Männerphantasien (eBook)
1278 Seiten
Matthes & Seitz Berlin Verlag
978-3-95757-746-7 (ISBN)
Klaus Theweleit, 1942 in Ostpreußen geboren, studierte Germanistik und Anglistik. Heute lebt er als freier Schriftsteller mit Lehraufträgen in Deutschland, den USA, der Schweiz und Österreich. Seit 1998 ist Theweleit Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Sein Buch Männerphantasien bezeichnete Rudolf Augstein im Spiegel nach der Erstveröffentlichung als 'vielleicht aufregendste deutschsprachige Publikation dieses Jahres'.
Klaus Theweleit, 1942 in Ostpreußen geboren, studierte Germanistik und Anglistik. Heute lebt er als freier Schriftsteller mit Lehraufträgen in Deutschland, den USA, der Schweiz und Österreich. Seit 1998 ist Theweleit Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. Sein Buch Männerphantasien bezeichnete Rudolf Augstein im Spiegel nach der Erstveröffentlichung als "vielleicht aufregendste deutschsprachige Publikation dieses Jahres".
Zur Zeitgeschichte und zur Art des behandelten Stoffes
Wer waren die Männer, was wurden sie?
Ehrhardt und Roßbach waren Kommandanten eigener Freikorps. Lettow-Vorbeck kommandierte Freikorpseinsätze in Hamburg und Mecklenburg als vorgesetzter Reichswehrgeneral. Wie Ehrhardt und Roßbach zählt er zu den Führern des Kapp-Putsches, dessen unmittelbarster Anlass die drohende Auflösung der Freikorps durch die Regierung Ebert/Bauer war.
Lettow-Vorbeck, Ehrhardt, Roßbach, Killinger, Niemöller waren »ältere« Offiziere in dem Sinn, dass sie nicht erst im Krieg avanciert waren, wie viele jüngere Kriegsoffiziere, die nicht die typische preußische Offiziersausbildung der Monarchie hinter sich hatten. Sie waren Monarchisten, die der »republikanischen« Reichswehr äußerst misstrauisch gegenüberstanden.
Salomon kam gerade aus der Kadettenanstalt. Er hatte den Krieg verpasst, in dem er so gern die ersten Lorbeeren geerntet hätte. Die Freikorps boten die Chance, doch noch hinter dem Maschinengewehr ein Mann zu werden.
Höß war ein junger Unteroffizier, der von der Schule zum Militär gelaufen war und sonst nichts gelernt hatte. Wollte er nicht irgendwo »von vorn« anfangen – und das wollten die meisten, die im Krieg über Macht, wenn auch nur wenig Macht verfügt hatten, nicht –, dann war er aufs Militär angewiesen.
Also: ein alter Offizier (General), vier jüngere Offiziere mittleren Ranges (davon drei Kapitänleutnants, ein Hauptmann), ein Kadett (= Offizier in spe) und ein Unteroffizier – das sind die militärischen Ränge der sieben Ehemänner.
Ihre Herkunft: Hermann Ehrhardt, badisches Pfarrhaus; Rudolf Höß, badisches Kaufmannshaus; Martin Niemöller, westfälisches Pfarrhaus; Gerhard Roßbach, pommerscher Gutshof, aus Staatsbesitz gepachtet; Paul v. Lettow-Vorbeck, ostelbischer Junker; Manfred v. Killinger, sächsischer Gutshof; Ernst v. Salomon, preußisches Offiziershaus.
Zumindest die tonangebende Führungskaste der Freikorps ist von diesen sieben qualitativ repräsentiert. Offiziershäuser, Landgüter, Pfarr- und andere Akademikerhäuser stellen den Großteil der Offiziere der weißen Truppen; dazu finden sich Söhne kleiner oder mittlerer Selbständiger, Beamtensöhne. Unterrepräsentiert von diesen Sieben sind die Kleinbauernsöhne, die einen erheblichen Teil der Mannschaften stellten.1
Überdurchschnittlich gut vertreten sind dagegen die preußischen Kadettenanstalten, die Zuchtstätten eines kaiserhörigen schneidigen Offizierstyps: Lettow, Roßbach, Salomon und Killinger haben sie genossen.
