Keim daheim (eBook)
288 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45277-6 (ISBN)
Prof. Dirk Bockmühl, geboren 1972, forschte bereits als Doktorand zu Keimen: In seiner Dissertation befasste er sich mit den krankheitsfördernden Mechanismen beim Hefepilz Candida albicans. 2010 erhielt er einen Ruf als Professor für Hygiene und Mikrobiologie an die Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wuppertal und bewohnt in Kleve während der Woche mit zwei Kollegen eine WG, in der auch ungewöhnlichere Hygienekonzepte 'wissenschaftlich' erprobt werden.
Prof. Dirk Bockmühl, geboren 1972, forschte bereits als Doktorand zu Keimen: In seiner Dissertation befasste er sich mit den krankheitsfördernden Mechanismen beim Hefepilz Candida albicans. 2010 erhielt er einen Ruf als Professor für Hygiene und Mikrobiologie an die Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wuppertal und bewohnt in Kleve während der Woche mit zwei Kollegen eine WG, in der auch ungewöhnlichere Hygienekonzepte "wissenschaftlich" erprobt werden.
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Keim oder nicht Keim,
das ist hier die Frage
Jetzt habe ich die ganze Zeit von Mikroorganismen geredet, aber was haben wir uns unter Mikroorganismen eigentlich vorzustellen? Ein Kollege aus der Marketingabteilung der Firma, für die ich früher gearbeitet habe, sagte mal zu mir: »Ich rufe dich bei allem an, was kleiner ist als ein Hund.« Ich war damals als Mikrobiologe in einem Unternehmen, das Konsumgüter herstellt, ein wenig ein Exot unter vielen Betriebswirten und Chemikern. Eine meiner Aufgaben bestand darin, möglichst alle Fragen rund um die Mikrobiologie aus dem Stegreif beantworten zu können, bevorzugt, wenn mal wieder eine Grippewelle durch Deutschland brandete und die Frage aufkam, ob unsere Produkte auch gegen das Grippevirus wirkten, oder welche Keime denn für Pickel und Kopfschuppen verantwortlich zeichnen. In diesem Zusammenhang tauchte auch die nicht ganz einfach zu beantwortende Frage auf, mit welchen Organismen sich der Mikrobiologe eigentlich beschäftigt. Mein Kollege aus der Marketingabteilung hat es sich da recht einfach gemacht, und auch wenn seine Aussage nicht ganz ernst zu nehmen war – völlig falsch lag er damit eigentlich nicht.
Was sind eigentlich Mikroorganismen?
Als wissenschaftlicher Laie hat man vielleicht die Vorstellung, dass es Tiere und Pflanzen gibt und dann noch so ein paar exotische Geschöpfe wie Amöben und Quallen (gefühlt sind das auch Tiere), Pilze (eigentlich doch Pflanzen, oder nicht?) und eben Bakterien und Viren (die sind ziemlich klein). Mit einem ähnlichen Weltbild bin auch ich in mein Biologiestudium gestartet, musste aber meine Sicht auf die belebte Welt recht schnell überdenken. Noch bevor ich wusste, wo die besten Studentenkneipen waren, habe ich gelernt, dass es aus biologischer Sicht am sinnvollsten ist, Lebewesen in drei Gruppen einzuteilen, nämlich in Bakterien, Archaeen (sprich: Archä-en) und Eukaryota. Dabei fasst man in der Regel Bakterien und Archaeen noch als Gruppe zusammen, die sich »Prokaryota« nennt. Ich ahne, mit welchem Gesichtsausdruck Sie gerade diese Zeilen lesen, denn ganz ähnlich habe ich auch ausgesehen; aber keine Sorge, wir schauen uns das mal zusammen an:
Was Sie hier vor sich sehen, ist der sogenannte phylogenetische Baum des Lebens, wobei »phylogenetisch« so viel heißt wie »stammesgeschichtlich«. Das Ganze ist also so etwas wie ein Familienstammbaum, nur dass hier nicht meine oder Ihre Verwandten und Vorfahren abgebildet sind, sondern die Verwandtschaft zwischen allen Lebewesen auf unserer Erde. Das Prinzip ist dabei gleich, das heißt, ein Schnittpunkt bedeutet einen gemeinsamen Vorfahren, und je kürzer die Strecke zwischen zwei Namen, desto enger sind die beiden verwandt.
Das ist wahrscheinlich immer noch ein bisschen abstrakt, wird aber klar, wenn wir uns das an unserer eigenen Familie verdeutlichen.
