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Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft (eBook)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
704 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-562159-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft -  Hans Joachim Störig
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Vom Autor des Bestsellers ?Kleine Weltgeschichte der Philosophie? Die Wissenschaft ist ein selbstverständlicher Teil unserer Kultur und Gesellschaft. Doch das war nicht immer so. Sie hat sich über Tausende von Jahren entwickelt, bis sie zu dem wurde, was sie heute ist. Hans Joachim Störig erzählt anschaulich und spannend ihre Geschichte: von den Vorstufen und Anfängen in der Antike und im Orient über den Beitrag des Islam und des Mittelalters bis hin zur Entstehung der modernen Natur- und Geisteswissenschaft. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Hans Joachim Störig, geboren 1915 in Quenstedt/ Harz, lehrte an der Universität München. Er starb 2012 in München.

Hans Joachim Störig, geboren 1915 in Quenstedt/ Harz, lehrte an der Universität München. Er starb 2012 in München.

2 Blick auf die Vergangenheit


Wenn das Denken den Versuch unternimmt, Grundzüge und Eigenarten unseres irdischen und menschlichen Lebens sich bewußt zu machen oder weitläufige geschichtliche Zusammenhänge zu überschauen, taucht seit dem klassischen Vorgang Voltaires immer wieder die Figur des verstandesbegabten Mars- oder Siriusbewohners auf, der den gedachten Vorgang unbefangen und unvoreingenommen gleichsam von außen betrachten kann. Der Hilfsvorstellung eines außerirdischen Beobachters wollen auch wir uns vorübergehend bedienen, um am Anfang unserer Betrachtung einen möglichst hohen Blickpunkt zu gewinnen. Stellen wir uns also einen Beobachter in großer Höhe über der Erdoberfläche vor, begabt mit einem Fernblick, der ihn Einzelheiten erkennen läßt bis in annähernd diejenige Größenordnung, in der wir Menschen uns bewegen. Statten wir ihn aus mit einem Zeitraffer-Blick, wie wir ihn aus der Filmtechnik kennen. Vorgänge, deren Dynamik unserem normalen Blick entgeht, weil ihr zeitlicher Rhythmus verglichen mit dem unseres eigenen Lebens zu langsam ist – wie das Wachstum der Pflanzen und ihr Drängen zum Licht – werden uns erst in solcher zeitlichen Verdichtung anschaulich.

Drei Milliarden Jahre besteht unsere Erde[1]. Erst im letzten Fünftel ihrer Geschichte bemerkt unser Beobachter die ersten Spuren des Lebens auf ihr. Jedenfalls reichen die ältesten uns bekannten Spuren des Lebens nicht weiter zurück als etwa 600 Millionen Jahre. Unablässig wandelt sich durch diese gewaltigen Zeiträume das Bild der Erdoberfläche auf Grund geologischer und vielleicht kosmischer Vorgänge, die teils mit katastrophenartiger Plötzlichkeit, im ganzen aber doch vorwiegend allmählich und fast unmerklich wirken. Kontinente, Meere und Gebirge entstehen und vergehen. In immer erneuter Anpassung an die geologischen und die mit ihnen verbundenen klimatischen Umbildungen entfaltet sich das Leben im Kommen und Gehen zahlloser Generationen zu immer weiter und vielgestaltiger verzweigten Arten und zu immer höher organisierten Formen. Etwa mit dem Beginn des letzten Zehntels seiner Entwicklung hat es die Stufe der Vögel und höheren Säugetiere erreicht. Wir befinden uns jetzt schon in der zweitjüngsten der geologischen Perioden, dem Tertiär, in dem unser europäischer Kontinent mit der Auffaltung der Alpen die uns jetzt vertraute Gestalt annimmt.

