What's next... (eBook)
415 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44009-5 (ISBN)
Sophie Pfaff promovierte im Fach Soziologie an der Universität Halle-Wittenberg.
Sophie Pfaff promovierte im Fach Soziologie an der Universität Halle-Wittenberg.
Inhalt
Einleitung 9
1 (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern 19
1.1 (Un)Sicherheit 19
1.1.1 Sicherheit als zentrale Wertidee der Moderne 20
1.1.2 (Un)Sicherheit als Wissensproblem 27
1.1.3 (Un)Sicherheit zwischen Handlung und Struktur 36
1.1.4 (Un)Sicherheit als Identitätsproblem 42
1.1.5 Zwischenfazit 45
1.2 (Un)Sicherheitspotentiale in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern 47
1.2.1 (Un)Sicherheit durch subjektivierte Arbeitsorganisation 48
1.2.2 (Un)Sicherheit im Kunstfeld 71
1.2.3 (Un)Sicherheit durch Körperarbeit 86
1.2.4 (Un)Sicherheit transnationaler Lebensverläufe 94
2 Das Tanzfeld 102
2.1 Das Feld wird abgesteckt 103
2.2 Tanz als unmittelbare, flüchtige und fragile Kunstform 104
2.3 Kleine Geschichte der symbolischen Differenzierungen innerhalb des Tanzfeldes 106
2.3.1 Ballett 107
2.3.2 Innovationsbewegungen 117
2.3.3 Aktuelle Tendenzen 125
2.4 Ökonomische und kulturpolitische Strukturen des Tanzfeldes in Deutschland und den Niederlanden 130
2.4.1 Tanz als Teil des Kultursektors 130
2.4.2 (Tanz-)Kunst als Beruf 131
2.4.3 Andere Länder, andere Modelle - Kulturfinanzierung und -politik 141
2.5 Soziale Positionierung im Tanzfeld 149
2.5.1 Ausbildung 150
2.5.2 Berufliche Positionierung 152
2.5.3 Zweite Karriere 156
3 Forschungsdesign 159
3.1 Methodologischer Rahmen der Studie 159
3.1.1 Rekonstruktive Sozialforschung 159
3.1.2 Systematischer Vergleich und Konstruktion von Idealtypen 161
3.1.3 Prozesshaftigkeit sozialer Strukturen 165
3.2 Erhebung und Auswertung 167
3.3 Problematisierung der Mehrsprachigkeit des Datenmaterials 182
4 Vier Perspektiven auf (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern 189
4.1 Wahrnehmung und Bewertung projektbasierten Arbeitens 190
4.1.1 (Un)Sichere Projektarbeit 190
4.1.2 Drei Fälle 193
4.1.3 Vergleichende Diskussion der Ergebnisse 221
4.2 Herstellung biografischer Sicherheit über die Positionierung als Künstlerin oder als Künstler 229
4.2.1 Kunst als Sinn- und Handlungssphäre 229
4.2.2 Positionierung innerhalb des Kunstfeldes im engen Sinn 230
4.2.3 Positionierung innerhalb des Kunstfeldes im weiten Sinn 253
4.2.4 Kontrastierung der Typen 266
4.3 Der Körper als Generator von (Un)Sicherheit 270
4.3.1 Riskante Körperpraxis Tanz 270
4.3.2 Methodische Vorbemerkung 272
4.3.3 Körperideale und -praktiken im Tanzfeld 274
4.3.4 Körperkrisen und deren Bewältigung 298
4.3.5 Zwei Kernkategorien 318
4.4 Transnationale Biografien zwischen lokalen und globalen Positionierungen 323
4.4.1 Normalität I: Das Kunstsystem als transnationaler Identitätshorizont 325
4.4.2 Normalität II: Das Tanzfeld als strukturell isomorphes, transnationales Organisationsfeld 326
4.4.3 Referenzfall Melanie - Praktische Internationalität 328
4.4.4 Typenskizze: Kosmopoliten, Internationale, Lokale 346
4.4.5 Konturierung der Typen anhand weiterer Referenzfälle 348
4.4.6 Zwischenfazit 360
5 Schlussbetrachtungen 365
5.1 (Un)Sicherheit in Biografien - Ein Modell 366
5.2 Zentrale Befunde 373
5.3 Eigensinnige biografische Strukturierung in der späten Moderne 382
Abbildungen und Tabellen 389
Literatur 390
Anhang 409
Dank 414