Der nächste gemeinsame Vorfahre zwischen mir und meiner Schwester ist meine Mutter. Der nächste gemeinsame Vorfahre meiner Tante und mir ist meine Oma. Da die Strecke zwischen mir und meiner Schwester kürzer ist als die zwischen meiner Tante und mir, sind meine Schwester und ich näher verwandt.
Das gleiche Spielchen kann man mit beliebigen Lebewesen machen, man muss dann nur die Entfernungen anpassen, damit es nicht so unübersichtlich wird. Also wird nicht jede einzelne Generation aufgelistet. Wenn Sie den oben abgebildeten phylogenetischen Stammbaum betrachten, werden Sie sehen, dass Tiere, Pilze und Pflanzen irgendwann in der Vergangenheit einen gemeinsamen Vorfahren hatten. Noch viel, viel früher hatten sogar »wir« (als Tiere, die wir sind) und die Bakterien einen gemeinsamen Vorfahren. Nur dass das eben nicht wie bei Ihnen und Ihrer Tante vielleicht sechzig Jahre her ist, sondern ein kleines bisschen länger. Der gemeinsame Vorfahre zwischen Tieren, Pflanzen und Pilzen zum Beispiel datiert so über den Daumen gepeilt 1 Milliarde Jahre zurück (nageln Sie mich da bitte nicht auf ein paar hunderttausend Jahre rauf oder runter fest).
Bakterien und Pilze: Die bekanntesten Mikroben
Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich alles? Nun, wenn Sie auf den Stammbaum schauen, sehen Sie eine unglaublich breit verzweigte und verschiedenartige Gruppe von Lebewesen, die mit »Bakterien« überschrieben ist. Das ist schon mal bemerkenswert, denn wir neigen dazu, die Bakterien, die unseren Darm besiedeln und solche, die typischerweise auf unserer Haut leben oder die aus Milch Joghurt machen, recht pauschal zu betrachten, obwohl wir als Menschen deutlich näher mit einem Champignon verwandt sind als diese Bakterien untereinander. Für diesen zugegebenermaßen despektierlichen Vergleich allein hätte ich aber nicht so weit ausholen müssen, deshalb sollten wir uns noch eine andere Sache klarmachen: Jedes Lebewesen ist aus Zellen aufgebaut. Die Bakterien bestehen bekanntlich nur aus einer einzelnen, und wenn ich schon meiner Cousine nicht mehr besonders ähnlich sehe, können Sie sich vielleicht vorstellen, dass die Zellen, aus denen Sie und ich aufgebaut sind, nicht mehr viel mit einer Bakterienzelle gemein haben. Und das ist durchaus nicht unpraktisch, denn das macht es uns zum Beispiel relativ einfach, ein Antibiotikum zu finden, das die Zelle eines Tuberkulosebakteriums kaputtmacht, aber die Zellen des Lungengewebes direkt daneben eben nicht, weil die zelluläre Struktur, die durch das Antibiotikum angegriffen wird, in dieser Form gar nicht in unseren Zellen vorkommt. Antibiotika sind übrigens so eine Art chemischer Kampfstoff, der ursprünglich aus Pilzzellen gewonnen wurde, weil die sich gegen Bakterien verteidigen mussten. Ein Blick auf den phylogenetischen Stammbaum reicht, um zu erklären, warum das funktioniert: Pilzzellen sehen eher aus wie tierische Zellen und sollten daher ebenso »immun« gegen das Antibiotikum sein wie unsere Körperzellen.
Pilze und Bakterien sind also nicht verwandt, und obwohl wir gerne mal von »Bakterienflora« sprechen, haben all diese Mikroorganismen auch nichts mit Pflanzen zu tun. Und die Zellen von Bakterien und Pilzen sind ebenfalls grundverschieden. Das äußert sich auch darin, dass die oben erwähnten einzelnen Bakterienzellen für sich lebensfähig sind, was für Pilze nicht unbedingt gilt. Wenn Sie sich eine Hefe genauer ansehen (die, mit der wir Brot backen oder auch Bier brauen), so besteht dieser Pilz nur aus einer einzelnen Zelle. Bei dem Schimmelpilz, der auf Ihrem Camembert wächst, sieht das jedoch anders aus: Diese Zellen bilden lange Fäden (die »Hyphen«), die sich wiederum zu einem dreidimensionalen Knäuel zusammenfinden können, das man »Mycel« (sprich: Müzehl) nennt.
