Gewinn = Verlust (eBook)
360 Seiten
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99110-992-1 (ISBN)
Ausbildung: Dipl. Ing., Ziviltechniker Beruf: Architekt, freischaffend Berufung: Philosophie, Literatur, Musik geboren 1952, lebe im Raum Wien
Geist und Materie
Bislang haben wir vorausgesetzt, dass Natur und Menschheit einen Gegensatz bilden. Nun wollen wir zugeben, dass wir Menschen lediglich ein Teil der Natur sind. Wir bilden als ein dominanter Teil der Natur einen Gegensatz zu den angeblich dominierten Teilen. Wir fragen, welche Teile der Natur sich unsere Dominanz gefallen lassen, ob sie in der Tat Verlierer und wir Gewinner sein können.
Das führt uns zu der Frage, welche Teile der Natur gibt es überhaupt?
Teilen wir die ganze Natur, so ergeben sich zwei umfassende Teile, nämlich Geist und Materie. Die gesamte Materie ergibt sich als die Natur ohne Geist, als die geistlose Natur. Umgekehrt muss der Geist die Natur ohne Materie sein, die substanzlose, immaterielle Natur.
Solche Gewalt tun wir der Natur an, sofern wir das denn können. Das merkwürdige Ergebnis beruht auf unserer großzügigen Teilung. Es ist davon abhängig, wie umfassend wir die Natur entzweien können. Wie weit können wir ausholen?
Die Sache des Descartes
Descartes spricht von „res extensa“, von ausgedehnten Dingen oder Sachen. Sie bevölkern den Raum, den sie Kraft ihrer Ausdehnung beanspruchen oder verdrängen. Diese gemeinsame Fähigkeit sei ihr alleiniges und unfehlbares Merkmal. Jede Sache sagt, mach Platz für mich.
Da wird zur „Sache“ erklärt, was sich dem Raum widersetzen kann. Die Sache gebietet dem Raum sich zu fügen, dem Ding gefälligst Platz zu machen. Was einen Platz für sich beanspruchen kann, das gilt als Materie, als Ding oder Sache. Immerhin ist es ja da, wo es ist. Kein Dasein ist ohne Platz zum Dasein, ist ohne Raum.
Ein solches Dasein ist der erfolgreiche Anspruch auf Raum. Das Ding nimmt sich den Raum, den es braucht. Umgekehrt ist alles Ding, und nur das ist Ding, was sich in der Tat Raum nehmen kann. Die Sache erfüllt sich ihren Anspruch selbst, sie nimmt Raum in Besitz. Die Sache zeigt ihr Vermögen, Raum zu nehmen und zu haben. Sache ist, was Raum hat.
Der Raum hingegen verblasst zum Genommenen, zum Besitz, zum Erfüller des Anspruchs, zum Diener des Dings. Der Anspruch und seine Erfüllung stehen sich gegenüber als Sache und Raum. Die Sache bedeutet Herrschaft, der Raum hingegen Dienstbarkeit.
Der Anspruch auf Dasein gebietet erfolgreich über seine Ausdehnung, über sein Territorium. Versagt der Anspruch, so entsteht kein Ding. Das Ding muss seinen Anspruch durchsetzen, diesen sich selbst erfüllen. Das Ding ist Gebieter seines Anspruchs und erfüllt ihn sich zugleich selbst.
Was als Ding da ist, seinen Platz gefunden oder erobert hat, das braucht Ausdehnung. Das Ding braucht genügend Raum für seinen Inhalt, für alle seine Sachen oder Kleinigkeiten. Die Ausdehnung ist die Verdrängung der anderen Anspruchsnehmer.
Wo schon ein Ding ist, da kann kein zweites Ding sein. Eine Sache ist nicht zugleich eine andere Sache. Was ausgedehnt ist, besitzt die Fähigkeit der Verdrängung von allem anderen. Die Sache behauptet sich selbst.
Wird der Raum erfolgreich dienstbar gemacht, so wird er nicht länger verdrängt, sondern nunmehr erfüllt von den Sachen des Dings. Der Raum wird zum Gefäß, Behältnis, zur Schatzkammer. Da, wo das Ding ist, da sind auch alle seine Kleinigkeiten mit inbegriffen, sein Hausrat und sein Unrat. Alle Schätze des Dings sind im Innenraum versammelt.
Der Anspruch auf Raum wird erfüllt durch die Fülle des Raums. Die Erfüllung des Anspruchs, das gebietende Ding, vereint sich in seinem Revier gegen jegliche Konkurrenz, die nur versucht ist, dasselbe zu tun. Der Gebieter nimmt seinen Besitz in Anspruch.
So entstehen das Ding und sein Raum, so werden sie beide geistig verfasst. Trotzdem können wir hier erkennen, worum es eigentlich geht, jenseits seiner unterschiedlichen sprachlichen Fassungen.
Der Besitz muss in der Tat hergestellt werden, anders entsteht keine Fülle des Raumes, anders wird kein Anspruch auf das Dasein erfüllt. Entscheidend für die Existenz ist das Tun, die Arbeit. Die Sache ist entweder tätig, oder nicht wirklich. Ausgedehnt ist allein das, was an sich arbeitet. Zudem ist eine Sache soweit ausgedehnt wie ihre Arbeit. Die Sache ist da, wo ihre Arbeit anfängt und aufhört, sie ist inmitten ihrer Arbeit.