Einleitung 'What's next...' - Biografien sind unübersichtlicher, spontaner, flexibler geworden in der späten Moderne. Wohin geht es? Aber auch: Ergibt die Vergangenheit Sinn? Kann man einzelne Phasen des Lebens und Arbeitens in einen Zusammenhang bringen, persönliche Identität stiften? Und wie können angesichts dieser Gemengelage Entscheidungen getroffen werden? Diese Arbeit untersucht (Un)Sicherheit in Biografien von Bühnentänzerinnen und -tänzern. In einem rekonstruktiven Forschungsdesign wird Unsicherheit für diese Gruppe nicht unweigerlich angenommen oder Sicherheit normativ gefordert. Vielmehr wird das Phänomen im Rahmen der Sinn- und Relevanzstrukturen der Akteurinnen und Akteure betrachtet. Mit den Tänzerinnen und Tänzern steht eine soziale Gruppe im Zentrum, die bisher soziologisch kaum beachtet wurde, welche jedoch - neben der offensichtlichen kunstsoziologischen Relevanz - Anknüpfungspunkte an aktuelle Debatten um Arbeitsorganisation, die körperliche Dimension des Sozialen und Transnationalisierungsprozesse bietet (vgl. 1.2). Unter prekären Arbeitsbedingungen lebende Künstlerinnen und Künstler sind Sozialfiguren, die schon lange Bestandteil des alltäglichen Wissensvorrates sind. Dass sie jedoch auch über den engen Bereich der Kunst hinaus als Beispiele für eine neue Form des Arbeitens (und Lebens) gelten können, ist in soziologischer Hinsicht spannend. Diese These wird in der Arbeitssoziologie aus unterschiedlichen Richtungen vertreten. Luc Boltanski und Ève Chiapello beobachten in ihrer Studie Der neue Geist des Kapitalismus, dass Künstlerinnen und Künstler in der Manager-Ratgeberliteratur immer wieder als Vorreiterinnen und Vorreiter des projekt- und netzwerkbasierten Arbeitens auftauchen (Boltanski und Chiapello 2006). Auch Pierre Menger schließt in seinen Forschungen zu Künstlerarbeitsmärkten an die These an, dass Künstlerinnen und Künstler trotz ihrer kritischen Haltung gegenüber der Ökonomie ironischerweise immer deutlicher ein 'Idealbild des Arbeitnehmers der Zukunft' (Menger 2006, 10) darstellen würden und als 'Vorreiter bei der Erprobung (hyper)flexibler Arbeitsformen' betrachtet werden können (Menger 2006, 70). Auch im deutschsprachigen Diskussionszusammenhang erhält der Arbeitsmarkt von Künstlerinnen und Künstlern in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit. Nachdem dieser lange als 'exotische Nische', als Abweichung von der Norm angesehen wurde und somit auch nicht im Zentrum des Interesses von Arbeitssoziologinnen und -soziologen stand, rückt er mit dem neuerlichen Strukturwandel von Arbeit wieder stärker auf den (Forschungs-)Plan (Manske und Schnell 2010, 699). So weisen Carroll Haak und Günther Schmid darauf hin, dass durch eine nähere Betrachtung des Arbeitsmarktes von Künstlerinnen und Künstlern (und Publizistinnen und Publizisten) Charakteristika aufgezeigt werden können, 'die künftige Veränderungen des Arbeitsmarktes im Kern vorwegnehmen' würden und dass dort auch Lösungsmöglichkeiten für dabei auftretende Probleme gefunden werden könnten (Haak und Schmid 2001, 159). Zentraler Punkt in der Diskussion um die aktuellen Entwicklungen der Strukturen von Arbeit sind die Unsicherheiten, die durch die Deregulierung von Arbeit und den damit verbundenen Flexibilisierungs- und Subjektivierungstendenzen für die Einzelnen entstehen. Die entsprechenden Forschungsarbeiten sind von der Figur des Verlustes geprägt. Dort wird ein Verlust von Sicherheiten beschrieben, die mit dem sogenannten 'Normalarbeitsverhältnis' verbunden sind, also vor allem von staatlichen Absicherungen gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter. Wenn nun 'atypische' Beschäftigungsformen an Bedeutung gewinnen, bedeutet das in dieser Logik auch die Zunahme von Unsicherheiten. Gleichzeitig wird - in unterschiedlichem Ausmaß - der gegenwärtige Strukturwandel von Arbeit als ambivalent bewertet. Denn flexibilisierte Arbeit eröffnet den Einzelnen auc Gestaltung von Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsweise. Eine ähnliche Ambivalenz wird auch in Beiträgen zur Soziologie der 'Zweiten Moderne' festgestellt (Bauman 2003, 2008; Beck 1987; Beck und Beck-Gernsheim 1993; Bonß 1995; Hitzler und Honer 1994; Sennett 1998). Dort tritt das