Nur die letztvergangene Million Jahre umfaßt das Quartär als jüngste der geologischen Epochen. Es ist gegliedert durch die großen Eiszeiten, die einander im Rhythmus von Jahrzehntausenden oder Jahrhunderttausenden folgen. In irgendeiner der Eiszeiten oder wärmeren Zwischenperioden (in deren einer auch wir uns vermutlich befinden) tauchen zum erstenmal Wesen auf, die wir nach den gefundenen Überresten als menschenähnlich erkennen. Im letzten Zehntel des Quartär, also im letzten Jahrhunderttausend, tritt der Homo sapiens auf und beginnt, seine besondere und allmählich herrschende Stellung unter den Lebewesen zu erkämpfen.

So sehr nun diese »vor-geschichtliche« Zeit der eigentlichen Menschwerdung für alles, was später aus dem Menschen wird, die wahrhaft entscheidende ist – für unseren fernen Beobachter werden die äußeren Anzeichen dieses Prozesses doch nur langsam und fast unmerklich sichtbar. Hervortretende Züge mögen die Beherrschung des Feuers durch den Menschen, die Herstellung und Verwendung einfacher Werkzeuge, der Bau von Hütten und primitiven Wasserfahrzeugen, die Zähmung der Tiere sein; das Bild der Erdoberfläche im ganzen wird gleichwohl hiervon wenig Spuren aufweisen und nach wie vor durch den jahreszeitlichen Wechsel von Klima und Vegetation so gut wie ausschließlich bestimmt sein.

Das wird erst anders wiederum etwa mit dem letzten Zehntel der Geschichte des Menschen, also im Verlauf der letzten zehntausend Jahre. Es entstehen, ermöglicht durch den Übergang der Menschen von Sammlertätigkeit und primitiver Jagd zu Viehzucht und Ackerbau, mit dem vierten vorchristlichen Jahrtausend – es kommt hier nicht auf Datierungen, sondern nur auf Größenordnungen an – die sogenannten Hochkulturen, von denen an wir erst von menschlicher Geschichte im eigentlichen Sinne sprechen. Nun beginnt die Erde – man ist versucht zu sagen mit einem Schlage, obwohl auch hier der Übergang eher ein gradweiser gewesen sein dürfte – für unseren Betrachter deutliche Spuren der Herrschaft des Menschen und seiner planmäßigen Einwirkung auf die Natur zu zeigen. Denn der Mensch – obzwar selber ein Stück und Glied der Natur – beginnt nun, in der Natur und auf ihrem Boden zwar, »aber im allgemeinen ihrem Stil zuwider«[2], eine eigene Welt zu erbauen. Er schlägt die Wälder, baut Siedlungen, große Städte mit aufragenden Bauwerken, legt Straßen an, Brücken, Kanäle, Bewässerungsanlagen, durchquert die Meere, durchwühlt die Erde nach ihren Schätzen. All dies formt das natürliche Gesicht der Erde zur sogenannten Kulturlandschaft um. Das Ausmaß dieser Veränderungen würde unserem Beobachter auch einen Rückschluß erlauben auf die im Schutz der Zivilisation eingetretene Vermehrung der Menschenzahl. Sie dürfte von wenigen Millionen zur Zeit der kollektiven Jagd bis zur Größenordnung von etwa 100 Millionen im ersten vorchristlichen Jahrtausend zugenommen haben[3].

Die Hochkulturen ergreifen zunächst nur begrenzte und gegeneinander weitgehend isolierte Bezirke der Erdoberfläche. Wie vereinzelte Inseln im sie umwogenden Meere der Natur mögen sie unserem Beobachter erscheinen. Die Veränderungen, die sie hervorrufen, sind auch zunächst zum großen Teile nicht dauernd. Die Straßen, Städte und kunstvollen Bewässerungsanlagen von Mohenjo Daro in Indien, von Assyrien und Babylon, die der mittelamerikanischen Hochkulturen und andere, sie blühen auf und versinken wieder wie Inseln im Meere; Wüstensand oder Urwald überdecken ihre Ruinen. Einzelne Gebiete, vielleicht solche mit besonders günstigen natürlichen Voraussetzungen, behalten aber den Charakter der Kulturlandschaft durch die Jahrtausende.

