Ist das gesund oder kann das weg? (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45749-8 (ISBN)
Christine Gitter, geboren 1970, konnte über zwanzig Jahre Apothekenerfahrung sammeln, davon 16 Jahre als Inhaberin der zweitältesten Apotheke Deutschlands. Durch zahlreiche Gespräche mit ihren Kunden kennt sie die Fragen und Unsicherheiten rund um das Thema Arzneimittel wie keine andere. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Regensburg. Weitere Informationen erhalten Sie auf www.christine-gitter.de
Christine Gitter, geboren 1970, konnte über zwanzig Jahre Apothekenerfahrung sammeln, davon 16 Jahre als Inhaberin der zweitältesten Apotheke Deutschlands. Durch zahlreiche Gespräche mit ihren Kunden kennt sie die Fragen und Unsicherheiten rund um das Thema Arzneimittel wie keine andere. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Regensburg. Weitere Informationen erhalten Sie auf www.christine-gitter.de
Alle Jahre wieder:
Mit Vitamin C und Zink gesund durch die Erkältungssaison?
Verlockendes Vitamin C
Die Nase läuft, der Hals kratzt, der Kopf dröhnt. Es ist jedes Jahr das gleiche Schauspiel, und spätestens im novembrigen Nebel erwischt es die meisten von uns, und wir fangen uns einen grippalen Infekt ein.
Die Verursacher der »Erkältungen« – Rhino- oder Coronaviren – sehen unter dem Mikroskop sehr putzig aus, verursachen aber fiese Beschwerden, die von den Opfern auf unterschiedlichste Art gelindert werden. Während die einen auf die Grippekapseln aus der Werbung schwören (die meist ein Sammelsurium an Wirkstoffen wie Schmerzmittel, Hustenstiller, Koffein und Vitamin C enthalten), begießen die anderen ihr Leid mit heißer Zitrone. Auch da soll das Vitamin C die Erkältungssymptome bessern. Immerhin ist Vitamin C der Topseller unter den Vitaminpräparaten. Aber hilft das auch? Was sagt die Wissenschaft?
Bemerkenswerterweise nimmt ausgerechnet mit diesem Vitamin die Geschichte kontrollierter Studien in der Medizin ihren Anfang. Nämlich, als der schottische Schiffsarzt James Lind Mitte des 18. Jahrhunderts entdeckt, dass der gefürchtete Feind der englischen Seeleute – die Mangelerkrankung Skorbut – mit Vitamin C vollständig geheilt werden kann. Wie er das damals angestellt hat, erzähle ich Ihnen im Kapitel »Statistik leicht verdaulich« im Anhang des Buches.
Jetzt befördert uns ein Zeitsprung vorerst in das Jahr 1928. Vitamin C wird offiziell als »Anti-Skorbut-Faktor« entdeckt, wofür es gleich mehrere Nobelpreise hagelt. Allerdings hat die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre auch die pharmazeutische Industrie nicht verschont, und so muss auch der Baseler Pharmakonzern Hofmann-La Roche (heute: Roche) nahezu ein Viertel seiner Belegschaft entlassen. Eine neue Einnahmequelle muss dringend her! Hofmann- La Roche perfektioniert also die vom Chemiker und Nobelpreisträger Tadeus Reichstein entwickelte L-Ascorbinsäure-Synthese (= Vitamin C) und lässt seine Marketingabteilung eine Verkaufsstrategie austüfteln – obwohl man firmenintern eigentlich keine rechte Verwendungsmöglichkeit für eine Vitamin-C-Anwendung sieht. Das Vitamin-C-Präparat Redoxon wird jedoch trotz der Bedenken auf den Markt gebracht.
Und da es die sozialen Medien noch nicht gibt, muss man die Ärzteschaft sozusagen als »Influencer« live und in Farbe gewinnen:
Der Arzt muss dazu gebracht werden, überall ein C-Defizit zu wittern und vorsichtshalber Vitamin C aufzuschreiben. Das wird er aber nur dann tun, wenn er selbst die Möglichkeit hat, die Diagnose zu stellen und dem Patienten eine neue Krankheit anzudichten.
(aus »Vorschläge zur Konsumförderung« der Roche-Marketingabteilung)
Um dem Arzt das Dichten zu erleichtern, entwickelt man einen speziellen, aber im Grunde nichtssagenden Urintest, der einen Vitamin-C-Mangel anzeigen soll.
Einige Jahre später wurde dem »Ur-Vitamin« durch den US-amerikanischen Chemiker Linus Pauling (1901–1994) zu weiterem Ruhm verholfen.