Erstaunlicherweise lassen sich nicht nur recht komplizierte Formen, wie der Hut eines Champignons, aus diesem ziemlich chaotischen Zusammenschluss formen, dieses Gebilde kann auch noch unwahrscheinlich groß werden. Das Ganze spielt sich allerdings meistens unter der Erde ab, wo so ein Pilzfadengeflecht sich im Boden ausbreitet. Und wie! Das größte Pilzmycel wurde in Oregon gefunden und hatte eine Ausdehnung von sage und schreibe 9 Quadratkilometern, was etwas mehr als 1200 Fußballfeldern entspricht. Oben auf der Erde ist davon nicht viel zu sehen, denn dort bekommen wir in der Regel nur die Fortpflanzungsorgane der Pilze zu Gesicht, eben die Hüte, die dann als Pilzgulasch im Topf landen.
Anders als Pilze können Bakterienzellen keine so komplizierten Strukturen bilden, denn die einzelnen Zellen bleiben nach der Teilung mehr oder weniger unabhängig. Zwar formen manche auch Ketten, die dadurch entstehen, dass die neu gebildeten Zellen gewissermaßen an der alten »klebenbleiben« und einige Ketten bakterieller Zellen sehen dadurch Pilzhyphen erstaunlich ähnlich, aber es sind eben nach wie vor unabhängige Zellen. Die eukaryotischen Pilze (siehe die Unterteilung in Pro- und Eukaryota auf dem Stammbaum des Lebens) haben also einen Schritt vollzogen, den die Bakterien nicht geschafft haben: den Schritt hin zum mehrzelligen Organismus. In Perfektion besteht so ein Mehrzeller aus Geweben und Organen, also aus hoch spezialisierten Zellverbünden; das finden wir aber erst bei Pflanzen und Tieren.
Falls ich Sie nun verwirrt haben sollte mit all den vielen Begriffen und Zellstrukturen – hier kommt eine kleine Zeichnung, die hoffentlich Klärung bringt:
Wie Sie auf dem Bild links sehen, gibt es auch bei den Bakterien unterschiedliche Zellformen. Wobei die meisten Bakterien entweder eine Kugelform oder die Gestalt eines Stäbchens haben. Wissenschaftlich korrekt heißt eine kugelige Zelle Coccus, eine längliche Bacillus. Im Deutschen dürfen Sie übrigens auch von »Kokken« und »Bazillen« sprechen, wenn Ihnen diese Schreibweise besser gefällt. Warum ich Ihnen das nun wieder erzähle? Na ja, weil viele Bakterienarten so heißen, wie sie aussehen. Schauen wir uns doch ein paar Beispiele an. Hier kommen übrigens neben den Lateinern auch diejenigen von Ihnen richtig zum Zuge, die mal Altgriechisch gepaukt haben, denn viele Namen leiten sich aus dem Griechischen ab. Staphylococcus zum Beispiel, das ist ein kugelförmiges Bakterium, klar. Und da staphylos »Weinstock« oder »Weintraube« bedeutet, wäre auch klar, wie diese Kugelzellen zusammenhängen: in einer Traubenform nämlich. Noch ein Beispiel gefällig? Wie wäre es mit Lactobacillus? Das muss eine stäbchenförmige Zellform sein, wegen Bacillus; Lacto- kennen wir von »Lactose« (beziehungsweise heutzutage eher von »Lactoseintoleranz«), das ist der Milchzucker; Lacto- hat also etwas mit Milch zu tun (nach dem lateinischen Wort lac für Milch). Und was haben wir hier vor uns? Natürlich ein Milchsäurebakterium (hatten wir ja schon...
Erscheint lt. Verlag | 27.7.2018 |
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Illustrationen | Claire Lenkova |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik | |
Technik | |
Schlagworte | Allergie • Alltagstipps • Alltagswissen • Antibiotika • Ausscheidung • Bakterien • Blutvergiftung • Chemie • Cholera • Darm • Darm mit Charme • desinfizieren • E. coli • Ein Keim kommt selten allein • Ernährung • Erzählendes Sachbuch • Flora • Frank Thadeusz • Fußpilz • Geschirrspüler • Giulia Enders • Haare • Haushalt • Haushaltstipps • Haut nah • Hygiene • Infektion • Kacke • Keim • Klo • Körperpflege • Krankheit • Küche • Louis Pasteur • Markus Egert • Mikrobiologie • Mikrobiom • Milben • Noro • Pest • Phobie • Pilz • Putzen • Ratgeber Gesundheit • Reinigung • Resistenz • Robert Koch • Sachbuch Gesundheit • Sachbuch Medizin • Salmonellen • Sauberkeit • Scheiße • Schimmel • Seuche • Steril • Tbc • Toilette • Typhus • Verdauung • Viren • Waschen • Waschmaschine • Wasser • wissenschaft buch • Yael Adler |
ISBN-10 | 3-426-45277-4 / 3426452774 |
ISBN-13 | 978-3-426-45277-6 / 9783426452776 |
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Größe: 3,7 MB
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