Lisa Signorile hat nach ihrem Diplom in Biologie und einer Laufbahn als Biochemikerin an verschiedenen Orten der Welt gearbeitet, um Lurche umzusiedeln oder tropische Mäuse zu zählen. Zurzeit lebt sie in London, wo sie sich mit Populationsgenetik beschäftigt.
Problematisch wird es, wenn sich die Umwelt verändert. Beispielsweise durch einen Anstieg der Temperatur, das Auftauchen eines neuen krankheitsverursachenden Virus oder einer neuen, sich in der Umgebung ansiedelnden räuberischen Art – oder durch die Erfindung des Geschirrspülers. Früher oder später kommt es überall zu Umweltveränderungen, mögen diese auch noch so gering sein. Die durch Parthenogenese gezeugten, ähnlichen oder identischen Krebse waren für das Überleben unter den bis dahin im Tümpel herrschenden Bedingungen geeignet. Es ist aber nicht gesagt, dass sie einer Veränderung standhalten würden, was mangels hinreichender genetischer Vielfalt letztendlich zum Aussterben dieser Art führen könnte.
Kommen wir zu den durch zwei Elternteile gezeugten Nachkommen zurück, zu jenen mit dem Royal Flush: Verändert sich die Umwelt, sind sie wahrscheinlich nicht besonders gut auf diese Veränderung eingestellt, und die Fortpflanzung wird ihnen nicht gelingen. Denn der Royal Flush zählt nur auf diesem speziellen Spieltisch. Vermutlich wird unter all den anderen Nachkommen mit ihren jeweils unterschiedlichen Kartenkombinationen zumindest einer für die veränderten Bedingungen »präadaptiert«3 sein und zufällig das große Los, oder besser gesagt, die richtige Genkombination erwischt haben, etwa die Resistenz gegenüber dem neuen Virus.
Ein anschauliches Beispiel liefert uns in diesem Zusammenhang ein Süßwasser-Kiemenfußkrebs, der gemeinhin als Wasserfloh bekannt ist und zur Gattung der Daphnien zählt. Viele Daphnien-Arten weisen einen besonderen Lebenszyklus auf, der sich auf einen Wechsel von Parthenogenese und der Fortpflanzung mit einem Partner stützt. Mit Beginn des Frühlings schlüpfen aus den Eiern ausschließlich Weibchen. Sind die Umweltbedingungen günstig, fangen sie an, sich zu klonen und weibliche, mit dem Muttertier identische Junge zu zeugen. Dass Daphnien günstige Umweltbedingungen vorfinden, ist wahrscheinlich. Da sie sich in erster Linie von Grünalgen oder gelegentlich Rädertierchen ernähren, wird es ihnen kaum an Nahrung mangeln. Die parthenogenetische Fortpflanzung der Daphnien schreitet den ganzen Sommer über in hohem Tempo voran (so legt beispielsweise der Große Wasserfloh – Daphnia magna – im Lauf seines gesamten, immerhin mehrere Monate währenden Lebens alle drei bis vier Tage bis zu 100 Eier). Gegen Ende des Sommers verändern sich jedoch mit einem Schlag die Umweltbedingungen: Die Pfütze oder der Tümpel ist mittlerweile mit Wasserflöhen übervölkert, und die Nahrung beginnt knapp zu werden. Hinzu kommt die Veränderung der Fotoperiode, indem die Nächte länger werden und die Temperaturen sinken. Diese und andere Umweltfaktoren lösen beim Wasserfloh eine Stressreaktion aus, die zur Bildung eines maskulinisierenden Hormons (Methylfarnesoat) führt. So schlüpft aus dem Ei nicht, wie gewohnt, ein Klon der Mutter, sondern ein Männchen. Das Wasserflohweibchen beginnt außerdem nun auch Eier zu produzieren, die für die geschlechtliche Fortpflanzung mit einem Partner geeignet sind. Da es jetzt die entsprechenden Eier und obendrein Männchen gibt, kommt es an diesem Punkt (Hurra!) zur Paarung, und es erfolgt eine Durchmischung mittels Meiose: Ein Teil der Gene unterscheidet sich von denen der Mutter, da er vom Vater stammt. Somit sind alle Geschwister-Embryonen voneinander verschieden. Es handelt sich um Dauereier, die den Winter über ruhen. Einige der im Frühjahr schlüpfenden Jungen sind in der Lage, sich an möglicherweise veränderte Umweltbedingungen anzupassen und eine neue Reihe von Klonen zu erzeugen.
