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Die kommenden Plagen (eBook)

Neue Krankheiten in einer gefährdeten Welt
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
1018 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-562161-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die kommenden Plagen -  Laurie Garrett
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»Alte« Krankheiten, inzwischen gegen Medikamente resistent geworden, kehren wieder zurück, neue kommen hinzu. Aids ist nur die spektakulärste dieser neuen Plagen. Nicht minder bedrohlich sind resistente Tuberkulose und Cholera, gefährliche Bakterienmutanten und exotische Viren, die innerhalb von Stunden den Tod bringen können. Unversehens hat es den Anschein, als sei unser Arsenal an Heilmitteln und Impfstoffen wirkungslos oder zumindest weniger effektiv geworden. Wie ist es dazu gekommen? Welche Folgerungen ergeben sich daraus? (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Laurie Garrett, 1951 in Los Angeles geboren, hat Biochemie studiert und an den Universitäten Berkeley und Stanford immunologische Forschungen betrieben. Sie war jahrelang für Rundfunk, Fernsehen und Presse, unter anderem für die ?Washington Post?, als Journalistin tätig. Seit 1981 hat Laurie Garrett aus vielen Teilen der Welt über Aids berichtet und an mehreren Büchern zum Thema mitgewirkt.

Laurie Garrett, 1951 in Los Angeles geboren, hat Biochemie studiert und an den Universitäten Berkeley und Stanford immunologische Forschungen betrieben. Sie war jahrelang für Rundfunk, Fernsehen und Presse, unter anderem für die ›Washington Post‹, als Journalistin tätig. Seit 1981 hat Laurie Garrett aus vielen Teilen der Welt über Aids berichtet und an mehreren Büchern zum Thema mitgewirkt.

1 Machupo


Bolivianisches Hämorrhagisches Fieber

Jeder Versuch, die Welt zu formen und die menschliche Persönlichkeit zu modifizieren, um ein selbstgewähltes Lebensmuster zu erschaffen, beinhaltet viele unbekannte Konsequenzen. Das menschliche Schicksal muß ein Spiel bleiben, weil die Natur zu einer nicht vorhersehbaren Zeit und auf unvorhersehbare Weise zurückschlagen wird.

 

Mirage of Health, René Dubos, 1959

Karl Johnson hoffte inständig, daß ihn diese Krankheit bald tötete oder ihn jemand erschießen und von seinem Leid befreien würde. Das Wort »Agonie« war nicht stark genug. Er war in der Hölle.

Alle Nervenenden seiner Haut befanden sich im Alarmzustand. Er konnte nicht einmal den Druck eines Lakens ertragen. Wenn die Schwestern und Ärzte im Gorgas Hospital von Panama ihn berührten oder versuchten, Blutproben zu entnehmen, schrie Johnson innerlich auf – manchmal auch laut heraus.

Er war schweißnaß vor Fieber, fühlte eine beinahe paralytische Erschöpfung und den drückenden Schmerz, ähnlich, so dachte er, wie Hochleistungssportler, die es mit ihrem Training zu weit getrieben haben.

Als die Schwestern auf der Quarantänestation Johnson und seine beiden Kollegen zum erstenmal sahen, schreckten sie vor dem Anblick seiner blutgefüllten karmesinroten Augen zurück. Über Johnsons gesamten Körper wurden die winzigen Kapillaren, die als Nebenflüsse zu und von den Blutströmen der Venen dienten, durchlässig. Aus mikroskopisch kleinen Löchern sickerten Wasser und Blutproteine. Sein Hals schmerzte so sehr, daß er kaum sprechen oder Wasser trinken konnte. Die Wände seiner Speiseröhre waren roh und bluteten. Im Krankenhaus verbreitete sich die Kunde, daß die drei Opfer einer seltsamen und ansteckenden neuen Seuche seien, die sie sich in Bolivien geholt hätten.

In kurzen Augenblicken der Klarheit fragte Johnson, wie viele Tage schon vergangen seien. Als eine Schwester ihm mitteilte, es sei der fünfte Tag, stöhnte er.

»Wenn mein Immunsystem nicht bald einschreitet, bin ich ein toter Mann«, dachte er.

Er hatte es in San Joaquín viele Male gesehen. Einige starben nach nur vier Tagen, aber die meisten litten über eine Woche unter diesen Folterqualen.

