Seeotter auch die Amboss-Technik, und das sogar in zwei...

Erscheint lt. Verlag 11.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Biologie • Evolution • Sachbuch • Tiere • Werkzeuggerauch
ISBN-10 3-7776-2851-4 / 3777628514
ISBN-13 978-3-7776-2851-6 / 9783777628516
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