Pauling hat es zu gleich zwei Nobelpreisen gebracht: 1954 bekam er den renommierten Preis für sein eigentliches Fach Chemie, 1963 dann den Friedensnobelpreis für seinen Einsatz gegen Atomwaffentests. Ungefähr zu dieser Zeit begann er, sich mit der Idee zu beschäftigen, dass extrem hohe Dosen Vitamin C gegen Erkältungen wirksam sein könnten. Ebenso vermutete er, dass er mit einer Zufuhr von bis zu 18 Gramm täglich (!) Krebserkrankungen vorbeugen könne. Kritiker geben zu bedenken, dass er trotzdem an Prostatakrebs starb. Aber hey – er wurde 93 Jahre alt!
Linus Pauling war der Mitbegründer der sogenannten Orthomolekularen Medizin, denn er ging davon aus, dass uns im Grunde ein biochemisches Ungleichgewicht unserer Mikronährstoffe krank macht. Durch hoch dosierte, »ausbalancierte« Nahrungsergänzungen sollte das wieder ins ordnungsgemäße (orthos = richtig) Verhältnis kommen. Eine Theorie, die zwar wirtschaftlich recht erfolgreich umgesetzt wird, aber bis heute nicht belegt werden konnte.
Seitdem hat sich der Siegeszug des Vitamins unaufhaltsam fortgesetzt: Erkältungsprophylaxe, Vorbeugung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, Anti-Aging, und so weiter und so fort … Aber schauen wir uns das Supervitamin mal genauer an:
Vitamin C – oder Ascorbinsäure – gehört zu den wasserlöslichen Vitaminen und brilliert hauptsächlich durch seine antioxidativen Eigenschaften. Mit anderen Worten: Es verhindert, dass wir innerlich rosten, indem es freie Radikale abfängt. Solche Radikale entstehen ständig in unserem Stoffwechsel, etwa aus Sauerstoff. Statt unserer Zellen rostet dann halt das Vitamin C für uns.
Vitamin C kann aber noch sehr viel mehr: So ist es auch am Aufbau unseres Bindegewebes beteiligt (gegen Cellulite hilft es leider trotzdem nicht), fördert die Eisenaufnahme aus dem Darm ins Blut und spielt auf jeden Fall eine entscheidende Rolle in unserem Immunsystem. Es unterstützt die Leber bei ihrem Job als Klärwerk, und vermutlich ist es an mehr als 15000 Stoffwechselvorgängen im Körper beteiligt. Erstaunlicherweise besitzen nicht nur Pflanzen die Fähigkeit, Vitamin C zu produzieren, auch die allermeisten Tiere können das. Und egal, ob mit Wurzeln oder Füßen, bei allen Lebewesen funktioniert das auf dieselbe Weise: Aus Glucose (Traubenzucker) wird durch zwei relativ simple biochemische Schritte Ascorbinsäure – unser Vitamin C. Uns Menschen, wie übrigens auch den Primaten und Meerschweinchen, fehlt das entsprechende Enzymsystem, um den Traubenzucker in Vitamin C umwandeln zu können. Aber auch wenn wir keinen festen Vitamin-C-Speicher in unserem Körper haben, »schwimmen« in einem erwachsenen Mann trotzdem ständig ungefähr 2 Gramm davon herum.
Angenommen, wir würden zwei Wochen Vitamin-C-frei leben (etwa bei langem Heilfasten), wäre unser Vorrat allerdings erschöpft.
Vitamin C ist ein kleines Sensibelchen. Nicht zu warm soll es sein, nicht zu hell und am liebsten auch nicht zu feucht. Weil es als wasserlösliches Vitamin sonst eher mit dem Kochwasser im Abfluss landet statt mit dem Gemüse im Bauch.
Trotzdem sind wir von einem Mangelzustand in der Allgemeinbevölkerung weit entfernt. Vitamin C findet sich nicht nur naturgemäß in sehr vielen Lebensmitteln, besonders in Beeren, Paprika, Kohl und Zitrusfrüchten. Auch die Lebensmittelindustrie verwendet Vitamin C gerne. Dort wird es jedoch nicht zur Vitaminanreicherung eingesetzt, sondern weil es als Antioxidationsmittel viele technologische Vorteile bietet: Das Brot bleibt saftiger, weil Ascorbinsäure die Wasseraufnahme im Brotteig erhöht. Früchte (etwa Apfelmus) werden nicht so schnell braun, dafür werden Wurst und Schinken schneller rot. Zu Tisch, es gibt E 300!