Phänomen der Unsicherheit zunächst ebenso als Verlust auf, hier in einer größeren Breite von Lebensbereichen. Neben dem Verlust der vergesellschaftenden Funktion von Arbeit, wird auch der Verlust anderer sozialer Institutionen wie Klasse oder Lebenslauf beschrieben. Dadurch werden die Einzelnen freigesetzt aus bis dato bestimmenden Strukturen und werden einerseits in die Pflicht genommen bzw. erhalten andererseits die Chance, ihr Leben selbst zu gestalten. Ausgehend von diesen Überlegungen können Tänzerinnen und Tänzer in einem ersten Schritt als besonders akzentuierter Fall angesehen werden, was die beschriebene Ambivalenz des spätmodernen Arbeitens und Lebens betrifft. So war eine der Ausgangshypothesen dieses Forschungsprojektes, dass sich für Biografien von Tänzerinnen und Tänzern strukturell betrachtet ein hohes biografisches Unsicherheitspotential ausmachen lässt. Zusätzlich zum traditionell vorwiegend projektbasierten Arbeiten als Tanzkünstlerin oder Tanzkünstler sind gerade in den letzten Jahren in beiden Untersuchungsgebieten (in Deutschland und den Niederlanden) durch Kürzungen in öffentlichen Kulturetats kontinuierlich sogenannte 'normale' Arbeitsstellen für Tänzerinnen und Tänzer weggefallen. In Folge dessen hat in beiden Ländern das Arbeiten als Freelancer in dieser Berufsbranche zugenommen. Die staatlichen Instrumente der sozialen Sicherung sind jedoch nur unzureichend an diese neuen 'normalen' Arbeitsverhältnisse angepasst worden. Darüber hinaus haben die Tänzerinnen und Tänzer im Vergleich zu anderen Künstlergruppen mit tanzspezifischen Unsicherheitspotentialen wie der Notwendigkeit einer zweiten Karriere ab ungefähr dem 40. Lebensjahr und dem Risiko der Arbeitsunfähigkeit durch Verletzungen sowie mit anderen Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu tun. Andersherum betrachtet ist die Kunst in modernen Gesellschaften ein Bereich, in dem der Wert der Freiheit eine große Rolle spielt. So eröffnet das selbstständige Arbeiten neben den damit verbundenen Risiken auch größere Spielräume für eine weitgehend selbstbestimmte Arbeitsgestaltung. Auch die im transnationalen Feld des Bühnentanzes institutionalisierte Praxis des Netzwerkens stellt eine mögliche Form der biografischen Absicherung dar, die Alternativen zu nationalstaatlich regulierten sozialen Sicherungen bietet. Ein genauerer Blick auf die Biografien von Tänzerinnen und Tänzern eröffnet also die Möglichkeit, eine Künstlergruppe näher zu betrachten, für die ein ambivalentes Zusammenspiel von (neuen) Unsicherheiten und zukunftsweisenden Formen der Herstellung von Sicherheit anzunehmen ist. Ob (Tanz-)Künstlerinnen und Künstler nun tatsächlich Vorreiterfiguren für das Arbeiten und Leben in der späten Moderne darstellen, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Vielmehr werden am Beispiel der Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer in Biografien empirisch beobachtbare Formen von (Un)Sicherheit aufgezeigt und anschließend die aus dem Datenmaterial gewonnenen Ergebnisse in Bezug auf das Thema der biografischen (Un)Sicherheit theoretisch verdichtet. Bisher gibt es kaum soziologische Studien zur Berufsgruppe der Tänzerinnen und Tänzer. In der Statistik fallen diese meist unter den Sammelbegriff der 'darstellenden Künstlerinnen und Künstler'. Und auch qualitative Erhebungen sind an einer Hand abzuzählen. Helena Wulff hat mit ihrer ethnografischen Studie Ballet across borders - Career and culture in the world of dancers Pionierarbeit für eine Beschreibung der sozialen Welt des westlichen Bühnentanzes geleistet (Wulff 1998). Allerdings ist Wulffs Stu bleibt letztlich beim Beschreibenden stehen. Ein wichtiger Ausgangspunkt für diese Arbeit waren jedoch Wulffs transnationaler Ansatz und ihre Betrachtung der Welt der Tänzerinnen und Tänzer als