Nach der Auflösung der Freikorps vergrößerte sich der verzweigte nationale Untergrund- und Geheimbundbetrieb, der sich nach der Beschränkung des deutschen Heeres auf 100.000 Mann durch den Versailler Friedensvertrag um die »Schwarze Reichswehr« als Kern gebildet hatte, erheblich. Was taten unsere Sieben?
Roßbach wurde einer der Hauptorganisatoren der Bewegung der Arbeitsgemeinschaften vor allem in Mecklenburg, Pommern und Schlesien.2
Unter diesem Namen versuchten ganze Verbände von Freikorpssoldaten die kriegslose, die schreckliche Zeit ab Mai 1920 als Landarbeiter, als Forstarbeiter oder Ähnliches zu überstehen. Der Freikorpskommandant Major Peter v. Heydebreck etwa versuchte eine Holzfirma aufzumachen, bei der er den Boss abgab, seine bisherige Kriegsmannschaft die Arbeiter.3
Die Waffen waren nicht abgeliefert worden. Ständige Furcht vor dem Verrat der Waffenverstecke, häufige nächtliche Hals-über-Kopf-Verlagerungen der Waffen, Waffendiebstähle, -handel und -schmuggel durchziehen die Freikorpsromane.4
Bei Bedarf, 1921 in Oberschlesien gegen Polen, 1923 im Ruhrgebiet gegen die Besatzungsmacht Frankreich, und später dann wieder für die SA, wurden die Waffen ausgegraben und aus dem Ölpapier gewickelt.
Rudolf Höß gehörte einer solchen Arbeitsgemeinschaft an. Später sieht man ihn bei den Artamanen, wo er Heinrich Himmler kennenlernt, der ihm die Tore zu seiner KZ-Laufbahn öffnen wird. Die Artamanen waren ein Landbund, der ideologisch und praktisch für die »Reinheit der deutschen Scholle« kämpfte. Sie versuchten, die bisher nötig gebrauchten polnischen Saisonarbeiter von den ostelbischen Gütern zu vertreiben, und erreichten das teilweise durch die Organisation von unbezahlten »Arbeitsdiensten« während der Erntezeit (behauptet Höß).
Auch Niemöller ging aufs Land und lernte Landwirt, wie so viele von der Republik entsetzte Offiziere, die ein neues Gleichgewicht und Auskommen suchten. Er tat das allerdings nicht im Rahmen einer solchen »Arbeitsgemeinschaft«. Seine Absicht, Landwirt zu werden, war ernster, nicht aus Überbrückungszwecken entstanden. Von der Realität der Republik wandte er sich so stark ab, dass er nach Beendigung seiner Ausbildung völlig davon überrascht war, dass durch die Inflation inzwischen seine beträchtliche Offiziersabfindung, mit der er einen Hof zu erwerben geplant hatte, nicht mehr reichte.5
Aus den »Landquellen« speisten sich später sehr stark die SA und die SS. Eine andere Freikorps-Nachfolgeorganisation war die »Organisation Consul«, kurz OC. An ihrer Spitze stand der Kapitän Ehrhardt. Ihre Tätigkeit: politische Morde. Von deren Bezahlung lebten die Mitglieder und, da das nicht reichte, von Gelegenheitsarbeiten, von der Unterschlagung von Organisationsgeldern, undurchsichtigen Kapitaltransaktionen über eine von Ehrhardt gegründete Bank und Ähnlichem mehr. Davon steht wenig bzw. nichts in den Freikorpsromanen und -biografien, einiges in Weimarer Prozessakten und einiges mehr in den Büchern von Emil Julius Gumbel, einem Berliner Professor, der mit großer Energie die zeitgenössischen Spuren des weißen Terrors verfolgte und dokumentierte.6 Das war ein lebensgefährliches Unterfangen, das Gumbel vermutlich nur deshalb überlebte, weil der nationale Untergrund es wohl ganz gern sah, dass einer von oben seine Blutspur sorgfältig registrierte und publik machte.