Die DGE empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 110 Milligramm Vitamin C für Männer und 95 Milligramm für Frauen. Tatsächlich ist der Vitamin-C-Bedarf dabei höchst individuell. Große Menschen brauchen mehr als kleine, in Schwangerschaft und Stillzeit ist der Bedarf ebenfalls höher, genauso bei anhaltenden Stressphasen. Wer eine Operation hinter sich hat oder an einer Infektion leidet, sollte sich ebenfalls eine Extraportion gönnen. Und wer raucht sowieso.
Dem Risiko einer eventuellen Unterversorgung sind auch Menschen ausgesetzt, die an einer chronischen Magen-Darm-Erkrankung leiden. Manchmal ist da die Resorptionsfähigkeit des Dünndarms gestört, der dann nicht alles, was ihm angeboten wird, in das Blut transportieren kann. Das trifft dann selbstverständlich nicht nur auf Vitamin C zu, sondern auch auf andere Nährstoffe.
Falls Sie nun hoch dosiertes Vitamin C einnehmen, fragen Sie sich vielleicht, ob eine Überdosierung eigentlich gefährlich ist? Die Antwort darauf lautet: nein. Wenn Sie wesentlich mehr als die empfohlene Tageszufuhr einnehmen, produzieren Sie halt sehr vitaminreiches Pipi. Denn Ihr Körper will gar nicht alles haben. Je nach zugeführter Menge entsorgt er das meiste sofort. Wenn Sie auf nüchternen Magen 200 Milligramm einnehmen, kann er das noch komplett verarbeiten. Bei 3 Gramm nimmt er sich nur noch 40 Prozent, und bei 12 Gramm sind es sogar nur noch magere 16 Prozent. Der Rest landet in der Kläranlage, und zwar nicht nur in komplett flüssiger Form: Ab einer Portion von circa 3 Gramm Vitamin C gibt’s Flitzekacke.
Die oft gelesene Warnung, man erhöhe mit zu hohen Vitamin-C-Dosen das Risiko von Oxalat-Nierensteinen, wurde inzwischen übrigens widerlegt.
Und wie lautet nun die Antwort auf unsere eigentliche Frage: Kann Vitamin C Erkältungen vorbeugen?
Es kommt darauf an …
In einer Metaanalyse, bei der mehrere wissenschaftlich sauber durchgeführte Studien zusammengefasst werden, fand die Cochrane Collaboration (über die Sie im letzten Kapitel des Buches mehr erfahren werden) folgende Antwort:
Betrachtet man die Allgemeinbevölkerung, reduziert sich das Erkältungsrisiko bei einer regelmäßigen Vitamin-C-Einnahme um gerade mal drei Prozent. Einbezogen wurden alle, die über Monate bis Jahre hinweg täglich mehr als 200 Milligramm Vitamin C zugeführt hatten. Drei Prozent sind jetzt nicht so bemerkenswert.
Wenn Sie regelmäßig Marathon laufen oder ein kanadischer Soldat im subarktischen Einsatz sind, profitieren Sie spürbar: Ihr Erkältungsrisiko liegt dann nur noch bei etwa der Hälfte.
Weil aber die wenigsten von uns zu den beiden letzten Gruppen gehören, kann man an dieser Stelle also anmerken, dass eine vorbeugende Einnahme von Vitamin C in Bezug auf Erkältungen schon mal nix bringt.
Und wenn es einen schon erwischt hat?
Das sagt die Metaanalyse:
Bei Erwachsenen verkürzt sich die Dauer der...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft | |
Technik | |
Schlagworte | Andreas Michalsen • Bas Kast • Calcium • Christine Gitter • Darm mit Charme • Darüber spricht man nicht • #DerApotheker • DerApotheker • Die Wahrheit über unsere Medikamente • Eisen • ernährungskompass • Erzählendes Sachbuch • Giulia Enders • Heilen mit der Kraft der Natur • Magnesium • Mineralien • Mineralstoffe • mit Ernährung heilen • Nahrungsergänzung • Nahrungsergänzung Buch • Nahrungsergänzung Schwangere • Nahrungsergänzungsmittel • nahrungsergänzungsmittel buch • Nahrungsergänzung Sportler • Ratgeber Gesunde Ernährung • Ratgeber Gesundheit • Sachbuch Gesundheit • sachbuch nahrungsergänzungsmittel • Spurenelemente • Super Food • superfood buch • Vitamin B12 • Vitamin C • Vitamin D • Vitamine • Vitamine Buch • Vitamine Ernährung • Vitamine Nährstoffe • Vitamine und Mineralstoffe • vitamine und mineralstoffe buch • Yael Adler • Zink • Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihre Apothekerin |
ISBN-10 | 3-426-45749-0 / 3426457490 |
ISBN-13 | 978-3-426-45749-8 / 9783426457498 |
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Größe: 4,5 MB
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