typischer Fall transnationaler professioneller Verbindungen. Als weitere für diese Studie zentrale bisherige Forschung zur Berufsgruppe der Tänzerinnen und Tänzer sind für das Tanzfeld in den Niederlanden die Arbeiten von Anna Aalten zu nennen. Aalten hat zum Teil biografieanalytisch gearbeitet und insbesondere für das Thema des Körpers und der Gesundheit von Tänzerinnen und Tänzern bietet sie Anknüpfungspunkte für die hier präsentierten empirischen Ergebnisse (Aalten 2002, 2004, 2005, 2007, 2008). Auch der Körpersoziologe Bryan S. Turner fokussiert in seiner mit Steven P. Wainwright am Royal Ballet in London durchgeführten Forschung das Thema von Karriereverläufen von Tänzerinnen und Tänzern aus einer Körperperspektive. Dabei stehen die Themen Altern und Verletzungen im Zentrum. All diese Untersuchungen konzentrieren sich jedoch auf die an Theaterhäusern oder großen Kompanien beschäftigten Tänzerinnen und Tänzer. Gerade die freischaffenden, meist im Bereich des zeitgenössischen Tanzes beschäftigten Tänzerinnen und Tänzer sind jedoch besonders interessant, wenn es um das Unsicherheitspotential flexibilisierter, subjektivierter Verhältnisse des Arbeitens und Lebens geht. Diese Gruppe wird in dieser Studie stärker berücksichtigt. In der aktuellen soziologischen Forschung taucht die oben skizzierte Zeitdiagnose der Zunahme von Unsicherheit zwar immer wieder auf, für die Unsicherheitsforschung insgesamt hat sich in der Soziologie bisher jedoch kein einheitlicher theoretischer Diskussionszusammenhang herausgebildet, wie er für die Diskussionen um Ungleichheit, Organisation, Geschlecht oder ähnlich etablierten Spezialsoziologien existiert. Diese Arbeit will zu diesem Projekt beitragen, indem sie das Phänomen der (Un)Sicherheit im Rahmen einer gegenstandsbezogenen Theoriebildung näher ausleuchtet. Die hier eingenommene Forschungsperspektive auf den Gegenstandsbereich der (Un)Sicherheit ist eine biografische. Dabei wird von den einzelnen Biografieträgerinnen und -trägern ausgegangen. Ihre Sinnsetzungsprozesse, das Thema der (Un)Sicherheit betreffend, stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Damit verortet sich dieses Forschungsprojekt innerhalb des qualitativ-rekonstruktiven Paradigmas der Sozialforschung. Grundannahme ist, dass sozialwissenschaftliche Theoriebildung den Konstruktionen des alltäglichen Wissensvorrates adäquat sein sollte. In diesem Sinne ist die hier vorgestellte Theorie über (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern nach Alfred Schütz als eine 'Konstruktion zweiten Grades' zu verstehen (Schütz 2004 [1953], 159). Der besondere Ertrag einer biografisch-rekonstruktiven Perspektive auf das Thema der (Un)Sicherheit liegt in der Möglichkeit weitestgehend werturteilsfrei an den Gegenstand heranzugehen, sich als Forscherinnen und Forscher frei zu machen von eventuellen Vorkategorisierungen des Phänomens. Für das Thema der (Un)Sicherheit wurde an verschiedenen Stellen kritisiert, dass die Debatte darüber normativ geführt werde. Monika Wohlrab-Sahr weist auf die in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung verbreiteten Thematisierung von 'Unsicherheit als Mangel- oder Erosionserscheinung' bzw. auf die 'Pathologisierung von Unsicherheit' hin (Wohlrab-Sahr 1993, 35f.). Neueren Datums fordert Jens O. Zinn eine Versachlichung der Debatte über (Un)Sicherheit, namentlich in der Biografieforschung (Zinn 2006a). Zinn wie auch andere Vertreterinnen und Vertreter der zeitgenössischen Biografieforschung wie Thomas Schäfer und Bettina Völter sehen die Herausbildung des Biografiekonzepts in engem Zusammenhang mit der von Michel Foucault beschriebenen Genealogie des modernen Subjekts (Schäfer und Völter 2005). So wird von Zinn, Schäfer und Völter zit der Gedanke von selbst verantwortlichen, autonom