Immer wieder dachte Johnson darüber nach, was er in diesem abgelegenen Dorf an der Ostgrenze Boliviens gesehen hatte. Er hoffte auf einen Einfall, der zu seiner Genesung beitragen und das Geheimnis von San Joaquín lösen konnte.

Alles hatte ein Jahr zuvor begonnen – im Juli 1962. Johnson war eben im Auftrag der Middle America Research Unit (MARU) in der Panamakanalzone eingetroffen. Er hatte genug davon, Atemwegsviren in den staatlichen National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, zu katalogisieren.

Seit er 1956 als junger Arzt von der Universität gekommen war, hatte Johnson in ermüdender Ausführlichkeit die Viren studiert, die Erkältung, Bronchitis und Lungenentzündung hervorriefen. Seine Arbeit wurde hochgelobt, aber der stets ungeduldige Johnson langweilte sich. Als er hörte, daß die National Institutes of Health Virologen für ihre Belegschaft in den MARU-Laboratorien suchten, ergriff er sofort diese Gelegenheit.

Kurz nach seiner Ankunft in Panama meldete sich sein neuer MARU-Kollege Ron MacKenzie freiwillig, um einem Team des amerikanischen Verteidigungsministeriums (Department of Defense, DOD) zu helfen, das in Bolivien Ernährungsumfragen durchführen sollte.

»Eine Ernährungsumfrage?« erkundigte sich Johnson höhnisch.

»Ich kann die Erfahrung gebrauchen, und ich war noch nie in Bolivien. Also warum nicht?« meinte MacKenzie.

Als MacKenzie und das DOD-Team den bolivianischen Gesundheitsminister in La Paz trafen, ließ der Minister sie wissen, daß er kein Problem damit habe, ihre Forschungen zu autorisieren, vorausgesetzt, sie kümmerten sich zuerst um ein dringlicheres Problem in einigen hundert Meilen Entfernung.

»Ich brauche Experten für geheimnisvolle Krankheiten, die einer Epidemie im Ostteil des Landes nachgehen.«

Aller Augen wandten sich MacKenzie zu, der als Kinderarzt und ausgebildeter Epidemiologe der Beschreibung am nächsten kam. Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum und murmelte, er könne kein Spanisch. Dabei versuchte er sich vorzustellen, wie der Osten Boliviens wohl aussehen mochte.

Amazonasgebiet

Der Minister fuhr in seinen Erläuterungen fort. Die geheimnisvolle Epidemie sei recht beachtlich, und zwei Ärzte aus La Paz hätten sie El Typho Negro genannt – schwarzer Typhus.

Am folgenden Morgen stand der große, etwas bäurische MacKenzie – in einem schwarzen Anzug mit gestärktem Hemd und blankpolierten Schuhen – auf dem Rollfeld von La Paz mit einem Aktenkoffer zu seinen Füßen. Er begrüßte den bolivianischen Arzt Hugo Garrón, den Mikrobiologen Luis Valverde Chinel und einen örtlichen Politiker. Dann bestieg das Quartett einen alten B-24-Bomber in Richtung Magdalena, in der östlichen Grenzregion des Landes. MacKenzie suchte die Sitze – es gab keine. Das Flugzeug war ausgeräumt worden, um Fleisch zu transportieren, die einzigen Passagiere an Bord waren normalerweise Rindfleischhälften.

Also stand MacKenzie hinter dem Piloten und klammerte sich während der langen Beschleunigungsphase auf dem kiesigen Rollfeld verzweifelt an der Kabinenwand fest. Da La Paz auf einer Höhe von über 3900 Metern lag, konnten die Flugzeuge nur bei großer Geschwindigkeit abheben. Nach einer anscheinend ungeheuerlich langen Zeit zog der Mechaniker, ein bolivianischer Indianer, der zwischen dem Piloten und dem Copiloten kauerte, an einem Hebel auf dem Boden des Cockpits das Fahrgestell ein, und sie hoben ab.

Wie ein müder alter Kondor kreiste der Bomber mehrere Male langsam über La Paz, stieg in Spiralen auf 5000 Meter, hoch genug, um durch einen engen Paß zwischen den Andengipfeln, die sich über La Paz auftürmten, hindurchzufliegen. MacKenzie starrte entgeistert auf die Eislawinen, die gefährlich nahe kaskadenartig von den Klippen herabstürzten.