So kompliziert es auch erscheinen mag, mangelt es diesem System nicht an höchster Effizienz. Vor ein paar Jahren habe ich aus einem Tümpel, in dem verschiedene Arten von Wirbellosen beheimatet sind, ein paar Würmer, Insektenlarven, Schnecken und Krebstiere gefischt. Das Ganze kam in ein wenige Liter fassendes Becken, das sommers wie winters im Freien stand. Die einzigen Tiere, die nach ein paar Wintern unter diesen – zugegebenermaßen – erbärmlichen Bedingungen überlebt hatten, ja, geradezu gediehen, waren die Wasserflöhe. Zumindest soweit ich das mit bloßem Auge erkennen konnte.
Die meisten von uns werden nun vermutlich einsehen, dass Fortpflanzung ohne Partner zwar in Ordnung geht, aber nur solange sich die Umwelt nicht verändert. In der Regel ist es für den Fortbestand günstiger zu zweit. Aber wieso nicht zu dritt? Würden drei Geschlechter nicht für noch mehr genetische Vielfalt sorgen? Oder gar vier? Fünf? Bei genauerem Nachdenken erscheinen die praktischen Aspekte einer Paarung zu fünft zwar bemerkenswert, aber wenig Erfolg versprechend: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich fünf Individuen gleichzeitig an einem Ort befinden, ohne es darauf abzusehen, sich gegenseitig zu verschlingen, und die obendrein dazu bereit sind, nur ein Fünftel des Chromosomensatzes für den Nachwuchs beizusteuern, ist eher gering. Man darf den »Egoismus« der Gene4 nicht vergessen. All die Mühe, sich zu begegnen, zu umwerben, zu paaren und den Akt zu fünft möglichst zu überleben, bloß um einen geringen Teil der eigenen DNA beizusteuern, erscheint ökonomisch wenig sinnvoll. Die Evolution neigt dazu, jenen Lösungen den Vorzug zu geben, die mit möglichst geringem Energieaufwand verbunden sind. Also weg mit den Orgien zu fünft und ebenso zu viert. Und weshalb sollte man nur zu einem Drittel der Gene beitragen, wenn man sich auch an der Hälfte des Chromosomensatzes eines Individuums beteiligen kann? Die einfache Lösung ist immer die bessere, vor allem, wenn sie zur sogenannten reproduktiven Fitness5 beiträgt.
Um Missverständnisse zu vermeiden, will ich genauer erklären, wovon hier die Rede ist. Mit dem Geschlecht eines Individuums meine ich in diesem Zusammenhang seine Fähigkeit zur Produktion von Geschlechtszellen (Gameten), die zum endgültigen Chromosomensatz eines zukünftig geborenen Individuums beitragen. Wie bereits gesagt gibt es alle möglichen Kombinationen von Eingeschlechtlichkeit und Hermaphroditismus, aber ein Hermaphrodit gehört keinem dritten Geschlecht an, sondern vereint lediglich zwei Geschlechter in einem Individuum. Ebenso können bei vielen Arten die Männchen verschiedene Fortpflanzungsstrategien anwenden und dementsprechend unterschiedliche Merkmale aufweisen (dominant und bunt oder unscheinbar wie die Weibchen). Aber die von ihnen produzierten Gameten (Spermien) bleiben stets dieselben. Das Unterscheidungskriterium ist also die Fähigkeit zur Erzeugung verschiedener Geschlechtszellen und nicht die Fortpflanzungsstrategie als solche.