handelnden Biografieträgerinnen und -trägern und die Erwartung der Kohärenz von Lebensgeschichten präsent sind und dass folglich Unsicherheiten im Handeln oder der biografischen Repräsentation als Leiden, zu bewältigende Krisen oder problematische Identität betrachtet würden. Zinn, Schäfer und Völter wie auch vorliegende Arbeit wollen eine durch die Subjektkritik aufgeklärte Biografieforschung betreiben und die Herausforderung annehmen 'als ForscherIn noch selbstreflexiver und methodisch kontrollierter der zuweilen naheliegenden Verführung zu widerstehen, einheitsstiftende Sinnlogiken zu unterstellen' (Schäfer und Völter 2005, 178). Somit wird im Folgenden gefragt: Tritt (Un)Sicherheit in den biografischen Erzählungen überhaupt als relevantes Thema auf? Und wenn ja, in welcher Form? Wird Unsicherheit als Problem gerahmt? Und wenn ja, wie wird damit umgegangen? Wie wird Sicherheit hergestellt in den Biografien? Davon ausgehend wird dann Schritt für Schritt eine gegenstandsbezogene Theorie über (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern erarbeitet. Dabei wird mit dieser Studie eine gemäßigt konstruktivistische Biografieforschung betrieben, welche Biografie als eine kulturelle Institution betrachtet, die im Zusammenspiel von sozialstrukturellem Kontext und Sinnsetzungen entsteht. Folgende allgemeinere Fragen über (Un)Sicherheit in Biografien werden im Laufe der Arbeit behandelt: Wie kann (Un)Sicherheit in Biografien generell entstehen? Welche biografischen Bereiche sind empirisch die relevanten für die Frage nach (Un)Sicherheiten in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern und wie spielen sie in Bezug auf die biografische Gesamtformung zusammen? In welchen strukturellen Kontexten bewegen sich die Tänzerinnen und Tänzer, wie werden diese relevant in deren Biografien und inwieweit ist es möglich, sich in der Konstruktion der eigenen Biografie über diese hinwegzusetzen? Diese Fragen wurden in einem qualitativ-rekonstruktiven Forschungsdesign bearbeitet. Die Grounded Theory-Methodologie stellte die wesentliche Orientierung dar, was das Verständnis des generellen Ablaufs von Forschungsprojekten angeht. Danach zeichnet sich der Forschungsprozess dadurch aus, dass sich die Forscherinnen und Forscher kontinuierlich zwischen schon vorhandenen theoretischen und empirischen Forschungen zum Thema, den Erhebungen und der Auswertung des Datenmaterials sowie den schrittweise entstehenden gegenstandsbezogenen Theoriebausteinen hin und her bewegen. Dieser Methodologie entsprechend wurden die Interviewpartnerinnen und -partner mit Hilfe der methodischen Strategie des Theoretischen Samplings ausgewählt. Das dieser Studie zugrunde liegende Datenmaterial umfasst schließlich im Kern 20 autobiografisch-narrative Interviews mit Tänzerinnen und Tänzern, die zum Zeitpunkt der Erhebungen (2011-2013) in Deutschland oder den Niederlanden gewohnt und/oder gearbeitet haben. Darüber hinaus wurde bei der Interpretation der Interviews auch zusätzliches Datenmaterial wie etwa die Beobachtungsnotizen der Forscherin kurz nach der Erhebung der Interviews, aber auch Dokumentarfilme und -serien über Tänzerinnen und Tänzer herangezogen. Ausgewertet wurde das Material mit der von Andreas Wernet vorgeschlagenen Version der Objektiven Hermeneutik. Hinzuzufügen ist hier, dass die methodische Ausbildung der Forscherin (sowie deren Mitinterpretinnen und -interpreten) in weiteren rekonstruktiven Verfahren ihre Spuren in der Datenanalyse hinterlassen haben. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass sich methodische Verfahren mit vergleichbaren methodologischen Grundannahmen kombinieren lassen. Die Darstellung der Forschungsergebnisse spiegelt in ihrer Linearität nicht den Ablauf des Forschungsprozesses wider, welcher - nach den Prinzipien gegenstandsbezogener Theoriebildung - von einem unablässigen Mäandern durch Theorie, Empirie und Kontexterarbeitung ge dazu, Textteile zu trennen, die ursprünglich zusammengedacht wurden, durch entsprechende Verweise werden die Anknüpfungspunkte jedoch im Text weiterhin deutlich gemacht. Je nach Interesse der Leserin oder des Lesers empfiehlt es sich Teile zu überspringen oder in anderer Reihenfolge zu lesen. Diese Arbeit wird als eine mögliche Form der Fixierung der gewonnenen Ergebnisse verstanden. Welcher rote Faden sich durch diese zieht, wird im Folgenden skizziert. Theorie macht den Anfang (1). In einem ersten Schritt wird eine theoretische Abgrenzung des Phänomens der (Un)Sicherheit mit Hilfe vorhandener Forschungsliteratur vorgenommen (1.1). Hauptzweck der konzeptuellen Arbeit ist die Herausarbeitung der biografischen Perspektive auf das Thema der (Un)Sicherheit, wie sie im Forschungsprojekt verfolgt wurde. Während Franz Xaver Kaufmanns Beschreibung der Wertidee Sicherheit als Ausgangspunkt für eine werturteilsfreie Fassung des Phänomens genommen wird (1.1.1), stellt der wissenssoziologische Ansatz nach Alfred Schütz den methodologischen Ausgangspunkt für die Einbettung des Phänomens der biografischen (Un)Sicherheit in die Sinn- und Relevanzsysteme der Akteurinnen und Akteure (1.1.2). Im Sinne der Theorie sozialer Strukturierung nach Anthony Giddens wird anschließend (Un)Sicherheit als Phänomen zwischen Handlung und Struktur, als gleichzeitig strukturiert und strukturierend, charakterisiert (1.1.3). Schließlich wird Unsicherheit als Problem für eine (ebenso prozessual verstandene) biografische Identität diskutiert (1.1.4). In einem zweiten Schritt wird beleuchtet, inwieweit Biografien von Tänzerinnen und Tänzern - strukturell gesehen - besonders hohe (Un)Sicherheitspotentiale aufweisen (1.2). Im Forschungsprozess haben sich insbesondere vier thematische Kernbereiche der (Un)Sicherheitsgenerierung herauskristallisiert, die in diesem Kapitel nacheinander diskutiert werden. Erstens werden die neuen Strukturen der Arbeit unter dem Schlagwort der Subjektivierung auf (Un)Sicherheitspotentiale hin untersucht (1.2.1). Zweitens werden (Un)Sicherheiten, die dem Feld bzw. dem System der Kunst inhärent sind, erörtert (1.2.2). Drittens steht der Körper zunächst aus einer Unsicherheitsperspektive als fragiles Kapital, gleichzeitig jedoch auch nun wiederum sicherheitsstiftend als Ort der leiblich-affektiven Erfahrung im Mittelpunkt (1.2.3). Viertens wird dargestellt, in welcher Hinsicht transnationale Übergänge im Lebensverlauf (Un)Sicherheitspotential für Biografien von Tänzerinnen und Tänzer bergen (1.2.4). Das zweite Kapitel ist ein deskriptives, welches verschiedene relevante strukturelle Kontexte der Biografien von Tänzerinnen und Tänzern erarbeitet. Nach einer kurzen Absteckung des Tanzfeldes als Forschungsfeld (2.1) und der Charakterisierung des Tanzes als einer flüchtigen, unmittelbaren und fragilen Kunstform (2.2), geht es zunächst um die symbolischen Strukturen des internationalen Tanzfeldes in ihrer diachronen Entwicklung (2.3). Dann werden einige wesentliche Merkmale und aktuelle Entwicklungen des ökonomischen und kulturpolitischen Rahmens von Tanz in Deutschland und den Niederlanden beschrieben (2.4), bevor es schließlich in der Abfolge Ausbildung, berufliche Positionierung und zweite Karriere um zentrale Organisationen, Karrieremuster und für das Feld relevante institutionell verfestigte Praktiken geht (2.5). Es folgt die Offenlegung und Diskussion des in dieser Arbeit verfolgten Forschungsdesigns (3). Das Forschungsprojekt wird zunächst methodologisch verortet (3.1). Danach stehen Erläuterungen zur Erhebung und Auswertung des Datenmaterials (3.2) und schließlich wird die für diese Studie zentrale methodische Schwierigkeit der