Die OC scheint speziell eine Nachfolgeorganisation der Marinebrigade Ehrhardt gewesen zu sein. Auf ihr Konto gehen die Morde an Erzberger und Rathenau. Kern und Fischer, die Rathenau-Mörder, waren Offiziere der Ehrhardt-Brigade gewesen, ebenso Schulz und Tillessen, die Erzberger-Attentäter.7 Ernst von Salomon, ehemaliges Mitglied der Marinebrigade, wurde wegen Beihilfe zum Mord an Walther Rathenau zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Manfred Killinger, der den Auftrag zum Mord am Außenminister der Republik gegeben hatte,8 kam ungeschoren davon und konnte, wie wir gesehen haben, 1923 seinen Hof übernehmen.
Eine bewaffnete nationale Organisation mit regionalen Sektionen, etwa nach dem Vorbild der Gliederungen der Reichswehr, suchte der Forstrat Escherich aufzustellen. Sie wurde bekannt als »Orgesch« (Organisation Escherich). Zu ihr hatte so gut wie jeder nationale Verschwörer irgendeinen Kontakt.9 Sie zerfiel bald an der Unzahl rivalisierender Konzepte und Gruppen, die zwar alle die Republik beseitigen, aber auch alle selbst die Macht übernehmen wollten. Zu ihr stand auch Martin Niemöller in Beziehung.10
Auch die Gruppe der »Fememörder«, deren Taten besonders ab 1923 für gruselige Schlagzeilen in der republikanischen Presse sorgten, ist unter den sieben Ehemännern anzutreffen. »Fememörder« sind die Freikorpssoldaten oder Mitglieder nationaler Geheimbünde und Arbeitsgemeinschaften, die in Selbstjustiz Kameraden hinrichteten, die des Verrats – vor allem von Waffenlagern – beschuldigt wurden. Es gab nicht etwa einen »Femeprozess«, wie das Wort vermuten lässt. Die Morde geschahen auf Befehl der jeweiligen Führer oder aber nach Übereinkunft einiger Männer, die einen »Verdacht« hatten. Mehrfach waren private Auseinandersetzungen der Anlass für die »Feme«.11 In Situationen, in denen der äußere Feind fehlt oder nicht zu greifen ist, beginnen bewaffnete Männerbünde sich selbst zu »zerfleischen«, wie man sagt.
Rudolf Höß saß wegen der Beteiligung an einem Fememord 1923–1928 in Haft. Salomon entschloss sich nur aus Erschöpfung, einen fast totgeschlagenen »Verräter« doch noch laufen zu lassen.12 Die allgemeine Haltung zur »Feme« lässt sich gut den Sätzen entnehmen, die Arnolt Bronnen über eine Autofahrt mit Roßbach schreibt:
Alter Buchen-Forst stand rings um schwarzwässerige Tümpel, aus mancher Höhe erblickten wir das von zackigen Kirchen begleitete Oder-Tal, und der rollende Pfad ging rastlos bergauf und bergab. Hinter uns saß schweigend der Adjutant, während neben ihm ein gemeinsamer Freund lüsternen Auges das Gelände auf jene Möglichkeiten prüfte, die es für notfalls vorzunehmende...
Erscheint lt. Verlag | 29.11.2019 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien | |
Technik | |
Schlagworte | Feminismus • Gewalt • Männlichkeit • Nationalsozialismus |
ISBN-10 | 3-95757-746-2 / 3957577462 |
ISBN-13 | 978-3-95757-746-7 / 9783957577467 |
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