Die Farben der Quadratzahlen (eBook)
272 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26503-5 (ISBN)
Wie kann etwas zugleich korrekt, aber nicht wahr sein? Was verrät ein Kartenspiel über das Wesen der Zeit? Und was haben Quadratzahlen mit Farben zu tun? Rudolf Taschner nimmt uns mit auf eine fulminante Reise an die Grenze von Mathematik und Philosophie und zeigt, dass in Zahlen Antworten auf die größten Fragen verborgen liegen. Wir erfahren, warum schon Pythagoras in den Zahlen den Ursprung des Kosmos erblickte und weshalb Nobelpreisträger bis heute darüber rätseln, warum die Mathematik die Natur auf so wundersam treffende Weise zu beschreiben vermag. 'Die Farben der Quadratzahlen' ist ein Buch voller verblüffender Fakten, das zum Staunen über die Schönheit der Mathematik einlädt.
Rudolf Taschner, geboren 1953 in Ternitz, ist seit 1977 Professor an der Technischen Universität Wien. Taschner gründete zusammen mit seiner Frau und Kollegen der TU Wien den „math.space“, einen Veranstaltungsort im Wiener MuseumsQuartier, der Mathematik als kulturelle Errungenschaft präsentierte. 2004 wurde Rudolf Taschner zum „Wissenschaftler des Jahres“ gewählt. 2011 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Volksbildung. Zuletzt erschienen bei Hanser seine Bestseller Die Zahl, die aus der Kälte kam und Die Mathematik des Daseins.
Der Beitrag des Nicole Oresme
Nicole Oresme, auch Nikolaus von Oresme genannt, war im 14. Jahrhundert neben Eckhart von Hochheim, Wilhelm von Ockham und Johannes Buridan einer der einflussreichsten Meister, zugleich Priester und zuletzt Bischof von Lisieux. Die Beschäftigung mit der über alles Endliche hinausreichenden Transzendenz verführte die mittelalterlichen Gelehrten, mit dem Unendlichen zu rechnen. Diese geistige Freiheit ermöglichte Nicole Oresme, zu einer beeindruckenden Erkenntnis zu gelangen:
Nicole Oresme versuchte, unendlich viele Größen zu addieren. Wobei es sich, um genau zu sein, um Kehrwerte von Zahlen handelt.
Wir betrachten dazu ein erstes Beispiel: Es sollen die Kehrwerte der Zweierpotenzen 2, 2 × 2 = 4, 2 × 2 × 2 = 8, 2 × 2 × 2 × 2 = 16 und daran anschließend 32, 64, 128, 256, … addiert werden. Wir betrachten also die Summe
mit einer unendlichen Fülle von Summanden. Die Aufgabe lautet: Rechne das aus! Sicher wusste Oresme bereits um die Lösung. Das Ergebnis beträgt genau 1. Die Begründung dafür ist nicht besonders kompliziert: Betrachtet man nur den ersten Summanden 1⁄2, fehlt 1⁄2 bis zur behaupteten Summe 1. Betrachtet man die Summe der ersten beiden Summanden, also 1⁄2 + 1⁄4 = 3⁄4, fehlt 1⁄4 bis zur behaupteten Summe 1. Betrachtet man die Summe der ersten drei Summanden, also 1⁄2 + 1⁄4 + 1⁄8 = 7⁄8, fehlt 1⁄8 bis zur behaupteten Summe 1. Und betrachtet man die Summe der ersten vier Summanden, also 1⁄2 + 1⁄4 + 1⁄8 + 1⁄16 = 15⁄16, fehlt 1⁄16 bis zur behaupteten Summe 1. Hieraus erkennen wir: Bricht man die Summe bei irgendeinem Kehrwert einer Zweierpotenz ab, fehlt genau dieser Kehrwert der Zweierpotenz bis zum behaupteten Wert 1. Doch addiert man die Kehrwerte aller Zweierpotenzen, bleibt nichts mehr übrig, was zum behaupteten Wert 1 der Summe fehlt. Die Summe der Kehrwerte aller Zweierpotenzen muss folglich exakt mit 1 übereinstimmen.