Interpretation von mehrsprachigem Datenmaterial diskutiert (3.3). Das Herzstück der Arbeit stellen die vier Kapitel, in denen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern dargesh die Kapitel nicht nur durch ihre thematische Perspektive, sondern auch hinsichtlich der Struktur der Darstellung. So sind das Kapitel zur Wahrnehmung und Bewertung des projektbasierten Arbeitens als (un)sicher (4.1) und das Kapitel über den Körper als Generator von (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern (4.3) stärker themenzentriert und fallvergleichend geschrieben, wohingegen das Kapitel über die Herstellung biografischer Sicherheit über die Positionierung als Künstlerin bzw. Künstler (4.2) mit Hilfe einer Gegenüberstellung von zwei gegensätzlichen Referenzfällen strukturiert ist. Den Abschluss stellt das Kapitel über die Transnationalität von Biografien von Tänzerinnen und Tänzern, welche sich in einem Kontinuum zwischen lokalen und globalen Positionierungen bewegen (4.4). Hier wird zunächst ein zentraler Fall ausführlich dargestellt, bevor die erarbeitete Typologie mit der Einstreuung weiterer Fälle konturiert wird. Den Schluss der Arbeit bildet wiederum Theorie. Die im vierten Kapitel erarbeiteten einzelnen Theoriebausteine werden hier zusammengebracht und verdichtet. Ziel dabei ist, die durchgeführte gegenstandsbezogene Forschung anschlussfähig zu machen für die Arbeit in anderen Kontexten. In einem ersten Schritt werden die empirischen Ergebnisse der Forschung abstrahiert und zu einem Modell biografischer (Un)Sicherheit integriert (5.1). Dann werden zwei zentrale, für Biografien von Tänzerinnen und Tänzern spezifische Befunde herausgestellt, welche insbesondere für das Thema der (Un)Sicherheit von Biografien in einer ausdifferenzierten Gesellschaft aussagekräftig sind (5.2), bevor dann schließlich Schlüsse dieser Forschung für die Biografietheorie gezogen werden (5.3). Die Rekonstruktion der Biografien der Tänzerinnen und Tänzern legte letztlich weniger Unsicherheit frei als ursprünglich erwartet. Unsicherheit trat dort vielmehr als ganz normal und nicht zwangsläufig als bedrohlich auf. Herauszuheben ist die große Kraft und Motivation, die in den Biografien durch das Berufsziel Tänzerin bzw. Tänzer freigesetzt wird. Eine Erklärung lieferte dafür das Konzept der Hyperinklusion ins Kunstsystem. Die genauere Betrachtung der Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer eröffnet damit einen Blick auf Möglichkeiten der Herstellung biografischer Sicherheit innerhalb eines ausdifferenzierten Gesellschaftsbereichs - dem der Kunst für den Fall der Tänzerinnen und Tänzer. Darüber hinaus geben die Biografien der Tänzerinnen und Tänzer Aufschluss über zwei zentrale Techniken der biografischen Strukturierung. Zum einen konnten Techniken der Selbstsozialisierung identifiziert werden und zum anderen stellte die Form der Biografie als Projektkette bzw. Kette von Projektarrangements eine Möglichkeit dar, Lebensereignisse, die ein subjektiviertes, flexibles und mobiles Arbeiten und Leben mit sich bringen, in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Die Ambivalenz, welche eine erhöhte Verantwortung der Einzelnen im sozialen Strukturierungsprozess mit sich bringt - verstärkte Selbstorganisation und Selbstoptimierung mit eingeschlossen - ist auch in den Biografien der Tänzerinnen und Tänzer zu beobachten. Das große Potential dieser Gruppe liegt jedoch gerade darin, Individualisierung und reflexive Biografien aus einer Perspektive der Ermächtigung, der Möglichkeiten zur eigensinnigen Strukturierung des Sozialen zu betrachten. 