Das schon erwähnte Anwachsen der Erdbevölkerung steht mit der Ausbreitung menschlicher Kultur im unmittelbaren Zusammenhang – Kultur hier selbstverständlich verstanden in dem weiten Sinne, in dem Zivilisation nicht aus-, sondern eingeschlossen ist. So wie die räumliche Ausbreitung der Hochkulturen zwar in einem Auf und Ab, im ganzen aber doch vorwärts geht, so geht in dem hier betrachteten Zeitabschnitt vom Entstehen der Hochkultur bis zum Beginn der europäischen Neuzeit die Entwicklung der Bevölkerungszahl zwar auf und ab unter dem Einfluß von Naturkatastrophen, Seuchen und Kriegen, im ganzen aber ebenfalls aufwärts. Denken wir sie in einer Kurve dargestellt, so ist deren Verlauf wellenförmig, die Gesamttendenz aber steigend – und um so steiler, je weiter die Zeit fortschreitet. Sie überschreitet in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten die 200-Millionen-Marke und erreicht bis zum Ausgang des europäischen Mittelalters 500 Millionen.

Der letzte Zeitabschnitt, dem wir uns nun zuwenden, ist die sogenannte Neuzeit herkömmlicher abendländischer Zeitrechnung. Das seit dem Stichjahr 1500 n. Chr. verflossene halbe Jahrtausend umfaßt wiederum etwa ein Zehntel der gesamten bisherigen Lebenszeit der Hochkulturen. Die Kurve der Bevölkerungsentwicklung wird jetzt ziemlich stetig in ihrem Verlauf – auch die beiden Weltkriege haben daran nichts geändert – und immer steiler steigt sie an. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wird die Milliardengrenze, im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Zwei-Milliarden-Grenze überschritten.

Im Einklang mit der Vermehrung der Zahl der Menschen schreiten die von ihnen hervorgebrachten Veränderungen ihrer Welt fort. Mit dem Zeitalter der Entdeckungen, das am Beginn der Neuzeit steht, werden die bis dahin weitgehend gegeneinander isolierten Kulturlandschaften der Erde erstmalig zu einem einheitlichen globalen Wirkungszusammenhang zusammengeschlossen. Nun erst ergreifen die Menschen eigentlich Besitz von der ganzen Erde. Sie ersteigen die höchsten Berge, durchqueren das ewige Eis der Polargebiete. Ihre Schiffe umfahren die ganze Erde. Neue menschenleere oder menschenarme Kontinente werden von Europa aus entdeckt, erschlossen und besiedelt.

Mit dem Beginn des Industriezeitalters wird der ganze Prozeß sozusagen wiederum mit einem Ruck zu seinem uns heute bekannten Tempo beschleunigt. Millionenstädte und gewaltige Fabrikanlagen schießen aus dem Boden. Ein Netz von Straßen und Eisenbahnen, von Kabeln und Röhren, Strom- und Nachrichtenleitungen überzieht den Erdball. Flüsse und Ströme werden kanalisiert, umgeleitet oder zu riesigen Wasserspeichern gestaut. Endlich wird der Luftraum erobert.

Da der Verstand, mit dem wir unseren Beobachter ausgestattet haben, immer nur ein menschlicher sein kann – denn einen anderen vermögen wir uns nicht wirklich vorzustellen – so dürfen wir nun wohl vermuten, daß ihn angesichts dieses Schauspiels eine brennende Neugierde ergreifen wird. Denn was zeichnet den menschlichen Verstand mehr aus als die aus staunendem Verwundern geborene Frage nach dem Warum? Was ist die Ursache – wird er fragen – welche diese, verglichen mit den vorangegangenen unermeßlichen Zeiträumen langsamen Fortschreitens, schier atemberaubende Beschleunigung des Wandlungsprozesses hervorruft? Und welches ist das unbekannte Ziel, dem der Prozeß in anscheinend immer beschleunigterem Tempo zurollt?

Um das zu bestimmen, muß man die der Entwicklung zugrunde...

Erscheint lt. Verlag 29.6.2018
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Geisteswissenschaft • Gesellschaft • Kultur • Naturwissenschaft • Wissenschaft
ISBN-10 3-10-562159-8 / 3105621598
ISBN-13 978-3-10-562159-2 / 9783105621592
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