Dies ist deshalb ein bemerkenswertes Resultat, weil diese Summe aus unendlich vielen Summanden besteht. Trotz dieser Tatsache bleibt sie beschränkt; wir konnten sogar ihren Wert berechnen.
Viel heikler ist das zweite Beispiel: Es sollen zu 1 die Kehrwerte der Quadratzahlen 2 × 2 = 4, 3 × 3 = 9, 4 × 4 = 16, 5 × 5 = 25, 6 × 6 = 36, 7 × 7 = 49, … addiert werden. Wir betrachten also die Summe
mit einer unendlichen Fülle von Summanden. Die Aufgabe lautet: Rechne das aus! Ob Nicole Oresme diese Aufgabe kannte, ist nicht sicher. Jedenfalls kannte sie der ebenfalls dem geistlichen Stande angehörende Pietro Mengoli, der 300 Jahre nach Oresme lebte und, ohne es zu wissen, die Gedankenführungen seines großen mittelalterlichen Meisters oft wiederholte. Mengoli wusste: Obwohl auch in dieser Summe unendlich viele Summanden stehen, wird ihr Wert nicht unendlich sein, sondern endlich bleiben, sogar kleiner als 2.
Um dies begründen zu können, betrachtete Mengoli die einzelnen Kehrwerte der Quadratzahlen. Beginnen wir mit 1⁄4, also mit 1⁄(2 × 2). Da offenkundig 2 × 2 größer als 1 × 2 ist, muss der Kehrwert von 2 × 2, also der Bruch 1⁄(2 × 2) kleiner als der Kehrwert von 1 × 2, also kleiner als 1⁄(1 × 2) sein. Und wir beachten, dass 1⁄(1 × 2) = 1⁄1 — 1⁄2 ist. Die letzte Rechnung bestätigen wir nicht vordergründig damit, dass wir sie einfacher als 1⁄2 = 1 — 1⁄2 schreiben, sondern damit, dass wir folgendermaßen argumentieren: Bildet man bei der Differenz 1⁄1 — 1⁄2 den Bruch mit dem gemeinsamen Nenner 1 × 2, hat man den Zähler 1 des ersten Bruches mit 2 und den Zähler 1 des zweiten Bruches mit 1 zu erweitern, folglich die Differenz 2 — 1 in den gemeinsamen Zähler zu schreiben. Kurz gefasst: 1⁄1 — 1⁄2 = (2 — 1)⁄(1 × 2). Darum stimmt 1⁄1 — 1⁄2 = 1⁄(1 × 2). Und diese Differenz ist größer als 1⁄4.
Nun betrachten wir als Nächstes den Kehrwert der Quadratzahl 9, also 1⁄9 = 1⁄(3 × 3). Da offenkundig 3 × 3 größer als 2 × 3 ist, muss der Kehrwert von 3 × 3, also der Bruch 1⁄(3 × 3) kleiner als der Kehrwert von 2 × 3, also kleiner als 1⁄(2 × 3) sein. Und wir beachten, dass 1⁄(2 × 3) = 1⁄2 — 1⁄3 ist. Auch hier argumentieren wir wie oben: Bildet man bei der Differenz 1⁄2 — 1⁄3 den Bruch mit dem gemeinsamen Nenner 2 × 3, hat man den Zähler 1 des ersten Bruches mit 3 und den Zähler 1 des zweiten Bruches mit 2 zu erweitern, folglich die Differenz 3 — 2 in den gemeinsamen Zähler zu schreiben. Kurz gefasst: 1⁄2 — 1⁄3 = (3 — 2)⁄(2 × 3). Darum stimmt tatsächlich 1⁄2 — 1⁄3 = 1⁄(2 × 3). Und diese Differenz ist größer als 1⁄9.