1 (Un)Sicherheit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern Im folgenden Kapitel wird in einem ersten Teil das Problem der (Un)Sicherheit in Biografien anhand des aktuellen Forschungsstandes theoretisch ausgeleuchtet sowie die Relevanz einer biografischen Perspektive auf dieses Thema herausgestellt (1.1). Anschließend wird erläutert, inwieweit in Biografien von Tänzerinnen und Tänzern aus einer Beobachterperspektive Unsicherheiten anzunehmen sind (1.2). Ob diese dann letztlich in den Biografien der Tänzerinnen und Tänr Darstellung der empirischen Ergebnisse der Studie (4) aufgezeigt. Im Schlussteil (5) werden die Ergebnisse dann wieder rückgebunden an den hier diskutierten Forschungsstand. 1.1 (Un)Sicherheit Unsicherheit als Thema in den Sozialwissenschaften wird in einer großen Breite von Subdisziplinen und entsprechend auch mit mannigfaltigen theoretischen Schwerpunkten verhandelt (Zinn 2006b; Gerhold 2009). Auch ist Adalbert Evers Feststellung, dass sich für das Thema des Umgangs mit Unsicherheit bisher kein gemeinsamer theoretischer Diskussionszusammenhang rekonstruieren ließe (vgl. Evers 1993, 340), heute immer noch aktuell. Synonym gebrauchte Begriffe wie Ungewissheit, Gefahr und Risiko erschweren darüber hinaus eine einheitliche Konzeptualisierung des Phänomens. Wenn man die englischsprachigen Diskussionen hinzunimmt, fällt schließlich auf, dass insecurity weniger häufig, sondern vielmehr der Begriff uncertainty für eine breitere, übergreifende Bezeichnung dieses Phänomens verwendet wird. Es erscheint also angebracht, in einem ersten Schritt zu erläutern, in welcher Bedeutung der Begriff der Unsicherheit bzw. der Doppelbegriff der (Un)Sicherheit in dieser Studie verwendet wird und wie (Un)Sicherheit (zunächst heuristisch) theoretisch konzeptualisiert wird. Zuerst wird in diesem Kapitel ein Blick auf die für die Moderne typische Wertidee der Sicherheit geworfen mit einem Plädoyer für die Versachlichung der Diskussion über das Phänomen (Un)Sicherheit. Dadurch wird es möglich, die Sinn- und Relevanzstrukturen der Biografieträgerinnen und -träger ins Zentrum der Analyse zu rücken, wodurch Unsicherheit in einem ganzen Spektrum von Bewertungen (zwischen der negativen Bewertung als einem zu bewältigenden Problem bis hin zur positiven Rahmung als Gestaltungsfreiheit) auftreten kann (1.1.1). Danach wird aus einer auf Alfred Schütz aufbauenden wissenssoziologischen Perspektive (Un)Sicherheit als ein Wissensproblem gefasst. Neben dem biografisch angehäuften Wissensvorrat werden außerdem sozialstrukturell bedingte Positionen und Ressourcen als weitere Konstitutionsbedingungen biografischer (Un)Sicherheit markiert (1.1.2). In Bezug auf die klassische Frage nach dem Verhältnis von Handlung und Struktur wird im dritten Unterkapitel - Giddens' strukturierungstheoretischen Annahmen folgend - Biografie zunächst als prozessual sowie gleichzeitig strukturiert und strukturierend charakterisiert. Damit können Biografie und (Un)Sicherheit einerseits als Resultate sozialer Praktiken sowie andererseits als weitere soziale Praktiken bestimmend gefasst werden (1.1.3). Den letzten Baustein dieser ersten theoretischen Annäherung an das Phänomen der (Un)Sicherheit in Biografien liefert die Fassung von (Un)Sicherheit als Identitätsproblem. Dabei wird die Herstellung von personaler Identität im Zeitverlauf als eine wesentliche Funktion von Biografie angenommen. Identität wird dabei als prozessual hergestellt und als veränderbar begriffen (1.1.4).
Erscheint lt. Verlag | 8.11.2018 |
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Reihe/Serie | Biographie- und Lebensweltforschung | Biographie- und Lebensweltforschung |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Technik | |
Schlagworte | Arbeitsmarktforschung • Arbeitssoziologie • Biografieforschung • Erwerbsbiografie • Kultursoziologie • Lebenswelt |
ISBN-10 | 3-593-44009-1 / 3593440091 |
ISBN-13 | 978-3-593-44009-5 / 9783593440095 |
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