Das Ding arbeitet erfolgreich an sich, an der Vereinigung seines Inhalts, an seinem Bestand und an seiner Entwicklung. Sein Dasein ist allein die Frucht seiner eigenen Arbeit. Sein Platz oder Revier ist die Reichweite seiner Arbeit, sein Wirkungsfeld. Der Raum ist der Arbeitsumfang und die Sache ist das Arbeitsergebnis. Die „res extensa“, die ausgedehnte Sache, wird auf emsige Weise stets neu zur Einheit von Werk und Meisterin. Anders kommt sie nicht zustande, anders ist sie nie.
Inhalt und Form
Wir können uns auch so behelfen: ohne Inhalt gibt es keine Ausdehnung, also auch keine Sache, kein Ding, keine Materie.
Bezeichne ich als „Ausdehnung“ die Form, so komme ich nicht umhin, einem Ding beides, Inhalt und Form zuzugestehen. Aus der Sache „res“ mache ich schlicht ihren Inhalt, und aus der Eigenschaft „extensa“ mache ich ihre Form.
Dabei bezeichne ich als „Form“ die Grenze des Inhalts. Außerhalb der Form, außerhalb seiner Grenze ist kein Inhalt, sondern die Umgebung. Sie ist der Raum, genauer, der Außenraum oder Zwischenraum der Dinge.
Innerhalb der Grenze ist das, was in der Form „innehält“, somit der Inhalt. Das Innehalten ist aber eine Arbeit des Haltens, nämlich die Rotation. Was mit rotiert, ist Teil des Inhalts. Was kommt und geht, wird gewonnen und verloren. Die Rotation bestimmt den Innenraum oder Eigenraum.
Wo beide, Form und Inhalt, zugleich gegeben sind, da ist ein Ding anzutreffen, eine „res extensa“. Die „ausgedehnte Sache“ vereint Gewinn und Verlust, Zuwachs und Abgang zu ihrem Inhalt. Die Sache tut dies mittels ihrer Arbeit, mittels dem Austausch ihrer Teile. Dem Zuwachs entspricht das Fügen, dem Abgang das Trennen. Die Rotation fügt und trennt, sie vereint Zugang und Abgang zum Inhalt, zum ganzen Ding, zur Sache.
Ich spreche deshalb nicht gern von einem „Stück“ Materie, sondern lieber von einer „Arbeitseinheit“ der Natur. Die Einheit arbeitet als Meisterin erfolgreich an ihrem Dasein, sie macht sich selbst wirklich. Ich sehe eine „ausgedehnte Sache“ inmitten ihres Tuns, ihrer Arbeit. Sie grenzt sich von ihrer Umgebung ab, zugleich ihren Eigenraum vom allgemeinen Raum, indem sie ihren Inhalt umfasst und erneuert. Nur die eigene Arbeit macht die Sache wirklich. Wirken kann nur die eigene Arbeit, nur sie macht etwas wirklich, bringt eine Einheit hervor.
Zur Herstellung der Wirklichkeit sind Gewinn und Verlust beharrlich auszugleichen. Das geschieht mittels Absorption und Emission. Keine Sache besteht ohne Nehmen und Geben. Das Dasein ist der Ausgleich von Geben und Nehmen, ist die Arbeit an Inhalt und Form.
Das Kant'sche Ding
Nach diesem kurzen Besuch bei Descartes samt Nachhilfe kehren wir zur Natur zurück, die wir vollständig, also mit aller Gewalt in Materie und Geist entzweien wollen. Was erwartet uns diesmal?
Wir können inzwischen summarisch behaupten, alle Materie weist zwar Form und Inhalt auf, nicht aber Geist. Das tun wir freilich gern, der Geist ist allein unser. Was sehen wir da?
Eigentlich nichts. Die Ausdehnung des Inhalts ergibt irgendeine Form, das mag schon sein, aber was diese Form in sich verbirgt, das bleibt völlig unzugänglich. Der Inhalt bleibt von der Form verhüllt, verborgen.
Die Form ist die Grenze des Inhalts, sie macht die Materie unfassbar dicht, schottet sie völlig ab. Drinnen ist Materie, wie wir hoffen oder behaupten, und draußen ist nichts davon, wie wir sehen und zugeben müssen. Die Grenze ist unpassierbar, wenigstens für uns. Das Elementare oder Atomare verhüllt sich, versteckt sich in der Form, taucht darin unter.
Die Form ist die undurchdringliche Rüstung der Substanz, des erfolgreich Untergetauchten. An ihr prallen wir ab, ganz gleich, wie wir an sie herangehen, wie wir über sie denken, was wir uns dazu vorstellen, ausmalen oder einbilden. Die Substanz ist mittels ihrer Form gegen jeden Angriff der kritischen Vernunft gerüstet. Die Substanz ist ein untergetauchter Widerpart des souveränen Geistes.
Wenn alle Materie aus Substanz besteht, dann ist sie höchst suspekt, renitent, subversiv, also unbedingt unter Kontrolle zu halten. Dazu müssen wir die Materie erklären, geistig fassen. Der Geist muss die Materie dringend in den Griff bekommen. Soviel lehrt uns die Form.
Es kommt aber noch schlimmer. Wenn außerhalb der Form keine Materie ist, dann verlangt jetzt jegliche Materie nach dem leeren Raum. Er ist zwischen allen Formen, zwischen allen Grenzen des Inhalts absolut dringend gegeben. Er ist das logisch erforderliche Behältnis aller Dinge, aller Substanzen, egal, wie subversiv sie sich verhalten. Wo sonst könnte der untergetauchte Widerpart des Geistes verweilen?
So, wie wir die Materie formuliert, gefasst, erklärt, geistig unter Kontrolle gebracht haben, kann sie ihr Dasein nur im...
Erscheint lt. Verlag | 28.9.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Technik |
ISBN-10 | 3-99110-992-1 / 3991109921 |
ISBN-13 | 978-3-99110-992-1 / 9783991109921 |
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