Kehren wir zu den fünf Individuen zurück. Oder nein, überlassen wir sie ihren komplizierten Lebensumständen und den damit verbundenen Streitereien, und nehmen zur Vereinfachung als Beispiel nur drei: A, B und C. Es ist nicht gesagt, dass sich die drei Individuen unbedingt alle gleichzeitig treffen müssen (Fall 1), auch müssen sie nicht alle lediglich ein Drittel zum Genom beitragen. So ist beispielsweise denkbar (Fall 2), dass A zunächst B trifft, die Gameten einlagert und sich dann auf die Suche nach C begibt. Oder aber (Fall 3), alle können sich unterschiedslos und rein zufällig mit irgendeinem der anderen paaren, oder (Fall 4) A kann mit B, B mit C, aber A nicht mit C Nachwuchs zeugen.
Nennen wir die Zeugungsfähigkeit E, so lassen sich die aufgezählten Möglichkeiten wie folgt schematisieren:
A + B + C = E
A + B = AB; AB + C = E
A + B = E; A + C = E; B + C = E
A + B = E; A + C = E; B + C = 0
Bei nur zwei Geschlechtern ergibt sich dagegen ausschließlich folgende Möglichkeit:
A + B = E
Man muss zugeben, dass es zu zweit praktischer ist und das dritte Geschlecht vermutlich früher oder später redundant und evolutionär auf der Strecke bleiben würde. Es geht hier jedoch um mehr als rein mathematische Kombinationsmöglichkeiten. Wir haben es mit Biologie zu tun, und die lässt sich nicht in ein kariertes Heft zwängen, vielmehr ist sie von Natur aus chaotisch. Die in einer Zelle enthaltene DNA ist nicht allein auf die Chromosomen beschränkt. Ein kleiner Bruchteil befindet sich auch in anderen Zellstrukturen, den sogenannten Mitochondrien, bei Pflanzen außerdem in den Chloroplasten. Ursprünglich handelte es sich bei diesen Organellen um eigenständig lebensfähige Bakterien, doch heute gelten sie als Symbionten unserer Zellen. Bei den Tieren liefert für gewöhnlich nur das Weibchen den Embryonen diese symbiontischen Organellen. Die entsprechende Erklärung ist interessant: Angenommen Männchen und Weibchen begegnen sich unter der für die Paarung minimalen Voraussetzung, also ohne sich gegenseitig zu zerfleischen. Weiterhin angenommen, die Eizelle und das Spermium vereinen sich und verschmelzen ohne Probleme, so ist noch nicht gesagt, dass die Mitochondrien zwangsläufig mit dieser Verbindung einverstanden sind. Wenn eines der Individuen mutierte Mitochondrien enthält, welche die anderen angreifen und töten, kann sich diese Mutation rasch verbreiten. Problematisch wird es, wenn sich zwei Individuen mit Killer-Mitochondrien paaren und nach der Verschmelzung der Geschlechtszellen ein Kampf zwischen den Mitochondrien ausbricht. Der Embryo würde das kaum überleben. Sehr viel praktischer ist es, derart kannibalistische Versuchungen zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass es zwar zwei verschiedene Gameten gibt, aber lediglich einer der beiden die Mitochondrien beisteuert. Die Sache würde komplizierter, wenn drei oder mehr...
Erscheint lt. Verlag | 10.7.2017 |
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Übersetzer | Franziska Kristen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Il coccodrillo come fa - La vita sessuale degli animali |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Balzverhalten • Biologie • eBooks • Evolution • Fortpflanzung • Kopulation • Sexualleben der Tiere • Vögel |
ISBN-10 | 3-641-16463-X / 364116463X |
ISBN-13 | 978-3-641-16463-8 / 9783641164638 |
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