Als das Flugzeug dem Klaustrophobie auslösenden Bergpaß entronnen war, wurde es von einem dichten Nebel eingehüllt, der den Piloten zwang, nur mit Hilfe der Instrumente zu fliegen: einem magnetischen Kompaß, einer Stoppuhr, einer Landkarte und einem Notizblock.

MacKenzie waren das bereits genug Abenteuer. Vor nur drei Jahren hatte er in einer Kleinstadt auf dem Lande nördlich von San Francisco die gebrochenen Knochen von Kindern geflickt und ihnen Schutzimpfungen verabreicht. Diese neue Heldentat war doch gefährlicher als alles, auf was er gehofft hatte, als er die Privatpraxis verließ, um für das öffentliche Gesundheitswesen zu arbeiten.

Als das Flugzeug langsam in den Nebel tauchte, fühlte MacKenzie, wie Hitze und Feuchtigkeit zunahmen. Unter seinem steifen Hemd kam er ins Schwitzen. Die Nebeldecke brach auf, und er sah scheinbar endlose Grassavannen unter dem Flugzeug dahingleiten. Sie wurden von kleinen, bewaldeten Altura-Bergen und langen mäandernden Flüssen unterbrochen, an deren Ufern dünne Bandas-Streifen von Regenwald wuchsen.

»Sieht aus wie in Florida«, dachte MacKenzie. »Ein bißchen wie in den Everglades.«

Nach weiteren zwei sich dahinziehenden Stunden landete das Flugzeug in der Kleinstadt Magdalena. MacKenzie traute seinen Augen nicht.

»Meine Güte«, rief er aus. »Da draußen müssen an die zweihundert Menschen um das Flugzeug herumstehen.« Die Frauen in der Menge waren alle in Schwarz gekleidet, die Männer trugen schwarze Armbinden. Die trauernden Menschen von Magdalena hatten sich versammelt, um »die Experten« zu begrüßen, die gekommen waren, um ihrer Epidemie ein Ende zu bereiten.

»Experten?« brummte MacKenzie und warf einen zweifelnden Blick auf Valverde Garrón. »Tja, das bin dann wohl ich.«

Zusammen mit seiner trauernden Begleitung wich das Quartett entlang den verstreuten strohgedeckten Häusern aus Lehmziegeln auf seinem Weg zum Marktplatz des Ortes schwerfälligen Ochsenkarren aus. Der Marktplatz selbst war ein großer Hof, umgeben von einer runden Arkade und den Häusern und Läden von Magdalena. Eine traurige Lethargie durchdrang alles.

In der winzigen Klinik von Magdalena fand MacKenzie ein Dutzend Patienten vor. Sie krümmten sich vor Schmerzen.

»Mein Gott!« rief er aus. Er mußte mit ansehen, wie einer nach dem anderen Blut erbrach. MacKenzie schauderte und fühlte die schreckliche Verantwortung seiner Position. Er verfluchte die Naivität, mit der er in diese Situation geraten war. Es schien ihm, als ob er erst gestern in einer Klinik in Sausalito Antibiotika an Kinder verteilt hatte, deren fröhliches Spiel durch einen rauhen Hals nur kurz unterbrochen worden war. Was MacKenzie auf dieser Krankenstation sah, zwang ihn dazu, seine Ausbildung als Kinderarzt beiseite zu schieben und für den Augenblick aus den Lektionen an Mut und Schrecken Kraft zu ziehen, die er während der Kämpfe im Zweiten Weltkrieg gelernt hatte.

Man sagte ihm, daß die meisten Kranken aus Orobayaya kamen. Der bloße Name dieses abgelegenen Dorfes ließ die Magdalenistas erschaudern. Sie sprachen mit unverhüllter Furcht davon.

Bald schon kauerte der hochaufgeschossene MacKenzie, der die Bolivianer weit überragte, in einem Einbaumkanu, das im Mondlicht flußaufwärts in das heimgesuchte Dorf unterwegs war. Als sie über den Fluß glitten, sah MacKenzie riesige »Hölzer« – viel größer als ihr Kanu – vom Ufer ins Wasser...

Erscheint lt. Verlag 29.6.2018
Übersetzer Tatjana Kruse
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Epedemie • Impfstoffe • Krankheiten • Pandemie • Restistenz • WHO
ISBN-10 3-10-562161-X / 310562161X
ISBN-13 978-3-10-562161-5 / 9783105621615
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