Das Gleiche gilt für den Kehrwert der Quadratzahl 16, also für 1⁄16 = 1⁄(4 × 4). Noch einmal wiederholen wir den Gedankengang: Da offenkundig 4 × 4 größer als 3 × 4 ist, muss der Kehrwert von 4 × 4, also der Bruch 1⁄(4 × 4), kleiner als der Kehrwert von 3 × 4, also kleiner als 1⁄(3 × 4) sein. Und wir beachten, dass 1⁄(3 × 4) = 1⁄3 — 1⁄4 ist. Auch hier argumentieren wir wie oben: Bildet man bei der Differenz 1⁄3 — 1⁄4 den Bruch mit dem gemeinsamen Nenner 3 × 4, hat man den Zähler 1 des ersten Bruches mit 4 und den Zähler 1 des zweiten Bruches mit 3 zu erweitern, folglich die Differenz 4 — 3 in den gemeinsamen Zähler zu schreiben. Kurz gefasst: 1⁄3 — 1⁄4 = (4 — 3)⁄(3 × 4). Darum stimmt tatsächlich 1⁄3 — 1⁄4 = 1⁄(3 × 4). Und diese Differenz ist größer als 1⁄16.
Es ist klar, dass das Gleiche genauso für die Kehrwerte aller größeren Quadratzahlen stimmt. Es sind daher die Kehrwerte
der Quadratzahlen durchwegs kleiner als die Differenzen
Demzufolge ist die Summe von 1 und den Kehrwerten der Quadratzahlen, also die Summe
sicher kleiner als die Summe von 1 und den oben genannten Differenzen, also kleiner als
Bei der zuletzt genannten Summe lassen wir einfach die Klammern weg und schreiben sie als
So angeschrieben erkennen wir, dass der Bruch — 1⁄2 vom nachfolgenden Bruch + 1⁄2 aufgehoben wird, der Bruch — 1⁄3 vom nachfolgenden Bruch + 1⁄3 aufgehoben wird, der Bruch — 1⁄4 vom nachfolgenden Bruch + 1⁄4 aufgehoben wird, und dieses Sich-gegenseitig-Aufheben geht unvermindert weiter, sodass schließlich von dieser Summe nur 1 + 1⁄1, also nur 1 + 1 = 2 übrig bleibt.
Darum, so schloss Mengoli, muss die Summe von 1 und den Kehrwerten der Quadratzahlen einen endlichen Wert ergeben, der kleiner als 2 ist. Und dies trotz der Tatsache, dass diese Summe...
Erscheint lt. Verlag | 19.8.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Ableitung • Algebra • Analysis • Bestseller • Bestseller-Autor • Beweis • Beweisführung • Carlo Rovelli • Daniel Tammet • Deutsches Museum • Die Zahl die aus der Kälte kam • Fermats letzter Satz • Formel • Formel-Rätsel • Funktion • Gabriels Horn • Gabriels Trompete • Geometrie • Gleichung • Grenzen der Mathematik • hässliches Universum • Homers letzter Satz • Hyperbel • Kartenspiel • korrekt • Kreis • Kreiszahl • Logarithmus • Mathematik • Mathematik des Daseins • Mathematik und Philosophie • mathematisches Abenteuer • Matheunterricht • mathspace • Museumsquartier Wien • Naturwissenschaft • New Scientist • Nullstellen • Oberfläche • Paradoxon • Philosophie • Poesie der Primzahlen • pop science • populäre Wissenschaft • Primzahlen • Professor für Mathematik • Pythagoras • Quadratzahlen • Rätsel • Reise durch die Mathematik • Riemannsche Vermutung • Roman der Mathematik • Schönheit der Mathematik • Schule • Scientific American • Simon Singh • spannende Wissenschaft • Spektrum der Wissenschaft • Statistik • Statistik-Irrtümer • Staunen • Stochastik • Unendlich • unendliche Trompete • Volumen • wahr • Wahrscheinlichkeit • Wahrscheinlichkeitsrechnung • Wissenschaftler des Jahres • Zahlen • Zahlen-Phobie • Zahlentheorie • Zahlenzauber |
ISBN-10 | 3-446-26503-1 / 3446265031 |
ISBN-13 | 978-3-446-26503-5 / 9783446265035 |
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